
- Nicht mehr als ein politischer Zwerg
Der EU wird oft vorgeworfen, dass sie auf der Bühne der internationalen Politik nur eine Nebenrolle spiele. Um internationalen Einfluss zu gewinnen, müsse sich die EU ein eigenes geopolitisches Umfeld schaffen oder eine gleichberechtigte Kooperation mit China anstreben, schreibt Thomas Jäger.
Die EU ist in internationalen Krisen ein politischer Zwerg. Vom Abzug aus Afghanistan erfuhren die europäischen Regierungen zwar nicht aus der Zeitung, aber Mitsprache hatten sie keine, als Präsident Biden den bedingungslosen Rückzug verkündete. Der russische Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze lässt alle europäischen Regierungen sofort nach Washington blicken. Zur Abschreckung und Verteidigung sind die Europäer unfähig. In den Diskussionen über die gewaltsame Vereinigung Chinas mit Taiwan, die inzwischen intensiv geführt werden, spielen die EU-Staaten keine Rolle. Denn die EU ist – fürchterlich zu sagen! – kein globaler Akteur, der in Konflikten ernst genommen wird. Sie ist für deren Entwicklungen häufig geradezu irrelevant. Muss das so bleiben?
„Wir Europäer müssen...“
Als Bundeskanzlerin Merkel 2017 sagte: „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei“ und deshalb forderte: „Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen“, hätte man nach zwölf Jahren Kanzlerschaft meinen können, zumindest ab jetzt nimmt die deutsche Außenpolitik ihre Aufgabe ernst. Um es kurz zu machen: Das war nicht der Fall. In den vier Jahren seither wurden Europas Stimme und Einfluss nicht größer.