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Der argentinische Bandoneon-Spieler und Komponist Astor Piazzolla gilt als Begründer des Tango Nuevo und wäre heute 100 Jahre alt geworden. / dpa

Zum 100. Geburtstag von Astor Piazzolla - Das 20. Jahrhundert in einem Tango verdichtet

Astor Piazzolla war ein Meister der kulturellen Aneignung. In seinem „Neuen Tango“ ist das gesamte 20. Jahrhundert musikalisch anwesend. Heute wäre er 100 Jahre alt geworden.

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Natürlich ist das Jazz. Natürlich ist das klassische Musik. Wo immer man hineinhört in Astor Piazzollas Tango-Werk und in seine kammermusikalischen Ensembles: Man hört es. Auch die Besetzungen bürgen dafür, mit Cello, und stets mit Pianisten, die alles können, die von Rachmaninov oder Scriabin erst in den Jazz, dann in den Tango gleiten. Und natürlich mit den atemberaubenden Violinisten, Teufelsgeigern des Jahrhunderts.

Astor Piazzolla lebte als Kind und Jugendlicher in New York, wohin er 1925 mit seinen italienischstämmigen Eltern aus Mar del Plata bei Buenos Aires gezogen war. 1936 ging die Familie zurück. Er wächst in gewalttätiger Atmosphäre in Manhattan auf. Kämpft in der italienischen Gang gegen die jüdische Gang. Und saugt Musik auf. Jüdisch-osteuropäische Klezmer-Musik von den Hochzeiten im Viertel. Den Jazz-Sänger Cab Calloway in den Clubs, Duke Ellington und George Gershwin. Und er hört den Nachbarn im Haus neun Stunden am Tag Klavier spielen – meist Bach. Es ist der ungarische Pianist Béla Wilda, ein Schüler Rachmaninovs. Der wird tatsächlich Astors Musiklehrer, für Maniküre durch die Mutter und regelmäßige Pasta – und arrangiert für den Jungen Chopin und Bach fürs Bandoneon.

Strawinskys Partitur auf dem Nachttisch 

Diese multiple verdichtete musikalische Erfahrung wird durch Astor Piazzolla einen Tango verändern, der selbst schon, in den 1880er Jahren in den Vororten von Buenos Aires, als Mischung musikalischer Einwandereridiome entstand: von Zarzuelas und Habaneras, Polkas und Walzern. Auch wenn den jungen Piazzolla dieser Tango, den er abends mit seinem Vater auf dem Grammophon hört, zunächst weit weniger fasziniert.

Anfang der 40er Jahre hat Piazzolla die Partitur von Strawinskys „Sacre du Printemps“ immer auf dem Nachttisch liegen. 1941 klingelt er bei Arthur Rubinstein in Buenos Aires, um ihm eine Klavierkomposition vorzulegen. Der nimmt sich einen halben Nachmittag Zeit für den Unbekannten und Unangemeldeten, spielt das Werk auf seinem Steinway, sagt seine Meinung und vermittelt ihm telefonisch seinen Kompositionslehrer der kommenden Jahre.

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Tomas Poth | Do., 11. März 2021 - 17:10

Der Tango Argentino von Astor Piazzolla intoniert ist eine sehr spezielle Musik und für meine Ohren sehr gewöhnungsbedürftig. Sehr viel Überdehnung "Gezogenheit" in den Tönen und im Rhythmus, manchen gefällt´s.
Schwierig zu tanzen im Vergleich zu anderen Kompositionen dieses Genres.

Peter Ripota | Do., 11. März 2021 - 22:12

Unter denen, die am (getanzten) Tango Argentino das Kreative, Unkonventionelle, Anregende schätzen, ist Piazzolla sehr beliebt. Auch wenn er selbst nie für Tänzer komponierte (die er verachtete), seine Musik regt an, beschwingt, macht melancholisch, freudig oder ruhig. Kurzum: Er erzeugt Emotionen, die ein großes Spektrum umfassen und weit über den eigentlichen Tanz hinausgehen. Deswegen ist es uns kreativen Tangotänzern immer eine Freude, seine Musik durch unsere Bewegungen zu illustrieren.