Ralf Hanselle Sandra Kostner
Sandra Kostner

Sandra Kostner im Gespräch mit Ralf Hanselle - Cicero Podcast Gesellschaft: „Mit bestimmten Themen schießt man sich ins wissenschaftliche Aus“

Sandra Kostner engagiert sich gegen Identitätspolitik und Cancel Culture. Als Gründerin des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit kämpft sie zusammen mit mittlerweile 650 weiteren Wissenschaftlern und Hochschullehrern für die Freiheit von Forschung und Lehre. Im Cicero Gesellschaft Podcast erklärt Kostner, warum die neue Wokeness zum religiösen Wahn werden könnte und wie sich Wissenschaft und Gesellschaft aus der Angst vor der abweichenden Meinung befreien.

Ralf Hanselle / Antje Berghäuser

Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Die Freiheit von Forschung und Lehre ist ein hohes Gut. Das gilt zumindest in der Theorie: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei“, heißt es sehr allgemein und offen in Artikel 5 Absatz 3 unseres Grundgesetzes. Es waren die Erfahrungen aus Nationalsozialismus und Kommunismus, die die Väter und Mütter des Grundgesetzes dazu gebracht haben, die Universitäten möglichst frei von ideologischen Ansprüchen zu halten. Das hat viele Jahrzehnte auch bestens funktioniert. Doch mit der sogenannten Identitätspolitik scheint eine Ideologie ganz neuen Typs in die Universitäten eingezogen zu sein. Und Wokeness wie Cancel Culture führen immer öfter dazu, dass sich Hochschullehrer zweimal überlegen müssen, was sie sagen, welche Lehrmaterialien sie empfehlen oder in welchem Kontext sie publizieren. Angst geht um in den Akademien.

„Man merkt immer mehr, dass man ein Problem hat, wenn man bestimmte Themen aufgreift“, sagt die Historikerin und Migrationsforscherin Sandra Kostner. Man könne diese heiklen Themen zwar behandeln, müsse dann aber akzeptieren, dass man nicht mehr zu Tagungen eingeladen wird und somit nicht mehr Mitglied des Mainstream-Wissenschaftsbetriebes ist. Kostner, die an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd forscht und lehrt, will diesen Zustand nicht mehr akzeptieren. Zusammen mit anderen Wissenschaftlern gründete Sie im letzten Jahr das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit, ein akademischer Zusammenschluss, der nicht nur auf die Gefährdungen der akademischen Freiheit hinweisen will, sondern der gezielt auch Hilfestellungen gibt, wenn Wissenschaftler Gefahr laufen, mundtot gemacht zu werden.

Was genau sich in den letzten Jahren in den Hörsälen verändert hat und warum die sogenannte Identitätspolitik sich derzeit unter Studenten gut verfängt, darüber spricht Ralf Hanselle, stellvertretender Chefredakteur von Cicero, mit Sandra Kostner in der aktuellen Folge des Cicero Gesellschaft Podcast. Denn längst geht es bei der Re-Ideologisierung der Gesellschaft ums Ganze: „Freiheit ist kein individuelles Grundrecht mehr, sondern Freiheit wird zum Instrument der Diversitätsgestaltung“, so Kostner. Und dennoch ist unser heutiger Podcast-Gast zuversichtlich: „Was die Identitätspolitik am Ende des Tages aushebeln wird, ist der Umstand, dass sie viele kleinteilige Gruppen bildet, die alle um Ressourcen kämpfen. Letztlich führt das dazu, dass sich immer mehr Personen davon abwenden.“

 

Das Gespräch wurde am 23. Mai 2022 aufgezeichnet.

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S. Blanckenfeld | Sa., 28. Mai 2022 - 05:23

Die Analyse trifft das Problem nicht ganz: In Deutschland geht der ideologische Druck nicht von den Studenten aus, sondern von der Hochschulpolitik, insbesondere von grünen Hochschulministerien. Da sich die Grünen im Besitz der objektiv richtigen Weltanschauung wähnen, glauben sie, das zu dürfen....

Ernst-Günther Konrad | Sa., 28. Mai 2022 - 08:35

Erstklassige Fragen und erstklassige Antworten. Selten ein so ausgewogenes, sachliches, unaufgeregtes und ehrliches Interview gehört. Frau Kostner hat in beispielhafter Weise das Dilemma der Meinungsfreiheit in Verbindung mit der Wissenschaftsfreiheit skizziert. Und ja, die Gruppen der ideologisierten Fanatiker dürfte klein sein, die der schweigsamen duldenden groß, weil sie häufig existenziell abhängig sind. Doch braucht es nur immer mehr aufrechte Wissenschaftler, die aufstehen und sich gegen den Cancel Wahnsinn erheben. Und ja, ich bin auch der Ansicht, dass sich das meiste selbst zerstört. Vom Hölzchen, aufs Stöckchen zum Zahnstocher wird alles herunter gebrochen und am Ende zerbröselt es. Und ja, die schwulen Menschen, die ich kenne, lehnen diesen Identitätswahn ab. Sie wollen frei und akzeptiert leben, was sie inzwischen können und nicht noch weiter aufgespalten werden. Es gilt Ruhe zu bewahren und stringent seine Sichtweise zu vertreten. Sie vermitteln Hoffnung und Zuversicht.

Ja, lieber Herr Konrad, ich schöpfe auch Hoffnung aus der Tatsache, daß sich inzwischen mehr Wissenschaftler gegen die massiven Einschränkungen ihrer Lehr- und Forschungs-Freiheit wehren. Leider sind es immer noch viel zu wenige.
Auf Dauer wird sich - so meine ich - die geistige Knebelung nicht durchhalten lassen. Es sei denn: "The great reset" wird erfolgreich durchgesetzt!
Die Frage ist nur: Wie lange wird es dauern, bis Vernunft und aufgeklärtes Denken wieder Einzug halten an unseren Universitäten, Schulen und ganz allgemein in der Gesellschaft?
Man darf ja kann nicht verkennen, wie stark die Interessen derer sind, die diese Rückkehr mit allen Mitteln vehindern wollen, weil ihnen sonst ihre mühsam erkämpften Privilegien genommen werden. Ich fürchte, Sie und ich erleben
es nicht mehr, daß man ü b e r a l l wieder ungezwungen miteinander dikutieren kann, ohne anschließend Ausgrenzung zu erfahren.
Umso mehr genieße ich den Austausch hier auf dieser Plattform.
Schönes Wochenende!

Peter Sommerhalder | Sa., 28. Mai 2022 - 10:35

ist Deutschland immer so einseitig?

Seit vielen Jahren wird gesagt, welches die "richtige" Haltung/Meinung/Denkweise ist.
Und es wird immer schlimmer...
Die geringsten Abweichungen werden in einer ganz üblen Selbstverständlichkeit diffamiert, dass ich mich als Aussenstehender schon ernsthaft Frage:
Wieso funktioniert das so gut, wieso ist das so einfach? Wieso kommt da kein wirklicher Protest...?

Günter Johannsen | So., 29. Mai 2022 - 12:22

Zu jeder Zeit ... in jeder Diktatur gab es Wissenschaftler, die ihre Geistesgaben nicht in den Dienst der Wissenschaft allein, sondern auch in den Dienst der jeweiligen Machthaber gestellt haben. Das ist heute nicht anders!
Es ist schon sehr auffällig, dass seit ca. 16 Jahren (und zunehmend seit Beginn der Flüchtlingskrise!) in den Medien die vermeintlichen Politik-Wissenschaftler wie Pilze aus dem Boden schießen! Noch erstaunlicher ist, dass diese Experten zumeist links und/oder Gewerkschafter, SPD-nah bzw. in der SPD/LINKEN verwurzelt sind. Mein Eindruck: dass die Politik ihre Entscheidungen und Alleingänge nicht mehr plausibel erklären kann und deshalb "fremde Hilfstruppen" - Spezialisten, Experten und Politik -„Wissenschaftler“ - zur Untermauerung des nicht mehr Erklärbaren hinzuziehen muss! Das ist peinlich und sehr schädlich für unser Land und die freiheitliche Demokratie!