René Schlott
René Schlott / Andy Küchenmeister

René Schlott im Gespräch mit Ralf Hanselle - Cicero Podcast Gesellschaft: „Eine Verfassung muss sich nicht bei Schönwetter bewähren, sondern in Krisenzeiten“

Er hat in Berlin und Genf Geschichte, Politik und Publizistik studiert und anschließend in Gießen promoviert. Danach begann er ein Forschungsprojekt am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. René Schlott hat zahlreiche Bücher und Essays zu den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts verfasst und setzt sich kritisch mit den Corona-Maßnahmen und deren Auswirkungen auf unsere Gesellschaft auseinander. Im Interview äußert er sich zum Grundgesetz, Grundfreiheiten und Grundrechten.

Ralf Hanselle / Antje Berghäuser

Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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In gut zwei Jahren wird das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sein 75-jähriges Jubiläum feiern. Und obwohl es „nicht Aufgabe des Historikers ist, in die Zukunft zu schauen“, wagt René Schlott im Gespräch mit Ralf Hanselle trotzdem folgenden Ausblick – mit Schwerpunkt auf Artikel 2 in Verbindung zur diskutierten Impfpflicht: „Eine Impfung ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Das ist so, man muss mit Nebenwirkungen rechnen, es verändert etwas im Körper. Und wenn sich das Parlament in Mehrheit dafür entscheidet, was natürlich möglich ist und was ich als Demokrat zu akzeptieren habe, dann ist der Wesensgehalt von Artikel 2 tatsächlich berührt.“

Im Rahmen des 35-minütigen Gesprächs schildert Schlott auch das Zustandekommen und die Intention des Grundgesetzes: „Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben dem Staat ein sehr gesundes Misstrauen ausgesprochen, in ihrem Entwurf des Grundgesetzes, in ihrer Verfassung. Interessant ist ja, dass in der deutschen Verfassungsgeschichte das Grundgesetz deshalb eine Alleinstellung hat, weil es zum allerersten Mal die Menschen und Bürgerrechte als Grundrechte an den Anfang der Verfassung stellt. Alle vorangegangenen Verfassungen – Weimarer Reichsverfassung, die Verfassung des Kaiserreiches – kannten am Anfang den Staatsaufbau, also am Anfang stand der Staat mit seinen verschiedenen Aufgaben, mit seinen Institutionen. Beim Grundgesetz hat man sich ganz ausdrücklich dafür entschieden: Der Mensch steht am Anfang. Der einzelne Bürger, nicht nur der Deutsche, auch alle, die hier leben. Alle Menschen.“

Auch warnende Worte findet Schlott, vor allem zur Auslegung des Grundgesetzes im Rahmen von Corona-Maßnahmen: „Das Wort Gesundheit fällt im Übrigen überhaupt nicht im Grundgesetz. Das zeigt ja schon, welchen Geist dieses Dokument eigentlich atmet und dass es eben heute anders ausgelegt wird. Es ist ganz interessant: Zum 60. Jahrestag des Grundgesetzes – wo wir gerade bei den Jahrestagen waren – hat Christian Bommarius eine Biografie des Grundgesetzes vorgelegt. Und in dieser Biografie des Grundgesetzes gibt es ein sehr interessantes Schlusswort, in dem er davor warnt, das Grundgesetz immer weiter zu versicherheitlichen, immer weiter als Dokument der Sicherheit auszulegen und auch die Bürger sozusagen dazu zu konditionieren, das als Dokument der Sicherheit zu verstehen. Es ist ein Dokument, das den Bürger eigentlich emanzipieren soll, das den Bürger eigentlich zu einem aktiven, engagierten Staatsbürger machen soll, der diese Sicherheit, der diese Freiheitsrechte auch für sich einfordert und nicht den Staat sozusagen dafür verantwortlich macht, dass er für sein gesamtes Leben die Sicherheit zu übernehmen hat. Das wäre ein anderes Staats- und ein anderes Grundgesetzverständnis. Nun kann man das Grundgesetz natürlich ändern. Vielleicht gibt es dafür auch Mehrheiten, aber die Auslegung, wie wir sie jetzt haben, auch von Artikel 2, Absatz 2, nämlich dass der Staat Leben und körperliche Unversehrtheit zu garantieren habe in Bezug auf eine Pandemie, ist mit der historischen Genese des Grundgesetzes nicht vereinbar.“

Das Gespräch wurde am 23. Februar 2022 aufgezeichnet.

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Markus Michaelis | Fr., 11. März 2022 - 12:00

Es sollte nicht untergehen, dass der wichtige Punkt des GG erstmal die Festlegung unserer Institutionen ist, also unserer Streitregeln - weitgehend inhaltsfrei. Für die Grundwerte ist eine große Frage, wie weit sie eher Grundrechte des Einzelnen gegen den Staat (auch die Gesellschaft?) sind oder ob es eher nicht-angreifbare, übermenschliche Werte sind, die von Menschen nicht zu diskutieren sondern zu befolgen sind. Wenn letzteres: wer legt es dann immer konkret auf das Heute aus? Wer hatte das Recht solche Werte zu formulieren?

Nach einem gescheiterten Staat, wie dem Nazistaat, dominierte die Sicherheit des Einzelnen gegen Staat und Gesellschaft. Ansonsten neigt der Mensch glaube ich eher dazu sich einen starken Staat und Gesellschaft zu wünschen, mit klaren Regeln, die jeder einhalten muss. Das offene Anzweifeln von Gesellschaft/Staat weckt Ängste vor Zerfall - was gilt dann noch? Welche Regeln es genau sind, ist oft zweitrangig, wichtig ist, dass nicht zuviele Zweifel bestehen.

Tomas Poth | Fr., 11. März 2022 - 12:40

Das „Versicherheitlichen“ sichert nur den staatlichen Institutionen den Übergriff auf die Freiheit der Bürger. Jeder einzelne kann seine Sicherheit mit oder ohne Impfung selbst gestalten. Die Impfung ist nur Selbstschutz nicht Schutz der anderen. Gleiches gilt für die Masken.
Wenn man dann noch die nahezu Wirkungslosigkeit der mRna Injektionen hinsichtlich eines Schutzes betrachtet, erstaunt allenfalls die Dummheit und Hysterie der Parlamente.

Ernst-Günther Konrad | Fr., 11. März 2022 - 14:50

Mein Dozent in Staats- und Verfassungsrecht, heute Vize-Präsident des VG WI - höre ich da speziell zum Grundrecht der Versammlungsfreiheit ähnliche Worte zelebrieren. Im Studium über 2 1/2 Jahre lang mussten wir uns gerade die Grundrechte tag-täglich anhören und verstehen lernen. Das Thema Versammlungsrecht -Brokdorf Urteil- und einige mehr waren Gegenstand der Dipl. Prüfung. Alles was Herr Schlott da ausführt, galt in den 1990er Jahren noch vollends. Die Gedanken des parl. Rates zog man sich nachts vor den Prüfungen rein, um argumentieren zu können und Herleitungen zu verstehen. Ich verstehe deshalb das BVerfG nicht, wie es immer mehr dem politischen Zeitgeist folgend dieses GG dem Staat opfert. Ja, Herr Schlott als Demokrat muss man Urteile durchaus akzeptieren. Aber den Bürgern scheint Art, 20 (4) GG nicht zu kennen oder zu verstehen. "Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist".

d. h. die ihn führende Regierung im Einklang mit allen Altparteien g e g e n die Bürger ein, die ihre im GG verbrieften Rechte einfordern.
Es ist erfreulich, daß es dennoch Menschen gibt, welche immer wieder auf die Straßen gehen, um dagegen zu protestieren.
Aber machen wir uns nichts vor: Das ist eine tapfere Minderheit, die s o f o r t von allen Seiten her diskredtiert u. diskriminiert wird.
Jeder, welcher der Mehrheit nicht g e n e h m ist - aus welchen Gründen auch immer - steht sofort am Pranger!
Ein solches Tun wird dann auch noch geadelt, indem man seitens der Regierung u. der mit ihr verbündeten Medien wahrheitswidrig behauptet, das sei "Verteidigung der DEMOKRATIE".
Inzwischen sind die Maßstäbe im Denken des Großteils der Bevölkerung derart
zugunsten staatl. Eingriffe in die Freiheitsrechte verschoben, daß ich kaum noch
Hoffnung auf ein Umdenken mehr hege. Das Urteil von Köln (AfD darf vom BND überwacht werden) ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Unfreiheit.

Bernhard Marquardt | Di., 22. März 2022 - 10:41

Hier stellt sich die Frage, ob nicht das BVerfG durch seine, gelinde gesagt, „weitläufige“ inhaltlichen Interpretation von Grundrechten wie etwa der Demonstrationsfreiheit die Grenzen der Unantastbarkeit des Art. 8 GG zugunsten einer diesbezüglich bereits verfassungswidrigen Gesetzgebung (Art. 20 Satz 3 GG) ignoriert und damit selbst unzulässigerweise (Art. 79 Satz 3 GG) die Beseitigung der grundrechtlichen Ordnung begünstigt.