
- Wem gehört die Trauer?
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte zu einer zentralen Gedenkstunde für die Corona-Toten in das Konzerthaus am Gendarmenmarkt geladen. Das gemeinsame Innehalten erinnerte an die Toten, manifestierte aber auch den Zugriff des Staates auf das Leben.
Wer den Tod erklärt, erklärt das Leben, und wer im Jenseits nach Bedeutung sucht, schreibt auch dem Diesseits eine sinnstiftende Geschichte ein. Es war am 1. März 1162, als sich die Stadt Mailand den übermächtigen Truppen Kaiser Barbarossas ergeben musste. Was folgte waren Plünderungen, Brandschatzungen und Zerstörung. Dabei sollen aus der Kirche San Giorgio al Palazzo auch die Gebeine drei heiliger Männer entwendet worden sein. Vermutlich gelangten die Toten über den Umweg einer Kirche in Lüttich bis in die Hände Rainald von Dassels, seines Zeichens nach Erzbischof von Köln. Man wird das wohl nie mehr genau eruieren. Fakt ist jedenfalls, dass jener Rainald von Dassel am 10. Juni 1164 drei Tote aus den Händen Barbarossas erhielt, dazu noch die Gebeine eines gewissen heiligen Felix.
Angeblich, so glaubt man in Köln bis heute, handelte es sich bei den entwendeten Mailänder Leichen um die sterblichen Überreste der heiligen drei Könige – jener Magier aus dem Morgenland, die ein Jahrtausend zuvor noch an der Krippe zu Bethlehem den neugeborenen Heiland angebetet hatten. Von Köln über Lüttich und Mailand führte somit eine direkte Verbindung bis in die große Heilsgeschichte der Christenheit. Die toten und profanen Gebeine waren die Verbindungslinie zu den gebeugten Knien an der Krippe. Denn das war es, worum es bei all der Aneignung der Toten ging: um die Fortschreibung von Erlösung, um das mächtige Band zwischen Immanenz und Transzendenz.