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Sedat Peker in einem seiner Mafia-Filme / dpa

Mafia am Bosporus - Die Türkei im Feuertanz

Der Mafiaboss Sedat Peker rechnet in kleinen YouTube-Filmen mit türkischen Spitzenpolitikern ab. Wie im ganz großen Kino geht es dabei um Drogengeschäfte, Korruption und Erpressung. Die Türkei ist tief erschüttert. Eine ästhetische Würdigung einer nationalen Existenzkrise.

Taylan Özgür Yildiz

Autoreninfo

Taylan Özgür Yildiz ist Politikwissenschaftler an der NRW School of Governance, Universität Duisburg-Essen. Er forscht zur Türkei, zum Neuen Autoritarismus und zu Politischen Narrativen.

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Die Neue Türkei ist in ihrer Existenzkrise angekommen. YouTube-Videos könnten etwas zu Fall bringen, was hiesigen Militärs und Terrororganisationen nicht gelingen wollte. Seit Anfang Mai bringt Sedat Peker eine Reihe brisanter Botschaften unter ein Millionenpublikum, dessen regimekritische Kapazitäten zuletzt auf ein Minimum geschrumpft waren. Peker muss es wissen. Denn er ist jene Gestalt, die im Auftrag des Regimes aus der Unterwelt emporsteigt, wenn es oben etwas zurechtzurücken gilt. Wo Minister, Bürokraten und Staatsanwälte nicht hinkommen, die Staatsräson aber den psychopathologischen Zwang verspürt im Namen seiner Einheit erpressen, aufwiegeln, foltern und morden zu müssen, greifen Leute wie Peker zu. 

Peker ist aber abtrünnig geworden. Im Exil hin und hergetrieben, sieht er im Angriff nun die beste Verteidigung. Die Familie des amtierenden Premierministers, ein Schiffbauingenieur und zwei Söhne, die in den Paradise Papers auftauchen, sollen eine globale Drogenroute zwischen Kolumbien, Venezuela, der Dominikanischen Republik und der Türkei gezogen haben, mit eigenen Hafenplätzen versteht sich. Er nennt Namen, Zeiten und Orte der Treffen und setzt die Ermittlungsbehörden auf die Spur der Handysignale, an deren Ende sich die rechtsfähigen Beweise befinden sollen. Auch gebe es einiges aus den dunklen Jahren vor der AKP-Hegemonie zu berichten; politische Mordaufträge, erteilt von einem ehemaligen Polizeichef, Justiz- und Innenminister, der nachweislich Mörder mit Diplomatenpässen versorgte und seit geraumer Zeit Verbündeter des Regimes ist. Sein Sohn sitzt für die AKP im Parlament und soll vor einigen Jahren eine Frau geschändet und ihre Leiche von Pekers Leuten „entsorgt“ haben lassen. Er schreckt nicht vor Selbstbelastung zurück.

Die dunkle Macht 

Seine Botschaften richten sich an jene, die die „wahre“ Macht im Land haben, aber nicht wissen, wie dunkel sie geworden ist. Er aber wisse es und könne sein Wissen nicht länger zurückhalten. Aufgezeichnet hat er seine Botschaften in verschiedenen Hotelräumen, alle in Dubai, ein gut gewählter Ort. Denn hier verkümmert der lange Arm der türkischen Regierung zur offenen Hand. Ein Bitsteller, zudem verfeindet, wird hier kaum imstande sein, Forderungen zu stellen, geschweige denn auf Auslieferung zu bestehen. Seltsam aber wie leichtfüßig er seine Botschaft an der staatlichen Zensur vorbeischmuggelt und mit einer Reichweite auf die Ebene des alltäglichen Gesprächs wirft, wie sie nur populäre Serien erreichen.

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Markus Michaelis | Sa., 29. Mai 2021 - 15:37

Bekannt ist das doch schon lange, auch in Artikeln, nur halt nicht so offen. Ist das mafiose Schauspiel so ungewöhnlich - warum konnte es so lange laufen? Wäre Peker nur Mafiosi und ginge es ihm nur ums Geld, würde er doch jetzt anders handeln. Es scheint tief sein Wertesystem und Gerechtigkeitsempfinden angegriffen - das treibt ihn an und das treibt auch andere große Strömungen an. Menschen, Wähler wie Politiker, haben auch ein Feuer nach Wahrheit, Gerechtigkeit etc. in sich brennen und das treibt große Dinge an. Der Mafiosi ist da oft nur ein Mittel zum Zweck der Wahrheit, die so brennt, dass für deren Umsetzung die mafiosen Mittel verhältnismäßig scheinen. Diese brennende Wahrheit und die kaum erträgliche innere Raserei, dass nicht alle Menschen der klaren Wahrheit folgen, ist sehr menschlich (neben Ehrgeiz, Reichtum, Mitmenschlichkeit, Spaß am Beitragen und anderen menschlichen Antrieben). Problematisch wird es durch die vielen verschiedenen brennenden Wahrheiten.

ein gutes/spannendendes Wort/Eigenschaft.
Vom Mafiosi, über Politiker bis zum Bünzli (Spiessbürger),
alle haben es irgendwie mehr oder weniger in sich.

Aber ich denke, eine Brise Stolz und/oder Egoismus schwingt beim
Gerechtigkeitsempfinden schon immer auch mit.

So ehrlich sollte man dann schon sein...

Rob Schuberth | Sa., 29. Mai 2021 - 19:18

Man wird seine "Beweise" sicher noch einige Zeit lang abstreiten können.

Ich schätze aber in die Türkei zurückkehren (was man ihm wohl zugesagt hatte) wird er nie wieder können.

Es sei denn er nimmt das Risiko ermordet zu werden in Kauf.

Denn er hat sich nun die mächtigsten Gegner verschafft die es in der TR gibt.

Ernst-Günther Konrad | So., 30. Mai 2021 - 08:40

Wer zur Kenntnis nimmt, dass gerade in der Türkei etliche Callcenter betrieben werden, die alte Menschen im Ausland, bevorzugt in Deutschland, mittel Fake Anrufe zur Herausgabe von Geld an "Boten" überreden, darf sich doch nicht über mafiöse Strukturen dort, wie inzwischen überall wundern. Da haben zwei Kriminelle wohl Krach bekommen und jetzt sucht der eine sein Heil durch öffentliche Preisgabe seiner Machenschaften und Erpressung möglicher Mittäter in seiner "Heimat". So kann es gehen, wenn man sich mit Kriminellen umgibt, die Erdogan oder einige in seinem Umfeld mal ein Gefallen tun und jetzt "auspacken". Mal sehen, wie lange Peker das überlebt. Wir kennen das ja. Der wird mal einen neuen Pass brauchen, in seine Botschaft gehen und dann? Wird ihm eine Sterbeurkunde mitgegeben. Hoffentlich wachen die anständigen Türken auf, die Erdogan und seinen Clan gewählt haben und jagen diese ganzen Gesetzesbrecher aus ihren Ämtern. Und so ein bisschen Mafia, bahnt sich ja auch bei uns an, oder?

Gerhard Lenz | So., 30. Mai 2021 - 10:37

Antwort auf von Ernst-Günther Konrad

Sicher gibt es die Call-Center in Istanbul, so wie es sie in anderen Ländern gibt, wie z.B. Indien oder auch Irland.
Und WER hat die dort wohl eingerichtet? Etwa Erdogan selbst?

And warum? Weil es so schön billig ist.

Das nur nebenbei. Dass solche Dinge in einem Land wie der der Türkei gedeihen können, bezeugt allerdings ein extremes, kapitalistisches Laissez-faire.

Der Markt "richtet" es mal wieder.

Was wiederum wohl nur in einem Land möglich ist, dessen Rechtsstaatempfinden im Bosporus ertrunken ist und das Hauptziel des Autokraten Erdogans die Umwandlung der - einst - säkularen Republik in einen rechtsnationalistisch-islamistischen Staat zu sein scheint.

Bezeichnenderweise arbeitet die Regierung aus Nationalisten und Islamisten offensichtlich hervorragend zusammen.

Rechte und Islamisten unterscheidet eben das Ziel, weniger die Mittel.

Romuald Veselic | So., 30. Mai 2021 - 10:26

politisch bis sportlich, erkennt man daran, dass das Gesetz nicht dazu da ist, sich an ihm zu halten, sondern als Herausförderung betrachtet.
Da gab es einen Typen aus diesem Interessenten Milieu, der bei Hart aber Fair, vor laufender Kamera uns wissen ließ: Es sind eure (D)
Gesetze.
Was wollte der nette Mensch uns damit mitteilen?
Ich sehe keinen Unterschied zur Gesetztreue zw. Lukaschenko u. Erdogan. Abgesehen von aktueller Flugzeugentführung, handeln solche Typen identisch.
Im gewissen Sinne ist Sedat Peker, der türkische Edward Snowden o. Julian Assange. Dass er damit/danach höllisch aufpassen muss, gehört zum Folklore dieser Spezies. Mit erhöhter Sterberate.
MfG Skyjack ✈