
- Stolpersteine für Wehrmachtssoldaten
Es war eine gute Idee, allerdings von Anbeginn an auch eine umstrittene: Die Verlegung von Stolpersteinen in den Bürgersteigen vor den Häusern von Opfern des Nationalsozialismus. Nun hat sich der Künstler Gunter Demnig übertölpeln lassen. Er verlegte Steine für Wehrmachtssoldaten.
Am Ende einer langen Kaskade von Falschentscheidungen weiß man oft nicht mehr, wer als erstes falsch abgebogen ist. So ist das nun auch mit der umstrittenen Verlegung von Stolpersteinen in der luxemburgischen Gemeinde Junglinster, die das europäische Projekt wohl für immer diskreditiert hat. Erstmals erhielten Wehrmachtssoldaten einen Stein. Verantwortlich dafür sind der Bürgermeister von Junglinster, Romain Reitz, und der luxemburgische Bildungsminister Claude Meisch, der seit 2019 über die Aktion Bescheid wusste, ein entsprechendes Schulprojekt aber nicht auf eine vernünftige Bahn setzte.
Am 12. Oktober war es soweit: Schülerinnen und Schüler eines Gymnasiums begleiteten eine Verlegung von 15 Stolpersteinen im luxemburgischen Junglinster. Vier waren davon für Juden, die deportiert wurden, als das Großherzogtum von Deutschland besetzt war. Ein Stein war für einen Luxemburger, der sich der Einziehung in die Wehrmacht entzog. Doch zehn andere Stolpersteine erinnern an junge Luxemburger, die in der Wehrmacht kämpften und in diesem Zusammenhang zu Tode kamen. Die Wehrmacht war eine Täterorganisation. Sie beteiligte sich an der Ermordung von Juden. Die Luxemburger wurden zwangsweise in die Wehrmacht berufen, genauso wie die meisten Deutschen. Denn Nazi-Deutschland betrachtete Luxemburger als eigene Landsleute und stellte sie mit den Deutschen gleich. Luxemburger bekamen den gleichen Sold, hatten gleiche Rechte und gleiche Aufstiegschancen. Ihre Rekrutierung war trotzdem ein Kriegsverbrechen, ein Verstoß gegen die Haager Landkriegsordnung aus dem Jahr 1907.
Die Definition des Opfers
Aber die luxemburgischen Soldaten waren erst einmal keine Opfer des Nationalsozialismus. Zu den Opfern des Nationalsozialismus gehören Juden, Roma und Sinti, Homosexuelle und andere Gruppen. Sie sollten vernichtet werden. Dagegen betrachteten die Nazis die luxemburgischen Soldaten als Kameraden. Die Luxemburger sahen das freilich anders. Viele desertierten und leisteten Widerstand. Doch wer das nicht tat, ist kein Opfer des Nationalsozialismus. Man kann den zwangsweise rekrutierten Luxemburgern gedenken, und das wird glücklicherweise auch getan. Deutschland hat in den Jahrzehnten nach dem Krieg das Verbrechen eingestanden und die Überlebenden finanziell entschädigt. Doch international wurde den luxemburgischen Wehrmachtssoldaten nie der Status als Opfer des Nationalsozialismus zuerkannt.
Nur in Luxemburg selbst. Dort setzte die Gruppe der Zwangsrekrutierten und ihrer Nachkommen 1967 durch, dass der Staat sie als „Opfer des Nationalsozialismus“ betrachtete. Die Politik wollte diese wichtige Wählergruppe nicht verärgern. Solange diese Bezeichnung eine rein innerluxemburgische Angelegenheit war, brachte das in Europa niemand in Wallung. Jedes Land pflegt seine Mythen, und große Nationen wie Deutschland sind darin noch viel besser als kleine, ständig in ihrer Existenz gefährdete Länder wie Luxemburg.
Trotzdem muss interveniert werden, wenn ein solcher Mythos die Gedenkkultur in anderen Ländern beschädigt. Genau das hat die unsensible Verlegung von Stolpersteine an Menschen, die allenfalls in Teilen der luxemburgischen Gesellschaft als „Opfer des Nationalsozialismus“ gesehen werden, getan. Schülerinnen und Schüler haben sich mit der NS-Zeit beschäftigt und dabei die Verlegung der Steine vorbereitet. Ihnen ist kein Vorwurf zu machen. Doch das luxemburgische Bildungsministerium wusste seit 2019 von den Plänen, Minister Claude Meisch von der liberalen Partei DP hat nicht interveniert. Er nahm billigend in Kauf, dass das gesamte europäische Gedenken der Stolpersteine entwertet wird. Der letzte Luxemburger Überlebende der KZs Westerbork und Bergen-Belsen, Gerd Klestadt, schrieb zutreffend am 23./24. Oktober im Luxemburger Wort: „Jeder, der von irgendeinem zum Opfer des Nationalsozialismus auserkoren wird, hat nun automatisch ein Anrecht auf einen Stolperstein!“
Keine Hierarchie der Leiden
Der ehemalige luxemburgische Diplomat und heutige Publizist Victor Weitzel argumentierte in der renommierten luxemburgischen Debattenzeitschrift forum, es gehe nicht darum, die Leiden der Zwangsrekrutierten zu negieren oder zu relativieren, das wäre dumm und unmenschlich. „Noch weniger geht es darum, eine Hierarchie der Leiden aufzustellen, eine widerwärtige Argumentation, die bei dieser Diskussion immer wieder auftaucht. Es geht vielmehr um eine Differenzierung aus historischer Perspektive, um das Abweisen ungerechtfertigter Ansprüche und Amalgame in der Erinnerungskultur.“
Das hat Künstler Gunter Demnig unterlassen, auch ihn trifft daher eine Schuld. Er war von der jüdischen Gemeinschaft aus Luxemburg aufgeklärt worden. Auf einen entsprechenden Brief vom Juni reagierte er jedoch nicht. Lieber reist er von Land zu Land und verlegt Steine für Personen, deren Opferstatus er nicht so genau im Blick hat. Er sagt jetzt, für ihn seien auch die jungen luxemburgischen Soldaten „Opfer“.
Demnig legt den Begriff „Opfer“ so weit aus, dass fast jeder einen Opferstatus beanspruchen kann. Welcher Mitteleuropäer hat nicht unter Bombenkrieg oder Vertreibung gelitten? In der Welt wies Alan Posener zutreffend darauf hin, dass Demnig 440 Steine pro Monat verlegt: „Es würde über 1000 Jahre dauern (eine bedrückende Symbolzahl), um nur für alle ermordeten Juden Europas einen Stein herzustellen, von den anderen Opfergruppen ganz zu schweigen. Es würde naheliegen, sich auf die wichtigsten Opfergruppen zu konzentrieren.“
Moralischer Verfall
In der Tat. Doch Demnigs Ignoranz hat das Projekt der Stolpersteine in den moralischen Verfall gebracht. Weitzel fasst es zutreffend zusammen: „Die Affäre um die Junglinsterer Stolpersteine ist ein Fiasko für alle beteiligten Erwachsenen und die Institutionen, die sie vertreten haben. Sie ist ein Fiasko für die Institution Schule, der die wissenschaftliche Kontrolle über ein in seinem Wesen exemplarisches pädagogisches Projekt entglitten ist.“
Es gab einige, die von Anfang an vor Stolpersteinen gewarnt hatten. Dazu zählt die Israelitische Kultusgemeinde München. Ihre Präsidentin Charlotte Knobloch erweist sich nun als weitsichtig. Dank ihr gibt es in der bayerischen Landeshauptstadt auf öffentlichem Grund keinen einzigen Stolperstein.