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Ist das der Cast von „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“? Nein das sind die „Kinder vom Bahnhof Zoo“ / dpa

Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ auf Amazon Prime - Ein „Druck“ zum Dessert

Eine neue Serie versucht, den Mythos der „Kinder vom Bahnhof Zoo“ wiederzubeleben. Weil Bilder von Junkies eher abschreckend sind, kommt sie im Instagram-Look daher – und ihre Hauptfigur als Popstar. Unsere Autorin hat das geärgert. Denn sie kennt die echte Christiane F.

Antje Hildebrandt

Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Es gibt Bilder, die brennen sich ins kollektive Gedächtnis ein. Und das Bild der 13-jährigen Christiane F., die auf einer Toilette am Bahnhof Zoo sitzt und sich Heroin in die Vene jagt, gehört dazu. Ich war noch ein Kind, als ich die Geschichte des Mädchens aus Gropiusstadt las, das mit 13 schon mehr erlebt hatte als andere Menschen in ihrem ganzen Leben. Der erste Schuss. Drogensucht. Prostitution. Kalter Entzug. Der Tod von Freunden.

Noch heute greift eine kalte Hand nach meinem Herz, wenn ich daran zurückdenke. Ich bin in den achtziger Jahren in einer Kleinstadt in Niedersachsen groß geworden, in einer Neubausiedlung, wo man die Rasenkanten mit der Nagelschere korrigierte. Fixer gab es da keine.

„We could be heroes“ 

Doch man traf sie, wenn man zum Einkaufen nach Hannover fuhr. Sie hingen dort ab, wo kein Tageslicht hinkam, in der Passerelle unterm Hauptbahnhof. Kaputte Gestalten, die Kleingeld schnorrten. Aber hey, es waren Erwachsene, Menschen, die in ihrem Leben irgendwann falsch abgebogen waren. Christiane F. aber war erst 13, ein Kind noch. Trotzdem hatte sie schon das halbe Leben hinter sich. Schon die Vorstellung war ein Schock.

Jetzt hat Amazon Prime ihre Geschichte neu verfilmt. Christianes verkorkste Kindheit und Jugend, in acht Folgen à 60 Minuten. Es ist ein gewagtes Unternehmen. Der Mythos der „Kinder vom Bahnhof Zoo“ ist zwar unkaputtbar. Ein Narrativ, das zum Kulturerbe des Nachkriegsdeutschlands gehört. Es war David Bowie, das Idol von Christiane F., der diesen Kindern ein Denkmal in Form einer kaputten Hymne gesetzt hat: „Heroes.“ Ein Fixer, auch er. Hohlwangig, androgyn, der Wirklichkeit entrückt. 

Wer kennt heute noch Junkies? 

Aber die Figur des Junkies ist inzwischen völlig aus der Zeit gefallen. Heroin ist schon lange keine Modedroge mehr. Wir leben in einer Zeit der Selbstoptimierung. Sie verlangt eher nach Aufputschmitteln wie Kokain und Amphetaminen statt nach Drogen, die uns entrückt lächelnd ins Nirvana katapultieren.

Fit for Fun lautet das Credo. Instagram macht es vor. Aus Menschen sind hochglänzende Benutzeroberflächen geworden. Bilder von Fixern mit fettigen Haaren und verschlissenen Klamotten passen da nicht rein. Keine guten Voraussetzungen für ein Remake des Films, den der Regisseur Uli Edel 1981 mit der damals 13-jährigen Nadja Brunckhorst als Christiane F. gedreht hat. Wer will sowas heute noch sehen?

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Bernd Muhlack | Mo., 22. Februar 2021 - 17:41

Sehr gut Frau Hildebrandt!

Natürlich sah ich/wir damals den Film, (fast) jeder hatte das Buch; der Einband war grottenschlecht, die Seiten fielen beim Lesen heraus!

Ich hasse solche Remakes, das ist wie bei "Das Boot"!
Man kann das nicht "remaken", perfekt ist eben perfekt!

David Bowie!
Ich habe ihn x-mal live gesehen: das Chamäleon!
Rock am Ring war damals bärenstark; trotz Wind, Regen, Kälte: die Eifel eben, gell?

We can be Heroes, just for one day
We can be us, just for one day
I, I can remember …

Wenn ich mir bei solchen events unsere heutigen Polit-Darsteller vorstelle - OHA!
"Der kleine Heiko will vom Pils-Stand abgeholt werden! Er kann nicht mehr"

Welche Drogen aktuell angesagt sind weiß ich nicht; ich bin selten beim Görli, wohne in Nordbaden.
Natürlich gibt es diese Szene noch. In der FAZ alle paar Wochen ein Update ob Ebene B des HBF Ffm; fest in Dealer-Hand.

Für wen soll dieses Remake sein?
Weder für meine Generation noch die Jugend!
Dinge die die Welt nicht braucht!

Andre Möller | Di., 23. Februar 2021 - 10:32

Ich sehe in dem Versuch des Remakes einen blinden Hedonismus am Werke, einer, in dem die Wirklichkeit, (unangenehme) Tatsachen und schlicht subjektiv Unpassendes nicht hineingehören dürfen. Eben die totale Ausblendung von allem, was den woken Zeitgeist stören könnte. Das ist Selbsbetrug, wie er in der linksgrünen Blase üblich ist: Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt. Ich kann mit Frau Hildebrandts Artikeln meist nicht viel anfangen, aber der hier: Respekt. Übrigens gilt die Ikonisierung Christiane F´s nicht für den östlich sozialisierten teil des Landes (oder sehr sehr viel weniger...)

Heidemarie Heim | Di., 23. Februar 2021 - 10:43

Keine Ahnung was einen Instagram Look ausmacht liebe Frau Hildebrandt! Ich weiß nur, das die oben abgebildeten Personen so wenig mit dem elenden Leben der Buchautorin und ihren ehemaligen Szenekumpeln gemein haben, wie Sie und ich mit dem finalen "Goldenen Schuss" auf irgend einer versifften Toilette Berlins. Christiane wäre mit den heutzutage konsumierten Stoffen allerdings noch schneller und tiefer gefallen, vor allem körperlich abgewrackter und lebenslang gezeichnet. Schauen Sie sich mal die vorher-nachher-Fotos von christal meth- Konsumenten aus den USA an, mit ihren ausgefallenen Zähnen, offenen Geschwüren und innerhalb kürzester Frist gealtert mit irreparablen Schäden. Aber man kann es inzwischen live vor nahezu jedem deutschen Bahnhof erleben wenn man der Realität einem Instagram-geschönten Abklatsch den Vorzug geben möchte.
PS: Als erstes sollte die Regierung ein Gesetz erlassen, dass auf jedes vertickte Päckchen Stoff so ein Foto drauf muss wie bei den Kippen! Soll helfen!

gabriele bondzio | Di., 23. Februar 2021 - 11:04

Eigentlich sollte der Film (Orginal) ja eher abschreckend auf auf den Einstieg in die Drogenszene wirken. Aber was ich jetzt so gelesen ist eher eine glorifizierende Wirkung herausgekommen.
Der „Drogenbericht in der Pandemie“ zeigt ja auch auf, dass Suchtproblematiken sich verschärft. Haben. Wenn Freizeitaktivitäten derart zurückgefahren werden, verschlechtert sich auch die psychische Gesundheit Jugendlicher. Pubertätsbedingte Schwierigkeiten münden dann eher zu einem Griff nach Stimulanzen.
Und dann so ein glorifizierender Abklatsch...

Christoph Wirtz | Di., 23. Februar 2021 - 16:49

Jungschauspieler, die die Maskenbildnerin auf "wild" hergerichtet hat. Selbst die Kleidung sieht eher nach Laufsteg denn nach Gosse aus, sorgsam ausgewählt.