Leere Konservendosen
Die Pandemie führt zu Lieferengpässen: Leere Konservendosen warten auf ihre Weiterverarbeitung. / dpa

Corona und Deglobalisierung - Die Pandemie der Weltwirtschaft

Die Coronakrise setzt auch das globale Wirtschaftssystem unter enormen Druck, die Globalisierung wird derzeit rückabgewickelt. Das führt zu Problemen wie Inflation und unterbrochenen Lieferketten. Wir erleben den Beginn einer neuen Ära, die von zunehmender Unsicherheit und schrumpfendem Vertrauen geprägt ist.

Autoreninfo

Antonia Colibasanu ist Analystin bei Geopolitical Futures und Dozentin an der rumänischen National Defence University mit Sitz in Bukarest.

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Wir gehen in das Jahr 2022 mit der gleichen Hoffnung wie in das Jahr 2021: dass die Pandemie bald beendet sein wird. Dieses Mal werden wir noch mehr Impfstoffe und Behandlungsmöglichkeiten für Covid-19 haben. Aber wir haben auch eine neue Variante des Virus und die fast sichere Erkenntnis, dass es noch mehr davon geben wird.

Wie auch immer die Entwicklung verlaufen wird – seit Beginn der Pandemie ist etwas Tiefgreifendes mit der Menschheit geschehen. Krankheiten sind immer eine Bedrohung für uns, aber wir ignorieren sie die meiste Zeit. Jetzt, da das nicht mehr möglich ist, werden wir von zunehmender Unsicherheit heimgesucht, die sich auf gesellschaftlicher Ebene in einem allgemeinen Mangel an Vertrauen in die Zukunft äußert.

In der Geopolitik ist Vertrauen wichtig. Führende Politiker handeln auf der Grundlage dessen, was sie wissen oder, genauer gesagt, was sie zu wissen glauben. Geringes Vertrauen in die Wirtschaft zum Beispiel könnte eine ganze nationale Strategie ins Wanken bringen. Und es gibt viele Gründe für ein geringes Vertrauen in die Wirtschaft: Die Pandemie hat Versorgungskettenengpässe und eine Energiekrise, Arbeitskräftemangel und schließlich Inflation ausgelöst, wodurch das wirtschaftliche und soziale Leben gestört und die Ungleichheit innerhalb und zwischen den Ländern verschärft wurden. Vor allem aber beschleunigte sie den Niedergang der Globalisierung in einer Zeit, in der die globale Zusammenarbeit wichtiger ist denn je.

Sinkendes Vertrauen ins Wirtschaftssystem

Die Deglobalisierung begann 2008 mit der globalen Finanzkrise und entwickelte sich langsam über die nächsten zehn Jahre weiter, bis die Coronakrise sie noch einmal beschleunigte. Die Deglobalisierung ist ein wirtschaftlicher Prozess, aber mehr noch als das wird sie durch den wachsenden Mangel an Vertrauen in das globale Wirtschaftssystem und die damit verbundenen Überzeugungen angetrieben. Nach 2008 verloren viele Menschen zunehmend den Glauben daran, dass die Globalisierung nur positive Veränderungen für ihr Leben bringt und dass Interkonnektivität und Interdependenz auch Stabilität gewährleisten.

Es markierte das Ende der Ära nach dem Kalten Krieg und den Beginn eines neuen Zeitalters, in dem der Nationalstaat dazu aufgerufen war, die Gesellschaft vor den negativen Kräften der Globalisierung zu schützen. Der Aufstieg nationalistischer und populistischer Bewegungen läutete diesen Wandel ein, ebenso wie Anzeichen für einen weltweit zunehmenden Protektionismus. Der Brexit und der amerikanisch-chinesische Handelskrieg waren die sichtbarsten Zeichen der Deglobalisierung, aber auch der Rückgang der globalen Kapitalströme (selbst bei steigenden Kapitalbeständen) seit 2008 sowie ein allgemeiner Rückgang des internationalen Handels.

2021 kam es nach dem Einbruch von 2020 zu einer erstaunlichen wirtschaftlichen Erholung, aber der unerwartet starke Anstieg des weltweiten Verbrauchs löste eine Krise der Versorgungsketten aus und war die Hauptursache für die Energiekrise. Durch die Reisebeschränkungen gingen der Schifffahrtsindustrie Niedriglöhne verloren, während die ohnehin schon stark belasteten Beschäftigten dieses Sektors massenhaft ihren Arbeitsplatz verließen. Die ohnehin schon hohen Schifffahrtskosten stiegen im Vergleich zu 2020 fast um das Zehnfache. Diese Unterbrechungen führten zu einer Verknappung, die die Preise für fast alles in die Höhe trieb.

Unternehmen setzen neue Prioritäten

Die pandemiebedingten Unterbrechungen veranlassten auch die Unternehmen, ihre Prioritäten und Schwachstellen neu zu bewerten. In Deutschland, Europas Exportmeister, gaben 19 Prozent der Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes in einer kürzlich durchgeführten Umfrage des Münchner Ifo-Instituts an, dass sie eine Verlagerung der Produktion ins Ausland planen. Fast zwei Drittel dieser Unternehmen teilten mit, dass sie sich nach deutschen Zulieferern umsehen werden, während der Rest erklärte, dass sie versuchen werden, ihren Bedarf intern zu decken.

Dies ist ein wichtiger Schritt für eine derart handelsabhängige Wirtschaft. Etwa 12 Prozent der gesamten Vorleistungen, die in Deutschlands Exportsektoren (z. B. Automobile, Maschinen, elektrische Geräte, Elektronik) verwendet werden, stammen aus Niedriglohnländern wie China, anderen Teilen Asiens oder dem Balkan. In anderen Ländern ist das Bild ähnlich. Auch wenn diese Entwicklung von den Unternehmen vorangetrieben wird, werden die Regierungen ihre Politik angesichts der möglichen Auswirkungen auf die Gesellschaft und der zunehmenden Rufe nach Protektionismus sicherlich ebenfalls anpassen.

Diese Produktionsverlagerungen beschleunigen den Prozess der Deglobalisierung. Der Druck, den sie auf die Weltwirtschaft ausüben, wird im Jahr 2022 spürbar sein. Seit den späten 1980er-Jahren haben globalisierungsfreundliche Tendenzen dazu beigetragen, die Inflation im Zaum zu halten, da kostengünstigere Produzenten Vorleistungen für die fortgeschrittenen Volkswirtschaften lieferten. Wenn die Deglobalisierung anhält, könnte sie zu einem angebotsseitigen Schock führen, der den bereits hohen Inflationsdruck noch verstärkt. In Verbindung mit einer Verlangsamung der Innovation und einer begrenzten Zahl von Arbeitskräften im verarbeitenden Gewerbe der Industrieländer könnte dies zu weiteren Engpässen und schließlich sogar zu einer Depression führen.

Automatisierung als Heilmittel

Ein mögliches Heilmittel wäre die beschleunigte Einführung der Automatisierung. In der Niedrigzinsphase nach der Finanzkrise 2008 sanken die Kosten für Investitionen in Roboter, was die Unternehmen in den reichen Ländern dazu veranlasste, dort zu automatisieren, wo es möglich war, und einen Teil der Produktion ins Ausland zu verlagern. Deutschland ist weltweit führend bei der Einführung von Robotern, mit 7,6 Robotern pro 1000 Beschäftigten – verglichen mit sechs in Südkorea und etwas mehr als vier in Japan. In den Vereinigten Staaten hingegen kommen nur 1,5 Roboter auf 1000 Beschäftigte. Es ist unklar, ob der Automatisierungsgrad in diesen entwickelten Volkswirtschaften derzeit hoch genug ist, um sich von den Niedriglohnländern abzukoppeln. Darüber hinaus geben die langsame Einführung seit 2011 und die ungleiche Einführung in den Industrie- und Entwicklungsländern Anlass zur Skepsis. Langfristig wird die Automatisierung jedoch wahrscheinlich eine wichtige Rolle in den entwickelten Volkswirtschaften spielen.

Ein weiterer Effekt der Deglobalisierung ist, dass die nationalen Märkte weniger anfällig für externe Schocks werden. Stattdessen werden sie anfälliger für inländische Schocks sein. Und da die Unternehmen ihre Lieferketten verkürzen, wird ihre Anfälligkeit für regionale Störungen zunehmen.

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und insbesondere seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben die USA den Aufstieg der Globalisierung vorangetrieben. Integration bedeutete billigere Waren für die Amerikaner und für die ganze Welt. Outsourcing wurde als Segen und nicht als Bedrohung für den heimischen Wohlstand angesehen. Doch 2008 wurde das Vertrauen der Öffentlichkeit in dieses Konzept erschüttert, und die wirtschaftliche Sicherheit wurde wieder zur obersten Priorität der politischen Entscheidungsträger. Die Pandemie verstärkte diesen Trend noch und erinnerte bitter daran, dass Profit nichts taugt ohne Widerstandsfähigkeit und Robustheit.

Neue Bündnisstrukturen

Im neuen Paradigma werden bilaterale Allianzen multilaterale Allianzen verdrängen, auch wenn letztere fortbestehen. Die Europäische Union zum Beispiel wird ihren Hauptvorteil, den größten gemeinsamen Markt der Welt zu beherbergen, beibehalten. Sie wird weiterhin strategische Handelsabkommen mit Ländern wie Japan und seit kurzem auch mit Vietnam abschließen. Angesichts der wahrgenommenen chinesischen Aggression werden die USA und die EU weiter daran arbeiten, Handels- und Investitionsabkommen in strategischen Branchen wie Halbleiter und Stahl abzuschließen.

Gleichzeitig werden sich entwickelnde Bündnisstrukturen wie der als „Aukus“ bekannte Pakt zwischen den USA, Großbritannien und Australien (der auf der seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bestehenden Five-Eyes-Struktur zum Austausch von Geheimdienstinformationen aufbaut) Handelsabkommen wie die Transpazifische Partnerschaft ergänzen, der Großbritannien (und China) beizutreten versuchen.

Die Pandemie hat zu Verwerfungen (wie der Inflation) geführt, die die Notwendigkeit globalen kollektiven Handelns unterstreichen. Der Klimawandel veranlasst die Staats- und Regierungschefs der fortgeschrittenen Volkswirtschaften dazu, ehrgeizige Pläne für ein „grünes“ globales Finanzwesen vorzulegen. Der innenpolitische Druck, die multinationalen Unternehmen (insbesondere die großen Technologiekonzerne) zu zügeln, ebnete Ende letzten Jahres den Weg für ein bahnbrechendes globales Mindeststeuerabkommen für Unternehmen. Gleichzeitig entfernen sich die entwickelten Volkswirtschaften immer weiter vom Rest der Welt, und es gibt immer mehr Bestrebungen, politische und wirtschaftliche Gemeinschaften hinter den nationalen Grenzen wieder aufzubauen.

Eines ist jedenfalls klar: 2022 wird ein Jahr der Spannungen in der Weltwirtschaft sein.

In Kooperation mit

GPF

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Bernd Windisch | Di., 4. Januar 2022 - 11:57

Ende Dezember des Jahres 2020 belief sich die Geldmenge M3 in der Euro-Zone auf eine Summe von rund 14,5 Billionen Euro. Dies entspricht einem Anstieg um etwa 12 Prozent im Vergleich zum Ende des Vorjahres. Insgesamt ist über den betrachteten Zeitraum ein stetiges Geldmengenwachstum innerhalb des Euroraums zu beobachten.

Inflationäre Erhöhung der Geldmenge führt zur Inflation und Geldentwertung. Eigentlich ganz einfach.

Der unmittelbare Zusammenhang mit Corona oder Lieferketten erschließt sich jedoch nicht. Das grundlegende Problem des € wird lediglich durch die beschriebene Situation sichtbarer.

Reinhard Getzinger | Di., 4. Januar 2022 - 12:09

Die Verlagerung der Produktion ins Ausland ab den 80er Jahren nannte man Globalisierung.
Seit der Finanzkrise 2008 nennt man die Verlagerung der Produktion ins Ausland Deglobalisierung...?

Hermann Kolb | Di., 4. Januar 2022 - 12:48

Es ist noch nicht ansatzweise abzusehen, wie viele Billionen Wohlstand vernichtet , wie viele Billionen Schulden angehäuft, wie viele Milliarden Lebensjahre mit diesen Bazooka-Massnahmen global vernichtet worden sind bzw. in den nächsten Jahrzehnten noch vernichtet werden. Es gab übrigens bereits Mitte 2020 Mahner, die vor dieser irrwitzigen Unverhältnismässigkeit mahnten.
Aber das Spielchen geht wohl noch ein Jahr weiter...

Christoph Kuhlmann | Di., 4. Januar 2022 - 13:33

19% Verlagerung der Produktion ins Ausland heißt erstmal gar nichts. Entscheidend ist, wandert die Produktion zu den Märkten oder wird sie global verteilt um möglichst geringe Löhne zu zahlen oder keine Umweltauflagen erfüllen zu müssen. Die Verzehnfachung der Transportkosten lässt auf die erste Variante schließen insbesondere im Zusammenhang mit dem Wunsch nach deutschen Zulieferern oder Eigenproduktion der Vorprodukte. Für den Standort Deutschland wäre ein Vergleich von Auslandsinvestitionen der einheimischen Wirtschaft mit den Investitionen ausländischer Unternehmen hierzulande interessant. Der Binnenmarkt der EU erweist sich angesichts exorbitanter Transportkosten immer mehr als Standortvorteil für alle Mitglieder, wobei die mit den größten Märkten am meisten profitieren dürften.

Manfred Bühring | Di., 4. Januar 2022 - 14:13

Diese Vorhersage zukünftiger ökonomischen Entwicklungen springt doch sehr kurz. Kein Wort zu Russland, dem von der EU mehrfach brüskierten und verschmähten potenziellen Partner und dessen Hinwendung zu China. Kein Wort zum Abkoppeln dieser beiden mächtigen Wirtschaftsräume vom Dollar und Euro. Nur ein undifferenzierter hinweis auf eine angebliche "chinesische Aggression" - gegen wen, gegen was, warum? ohne Hinweis auf den von den USA angezettelten Handelskrieg, der den USA auf die Füße fallen wird. Wahrscheinlich hat eine rumänische Wissenschaftlerin immer noch alte Rechnungen mit der Sowjetunion zu begleichen.

Karl-Heinz Weiß | Di., 4. Januar 2022 - 14:31

Nach der unsinnigen EZB-Politik (Flucht in Sachwerte mit Immobilienboom) und dem Brexit (Vertreibung osteuropäischer LKW-Fahrer) rechnete ich in der Corona-Krise mit stringenter Reaktion deutscher CEO. Tatsächlich wurden massenweise Chip-Bestellungen storniert. Nun soll es (natürlich mit Staatshilfen) europäische Produktionsstätten geben-selbstverständlich innerhalb weniger Monate.
Note für das Krisenmanagement: Ungenügend, entsprechend der Note für die Fax-Datenübertragungen der Gesundheitsämter.

W.D. Hohe | Di., 4. Januar 2022 - 15:58

Darüber hatte ich, unter Schmezen, auch schon gelacht,
Herr Will.
Falsche eidesstattliche Erklärungen quasi ausgeschlossen.
Begründung dejur:
Die Erklärung entspricht der, zeitgleich, situativen Selbstwahnehmung - Spritueller Persönichkeitsverlust
Ist dem Flucht-Trauma Wasser/Erde/Luft geschuldet.
s. Menschenrechte Germania