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Menora in der Synagoge Bielefeld / dpa

Czollek-Debatte - Erbarmen mit Musterjuden

Wer ist Jude? Wer eine jüdische Mutter hat, sagt die Halacha, das jüdische Gesetzbuch. Der Schriftsteller Maxim Biller hat deshalb dem Essayisten Max Czollek seine jüdische Identität abgesprochen. Seither tobt eine Debatte um die Deutungshoheit, was jüdisch ist, und um die Frage, ob die orthodoxe Auslegung des Judentums noch zeitgemäß ist.

Autoreninfo

Rafael Seligmann, Jahrgang 1947, ist Historiker, Journalist und Schriftsteller. Er lehrte an der Ludwig-Maximilian-Universität Strategie und Sicherheitspolitik. In Kürze erscheint sein Buch „Brandstifter und Mitläufer. Hitler, Putin, Trump“ im Verlag Herder.

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To be or not to be a Jew? Die aktuelle aufgebrachte deutsche Debatte über die Jüdischkeit oder die Nichtjüdischkeit des Poeten Max Czollek gehört weniger ins Feuilleton als vielmehr in die Psychiatrie. Profan ausgedrückt: Es ist ein Sport für Meschuggene. Orthodoxe Juden und Israelhasser mögen dafür Interesse zeigen. Sicherlich auch Rassisten. Aber was um Himmels willen haben gewöhnliche Leser damit zu tun, die Interesse zeigen für die jüngere deutsche und damit auch die jüdische Geschichte?

Diese schicksalhafte Gemeinschaft lässt sich beim besten oder schlechtesten Willen nicht mehr auseinanderreißen, sie ist sprachlich, geschichtlich und verbrecherisch zu eng verwoben. Max Czollek fühlt sich als Jude. Na und? Gedanken und Gefühle sind frei. Max ist ein Enkel Walter Czolleks (19071972), der als Jude geboren wurde, sich zum Kommunismus bekannte und schließlich 1954, in einer Zeit, als es im kommunistischen Machtbereich und damit auch in der DDR teilweise lebensgefährlich war, als Jude zu gelten, weil man dann des „Zionismus“ verdächtigt wurde, die jüdische Gemeinschaft zumindest juristisch verlassen hatte.

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Dorothee Sehrt-Irrek | So., 5. September 2021 - 10:50

obwohl ich ganz sicher auch Hebräer in meiner großen Familie haben, also Anteil nehme am Jüdischen.
"Glauben und Humanität", das möchte ich eigentlich keiner Religion per se absprechen und die m.E. eigenartig verschachtelte Argumentation des Textes eher nicht belasten, denn ob nun hebräisch oder nicht, im Resultat könnte man sich immer draussen befinden und zum Feind erklärt werden, was vermutlich auch allen Religionen eigen sein könnte, ausser dem Christentum.
Dieses, mein "ausser" möchte ich aber nicht kultivieren, sondern mitteilen und offenhalten und damit nicht einen ganz gravierenden Fehler wiederholen, dessen sich das Christentum wohl schuldig gemacht hat, seine offene Totalität anderen zuzumuten, aufzuzwingen, dabei fusst es im Für und Wider auf dem Judentum, wie vielleicht das Judentum auf der Religion der Ägypter und anderer, von denen es
versklavt wurde.
Seit der neuerlichen Gründung des Staates Israel mögen friedliche Ewigkeiten einer Zukunft hebräischen Glaubens blühen.

Müller | So., 5. September 2021 - 12:42

.. wie Cancel Culture funktioniert.

Sobald man irgendwo die Worte "noch zeitgemäß" liest, weiß man, wer am Werk ist. In diesem Beispiel soll also ein 1800 Jahre alte religiöses Dogma geändert werden.

Als ob man orthodoxen Juden gegen ihren Glauben den Gedanken aufzwingen könnte, dass Vater-Juden nun "richtige Juden" seien. So abwegig diese Unterscheidung wirken mag, sie ist nicht abwegiger als manch andere religiöse Überlieferung. Religion hat immer etwas Abstraktes, das ist ihre Essenz. Und darüber lässt sich genauso wenig streiten wie über Geschmack.

Es geht also nur vordergründig darum, zwischen "Lifestyle-Juden", "Vater-Juden" und "orthodoxen Juden" zu unterscheiden. In Wahrheit geht es um Macht und Deutungshoheit. Es ist eine geistige Bücherverbrennung, eine innere Kulturrevolution, die die Generation CC hier praktiziert. Die Aufweichung, Umdeutung oder Auslöschung ungewollter Traditionen und Werte ist ihr Ziel.

Next In Line - Jesus war schwarz.

Sie gehören nicht dem jüdischen Glauben an?

Sonst würden Sie wohl kaum versuchen, die übliche rechtspopulistische Argumentationsweise in eine innerjüdische Debatte hineinzutragen.

Ziemlich durchsichtig.

Ausgerechnet jene, die bei Besuchen in KZ-Gedächtnisstätten schon mal aus der Rolle fallen.

es ist nat. eine rein innerjüdische Debatte, die Seligmann hier eine "deutsche Debatte" nennt - vielleicht auch, um diesen erstaunl. 'move' machen zu können:
Die an der Debatte nicht beteiligten, 'nichtjüdischen Deutschen' sind bei ihm nämlich trotzdem die Schurken als (in diesem Kontext zum Glück nur eingebildete) "Nazis" & "Rassenwarte", die sich für derlei Abstammungsdiff. interessieren (was bisher tatsächl. v.a. M. Biller tat).
Vielleicht will uns Seligmann mit diesem Text auch nur die Aktualität seiner These aus "Der Musterjude" beweisen, wonach 'Die Deutschen' ganz 'versessen' sind auf jeden 'Tineff', indem er uns beweist, dass wir ihm auch absurd-selbstwidersprüchl. Thesen klaglos abkaufen:
In seinem Titel-Zitat: "ich bin Jude, ich darf das" unterstellt er ebenso wie in 'der Musterjude' identitätsabhängig erhöhte Diskursfreiheit für Angehörige gew. Minderheiten. Zitiert man ihn aber, macht man ihn damit auch zum "Musterjuden"- & sagt was "Dummdreistes": Doublestandards ...

Dorothee Sehrt-Irrek | So., 5. September 2021 - 16:37

ob die Protagonisten dieser Debatte zuletzt begreifen, wovon sie sprechen, bzw. wer wovon?
Es ist vermessen von mir, aber ich liebe Debatte.
Folgendes mag genauso die ägyptische Religion betreffen.
Ich glaube, dass es unwidersprochen, ja Grundlage jeder Debatte, wer Jude sei, ist, dass der Mann Jude ist, sofern er von seinem Schöpfer Jehova als seinem auserwählten Volk zugehörig, den Hebräern, geschaffen wurde.
Komplettiert und abgerundet wird dies durch die Geburt von einer, die dem unwiderruflich zugeordnet ist, einer Jüdin.
Wie die Erschaffung der Frau eine Art Appendix aus dem Manne ist, so verbleibt die Frau als wesens-mäßig Zugeordnete innerhalb des Judentums.
Entsprechend gab es große Widerstände gegen die Goi und evtl. einen Hang, innerhalb der Glaubensgemeinschaft zu ehelichen.
Das ganze Problem entfällt, wenn man von Mann und Frau als Wesensgemeinschaft ausgeht, zu gleichen Teilen, aus denen sich immer wieder eine Gesellschaft bildet.
Das Judentum ist streng patriarchalisch?

Bernd Muhlack | So., 5. September 2021 - 17:12

In 1992 war ich mit 2 guten Kumpels eine Woche in Prag.
Ein sehr schöne Stadt - leider war es schon Ende Oktober u damit etwas Tristesse.

Obwohl keiner von uns Jude war besuchten wir den kleinen jüdischen Friedhof u das Gebäude mit den "Ewigen Namen".
Ein "etwas" älterer, asketischer Herr fragte, wo wir her kämen.
Ja, das darf man natürlich fragen - nicht wahr!
Er nickte nur, verschwand wieder in seinem Kabuff - lächelnd?
Sehr, sehr beeindruckend ...

Ob man in D eine Debatte über das "wahre Judentum" zulassen sollte?
Natürlich!
Das ist mMn ihre eigene Aufgabe.

Wir sind doch seit einiger Zeit an dem Punkt angekommen, an dem man am "al-Quds"-Tag sogar am Brandenburger Tor israelische Flaggen unter den Augen der Polizei abfackelt - unglaublich!

Ich bin kein Experte für "innerjüdische Dispute", jedoch weiß ich, was ich hier in D nicht mehr sehen will - "Kauft nicht bei Juden!" war der Anfang.

Achille Mbembe?
just another POC, oder?

... ich soll mich ja nicht aufregen ...
MAZEL TOV!

Karla Vetter | So., 5. September 2021 - 18:57

Es wurden Juden verfolgt, ganz gleich ob der Vater Jude war oder die Mutter. Juden mit "arischem" Vater waren sogar besser geschützt, als die mit einem jüdischen Vater. Die Tradition, dass nur Juden mit einer jüdischen Mutter als Juden gelten war pragmatisch. Die Mutter kennt man schließlich immer, den Vater manchmal nicht. Zumindest solange es keine Leihmütter gab.

Rob Schuberth | So., 5. September 2021 - 19:21

Also wirklich.
Erst ein Schwulen-Artikel, dann einer über Antisemitismus und dann noch eine nebensächliche Fragestellung i. S. China.
Und jetzt auch noch einer, der mein pers. Fass zum Überlaufen gebracht hat, über die Frage wann man denn ein "echter" Jude sei.

dabei hat sogar das ZDF schon über die Messerattacke in Berlin berichtet, aber hier....Fehlanzeige.

M. E. sind die meisten Artikel hier für's WoE vorgeschrieben und entbehren daher jeder Aktualität...schade.

Hoffentlich wird der Mo. anders.

Jost Bender | Mi., 8. September 2021 - 03:11

Offenbar glaubt sich Seligmann sein Selbst-Zitat noch heute: „Biller, Broder, Brumlik, Seligmann, Wolffsohn & die anderen Idioten können schreiben, was sie wollen, die Deutschen sind darauf versessen, den Tineff zu lesen" - Für d. Cicero-Redaktion jedenf. scheint es zuzutreffen, auch wenn ich finde, Herr Armbruster hat völlig Recht: Diese Debatte hätte ich sehr gerne Biller & Seligmann überlassen.
Doch, es gibt Themen, aus denen sich nichtjüdische Deutsche vielleicht besser heraushalten sollten, auch wenn Seligmann behauptet, wer das sagt, sage damit auch: "Ihr Juden seid keine Deutsche" Wie kommt man auf eine so abwegige Folgerung?
Die Verteilung von Rederechten nach Abstammung & die polemische Delegitimierung von Positionen über diffamierende, identitätsbezogene Komposita wie "Meinungsjude" & "Musterjude" liegen viel näher beieinander, als Seligmann uns glauben machen will - und haben viel mehr mit einer allgem. 'Widerspruchsintoleranz' & 'Unduldsamkeit' zu tun, als mit 'Erbarmen'.