
- Griechen am ehesten auf der Seite Putins
Eine repräsentative Umfrage in sechs europäischen Staaten zeigt sehr unterschiedliche Einstellungen der jeweiligen Bevölkerungen zum Ukrainekrieg. So hält beispielsweise ein Viertel der befragten Italiener die Invasion für verständlich oder akzeptabel, in Griechenland sind es sogar 39 Prozent. Am meisten Angst vor einem Atomangriff haben die Franzosen. Die Deutschen wiederum wollen Sanktionen möglichst schnell abschaffen.
Die überwiegende Mehrheit der Europäer ist zwar bestürzt über die russische Invasion in der Ukraine, aber es gibt bemerkenswerte Unterschiede. Dies ist das Ergebnis einer repräsentativen Befragung, die das Meinungsforschungsinstitut Insa für Cicero zusammen mit weiteren Meinungsforschungsinstituten des Euroskopia-Netzwerks in sechs europäischen Staaten durchgeführt hat. Griechen und Italiener haben demnach einiges Verständnis für Russland, die Franzosen hingegen fürchten einen Atomkrieg – und die Deutschen glauben zwar an Wirtschaftssanktionen, wollen sie aber auch schnell wieder abschaffen.
Am meisten Angst vor einem Atomangriff haben die Franzosen, vermutlich weil das Land stark von Atomenergie abhängig ist und viele Franzosen in der Nähe eines Atomkraftwerks leben. In keinem der untersuchten Länder wird die russische Invasion hingegen mehr missbilligt als in den Niederlanden, wie die Umfrage unter 6000 Bürgern zwischen dem 9. und dem 11. März ergeben hat. Nur zehn Prozent der befragten Niederländer halten den Krieg für verständlich oder akzeptabel. Selbst in Deutschland und Spanien können die Russen kaum mit Verständnis rechnen. In Italien und Griechenland ist die Situation etwas anders. So hält beispielsweise ein Viertel der befragten Italiener die Invasion für verständlich oder akzeptabel. In Griechenland sind es sogar 39 Prozent.
Griechen eher russlandfreundlich
In Griechenland liegt dies unter anderem daran, dass beide Länder den orthodoxen Glauben teilen, was dazu führt, dass in konservativen Kreisen recht viel Sympathie für die Russen besteht. Außerdem war die Kommunistische Partei in Griechenland schon immer groß, was vor allem in linken Kreisen eine tief verwurzelte Skepsis gegenüber „dem Westen“ hervorrief. Auch in griechischen Zeitungen gibt es regelmäßig Berichte über russische Trolle und Eindringlinge, deren Aufgabe es ist, die öffentliche Debatte über Russland zu beeinflussen, und die damit offensichtlich Erfolg haben.
Italien steht Russland traditionell wohlwollender gegenüber als andere europäische Länder. Auch in Rom war die Kommunistische Partei lange Zeit ein ernstzunehmender politischer Faktor. Später war die Sympathie auch dank der rund 500 italienischen Unternehmen, die bis vor kurzem in Russland ansässig waren, besonders groß. Die politischen Beziehungen waren zeitweise eng verflochten. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an das Geburtstagsgeschenk, das Ex-Premier Silvio Berlusconi dem russischen Präsidenten zu seinem 65. Geburtstag schickte: eine Bettdecke mit den Gesichtern von Berlusconi und Putin.
Franzosen haben besonders Angst vor Atomwaffen
Von allen befragten Ländern befürchten vor allem die Franzosen ernsthaft einen nuklearen Angriff; 81 Prozent der Befragten halten es für sehr oder eher wahrscheinlich, dass der Krieg zum Einsatz von Atomwaffen führen wird. In den Niederlanden ist dieser Anteil mit 51 Prozent noch recht hoch, während beispielsweise in Deutschland (32 Prozent) und Griechenland (30 Prozent) der Störung der bestehenden Weltordnung durch einen Atomkrieg deutlich weniger Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Dass sich die Franzosen mehr Sorgen machen, liegt vermutlich daran, dass das Land stark von der Atomenergie abhängig ist; 70 Prozent des französischen Stroms werden in Kernkraftwerken produziert. Nach der Ölkrise von 1973 investierte Paris massiv in die Kernenergie, mit der Folge, dass kein Land der Welt außer den USA mehr aktive Reaktoren hat als Frankreich, nämlich 56, verteilt auf insgesamt 19 verschiedene Standorte. Infolgedessen ist Kernenergie nicht nur ein ernstes Thema bei fast jeder Wahl, sondern führt auch dazu, dass ein erheblicher Teil der französischen Bevölkerung in der Nähe eines Kernkraftwerks lebt und sich daher überdurchschnittlich seiner potenziellen Gefahren bewusst ist. Nicht umsonst war Frankreich eines der ersten europäischen Länder, in denen die Apotheker in diesem Monat einen starken Anstieg der Nachfrage nach Jodtabletten bemerkten.
Mehrheit der Europäer skeptisch gegenüber Sanktionen
Ein Thema, bei dem sich die Europäer offenbar ziemlich einig sind, ist der begrenzte Nutzen von Sanktionen gegen Russland. Mit Ausnahme von Deutschland, wo 55 Prozent der Bevölkerung glauben, dass Sanktionen dazu beitragen werden, den Krieg zu beenden oder künftig weitere russische Invasionen zu verhindern, gibt es in keinem der befragten Länder eine Mehrheit, die glaubt, dass der Kreml von den Sanktionen betroffen sein wird.
Auffallend ist, dass der deutsche Glaube an Wirtschaftssanktionen zwar am größten ist, die Deutschen aber trotzdem dafür sind, die meisten Sanktionen wieder aufzuheben, wenn der Krieg in der Ukraine vorbei ist. Während wirtschaftliche Maßnahmen gegen russische Unternehmen und mit Putin verbundene Investoren beibehalten werden sollten, sieht eine Mehrheit der Deutschen nach dem Krieg lieber alle anderen Sanktionen verschwinden, etwa die wirtschaftlichen Beschränkungen für russische Unternehmen, die nicht direkt mit Putin verbunden sind, sowie ein totales Flugverbot für russische Flugzeuge.
Tatsächlich möchten vor allem die Befragten in Frankreich und Spanien den Druck auf die Russen aufrechterhalten, sollte der Krieg enden. In Spanien spricht sich eine große Mehrheit der Bevölkerung sogar dafür aus, russische Sportler und Vereine nach dem Krieg von europäischen Sportturnieren auszuschließen. 51 Prozent der befragten Spanier sprechen sich sogar für ein dauerhaftes Auftrittsverbot russischer Künstler auf europäischen Bühnen und Theatern aus.
Euroskopia ist eine neue Zusammenarbeit europäischer Markt- und Meinungsforschungsinstitute. Sie wollen sich ein Bild von der europäischen öffentlichen Meinung machen, indem sie regelmäßig Umfragen durchführen, bei denen Bürgern in verschiedenen europäischen Ländern die gleichen Fragen gestellt werden.