
- „Ganz raushalten ist überhaupt keine Option“
Die Schriftstellerin Juli Zeh hat den Offenen Brief von Alice Schwarzer und anderen Intellektuellen mitunterzeichnet, in dem vor einer Eskalation des Ukraine-Krieges durch deutsche Waffenlieferungen gewarnt wird. Im Cicero-Interview erklärt sie, warum das Völkerrecht allein keine Antwort darauf geben kann, ab wann eine Kriegsbeteiligung vorliegt, und warum eine Eskalationsdynamik entstehen könnte, die weder Russland noch der Westen kontrollieren können.
Juli Zeh ist Schriftstellerin und Juristin. Zuletzt erschien ihr Roman „Über Menschen“. Seit 2019 ist sie außerdem ehrenamtliche Richterin am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg.
Frau Zeh, Sie gehören zu den Ernstunterzeichnern des Offenen Briefes an Olaf Scholz, der in Emma veröffentlicht wurde und in dem Sie den Bundeskanzler auffordern, im Ukraine-Krieg besonnen zu bleiben und nicht durch Lieferung schwerer Waffen das Risiko eines Dritten Weltkriegs zu erhöhen. Der Brief hat sehr starke Reaktionen ausgelöst, teilweise bis zu heftigsten Beschimpfungen. Haben Sie mit der Heftigkeit dieser Reaktion gerechnet?
Ich habe mit den Reaktionen gerechnet, auch mit ihrer Heftigkeit. Die Erwartung dieser Reaktionen war sogar einer der Gründe, warum ich mitgemacht habe. Ganz und gar nicht, weil ich gerne provoziere. Im Gegenteil, das liegt mir fern. Aber weil die Heftigkeit der Reaktionen doch auch zeigt, wie emotional und manchmal auch wenig rational über dieses Thema gedacht und gesprochen wird. Und mir ist wichtig, dass wir jetzt in einen offenen und sachlichen Diskurs kommen. Und dazu ist aus meiner Sicht der Brief, den Alice Schwarzer initiiert hat, eben ein Anstoß gewesen.
Was war für Sie letztlich ausschlaggebend, diesen Brief mit zu unterzeichnen? Oder haben Sie ihn sogar mit verfasst?
Nein, an den Formulierungen war ich nicht beteiligt. Ich habe nicht aufgrund jeder einzelnen Formulierung unterzeichnet, aber ich teile die Stoßrichtung des Appells. Also die Abwägung, ob wir mit Waffenlieferungen an die Ukraine dazu beitragen, den Krieg zu beenden, oder ob das Risiko so hoch ist, dass es für alle Beteiligten besser wäre, höchste Vorsicht walten zu lassen. Ich persönlich halte das Risiko für zu hoch. Es gibt eben Unsicherheit bei der Frage, was überhaupt Waffenlieferungen tatsächlich sachlich bringen. Daher schließe ich mich dem Appell an Olaf Scholz an, dass er, ich hätte jetzt fast gesagt, ins „Team Vorsicht“ zurückkehrt. Also sagen wir, dass er auf den besonnenen Weg zurückkehrt, beziehungsweise da bleibt.
Wie sollte der besonnene Weg nach Ihrer Meinung denn aussehen? Sollte man komplett auf Waffenlieferungen verzichten, sich ganz raushalten?
Ganz raushalten ist überhaupt keine Option. Das wurde uns Unterzeichnern ja teilweise unterstellt, dass wir gefordert hätten, die Ukraine sich selbst zu überlassen. Und als würde uns das alles nichts angehen. Dazu ruft der Brief ja auf keinen Fall auf. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass die Schuld für den Krieg eindeutig aufseiten Russlands liegt. Ich glaube, darüber besteht ein Konsens in unserem Land. Es geht nicht darum, dass wir gar nichts tun, sondern dass wir bei der Wahl unserer Mittel die Möglichkeit einer Eskalationsspirale im Blick haben müssen. Ich meine damit nicht nur einen eskalierenden Putin, sondern auch das Eskalieren der Kriegsdynamik. Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass einer der Nato-Staaten und dann im Zuge dessen vielleicht alle als Kriegspartei mit hineingezogen werden. Und Waffenlieferungen sind ja nur der erste Schritt. Wenn wir jetzt Waffen liefern, müssen wir uns nächste Woche fragen, was machen wir als nächstes? Das ist ja ein Trend in eine bestimmte Richtung, eine Dynamik. Wenn wir diesen Weg weitergehen, erhöhen wir kontinuierlich das Risiko eines Kriegseintritts. Und das halte ich für unverantwortlich angesichts der Folgen, die möglicherweise daraus erwachsen.
Wie könnte denn der Krieg beendet werden, ohne sich hineinziehen zu lassen und ohne schwere Waffen zu liefern?