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US-Präsident Joe Biden am Brüsseler Flughafen auf dem Weg nach Genf Foto: Patrick Semansky/dpa

Gipfeltreffen Biden-Putin - Was erlauben Russland?

In zumindest einem Punkt sind sich die Präsidenten Biden und Putin einig: Beide sehen die Beziehungen zwischen den USA und Russland an einem Tiefpunkt angelangt. Wird es ihnen in Genf gelingen, den Grundstein für ein besseres Verhältnis zu legen?

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Botschafter a.D. Rüdiger Lüdeking war während seiner Zeit im Auswärtigen Dienst (1980-2018) in verschiedenen Verwendungen, u.a. als stv. Beauftragter der Bundesregierung für Abrüstung und Rüstungskontrolle und Botschafter bei der OSZE, mit Fragen der Sicherheits- und Rüstungskontrollpolitik intensiv befasst.

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Die Erwartungen an den Gipfel wurden in den vergangenen Tagen von beiden Seiten heruntergespielt. Von konkreten Ergebnissen, von „deliverables“ des Treffens ist nicht die Rede. Von amerikanischer Seite wird vielmehr davon gesprochen, dass man Russland bei diesem Treffen mit Themen wie Menschenrechte, Ukrainekonflikt und Cyberangriffen „konfrontieren“ wolle. Und mit den aktuellen westlichen Gipfeltreffen haben sich die USA Rückendeckung für einen harten Kurs gegenüber Russland verschafft.

Nato gegen Russland

So beinhaltet das zum Ende des gestrigen Nato-Gipfels veröffentlichte Kommuniqué im Wesentlichen eine Positionierung „gegen“ Russland. Diese kommt beispielsweise in der Einigkeit und Entschlossenheit des Bündnisses zum Ausdruck, sich der von Russland an den Tag gelegten „zunehmend aggressiven Haltung strategischer Einschüchterung“ entgegenzustellen. Russland dürfte auch die Bekräftigung der Nato-Beitrittsperspektive für Georgien und die Ukraine besonders aufstoßen; Moskau sieht darin einen Eingriff in die beanspruchte Einflusssphäre, der auch die „Korrelation der Kräfte“ weiter zuungunsten Russlands verändert.

Ist eine andere als eine konfrontativ-einhegende Haltung gegenüber einer autokratisch-korrupten russischen Regierung gerechtfertigt, die Menschen- und Bürgerrechte mit Füßen tritt, jede innenpolitische Opposition kaltblütig ausschaltet, benachbarte Staaten kujoniert oder deren Souveränität und territoriale Integrität eklatant verletzt?

Politik ohne moralisches Pathos

Und dennoch: Es bedarf einer Politik gegenüber Russland, die nicht gutgläubig-naiv oder beschwichtigend, sondern interessengeleitet, konsequent und nüchtern-pragmatisch ist und ohne wohlfeiles moralisches Pathos daherkommt. Im Zentrum steht dabei das Interesse an der Wahrung von Sicherheit und Stabilität. Dies gilt nicht nur für das bilaterale Verhältnis zwischen Russland und den USA, sondern gerade auch für Europa. Es bedarf hierzu verlässlicher Vereinbarungen und Mechanismen, zu denen das Gipfeltreffen zwischen den Präsidenten Biden und Putin den Anstoß zu geben vermag.

Zur Illustration, um was es geht: Die Konzentration russischer Truppen an der Grenze zur Ukraine hat Ende März große Verunsicherung ausgelöst. So wurde über einen bevorstehenden russischen Angriff auf die Ukraine, die handstreichartige Besetzung des Donbass-Gebietes und gar über einen Durchmarsch russischer Truppen über ukrainisches Territorium bis auf die Krim-Halbinsel spekuliert. Die Gefahr von folgenschweren Fehleinschätzungen war deutlich spürbar. Erst die Ankündigung des Rückzugs der russischen Truppen am 22. April hat den gehegten Befürchtungen ein Ende gesetzt.

Militärische Vertrauensbildung

Der Fall hat verdeutlicht, dass es keine rüstungskontrollpolitische Verpflichtung gibt, derartige Truppenverlegungen vorher anzukündigen oder sie von ausländischen Experten beobachten zu lassen. Ebensowenig gibt es eine rüstungskontrollpolitische Beschränkung von militärischen Aktivitäten in grenznahen Regionen. Zu beiden Punkten gibt es Handlungsbedarf. Diesen könnten Biden und Putin durch entsprechende Aufträge an die in ihren Regierungen zuständigen Ministerien auf den Weg bringen.

Generell besteht nach der „Abräumung“ zentraler rüstungskontrollpolitischer Vereinbarungen wie des Intermediate Range Nuclear Forces Treaty (INF)-Vertrages und des Vertrages über den offenen Himmel durch Präsident Trump die Notwendigkeit eines Neuansatzes für die Rüstungskontrolle. Dabei geht es um militärische Vertrauensbildung, Vermeidung von Eskalationsrisiken und auch um die Wahrung von Stabilität vor dem Hintergrund neuer Waffenentwicklungen und den Möglichkeiten von Cyberangriffen. Dies dürfte trotz der in anderen Feldern bestehenden fundamentalen Gegensätzen zwischen den USA und Russland im wohlverstandenen Sicherheitsinteresse beider Seiten liegen.

Neue Impulse

Neben der Wiederbelebung der Rüstungskontrolle könnten von dem Gipfeltreffen auch neue Impulse für die Zusammenarbeit zu bestehenden Konfliktherden ausgehen. Hierzu könnte an vergangene Zusammenarbeit beispielsweise zur Verhinderung einer iranischen Atomwaffe angeknüpft werden; aber auch die Situation auf der koreanischen Halbinsel, Afghanistan und Syrien böten sich als Themen an.

Angesichts russischer Provokationen, aber auch der innenpolitischen Lage in den USA, sind die Erwartungen an das Treffen zwischen Biden und Putin gering. Dennoch ist zu hoffen, dass es den Neuanfang eines Dialogs zu Sicherheit und Rüstungskontrolle markiert. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang an die erfolgreiche westliche Politik in den 70er- und 80er-Jahren, die – in vollem Bewusstsein für die damals bestehenden, unüberwindbar erscheinenden Gegensätze – Möglichkeiten des Dialogs und der Zusammenarbeit mit der Sowjetunion genutzt hat.

Einhegung Russlands unwirksam

Diese mutige Politik hat zur Überwindung des Ost-West-Gegensatzes beigetragen und damit zusammenhängende beträchtliche Risiken abgesichert. Demgegenüber hat die in den vergangenen 20 Jahren verfolgte Politik der Konfrontation und der Einhegung Russlands sich als nicht wirksam erwiesen. Die seit Präsident Bush Jr. gängige Arroganz und Geringschätzung Russlands sowie die Missachtung russischer Interessen haben Putin geradezu zu einer auf die Anerkennung als Großmacht ausgerichteten aggressiven Außenpolitik herausgefordert.

Deshalb muss auch die Frage einer durch den Nato-Gipfel wieder prominent auf die Tagesordnung gesetzten Frage einer Nato-Erweiterung um Georgien und die Ukraine mit der erforderlichen Umsicht angegangen werden. Unbekümmerte Überstürzung in dieser Frage ist kontraproduktiv und mit einem klugen realpolitischen Kalkül, das die Perspektive einer strategischen Gestaltung der Sicherheitsbeziehungen mit Russland im Blick hält, nicht vereinbar.

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Yvonne Stange | Mi., 16. Juni 2021 - 19:01

Hier trifft wieder der alte Spruch zu: "Was mich am anderen stört, ist mein eigenes Problem!" Der Spruch bewahrheitet sich immer wieder! Mehr habe ich zu dem Artikel nicht zu sagen. Achja, eines noch: Plumpe Rußlandhetze vom Feinsten.

Walter Bühler | Do., 17. Juni 2021 - 09:52

Antwort auf von Yvonne Stange

Deutschland spielt - nicht nur aus militärischer Sicht - in der NATO nur noch eine sehr kleine Rolle. Unsere unrealistische Militär-,Außen- und Europapolitik hat uns wieder - wie in der Nachkriegszeit - in die Position eines Satellitenstaates zurückgebracht, der nur mit äußerst eingeschränkter nationaler Souveränität handeln kann. Unsere politischen Einflussmöglichkeiten sind praktisch wieder auf Null gesunken. Aus dieser Lage kommen wir auch nicht durch bloßes Wünschen heraus. Das sehen auch die anderen Staaten, und sie werden sich deshalb kaum auf Deutschland verlassen.

Unsere real gestiegene Abhängigkeit vom großen Bruder USA wird auch im vorliegenden Artikel in diplomatischer Sprache zum Ausdruck gebracht. Aber der letzte Absatz formuliert auch die Gegenposition zur künftigen NATO-Mitgliedschaft Georgiens und der Ukraine. Und das - so finde ich - ist doch immerhin etwas.

Juliana Keppelen | Fr., 18. Juni 2021 - 10:31

Antwort auf von Yvonne Stange

ich lese gerade das Buch "Die scheinheilige Supermacht" da wird der Werdegang über die Meinungs- und Deutungshoheit beschrieben. Also wer bei der Meinungshoheit die Strippen zog und zieht. Der Meinungseinheitsbrei und die Deutungseinfalt ist das Ergebnis von hart arbeitenden PR Strategen mit engsten Beziehungen zum Pentagon.