
- „Der Justizminister muss dringend an Telegram ran“
Nirgendwo gehen so viele Menschen gegen die Corona-Regeln auf die Straße wie in Sachsen. Jetzt will die Polizei eine härtere Gangart im Umgang mit den Demonstranten einlegen. Motiviert man die Bürger so, sich impfen zu lassen? Der SPD-Landtagsabgeordnete Frank Richter plädiert für Ruhe und Sachlichkeit. Von der Ampel fordert er ein klares Zeichen.
Als Theologe war Frank Richter an der Bürgerbewegung in Dresden und an der friedlichen Revolution von 1989 beteiligt. Später wurde er Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Seit 2019 ist er Mitglied der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag und kulturpolitischer Sprecher. 2019 erschien sein Buch „Gehört Sachsen noch zu Deutschland?“ (Ullstein).
Herr Richter, während der Landtag in Sachsen am Montag tagte, musste das Gebäude von 600 Polizisten bewacht werden. Man rechnete mit bürgerkriegsartigen Zuständen. Und das, obwohl coronabedingt nur Versammlungen von bis zu 10 Menschen erlaubt sind. Steht der Rechtsstaat auf der Kippe?
Sachsen hat es schon seit Jahren mit vielen, von Empörung getriebenen Demonstrationen zu tun. Die polizeilichen Strategien waren in der Regel auf Deeskalation ausgerichtet. Aber spätestens seit den Ereignissen in Chemnitz 2018 ist klargeworden, dass diese Strategie nicht das Ziel erreicht, Gewalt zu verhindern und Ordnung und Recht durchzusetzen. Nach dem Aufmarsch von Demonstranten vor dem Haus von Gesundheitsministerin Petra Köpping hat uns die Polizei darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie notfalls auch mit dem Einsatz von Härte oder unmittelbarem Zwang nicht angemeldete Demonstrationen auflösen wird.
Ist es das Eingeständnis, dass die Polizei in der Vergangenheit versagt hat?
Es ist das Eingeständnis, dass die bisherige Strategie ans Ende gekommen ist.
Derzeit gehen in vielen sächsischen Kleinstädten Tausende Menschen gegen die Corona-Regeln auf die Straßen. Warum kann die Polizei nicht verhindern, dass solche großen Versammlungen überhaupt erst stattfinden?
Wir haben es mit einer organisierten Szene zu tun, die zum Teil von Rechtsextremisten geführt wird und sich effektiv über Messenger-Dienste mobilisiert. Man muss sich nach solchen Bildern fragen: Ist die Polizeistrategie aufgegangen? Nein, sie ist nicht aufgegangen. Die Polizei tut deshalb gut daran, sie zu revidieren.
Was meinen Sie denn mit „Härte“? Soll die Polizei Teilnehmer unangemeldeter Demonstrationen künftig verhaften?
Ich mag den Begriff nicht. Wir sollten ihn ersetzen durch Konsequenz. Und die Verhältnismäßigkeit muss natürlich gewahrt bleiben. Aber wissen Sie, als es Anfang vergangener Woche eine unangemeldete Versammlung von Impfgegnern in Chemnitz gab, da wurde die Gegendemo, die meines Wissens angemeldet war, mit aller Konsequenz und Härte abgedrängt. Das wirft Fragen auf. Wie kann es sein, dass die Polizei diejenigen schützt, denen die Versammlungsordnung offenbar wurscht ist – und andere abdrängt?
War die Polizei deshalb in der Vergangenheit so nachsichtig gegen rechte Demonstrationen, weil auch die Polizei einen Querschnitt der Bevölkerung abbildet und es dort Sympathien für deren Ziele gibt?