Israelis feiern die Vereidigung der neuen Regierung / dpa

Regierungswechsel in Israel - Neustart oder Chaos ohne Ende?

Benjamin Netanjahu ist weg, jetzt wird Israel regiert von einer Koalition aus acht Parteien, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Das Spektrum reicht von Nationalreligiösen, die den Siedlungsbau vorantreiben wollen, bis zu arabischen Islamisten. Doch darin steckt auch eine Chance.

Autoreninfo

Mareike Enghusen berichtet als freie Journalistin über Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Nahen Osten, vornehmlich aus Israel, Jordanien und den Palästinensergebieten. Sie hat Politik- und Nahostwissenschaften studiert und ihre journalistische Ausbildung an der Henri-Nannen-Schule absolviert.

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Es war ein unwürdiger Abgang. In den letzten Stunden ihrer Amtszeit zeigte sich Israels ausgehende Regierung von ihrer hässlichen Seite. „Schande!“, brüllten Abgeordnete jener Parteien, die am Sonntag den Gang in die Opposition antreten mussten, „Lügner!“, „Schäm dich!“. Gemeint war Naftali Bennett, zu jenem Zeitpunkt designierter, inzwischen amtierender Ministerpräsident. 

Wenige Stunden, bevor die Volksvertreter eine neue Koalition ins Amt wählen sollten, hielt er eine Rede im Parlament. Doch derart laut und ungezügelt pöbelten seine politischen Gegner dazwischen, dass er kaum zu verstehen war. „Was er passiert, nennt sich Demokratie“, sagte er, äußerlich ungerührt. „Es gibt Parteien in der Regierung, es gibt Parteien außerhalb der Regierung.“

Besonders scharfe Rhetorik

Dass Bennett derartige Selbstverständlichkeiten betonen muss, verrät einiges über die derzeitige Stimmung im Land. Die Ablösung einer Regierung durch eine andere infolge freier Wahlen, ein gewöhnlicher, ja: gewünschter Vorgang in einer Demokratie, haben manche Vertreter der ausgehenden Regierung zum Skandal hochgejazzt. Mit besonders scharfer Rhetorik tut sich Benjamin Netanjahu hervor, dessen zwölfjährige Amtszeit Bennett soeben beendet hat. „Wir erleben den größten Wahlbetrug in der Geschichte des Landes, meiner Meinung nach in der Geschichte sämtlicher Demokratien“, behauptete Netanjahu, als sich vor wenigen Wochen ein neues politisches Bündnis abzeichnete. 

Israels neue Acht-Parteien-Koalition aus Rechten, Linken und Arabern ist erst wenige Tage alt, noch hatte sie keine Gelegenheit, sich politisch zu beweisen. Doch in einem Aspekt markiert sie schon jetzt einen Bruch zur Vorgängerregierung: in Stil und Wortwahl. In seiner Rede am Sonntag dankte Bennett Netanjahu und seiner Frau Sara für die Opfer, die sie im Dienst für das Land auf sich genommen hatten, obwohl das Verhältnis zwischen ihm und den Netanjahus als zerrüttet gilt. Die Unterstützer der neuen Regierung wiederum bat er, auf Schadenfreude zu verzichten: „Wir sind keine Feinde, wir sind ein Volk.“ 

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Dorothee Sehrt-Irrek | Do., 17. Juni 2021 - 11:06

dass Netanjahu für die israelische Politik zu einer Bürde geworden ist.
Nicht mit seinen Ansichten, die der neue Premier doch wohl größtenteils teilt, sondern evtl. mit seiner sehr persönlichen Art, vielleicht zu sehr persönliche Interessen in der Politik durchzusetzen.
Dies untersucht evtl. die israelische Justiz als Korruption?
Evtl. Selbstherrlichkeit und Politik, sicher aber Demokratie schliessen sich vielleicht aus?
In einem so kleinen Land wie Israel, vielleicht vergleichbar der Schweiz, zählen sicher alle Anwesende als politische Personen, Entscheider.
Kein Wunder, dass jetzt evtl. von Seiten der Netanjahu-Anhänger eine Art Bürgerkrieg droht, es sei denn, der Likudblock war nicht in der Lage, sich von Netanjahu zu lösen und begrüßt zu gewichtigen Teilen sehr wohl diesen Neubeginn, hinter vorgehaltener Hand.
Evtl. korrupte Politiker schaffen leicht ein Netz persönlicher Abhängigkeiten?
Ich kann nicht beurteilen, ob Netanjau ein Mann der persönlichen Macht ist.
Wir werden sehen.

Karl-Heinz Weiß | Do., 17. Juni 2021 - 14:01

"Den Einstieg in den Arbeitsmarkt erleichtern"-klasse Formulierung!
Für mich ist erstaunlich, dass ein Staat, den 10% seiner Bürgerschaft strikt ablehnt, dennoch so gut funktioniert. Und 8 verschiedene politische Orientierungen unter einen Hut zu bekommen-Respekt. In Deutschland beginnt die Suche nach der Alternativlosigkeit schon bei zwei Meinungen.

Ernst-Günther Konrad | Do., 17. Juni 2021 - 20:20

Antwort auf von Karl-Heinz Weiß

Ob das lange hält, da habe ich meine Zweifel. Jedenfalls müssen die jetzt, egal wo sie politisch und religiös stehen, miteinander debattieren. Ein Vorgang, der bei uns längst nicht mehr gewünscht wird und bewusst ausgeschaltet wurde.

Ronald Lehmann | Fr., 18. Juni 2021 - 00:27

Antwort auf von Karl-Heinz Weiß

Sie ist die einzige Religion, wo im DISKURS von den Gläubigen mit Argumenten um den Glauben gerungen wird.
Wenn ich als Christ an die sehr unterschiedlichen Predigten von der Kanzel herab denke, vor allem bei der Bergpredigt ?, ein Unterschied zwischen Tag und Nacht.
Deswegen habe ich große Hoffnung, dass trotz allem man zu einem ausgewogenen Umgang miteinander kommen wird.
Es wird nur problematisch, wenn sozialistisch angehauchtes jüdisches Spektrum sich dort manifestieren sollte. Weil Sozialistisch = Untolleranz bedeutet, egal wo auf dieser Erde. Und Beispiele hatten wir bisher mehr wie genug.
Shalom & Gott schütze die liebenden & demutsvollen.

Rob Schuberth | Do., 17. Juni 2021 - 20:34

M. E. sollten Journalisten nun erst einmal den Ball flach halten und nicht mit kühnen Thesen zu glänzen versuchen.

8 sehr unterschiedliche Strömungen unter einem Hut.

Das erfordert zunächst einmal meinen Respekt vor dem Mann, der das hinbekommen hat.

Netanjahu MUSSTE weg. Das ist doch die Erkenntnis die diese Super-Koalition deutlich zeigt.

Die Bevölkerung (mit Ausnahme derer die von Netanjahu profitiert haben) wollten diesen korrupten MP nicht länger im Amt sehen.
Daher finde ich es gut, dass es eine neue Regierung ohne N. gibt.