Von der Heydt Museum
Der vorauseilende Verzicht auf Bindestriche gilt für Engländer als „linguistic submissiveness“. / dpa

Der Flaneur - Die deutsche Sprache als Sonderweg

Interzitti und Sangsusi. Die Deutschen wollen es allen fremden Sprachen recht machen, scheitern jedoch in der Praxis oft an der Aussprache. Das ist allerdings kein Grund, sich zu schämen, meint unser Kolumnist Stefan aus dem Siepen.

Stefan aus dem Siepen

Autoreninfo

Stefan aus dem Siepen ist Diplomat und Schriftsteller. Von ihm erschien zuletzt im Verlag zu Klampen „Wie man schlecht schreibt. Die Kunst des stilistischen Missgriffs“. (Foto: © Susanne Schleyer / autorenarchiv.de)

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Die Zugschaffner sprechen das Wort „Intercity“ gern „Interzitti“ aus. Sie könnten es besser wissen, wissen es wohl auch, doch mit einer Art Behagen, oder aus einem geheimen Widerstandsgeist heraus, wählen sie die falsche, die deutsche Aussprache. Die Busfahrer in Potsdam haben die Gewohnheit, „Sangsusi“ zu sagen, wenn sie „Sanssouci“ meinen. Und in München fiel mir auf: Die Taxichauffeure können mit dem „Claude-Lorrain-Platz“ nichts anfangen, sehr wohl aber mit „Klaude-Lorein“.

Über all das mag man lächeln, doch ich finde es herzerfrischend in einem Land, in dem die korrekte Aussprache fremdsprachiger Wörter zu den obersten Bürgerpflichten gehört. Die Anverwandlung, Einverleibung fremden Sprachguts ist eigentlich kein unnormaler Vorgang. Nietzsche: „Unwillkürlich versuchen wir, beim Hören einer andren Sprache, die gehörten Laute in Worte einzuformen, welche uns vertrauter und heimischer klingen: so machte sich zum Beispiel der Deutsche ehemals aus dem gehörten arcubalista das Wort Armbrust zurecht.“

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Tonicek Schwamberger | Mo., 13. Dezember 2021 - 15:19

. . . habe wieder etwas gelernt: " linguistic submissiveness " = in's Deutsche übersetzt: " sprachliche Unterwürfigkeit ". Ja, da gebe ich Ihnen recht, mein Empfinden ist genau das Gleiche, schön, daß wir mal darüber gesprochen haben.

So werden schon seit Jahrzehnten politisch korrekt die ehemals deutschen Städte in West- und Ostpreußen mit den heutigen Namen, z.B. Gdansk oder Kaliningrad genannt. Dagegen deutscht man die Hauptstädte Warschau und Moskau weiterhin ein. Merkwürdig - oder? Und was den Bindestrich betrifft: Seit der unsäglichen Rechtschreibreform, die nun vom Duden in Teilen revidiert wurde, ging er wohl verloren. Selbst auf der Seite kmk.org schreibt die Kultusminister-Konferenz sich ohne Bindestrich. Und nun haben wir mit dem Zwangs-Gendern durch die öffentlich-rechtlichen Medien ein neues Problem. Aber das ist wohl dem linken Zeitgeist geschuldet, dass man sich von einer lauten Minderheit die Themen diktieren lässt.

Tomas Poth | Mo., 13. Dezember 2021 - 15:27

Kommt das c im Intercity nicht vom lateinischen civitas her.
Bei den Lateinern gibt es doch den Streit ob das C als zeh oder K gesprochen wird.
Also könnte man vielleicht auch den Intercity als innerkiddie, inderkiddie oder andere Varianten deutsche Mundart aussprechen.
Aus Claude-Lorrain ließe sich auch Klo-Lorehn phonetisieren.
Deutsch Sprache kann schon sehr amüsante Ergebnisse, Verbal(l)hornungen fremdsprachiger Begriffe ermöglichen.

Christa Wallau | Mo., 13. Dezember 2021 - 16:04

wenn sie nicht der Ausdruck einer weit verbreiteten a l l g e m e i n e n deutschen Unterwürfigkeit wäre.
Es ist nämlich in erser Linie ein ungesundes bzw. mangelhaftes nationales Selbstbewußtsein, das viele Deutsche ihr Sprechen im Ausland bewußt steuern u. kontollieren und sie zu schleimigen Schmeichlern im Umgang mit Ausländern werden läßt.
Dafür halten sie sich andererseits dann zugute, daß sie "gebildet" sind und sich moralisch bzw. politisch absolut korrekt verhalten.

Mir ist - ganz ehrlich - im Zweifelsfall ein selbstbewußter Mensch mit "falscher"
(=eingedeutschter) Aussprache von fremdsprachigen Namen lieber als ein Deutscher, der sich im Ausland mit seiner krampfhaften Angepaßtheit offensichtlich nur anbiedern will.
Schleimer konnte ich noch nie ausstehen!

Martin Falter | Mo., 13. Dezember 2021 - 16:21

werden im englischen Marktingkaudawelsch verfasst. Es scheint aber keinen zu stören?
Dabei habe ich im Marketing gelernt, dass man tunlichst in der Landessprache sein Zeug an den Mann oder Frau bringen sollte. Solange es aber bei uns noch gilt, wenn es in Englisch ist, ist es schick, solange wird der Blödsinn weiter gemacht werden. Anbietern gibt bei uns als modern.

Rob Schuberth | Mo., 13. Dezember 2021 - 16:43

Ich erinnere mich noch als die ersten nach Mallorca flogen, wie "lustig" die Debatten waren wie man denn nun den Namen dieser span. Insel richtig ausspricht.

Ich habe mich immer für die landestypische Art entschieden.
Wer ausländische Begriffe im phonetischen Deutsch ausspricht, der verhunzt m. E. (absichtlich?) die andere Sprache.

Es gibt aber auch andere Bsp. wo bundesweit eine unterschiedliche Phonetik zu beobachten ist.

Z. B. Quarantäne
Die einen sprechen es mit "w" die anderen ohne.

Oder China
Die einen sprechen es mit "ch" die anderen mit hartem "k".

Wichtig ist bei Sprache verstanden zu werden.
Übrigen s sprechen die meisten die franz. Automarken falsch aus.
Aber kein Wunder, wer kann schon französisch u. dann auch noch richtig aussprechen.

Gerhard Lenz | Mo., 13. Dezember 2021 - 17:30

Sprachliche Unterwürfigkeit? Ach ja?

Noch ein "indicator" für den unabwendbaren Untergang teutonischer Kultur, so wie jeden Tag hier angekündigt, von jenen, die "notoriously" schwarz sehen?

Es stimmt schon. Versucht sich der Teutone in Fremdsprache, hört sich das zuweilen "saukomisch", side-splittingly-funny an. Zu beobachten besonders gut in Urlaubsgefilden, wenn irgendein Günther erstaunt feststellt, dass nicht jeder Spanier oder Italiener einerseits kein Deutsch spricht, andererseits ihn auch noch auf Englisch "anmacht". Unverschämt. Und selbst bei denen, die glauben, ihre Muttersprache zu sprechen, wären Untertitel manchmal hilfreich.

Wie gut haben's da die Skandinavier oder Niederländer. Da spricht jeder passabel Englisch, manchmal besser als so mancher Deutsche deutsch spricht.

Nun ja, dort wächst man mit Fremdsprachen in Schule, Fernsehen oder TV auf - bei uns muss alles ins Teutonische übersetzt werden.

Kein Wunder, wenn dann mancher Teutone kauderwelscht.

Bernd Muhlack | Mo., 13. Dezember 2021 - 18:02

KLASSE Herr von der Siepen!
Genau mein HUMOR!
- u der TUMOR in der linken Niere sei gutartig!

Im Gegensatz zu Tochtern liege ich in Bezug auf Fremdsprachen ziemlich brach.
Ich könnte jetzt Hunderte, gar Dutzende geniale Fußballersprüche zitieren.
Kaiser Franz wurde oft belächelt, jedoch war sein Englisch passabel: "In germany we call it a KLASSIKER!"

Wer vom Zigeunerschnitzel zu Schnitzel nach ungarischer (Balkan)-Art wechselt hat nicht wirklich den Stein der Weisen gefunden, oder?

Der geniale Pop/Rock-Sänger Prince wechselte seinen Namen aus Lizenzgründen: er nannte sich TAFCAP!
= the artist formerly called prince

Sprache, Wörter, Menschen
Damals war ich nur deswegen im Spanisch-GK weil ich Kirsten so toll fand: sie hätte Interzitti korrekt ausgesprochen - sie lispelte so schön!

Tochtern lebt sei 2010 in UK und niemand glaubt ihr, dass sie eine KRAUT ist - sie sei bestimmt Irin!

Genau das ist es doch was EUROPA bedeutet, oder?
- so sang Susi?
- Sackre-Kör gefällt mir besser!

Walter Bühler | Mo., 13. Dezember 2021 - 19:46

Wie beginnt man denn nun denn eine Rede ...

....an ein islamisches Publikum?

a) Liebe Muslim*innen, ....
b) Liebe Muslimas und Muslime, ...

... an ein islamophiles Publikum?

a) Liebe Islamfreund*innen, ...
b) Liebe Islamophil*innen, ...

... an ein queeres Publikum?

a) Liebe queere Freund*innen, ...
b) ...

... an ein bisexuelles Publikum ...

a) Liebe Freundinnen oder Freunde, ...
b) Liebe Freund↔innen ...

Nun, es wird bald eine regierungsamtliche Regelung geben, da bin ich mir ganz sicher. Das Justizministerium arbeitet schon daran.

NB: Gibt es eigentlich auch im arabischen Sprachraum Versuche, das Gendern in der eigenen Sprache umzusetzen?

Gerhard Schwedes | Mo., 13. Dezember 2021 - 21:28

Es existiert hierzulande ein seltsames Nebeneinander von hoher Kultur und Provinzialismus. Der heutige Provinzialismus ist allerdings mit dem gegenwärtigen Mainstream gleichzusetzen. Das Provinzielle ist immer eine Mischung aus Minderwertigkeitsgefühl und Kaschierung eben dieses Gefühls durch Aneignung fremder Federn - seien die Federn nun fremde Sprachen oder Ideologien. Dies zeigt sich im Gender-Bla-Bla nicht weniger als im gestelzten Zitieren englischer Wörter und Wendungen. Es gibt auch eine Unmenge Journalisten, die meinen, wenn sie etwas auf Englisch daherredeten oder -schrieben, hätten sie der eigenen Meinung eine höhere Weihe verliehe. Es ist paradox: Je mehr der Gegenwartsdeutsche in der Globalisierung seine Erfüllung sucht, desto mehr versinkt er im Sumpf seiner Provinzialität. Wer vor sich selber und seinen angestammten Wurzeln davonrennt, läuft der Lächerlichkeit geradewegs in die Arme. Und in diesem Schwange befindet sich zur Zeit das ganze Land. Ein lächerliches Schilda.

Bernhard Homa | Mo., 13. Dezember 2021 - 23:30

Also so einseitig-ablehnend ist das mit dem Englischen auch in Frankreich nicht (mehr): es stimmt zwar, dass ein "frankophoner" Einstieg hilft – aber wenn es dann nicht mehr weitergeht, hat man in Paris gute Chancen, Auskünfte auf Englisch zu bekommen, auch von Passanten.
Gerade die jüngeren Franzosen sprechen doch recht gut Englisch.
Vermutlich kommt es ohnehin eher darauf an, ob jemand behilflich sein will oder nicht (in letzterem Fall ist die sprachliche dann eine bewusst gewählte Barriere) — aber diese Frage wäre dann wohl besser unter der Rubrik "Galanterie" / Knigge anzusiedeln ...

Dorothee Sehrt-Irrek | Di., 14. Dezember 2021 - 11:14

eine Kommunikationsform des Adels?
Es ist wunderbar zu lesen, dass diese Form des Miteinander DIE Form der Deutschen ist.
Was die Anverwandlungen ins Deutsche betrifft, vielleicht schaut einmal der eine oder andere Linguist darauf, ob es sich um Rückverwandlungen handelt.
Von wo schaut man auf die Sprachen?
Ich tippe auf das Prussische als Urform aller Sprachen.
Von da aus kann man sich gerne eine Transformationsgrammatik denken...
So wie das Österreichische noch sehr deutsch klingt, ist das Deutsche evtl. noch sehr nah am Prussischen.
Mit dem Polnischen habe ich große Probleme, vermutlich, weil es nicht vereinfacht wurde.
Dann wäre die französische Sprache keine romanische sondern umgekehrt?
Ich gebe zu, mehr als gewöhnungsbedürftig, aber das Lateinische ist zu getaktet, als dass es die französische Sprache hätte hervorbringen können?
Angesichts weniger "Linguisten" bei den Sehrts oute ich mich aber als Linguistik-Banause.
Unfassbar, mit was man sich hätte befassen können.
Studiert

Ja, wieso liebe Frau Sehrt-Irrek? Klären Sie mich bitte auf. Mit Sicherheit pennte ich wiedereinmal im Unterricht. Ich liebe Latein. Für mich ist sie keine elitäre Sprache, sie ist romanisch und in einem Alter, das keinerlei Verhunzungen zuläßt.

Ungeachtet der irrigen Meinung, daß "Latein heutzutage zu "toten Sprachen" ge-
hört, ist es sehr populär. Man gebraucht Latein in historischen Dokumenten, wirssenschaftlicher Literatur, Religion (wenn das Luther hören würde ). Medizin
und und und.

Doch Latein modernisiert sich, Bei Hugendubel in München fand ich ein Büchlein
"Modernes Latein". Wissen Sie wie z.B. Telefon in Latein heißt? Ich schenkte dies meinen beiden Ärzten. Wir waren begeistert und lachten, lachten, einfach herr-
lich.