Christoph Schlingensief
Künstler wie Christoph Schlingensief (M.), der provozierte, ohne die Welt in Gut und Böse einzuteilen, fehlen heute / dpa

Politisch korrektes Theater - Wie gut wir doch sind! 

Teile unserer Kultur drohen monolithisch zu werden – in den Greifarmen eines loungigen politischen Mainstreams. Ausgrenzung und Identitätspolitik ersetzen die politische Auseinandersetzung. Vor einigen Jahren ging Konfrontation noch eindeutig besser.

Autoreninfo

Björn Hayer ist habilitierter Germanist und arbeitet neben seiner Tätigkeit als Privatdozent für Literaturwissenschaft als Kritiker, Essayist und Autor.

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Politische Kunst kommt immer gut an, vor allem dann, wenn sie die anderen adressiert. Die müssen sich schließlich ändern. Nach dieser Taktik verfahren in den letzten Jahren viele Institutionen des Kultursektors. Allen voran so manche Bühnenhäuser, Regisseuren und Autoren wissen sehr genau, auf wen ihre Stücke ins Fadenkreuz nehmen sollen: insbesondere jene, die man im konservativen Milieu antrifft, jene, die sich dem Kodex politisch-korrekter Sprachreinheit widersetzen und Skepsis gegenüber einer alle und jeden einbeziehenden Identitätspolitik hegen. Dramentexte wie „In letzter Zeit Wut“ (2021), uraufgeführt am Schauspiel Frankfurt oder Rebekka Kricheldorfs „Der goldene Schwanz“ (2021), das am Staatstheater Kassel seine Erstaufführung feierte, geißeln das Patriarchat und loten Möglichkeiten für eine gendergerechte Welt aus.

Nicht anders verhält es sich mit dem recht neuen Genre des Klimatheaters. Um die Menschheit an ihre Umweltsünden zu erinnern, wird darin die Bühne zum veritablen Aufklärungsunterricht: Im zuletzt am Schauspiel Stuttgart inszenierten „Grand ReporTERRE #4: DEADLINE“ (2021) oder dem am Badischen Staatstheater Karlsruhe gezeigten Stück „Wir sind das Klima!“ (2021) von Jonathan Safran Foer wird das Publikum direkt durch die frontal dozierenden Schauspieler mit Statistiken und Informationen über die finsteren Aussichten des Planeten und die humane Hybris von Ressourcenverbrauch und Verschwendungssucht belehrt. 

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Romuald Veselic | Mo., 7. Februar 2022 - 11:37

"Mit Widerstand müssen die Arrangeure hinter den Realisierungen kaum rechnen."
Ganz gewiss.

Ich war nie ein Theater Freund, weil die Bühne mir null Dynamik vermittelt, sowie die Theaterstücke, in ihrer optischen Darstellung, nichts mit praktischer Realität zu tun haben. Eine Ansammlung von bizarr kostümierten Figuren, die sich anormal verhalten. Dafür finde ich die Orks, für mein Empfinden, etwas sympathischer.

Womit die Arrangeure hinter den Realisierungen im Voraus wissen, dass 95% der Bevölkerung, ihre Bühnenwerke nicht interessieren. Darunter am wenigstens die Neubürger u. Schutzsuchenden.
Diese Fakten sind ohne Bedeutung, solange die Zuschüsse aus Steuern dieser 95% der nicht interessierten Masse, weiter fließen werden.

Das hiesige Theater schrumpfte auf das Level einer ideologisch-religiöser Sekte zusammen. Sie können noch ihr elitäres Schauspielern für sich selbst kreieren. Ähnlich einer SED-Kadersitzung, wo man sich 1-mal die Woche, selbst feierte.

Gerhard Lenz | Mo., 7. Februar 2022 - 11:56

Bleibt die Frage, was das sein soll - die Antwort hängt selbstverständlich vom eigenen politischen Standort ab.

Der Mainstream der meisten Cicero-Foristen bedeutet eine eindeutige Positionierung Rechtsaussen. Oder andersherum: Der Cicero-Foren-Mainstream verherrlicht ein weit rechts stehendes Weltbild.

Wobei, kleines Paradoxon, rechts von diesem Mainstream wenig bis kein Platz ist, links jedoch jede Menge. Also dort, wo für die gleichen Foristen direkt der Sozialismus beginnt.

Und so wird der rechte Rand zum Zentrum...

Romuald Veselic | Mo., 7. Februar 2022 - 15:24

Antwort auf von Gerhard Lenz

Wissen Sie, was Pathologie des gleichen/linearen Denkens ist?

Wissen Sie, dass für viele, Die Grünen, die identische Bedeutung besitzen, wie für Sie, die AfD? Das nenne ich nachhaltige Vielfalt. Oder ist's antiidentisch?

Ich danke Sie.

MfG Der Grünenschreck

Dass Sie offensichtlich den Begriff "phänomenal" nicht wirklich kennen.

Oder lineares Denken als pathologisch bewerten. Vielleicht ist Ihre Bewertung ja pathologisch? Der Hilflosigkeit geschuldet? Dem Wunsch, Fundamentalkritik zu üben? Dem Bedürfnis, etwas entgegnen zu müssen?

Sie haben meinen Beitrag natürlich nicht verstanden. Oder wollen bewußt nicht darauf eingehen, sondern einfach nur "reagieren".

Können Sie ja. Auch wenn Sie sich unterwegs verlaufen...

Ich danke Sie ebenfalls.....Nein, das ist nicht spöttisch gemeint, einfach nur lustig. So, wie Sie sich als "Grünenschreck" outen. Oder den durchschnittlichen Theaterbesucher analysiert haben, wie auch den prinzipiell links-grünen Darsteller.

Sie dürfen mir jetzt entgegnen: Wer Menschen mit Migrationshintergrund auf ihre mangelhaften Sprachkenntnisse festnagelt, handelt im Grunde rassistisch.

Sie dürfen. Stört mich nicht, dürfen Sie so sehen. Ich muss Sie ja nicht bestätigen.

Markus Michaelis | Mo., 7. Februar 2022 - 15:53

Antwort auf von Gerhard Lenz

habe ich die letzten Jahre wirklich gestaunt, dass ich (scheinbar?) an den "rechten Rand" rutsche - zumindest so, wie er von vielen Menschen in der "Mitte" heute gesehen wird. Natürlich verunsichert das (über einen selber, die anderen, die Werte, Gesellschaft ...), auch wenn ein Teil sicher eine mediale Überhöhung ist und es viele nicht ganz so extrem sehen.

Nachdenklich macht das in jedem Fall.

In der Orientierung weiter, hilft es noch nicht so direkt. Andere Sichtweisen werden ja nicht einfach dadurch verständlich, dass eine Mehrheit sie hat. Außerdem nehme ich es nur bedingt als EINE Mehrheit wahr. Ich sehe eher viele verschiedene Gruppen, die sich zwar in der Ablehnung rechter politischer Weltsichten einig sind, aber nicht darüber hinaus. Die Orientierung wird durch die Vielfalt eher schwieriger. Aber, das stimmt, in D und wohl auch West-EU sieht man Politik sehr als Rechts-NichtRechts und eine ganz starke Strömung lehnt Rechts sehr ab. Das muss man sehen und einbeziehen.

dafür Alles bedenkend und um Orientierung bemüht, ganz sicher fußend auf unserer sogenannten "freiheitlch-demokratischen Grundordnung".
Nicht nur Rechts wird abgelehnt, eigentlich auch Monarchismus und Paternalismus, sowie Religion als Herr*schaftsmodell.
Woran liegt das?
Das muss ich Sie sicherlich nicht fragen, werter Herr Michaelis.
30jähriger Krieg, Hexenprozesse, Absolutismus, Militarismus, Faschismus, es blieb doch nicht viel mehr als die unbedingte Zuwendung zur Demokratie, die m.E. wiederum anschliesst an die selbstbestimmten Lebenszusammenhänge der Germanen, auch der Deutschen, evtl. übersetzt als Volk Gottes, aber nie Knechte darin. Vielleicht könnte man die Polen als Armee Gottes bezeichnen, das am Rande.
Die verfasste Demokratie ist also unser Lebenselexier.
Es begab sich aber in der DDR die wohl Herrschaft eines evtl. vorgeblich demokratischen Sozialismus, was im Osten die sogenannten Freiheitlichen evtl. extrem bestärkte teils gegen Verfasstheit und links/grünes Absolute

Markus Michaelis | Mo., 7. Februar 2022 - 12:26

Ich glaube, eine zentrale Frage dahinter ist, ob es menschliche und gesellschaftliche Vielfalt gibt, oder eher nicht. Wenn man daran glaubt, dass es am Ende EINE Menschheit gibt, mit Menschen, die in den wichtigen Dingen alle gleich ticken, weil sie Menschen sind, und daher auch Gesellschaften, die am Ende alle gleich ticken, und wenn man glaubt, dass am Ende alle dieselben wirklich großen Probleme haben (Klima, Umwelt, Gesundheit, Gleichberechtigung, Friede). Und wenn mann auch daran glaubt, dass diese Einheit zu einer funktionierenden Weltgesellschaft führt, und das durch soviele Menschen weltweit täglich bestätigt wird, dann sollte man diese Einheit im Theater noch viel mehr zur Geltung bringen.

Wenn man eher glaubt, dass die "Feinde" dieser Sichtweise vielzählig und vielfältig sind, dann sollte man vielleicht nachdenklicher sein und diese Nachdenklichkeit im Theater auch ausdrücken.

Ingofrank | Mo., 7. Februar 2022 - 21:28

Antwort auf von Markus Michaelis

Genau das unterscheidet uns vom Tierreich. Menschen sind vielfältig und sehen sie sich die Geschichte an H. Michaelis. Was ist der Unterschied von einer Diktatur und einer Demokratie? Alle mir aus der Geschichte bekannten Diktaturen haben nur ein Ziel, die Menschen gleichzuschalten, der Meinungsvielfalt politisch, wirtschaftlich und weltanschaulich Einhalt zu gebieten. Eben keine anderen Meinungen zu zu lassen.um ihre Machz zu erhalten und auszubauen. Waren sich nicht Hitler, Stalin, und Ulbricht bis Honeker, um nur einige zu nennen , in einem gleich, die freie Meinung schlecht hin zu unterdrücken? Und wenn ich unser Land schon auf diesem Weg i.d. Diktatur sehe, glauben Sie mir bin ich weder AfD nah, noch rechts, noch rechtsextrem sondern habe nur einige Jahre den direkten Vergleich zwischen den Staaten DDR u. BRD erlebt.
Mit freundlichen Grüßen aus der Erfurter Republik

Wolfgang Beck | Di., 8. Februar 2022 - 22:49

Antwort auf von Markus Michaelis

Das Thema Vielfalt läßt sich nicht in Kürze abhandeln - Vielfalt in dieser, Vielfalt in jener Hinsicht. Wenn man hier mal anfängt zu analysieren, wird man sich wahrscheinlich sehr schnell im Urwald wiederfinden. Die Frage ist, inwieweit ist Vielfalt im demokratischen Rechtsstaat überhaupt von Bedeutung? Sie wird wohl in erster Linie im Zusammenhang mit dem Prinzip Freiheit gesehen werden müssen, speziell mit der Freiheit, die der Entfaltung der Persönlichkeit zugrunde liegt. (Die Vielfalt ergibt sich ja aus dieser Entfaltungsfreiheit.) Aber daneben gibt es ja auch noch die Prinzipien Solidarität und Gleichheit, die Freiheiten und damit auch Vielfalt zwangsläufig wieder einschränken. Das nur mal so zur Ergänzung. Das könnte auch mal ein Thema von Theaterstücken sein. Ich denke, da gibt es Fachleute, die wissen, wie man sowas macht.

Norbert Heyer | Mo., 7. Februar 2022 - 12:37

Wer interessiert sich denn für Bühnenstücke, die einseitige Sichtweisen im Dutzend vermitteln? Wer ist denn so blöd, dass er erzieherischen Belehrungen mit moralischer Sosse noch Zeit und Geld opfert? Nur ein elitärer Kreis mit moralinsaurer Gesinnung feiert hier seine kranken Ergüsse im engsten Kreis. Das Fernsehprogramm verkauft dem ungeliebten Kunden doch auch Einseitigkeit in Dauerschleife: Der Chef ist immer eine Frau, der Täter ist niemals farbig, homosexuell oder Migrant. Es geht um finanzielle und politische Außenseiter wie ausbeutende Kapitalisten, AfD-Anhänger, Waffenschieber und AWM. In diesem Kreis ist der Täter immer zu finden. Einseitigkeit und ein vorhersehbarer Täter, so sind fast alle Krimis im Fernsehen gestrickt und dadurch todlangweilig. Nicht umsonst sind Privatsender mit ihrem besseren Angebot im Aufwind. Einseitige Politik fördert anscheinend auch einseitige, tumbe Kunst ohne Sinn und Verstand. Ein AWM vermisst schmerzlich die Vielfalt von früher mit zwei Sendern

Walter Bühler | Di., 8. Februar 2022 - 20:10

Antwort auf von Norbert Heyer

Nicht nur früher, auch heute noch. Früher für die Fürsten von und zu Hohenzollern etc., heute für die staatlich alimentierten Polit-Funktionäre, welche auch den ÖRR und auch Theater und Konzertsäle in der Hand haben. Das Publikum spielt doch keine Rolle, da alles wie in prae-demokratischen Zeiten von der Staatsknete abhängt. Insofern müssen sie wohl genau die Stücke machen, die sie machen. Und die armen Polit-Funktionäre orientieren sich halt an der jeweiligen Kultur ihrer jeweiligen Blase, und diese Blasen haben mit dem Publikum und der Wirklichkeit nur selten etwas zu tun.

Gott sei Dank gibt es nicht nur prominente, markttaugliche Künstler. Man darf von Glück reden, wenn man sie erleben darf. Aber war das nicht schon immer so?

Außerdem: Es ist immer gut, wenn man über Kultur nicht nur redet, sondern wenn man sich im Rahmen der eigenen Fähigkeiten und Grenzen selbst aktiv beteiligt. Das war auch schon immer so.

Dorothee Sehrt-Irrek | Mo., 7. Februar 2022 - 13:15

oder etwa Bloch, aber dessen Noch nicht?, Vorschein? in Kombination mit "Naturrecht und menschliche Würde" gefiel mir um Längen besser als Adornos evtl. verkappte Kritik an der Aufklärung, die auch noch einen menschenfressenden Gott, Odysseus gegenüber "ins Recht setzt". Ade Potenzialität, Freiheit und Offenheit, Willkommen Zyklopen?
Die Argumentationsrichtung des Artikels gefällt mir zwar, aber im Ernst jetzt, Schlingensief?
Das schien mir die Kombination von Aktivismus und Haltung.
Ich fand es furchtbar und war allein schon deshalb diesem "Institut für politische Schönheit" gegenüber voreingenommen.
Schlingensief ging vielleicht auch noch in Richtung Brechts epischem Theater, aber das war mir nun mal auch zu platt und evtl. in Richtung "Sag mir, wo Du stehst".
Nennt man das Agitprop?
Dabei hatte Brecht Ansätze zu einem "Dialektischen Theater", über das ich eigentlich meine Magisterarbeit schreiben wollte. Nun ja.
Aber nichts geht verloren:)
Einfach Theater wagen
Publikum dankt es.

Urban Will | Di., 8. Februar 2022 - 10:20

sich berufen fühlt, schön züchtet, damit man immer wieder Gründe hat, es zu bekämpfen.
Und manche Holzköpfe auf der anderen Seite liefern dann auch noch mit dem hier Zitierten Spruch von „links – grün versifften“ Institutionen, die es – und da kommt's - „umzupolen“ gilt – also im Prinzip genau das gleiche wie derzeit, nur in die andere Richtung - genau den Stoff, den man braucht, um im Geiste des Guten weiter zu kämpfen und alles weg zu mobben, was einem im Wege steht. Die Allmacht der Leitmedien im Rücken.
Nur wegen Letzterem ist das überhaupt möglich.
Der Teufelskreis ist geschlossen, aber leider sind die derzeit Herrschenden, Links – Grünen, keinen Deut besser oder gar intelligenter als es die Rechten einst auch waren.

Ja, Herr Hayer, Sie haben das hier sehr treffend geschrieben.
Vor allem am Ende:
„Es gilt, fragwürdige Ansichten nicht zu scheuen. Sie zu zerlegen ist die Kür.“
Das ist den links – grünen Übermoralisten offensichtlich in vielerlei Hinsicht nicht mehr möglich.