
- Weltwirtschaft ausgebremst, banger Blick nach China
Der Krieg in der Ukraine bremst die wirtschaftliche Erholung von der Pandemie aus. Der Internationale Währungsfonds (IWF) senkt seine weltweite Wachstumserwartung. Die Eurozone und Deutschland sind besonders hart betroffen. Und in China braut sich etwas zusammen.
Düstere Aussichten für die Weltwirtschaft: Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat seine Wachstumsprognose deutlich nach unten korrigiert. Gleichzeitig erwartet der IWF für 2022 eine höhere Inflationsrate, angetrieben unter anderem von gestiegenen Energie- und Lebensmittelpreisen. „Die Aussichten für die globale Wirtschaft haben einen harten Rückschlag erfahren, größtenteils wegen Russlands Einmarsch in die Ukraine“, erklärte IWF-Chefvolkswirt Pierre-Olivier Gourinchas am Dienstag.
In seiner neuen Prognose rechnet der IWF in diesem Jahr nur noch mit einem globalen Wachstum von 3,6 Prozent. Das sind 0,8 Prozentpunkte weniger als noch im Januar angenommen. Für die Eurozone erwartet der IWF ein um 1,1 Prozentpunkte geringeres Wachstum von 2,8 Prozent. In Deutschland soll das Bruttoinlandsprodukt demnach nur noch um 2,1 Prozent wachsen – eine Herabstufung der Prognose vom Januar um satte 1,7 Prozentpunkte.
„Diese Krise passiert, obwohl sich die globale Wirtschaft noch nicht völlig von der Pandemie erholt hat“, sagte Gourinchas. Viele Staaten hätten mit hoher Inflation zu kämpfen, weswegen eine Straffung der Geldpolitik bevorstehe. Die Unterbrechungen globaler Lieferketten hielten an – wobei jüngste Corona-Lockdowns in China diese Probleme erneut verschärfen könnten.
Radikaler Lockdown in Shanghai
Chinas Machthaber haben auf den Ausbruch der Omikron-Variante durch ein strenges Quarantäne-Regime reagiert. Im Zentrum steht die ostchinesische Hafenmetropole Shanghai. In ganzen Wohnvierteln herrscht dort Ausgangssperre. Familienangehörige werden zwangsweise voneinander getrennt, wenn Einzelne infiziert sind. Die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten klappt nicht mehr.
Bert Flossbach, Co-Gründer des Vermögensverwalters Flossbach von Storch, warnt in einem aktuellen Videobeitrag vor der Corona-Krise in China. „Dort geht es jetzt wirklich ums Überleben. Es droht eine regelrechte Hungersnot“, sagt er und berief sich auf eine Mitarbeiterin in Shanghai. „Die Berichte aus diesen Wohnblocks, die wir bekommen haben, zeigen dass einige Leute nichts mehr zu essen haben. Die Kollegin sagte, sie hat noch bis Ende des Monats Vorräte.“
Flossbach geht davon aus, dass die strikte Anti-Corona-Politik der chinesischen Regierung die Weltwirtschaft negativ beeinflussen wird. Und zwar stärker als der Ukraine-Krieg und die Sanktionen gegen Russland. China sei wirtschaftlich viel bedeutender als Russland, sagt er. „Sowohl als Importeur als auch Exporteur. Also als Handelspartner und Produktionsstandort für viele Unternehmen, auch Unternehmen in den USA“, so Flossbach. „Was in China passiert, ist ökonomisch noch viel weitreichender als der Krieg hier bei uns vor der Haustür, weil es auch sehr viel globaler wirkt.“
Russland steht vor tiefer Rezession
Beim IWF hat man dieses düstere Szenario offenbar noch nicht eingepreist. Denn die jüngste Senkung der globalen Konjunkturprognose um 0,8 Prozentpunkte geht vor allem auf die schlechteren Aussichten für Russland und die Europäische Union zurück. Russland steht infolge der harten westlichen Sanktionen vor einer tiefen Rezession, was rund 0,3 Prozentpunkte der Herabstufung ausmacht. Weitere rund 0,2 Prozentpunkte gehen auf die trüberen Aussichten in Europa zurück „wegen der indirekten Effekte des Kriegs“. Positivere Aussichten haben angesichts steigender Preise 2022 derzeit nur die Volkswirtschaften großer Rohstoffexporteure, so der IWF.
Die neue Wirtschaftsprognose ist dem IWF zufolge mit ungewöhnlich hoher Unsicherheit verbunden. „Das Wachstum könnte sich weiter verlangsamen, während die Inflation unsere Prognosen übertreffen könnte – zum Beispiel falls Sanktionen auf Russlands Energieexporte ausgeweitet werden“, erklärte Gourinchas. Auch könnten gefährliche Varianten des Coronavirus, die den Impfschutz aushebelten, zu Lockdowns und Produktionsverzerrungen führen.
Rohstoffpreise treiben Inflation
Die Inflationsrate soll vor allem wegen des Kriegs länger als zuletzt angenommen hoch bleiben. In diesem Jahr rechnet der IWF in den Industriestaaten mit einer Teuerungsrate von 5,7 Prozent, also 1,8 Prozentpunkte mehr als noch im Januar angenommen. In Schwellen- und Entwicklungsländern soll die Inflationsrate im Durchschnitt 8,7 Prozent betragen, ein Plus von 2,8 Prozentpunkten.
Ein wichtiger Treiber der Teuerungsrate sind die Rohstoffpreise. „Russland ist ein wichtiger Lieferant von Öl, Gas und Metallen und – zusammen mit der Ukraine – von Weizen und Mais. Ein geringeres Angebot dieser Rohstoffe hat ihre Preise scharf nach oben getrieben“, erklärte Gourinchas. Der Anstieg der Benzin- und Lebensmittelpreise werde weltweit vor allem Haushalte mit niedrigem Einkommen treffen, machte der IWF klar. Die Preissteigerungen „könnten auch die Wahrscheinlichkeit sozialer Unruhen in ärmeren Ländern deutlich erhöhen“, hieß es weiter. Hilfsorganisationen warnen, dass vor allem Länder im Nahen Osten und in Afrika stark betroffen sein könnten.
Die russische Wirtschaft dürfte der IWF-Prognose zufolge dieses Jahr um 8,5 Prozent einbrechen, eine Herabstufung um 11,3 Prozentpunkte gegenüber dem Januar. Andere Prognosen, etwas jene der Weltbank, rechnen sogar mit einer noch etwas stärkeren Rezession. Für die Ukraine rechnet der IWF mit einer dramatischen Rezession; die Wirtschaft soll wegen des Kriegs um 35 Prozent schrumpfen. Konjunkturprognosen für die Ukraine sind angesichts der andauernden Kämpfe allerdings mit besonders hoher Unsicherheit verbunden.
dpa/dg