Wahlwerbung der CDU 1969 / dpa
Wahlwerbung der CDU 1969 / dpa

Bundestagswahlkampf - „Eine Volkspartei muss sich unter das Volk begeben“

Der aktuelle Wahlkampf hat sich im Vergleich zu den vorangegangenen stark verändert, ebenso wie das politische Engagement unter jungen Leuten. Wie fundamental der Zusammenhalt der jungen und älteren Generation für die Politik ist, darüber spricht Otto Wulff, Bundesvorsitzender der Senioren-Union, im Interview.

Autoreninfo

Charlotte Jost studiert Political- and Social Studies an der Julius-Maximilians Universität in Würzburg und ist Hospitantin in der Cicero Online-Redaktion.

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Prof. Dr. Otto Wulff ist Mitglied im Bundesvorstand der CDU. Seit 2002 ist er Bundesvorsitzender der Senioren-Union der CDU Deutschlands, Ehrenmitglied des Europarates und Honorar-Professor für Internationales Entwicklungs- und Finanzrecht an der Ruhr-Universität Bochum. Als ehemalgier Direktor der Deutschen Bank ist er zudem Autor zahlreicher Bücher und Schriften zu Finanzpolitik und Altersentwicklung.

Herr Wulff, wie sehen Sie die Chancen für die CDU in diesem Bundestagswahlkampf?

Ich bin Optimist wie immer.

Was halten sie von der Aktion, Enkelkinder dazu anzuregen, ihre Großeltern „für den Klimaschutz“ zum Grün-wählen zu bewegen?

Von einer solchen Aktion halte ich nichts. Die Großeltern sind erfahren genug, ihren Enkeln die Union zu empfehlen.

Sie sind am 5. Januar 1953, am Tag Ihres 20. Geburtstags, in die CDU eingetreten. Was hat sie an der Partei überzeugt?

Zugegebenermaßen war meine politische Überzeugung familiär geprägt. Ich war allerdings auch immer ein Befürworter der Politik Konrad Adenauers. Seine Europapolitik und die Deutsch-Französische Freundschaft überzeugten mich. Mein Vater hat die CDU auf Ortsebene mitgegründet. Die Gründungsfeier fand im November 1945 in der Küche meines Elternhauses statt. Es waren zehn Männer, von Beruf Schreiner und Schlosser, Friseur und Sattler, Versicherungsvertreter und Bauer, Kaufmann und Malermeister, Gärtner und Kettenschmied. Sie alle einte die Gegnerschaft zum Nationalsozialismus. Eine Frau gehörte nicht zu den Gründern. Dafür kochte meine Mutter eine begehrte Erbsensuppe, zu jener Zeit eine Kostbarkeit. Beim Verlesen des Gründungsprotokolls erhoben sich alle und besiegelten den Akt mit einem Glas Westfälischem Korn. Der aber war schwarz gebrannt, einen anderen gab es nicht. Dieser mehr oder weniger illegale Akt hat die Union nicht daran gehindert, die erfolgreichste Volkspartei in der Nachkriegsgeschichte Europas zu werden.

Ist die Partei in den vergangenen Jahren zu sehr in die Mitte gerückt, sodass es nun mehr Raum für Parteien rechts von ihr gibt? Oder ist das eine allgemeine soziologische Entwicklung?

Die CDU stand in ihrer politischen Gesinnung seit ihrer Gründung immer fest in der Mitte und distanzierte sich stets sehr nachdrücklich von rechten Strömungen. Das ist so geblieben. Ich finde es ehrenhaft, dass die Partei sich nach wie vor klar und eindeutig von rechten und linken Parolen abgrenzt. Dass Rechtspopulismus einen Platz in anderen Parteiprogrammen gefunden hat, ist leider ein höchst unangenehmes gesellschaftliches Phänomen.

Wir befinden uns unmittelbar vor den Bundestagswahlen. Wie empfinden sie diesen Wahlkampf im Vergleich zu den Jahren davor?

Die ersten Wahlkämpfe nach dem Krieg, die ich aktiv miterlebt habe, waren allesamt wesentlich härter. Da flogen auch schon mal Tomaten und Eier. 1969, als ich das erste Mal für den Bundestag kandidierte, hatte die NPD Möglichkeiten, ins Parlament zu gelangen. Zur gleichen Zeit war es die radikale APO, die sich im Wahlkampf gewalttätig bemerkbar machte. Harte Auseinandersetzungen waren die Normalität. Die Union hat sich im Kampf mit den Radikalen bravourös geschlagen.

Wie bewerten Sie den aktuellen Wahlkampf, im Vergleich zu denen davor?

Die Wahlkämpfe sind generell „gesitteter“ geworden. Es fehlen aber die unmittelbaren Auseinandersetzungen mit den Wählern vor Ort. Der Wahlkampf hat sich auf Talkrunden im Fernsehen konzentriert und verliert sich in Langeweile.

Wie war es denn damals?

Die Bevölkerung war aus meiner Sicht engagierter und hatte mehr Teilhabe im Wahlkampf. Heute findet der Wahlkampf zu größten Teilen in den Medien statt. Diese haben die unmittelbare Auseinandersetzung zwischen Wählern und Gewählten ersetzt. Die Mattscheibe ist zu einem Hindernis in der persönlichen Auseinandersetzung geworden. Die Diskussion war früher eine andere. Die Bürger konnten ihren eigenen Kandidaten Fragen stellen und fühlten sich unmittelbar beteiligt am politischen Geschehen.

Näher dran als heutzutage?

Abgeordnete waren in vielen Fällen „Helfer in der Not“. Die Wähler kannten sie und hatten persönlichen Kontakt ohne E-Mail. Das schaffte Vertrauen in die Demokratie.

Was folgt aus dieser fehlenden Nähe zu den Wählern?

Ich komme ins Grübeln, wenn der Wahlkampf mehr und mehr eine Angelegenheit des Fernsehens wird. Ausgewählte privilegierte Personen – meistens immer die gleichen –, nach Laune und Nähe von den Talkmastern auserkoren, bestimmen die Diskussion. Man kennt bereits alle ihre Antworten.

Was muss also im künftigen Wahlkampf anders laufen?

Es braucht mehr den unterschiedlichen Diskurs. Eine Volkspartei muss sich unter das Volk begeben, keine Mattscheibe darf dazwischenstehen. Das ist Wahlkampf. Liebe Kandidaten, sprecht wieder selbst mit den Wählern in eigenen Wahlveranstaltungen und verweist nicht auf die Übertragungen des Fernsehens.

Sie leiteten 2008 den Initiativkreis „Zusammenhalt der Generationen“ gemeinsam dem Bundesvorsitzenden der Jungen Union, Philipp Mißfelder. Welche Rolle spielen junge Leute für den Zusammenhalt der Generationen?

Jung und Alt müssen über alle möglichen Themen diskutieren und sich auch mal in die Wolle geraten. Beide sind aber auch zur Zusammenarbeit verpflichtet. Eine Gesellschaft, die vom Kampf der Generationen gegeneinander bestimmt wird, fährt gegen die Wand. Ich habe ein fantastisches Verhältnis zur Jungen Union, und daran wird sich nichts ändern. Der „Krieg der Generationen“ bleibt eine Mär.

Wie empfinden Sie das politische Engagement der jungen Generationen?

Die Jugend ist heute anders. Sie engagiert sich in anderen Bereichen. So etwas wie Fridays for Future war seinerzeit nicht denkbar. Die Themen sind andere geworden. Andererseits habe ich zeitweilig den Eindruck, dass Demonstrationen den Charakter von Entertainment bekommen. Ich würde mir mehr Diskurs darüber wünschen, dass auch überzeugte Anhänger von Fridays for Future etwas mehr über den „kleinen Mann“ nachdenken, der den „Benziner“ für die Arbeit braucht und damit eine Familie ernähren muss. Natürlich muss der Klimawandel im politischen Denken eine zentrale Rolle spielen. Aber er darf nicht unter dem Aspekt geführt werden, wer die bessere Moral für sich beansprucht.

Wie wichtig ist die Stimme von älteren Menschen bei der Bundestagswahl? Geht es in der Wahl zu sehr um die jungen Generationen? Fühlen sich ältere Menschen potenziell eher abgehängt von der Politik?

Ich glaube, es ist für viele ältere Menschen der älteren Generation schwieriger geworden, sich eine politische Meinung zu bilden, weil sie eine andere Art des Wahlkampfes gewohnt sind. Natürlich ist die Tatsache, dass der Wahlkampf vorwiegend über die Medien abläuft, auch auf Corona zurückzuführen. Aber ich spüre, dass insbesondere ältere Menschen die persönliche Begegnung mit den Kandidaten bevorzugen, die Vertrauen und Verständnis erleichtert. Abgehängt von der Politik fühlen sich meines Erachtens die meisten aber Älteren nicht.

Prof. Dr. Otto Wulff (CDU) / dpa
Prof. Dr. Otto Wulff (CDU) / dpa

Seit 2002 sind Sie Bundesvorsitzender der Senioren-Union der CDU Deutschlands. Was macht die Senioren-Union?

Die Senioren-Union ist eine Vereinigung der CDU und vertritt deren Positionen. Sie weist darauf hin, worauf die älteren Bürgerinnen und Bürger achten und was sie bevorzugen. Sie registriert ebenso, dass diese vor den digitalen Entwicklungen und den damit verbundenen Herausforderungen nicht davonlaufen können. Den älteren Menschen muss die Chance geboten werden, sich anzupassen und dazuzulernen. Der Eintritt ins Rentenalter- oder Pensionsalter bedeutet nicht den Anfang des Lebensabends, er ist neuerdings der Eintritt in eine neue Epoche, in der man noch viel erleben will und leisten kann.

Sind ältere Menschen bereit, sich für Neues zu öffnen?

Ja, sie sind es, sie lassen sich gerne neue Techniken erklären und es interessiert sie auch, wie die junge Generation denkt und fühlt. 30 Prozent aller Rentner und Rentnerinnen gehen einer ehrenamtlichen Tätigkeit nach. Ohne sie würde unser Sozialstaat in herbe Schwierigkeiten geraten. Das beweist aber auch, dass die Älteren sich dem Neuen öffnen – wie sonst könnte ihre Arbeit Erfolg haben? Die wechselseitige Beeinflussung der Generationen ist eine unabdingbare Voraussetzung für das Gelingen einer Politik für alle.

Was muss sich an der Politik in Bezug auf das Altwerden ändern?

Alter darf nicht von vornherein als negativ bezeichnet werden, vielmehr als Chance, eine neue Rolle zu spielen. Ältere Menschen sollten von der Politik mehr dazu ermutigt werden, neue Identität zu finden, ihre ihnen zugewachsenen Fähigkeiten für die Gesellschaft einzusetzen und stolz darauf zu sein, noch eine bemerkenswerte Leistung für die Gesellschaft zu erbringen. Die Politik muss sich dabei insoweit ändern, dass sie der Leistung der Älteren im Ehrenamt weit mehr Respekt zollt, weil sie unentbehrlich ist.

Und das gilt auch für die alternde Gesellschaft?

Wenn die älteren Menschen zahlenmäßig immer mehr werden, müssen sie sich auch der Politik und Gesellschaft anpassen. Das heißt, sie müssen erkennen, dass sie sich mehr den gesellschaftlichen und politischen Aufgaben widmen und von betreuten zu betreuenden Bürgerinnen und Bürgern werden müssen. Die medizinische Forschung und eine gesündere Lebensweise haben Folgen – und zwar keine schlechten, wie ich meine.

Was sollte für den Pflegesektor getan werden, wenn in Zukunft mehr Menschen gepflegt werden müssen und abhängig von medizinischer Versorgung sind?

Es muss auf jeden Fall mehr in Prävention investiert werden, so dass Krankheiten erst gar nicht entstehen oder früher erkannt und behandelt werden können, immense Kosten würden gespart. Denselben medizinischen und technischen Fortschritt brauchen wir in Bezug auf das Altwerden. Denn Pflegekräfte allein werden diese Arbeit in Zukunft wohl kaum stemmen. Mit Hilfe der medizinischen Forschung können eine Reihe von mehr im Alter auftretenden Krankheiten, wie etwa Krebs, Diabetes und Demenz verhindert oder geheilt werden.

Es bedarf aber auch an besserer finanzieller Unterstützung, denn aktuell sind 9,3 Millionen Rentner und Rentnerinnen in Deutschland von Armut betroffen, jede zweite Rente liegt unter 900 Euro. Wie kann dieser Entwicklung entgegengewirkt werden?

Wir brauchen in Zukunft einen neuen Einstieg in die Rentenversicherung. Man sollte das heutige Konzept unserer Rente und der Sozialversicherung, das sich auch bewährt hat, nicht abschaffen. Aber es braucht eine Zusatzversicherung, etwa über einen garantierten Fond, der von Aktien und Kapitalvermögen gespeist wird. Jeder zahlt einen bestimmten Betrag in eine solche Versicherung ein, die der zusätzlichen Absicherung dient. So kann der Altersarmut wirkungsvoller entgegengesteuert werden.

Das Interview führte Charlotte Jost.

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Enka Hein | Sa., 25. September 2021 - 11:45

...der Brüller. Wieder einer der nicht in der Wirklichkeit.
„Die Wahlkämpfe sind generell „gesitteter“ geworden.“ Es finden 4 Jahre lang Wahlkämpfe statt. Die Verweigerung der AFD einen Bundestagsvizi zuzugestehen ist ein Beispiel.
Die Antifa die andere Meinungen Notfalls niederknüppelt ein weiteres Beispiel.
Also von „gesittet“ keine Rede. Danach hab ich aufgehört zu lesen.
Die CDU hat es verdient abzustürzen.

Stefan Sopp | Sa., 25. September 2021 - 16:16

Nach Meinung von Herrn Wulff soll Deutschland also noch mehr sparen, die Leistungsbilanzüberschüsse sind wohl noch nicht groß genug, was der Rest der Welt wohl anders sieht. Der Konsum hierzulande ist ohnehin schon untertourig in Relation zu dem Erarbeiteten, nach Herrn Wulff soll's wohl noch ein Gang niedriger sein, zumindest ergäbe sich das als Konsequenz.

Und dann soll der Fonds auch noch 'garantiert' sein, heißt wohl, dass Schieflagen, die es bei Anlagen an Finanzmärkten immer gibt, durch den Staat, also alle, aufgefangen werden. Als würden nicht jetzt schon Euro-Aufwertung, fehlendes Investment Know-how etc. bei Anlagen im Ausland grüßen lassen.

Oder soll dann schwerpunktmäßig hierzulande investiert werden? Als Investitionsstandort ist Deutschland ja nicht gerade der Renner. Oder
soll der Fonds deutsche Aktien kaufen, um hiesige Unternehmen vor ausländischem Erwerb zu schützen und Managern inländischer Unternehmen ihr sehr gutes Einkommen zu 'garantieren'?

Hubert Sieweke | Sa., 25. September 2021 - 20:19

Senior zu kritisieren. Es wäre längst an der Zeit gewesen, nach langem Aufenthalt im Bundestag adieu zu sagen.
Es sind genau diese Herren, die aus Extrovertiertheit und übersteigertem Selbstwertgefühl, die vielen Posten innerhalb der Partei blockieren.
So etwas erreicht man nur, wenn man bis zur Selbstaufgabe loyal ist, und - wie in diesem Fall - NICHTS Nennenswertes am politischen Leben der Partei beiträgt, geschweige denn, auch notwendige konstruktive Kritik äußert.
Es sind in der CDU zu viele solche Posteninhaber vorhanden, die zwar politisch überhaupt nicht wahrgenommen werden, aber auf jeder "Katzenkirmes" erscheinen und den Vorsitzenden spielen.
Wenn eine Partei wie die CDU immer mehr zu einem Verein mutiert, der Lebensläufe fördert und Pöstchen verteilt, bleiben die Angelegenheiten der Bürger in der Schublade.

Ich habe seit 2002 keinen nennenswerten Beitrag zur Lösung von Problemen von Herrn Wolff gehört. Er sollte schnell Platz machen für Kritiker... aber jünger.

Ernst-Günther Konrad | So., 26. September 2021 - 10:42

Mag Herr Wulff in seinen Erinnerungen schwelgen und glauben, "seine" CDU sei noch immer in der Mitte. Ich kann ihm dagegen halten, dass es die CDU von heute ist, welche die Errungenschaften eben der Altvorderen, auch der seiner Eltern, mit Füßen treten und genau die Menschen aus dem Blick verloren haben, die auch Herrn Wulff ein ruhiges Rentendasein ermöglichen.
So, So. Die CDU muss sich auch weiter von rechts abgrenzen. Wenn man linke Politik macht, ist alles daneben eben rechts und wird dann gerne zu rechtsextrem oder rechtsradikal erklärt, damit der eigene Verlust der Identität kaschiert werden kann. Herr Wulff, es geht hier nicht um NPD, die niemand haben will, es geht um eine AFD, mit dem Programm einer CDU 2007, einem Programm, das auch das Ihre war. Sie nennen als Gründungsmitglieder in der elterlichen Küche, Männer und Berufe, die es heute so nicht mehr gibt, die aber einen Querschnitt der Gesellschaft abbildeten. Kommen Sie mal raus aus Ihren Erinnerungen und Träumen.

Fritz Elvers | So., 26. September 2021 - 16:05

Komisch, eigentlich hatte nur die APO Gewaltopfer und Tote zu beklagen. NSDAP-Mitglied Kiesinger und die Stahlhelmfraktion forderten sogar das Ausrufen der Notstandsgesetze, wofür sie ja auch da waren.

Erst der "uneheliche Sohn" (CDU/CSU) Willy Brandt machte dem ein Ende.
IT-Klugscheißer: Sollen sich jetzt auch 80igjährige dummdaddeln? Genügt doch, wenn die Jugend verblödet.