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Gedenktafel in der Hanauer Innenstadt: Vor einem Jahr starben hier 9 Deutsche, weil sie ausländische Wurzeln haben / dpa

Was bleibt vom Terroranschlag in Hanau? - Bitte keine warmen Worte vom Bundespräsidenten

Ein Jahr nach dem Terroranschlag von Hanau gedenkt die Stadt der Opfer. Das Verbrechen sollte zum Wendepunkt im Kampf gegen Rechtsextremismus werden, doch davon haben die Hinterbliebenen wenig gemerkt. Zur Wut auf den Rechtsstaat kommt jetzt noch die Angst vor dem Vater des Täters.

Antje Hildebrandt

Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Es ist jetzt ein Jahr her, dass diese neun Namen plötzlich in den Schlagzeilen auftauchten. Hanau, der 19. Februar 2020. Ein bewaffneter Mann betritt abends eine Shisha-Bar in der Innenstadt und schießt um sich. Scheinbar wahllos, doch die Opfer haben eines gemeinsam. Alle sind zwar deutsche Staatsbürger, acht Hanauer Jungs, eine Frau. Doch sie haben ausländische Wurzeln, deswegen hat der Täter sie ausgesucht.

Das hat diesen Terroranschlag zum Politikum gemacht. Menschen mussten sterben, weil sie nicht in das Weltbild eines Mannes passten. In einem wirren Bekennerschreiben träumte er davon, ganze Völker „auszurotten“, weil sie, so die krude Begründung, „sich in ihrer Historie als nicht leistungsfähig erwiesen haben.“ Der Täter, Tobias R., hat sich nach dem Anschlag selbst erschossen. Er war psychisch krank. Ein Gutachter hat ihm posthum Anzeichen für eine paranoide Schizophrenie attestiert. Das erklärt diese Tat zumindest teilweise. Es entschuldigt sie aber nicht. 

Keine Lust auf warme Worte vom Bundespräsidenten 

Heute Abend wird die Stadt Hanau der Opfer gedenken. Der Bundespräsident wird den Hinterbliebenen in warmen Worten sein Mitgefühl aussprechen und zum wer weiß wievielten Mal versichern, dass die Politik alles tun werde, damit sich so etwas wie in Hanau nicht wiederholt. Es ist ein Versprechen, was keiner einhalten kann.

Der Anschlag von Hanau sollte zum Wendepunkt im Umgang mit Rechtsextremismus werden, so hatte es ein Kabinettsausschuss verkündet, der im März als Reaktion auf das Verbrechen gegründet worden war. Ein „starkes Signal“ wollte er senden. Zum ersten Mal räumte der Bundesinnenminister ein, dass vom Rechtextremismus die größte Bedrohung für die öffentliche Sicherheit ausgehe.

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Markus Michaelis | Fr., 19. Februar 2021 - 17:44

Zu entschuldigen ist da gar nichts. Warum kommen psychisch kranke Menschen an Waffen? Wie geht eine freie Gesellschaft und ein Rechtsstaat damit um, dass gewalttätige Menschen erst gewalttätig werden müssen, bis der Staat die Gesellschaft vor diesen schützen kann? Wir wollen keine Rechtsextremen, die Gewalt in Strukturen einbettet, gegen die Menschen chancenlos werden.

Das ist richtig, aber alle (?) empfinden es trotzdem als "nur Reden", obwohl sich zu diesen Punkten glaube ich fast alle ehrlich einig sind.

Es geht um Misstrauen und die Angst von Minderheiten vor Rechtsextremen und der Mehrheitsgesellschaft. Aber auch das ist nur ein Teil. Ein anderer Teil besteht aus vielfältigen gesellschaftlichen Umbrüchen, die uns alle noch länger begleiten werden - davon ein Teil ist eher, dass die Mehrheitsgesellschaft schwächer geworden ist (statt dominanter; sich auch aus sich ändern will) und daher Umbrüche notwendig macht, neue Strukturen aber noch nicht gefunden sind.

Tomas Poth | Fr., 19. Februar 2021 - 18:02

Das Gutachten des Prof. Saß, das dieser im Auftrag der Bundesanwaltschaft erstellt hat, bescheinigt dem Täter eine paranoide Schizophrenie mit wahnhaften Vorstellungen. Zwei andere Gutachter kamen zu dem gleichen Ergebnis.
Also ein "Psycho" Einzelgänger, der instrumentalisiert wird um die Legende vom Rechtsextremismus/Terrorrismus zu bedienen.
Das ist reines politisches Kalkül.

Yvonne Stange | Fr., 19. Februar 2021 - 20:04

Antwort auf von Tomas Poth

Und gleichzeitig werden damit alle psychisch Kranken unter einen Vorverdacht gestellt, ebenfalls rechtsextreme, tickende Zeitbomben zu sein! DAS ist unverantwortlich. Hätte mir so einen Bohei um die Opfer vom Breitscheidplatz auch gewünscht.

Kai-Oliver Hügle | Fr., 19. Februar 2021 - 21:44

Antwort auf von Tomas Poth

Der Vollständigkeit halber zitiere ich einige Formulierungen, die Sie - vermutlich aus "politischem Kalkül" - ausgelassen haben.
Schon ein Blick auf die Namen der Opfer beweist, dass es der Attentäter gezielt auf Menschen abgesehen hatte, die er als "unwertes Leben" bezeichnet bzw. von denen er sagt, "dass nicht jeder, der heute einen deutschen Pass besitzt, reinrassig und wertvoll ist". Zitiert in:

https://www.hessenschau.de/panorama/hanauer-attentaeter-wahnsinnig-und-…

Im Gegensatz zu Ihnen (und Frau Stange) sind die zuständigen Gutachter davon überzeugt, dass der Attentäter, auch er ein Anhänger Trumps übrigens, nicht nur paranoid-schizophren war, sondern dass diese Persönlichkeitsstörung eingebettet war in eine "rechtsradikalen Ideologie", die "fremdenfeindliche, rassistische und völkische Elemente" enthalten habe.

Es spricht Bände, dass Sie dies verschweigen - und glauben, dass es niemand merkt...

Tomas Poth | Fr., 19. Februar 2021 - 22:26

Antwort auf von Kai-Oliver Hügle

... wie per Gutachten festgestellt, der ist einfach nur Krank und nicht mehr zurechnungsfähig, - tötet sich selbst und sogar seine Mutter.
Das passt wohl auch in die von Ihnen so unterschwellig erwähnte Bildergalerie, Hr. Hügle?
Die öffentliche Darstellung, hat bei Ihnen gefruchtet, auch in der Doppelmoral.
Was glauben Sie was sie alles bei psychisch Kranken Menschen erleben können, und sie instrumentalisieren diese für ihre politischen Präferenzen.

Welchen Teil von "der Vollständigkeit halber" haben Sie denn nicht verstanden? Das Gutachten, aus dem ich im Folgenden nochmals ZITIERE, spricht von klaren Anzeichen einer paranoiden Schizophrenie, was ich weder bestritten noch unterschlagen habe!
Auf die Persönlichkeitsstörung sei jedoch eine »rechtsradikale Ideologie« aufgesetzt gewesen, die »fremdenfeindliche, rassistische und völkische Elemente« enthalten habe.
Der Sachverständige Saß, ein forensischer Psychiater, beschreibt die Gedankenwelt des Täters als »eigentümliche Amalgamierung«, bei der »krankheitsbedingte Fantasien« und »politisch-ideologischer Fanatismus« untrennbar verwoben gewesen seien.

https://www.spiegel.de/panorama/justiz/hanau-anschlag-neues-gutachten-z…

Die Diagnose umfasst also zwei Aspekte, von denen Sie nur den erwähnen, der es Ihnen ermöglichen soll, das Attentat als nicht politisch motiviert zu relativieren.
Ein plumper Versuch!

A. Friedrich | Sa., 20. Februar 2021 - 15:06

Antwort auf von Kai-Oliver Hügle

Nein, das ist anders zu verstehen. Eine paranoide Schizophrenie vollzieht sich ja nicht im luftleeren Raum, sondern im Rahmen der jeweils vorherrschenden gesellschaftlichen Strömungen bzw politischen Einrichtungen. Zu DDR Zeiten z.B. konnte das vorherrschende Feindbild der paranoiden Erkrankungen die Stasi sein. Im vorliegenden Fall nährt sich die kranke Psyche aus der extremen Fremdenfeindlichkeit, die es ja tatsächlich gibt. Das ist schlimm genug.

Christa Wallau | Fr., 19. Februar 2021 - 22:05

Antwort auf von Tomas Poth

Die Tat eines Geisteskranken wird schamlos und fortlaufend instrumentalisiert.

Statt daß sich die zuständigen Behörden fragen, was sie evtl. hätten tun können, um diesen - bekanntermaßen - schizophrenen Mitbürger zu beobachten u. ihm auf jeden Fall die Schußwaffe abzunehmen, weisen sie mit allen Fingern auf Menschen, die nicht das Geringste mit diesem Attentäter zu tun hatten und sein Verbrechen ebenso verurteilen wie andere.

Tobias Rathjen wurde nicht zum Mörder aus politisch-religiösen Motiven, sondern
aus einem kranken Geist heraus. Er litt unter Verfolgungswahn u. Angstzuständen, die ihn in den Haß auf alle trieben, die er für seine Lage verantwortlich machte.
Anderenfalls hätte er ja auch seine Mutter nicht umgebracht.

Derartige Taten von Geistesgestörten lassen sich niemals vermeiden und auch niemals sühnen; denn die Täter sind schuldunfähig.
Das ist tragisch, aber absolut kein Grund dafür, das schreckliche Geschehen anderen in die Schuhe zu schieben.

Bernd Muhlack | Fr., 19. Februar 2021 - 19:59

Vielen Dank für Ihren Artikel ...
Kürzlich wurde hier ebenfalls Ihr damaliger Artikel nochmals veröffentlicht - PRIMA!

Nein, keine "Aufrechnungen" mit Rechts-Links-2-3-4- Taten - das ist sinnfrei, nicht wahr?

Zu BP Steinmeier et co. hülle ich wie meist besser den Mantel des Schweigens.
Sämtliche BP vor ihm waren weitaus besser!
Richard von Weizsäcker bleibt mMn die "Lichtgestalt", nicht wahr?
"Der Tag der Befreiung!" usw. usf.
---------------------------

"Zur Trauer kommt die Angst vor dem Vater..."
... den Brüdern...der "Familie" - ergänzend ...
Ich erwähnte hier ab und an olle Prozesse, damals als Referendar; es hat sich nichts geändert.
"Wir hacken dir die Beine ab und dann"... etc

Jedwede Diskussion, der schlichte Versuch ist in 2021 müßig, obsolet, nicht wahr?
WAHL-O-MAT_innen?
WIR haben in 2021 etliche Wahlen, so LD, Corona will.

Der NSU-Prozess?
Bei Interesse und viel Zeit informieren ...
just a start up:
https://de.wikipedia.org/wiki/NSU-Prozess

Revision - qui bono?

Urban Will | Fr., 19. Februar 2021 - 22:57

Attentat vom Breitscheidplatz und ob diesem je überhaupt in ähnlicher Form gedacht wurde, ist mir nicht in Erinnerung. Nein, ich möchte nichts gegeneinander aufwiegen.
Ich möchte einfach nur anmerken, dass es die Bewohner eines Landes, Menschen unterschiedlicher Herkunft (darf man das noch sagen?) nicht unbedingt eint, wenn Unterschiede in der Wertigkeit von Verbrechen so offensichtlich auch seitens der hohen Politik und vor allem der Medien zum Ausdruck gebracht werden. Wohl nirgends liegen diese Unterschiede klarer vor wie bei diesen beiden Verbrechen.
Und mit Respekt entnehme ich diesem Beitrag hier die wohlklingende Botschaft von Newroz Duman, auf die „warmen Worte“ unseres hochverehrten Herrn Bundespräsidenten verzichten zu wollen.
Und ein Kompliment an Sie, Frau Hildebrandt, den eigentlich zu erwartenden Querverweis auf eine eigentlich ja doch irgendwie existierende „Mitschuld“ der Blauen haben sie weg gelassen. Vielleicht aus Einsicht. Es wäre auch nichts anderes als Spaltung.

Schön Herr Will, daß Sie hier an den Breitscheidplatz erinnern.
Warme Worte vom BP? Warum auch? Es ging um das Attentat am weih-
nachtlichen Breitscheidplatz in Berlin .Attentäter war der international gesuchte
syrische "Flüchtling Anis Amri. Er tötete 12 Deutsche und hinterließ 67 zum Teil schwerstverletzte Deutsche.

Die Opfer waren, wie bereits von mir erwähnt, nur Deutsche. Auch an sie
sollte wieder einmal gedacht werden. Den vergessenen Angehörigen wäre
dies endlich ein nachträglicher Trost.

Daß mein Kommentar veröffentlicht wird, bezweifle ich.

Helmut Bachmann | Fr., 19. Februar 2021 - 23:55

Der Täter wäre niemals ins Gefängnis gekommen, er war schuldunfähig. Ihm wurde die paranoide Schizophrenie nicht etwa unterstellt, sie ist für jeden, der ein wenig Ahnung hat offensichtlich. Daraus eine Persönlichkeitsstörung zu konstruieren, dürfte dazu dienen, doch ein wenig Schuldfähigkeit unterzubringen. Schließlich passt es manchem sehr schön, wenn der Täter ein Nazi gewesen wäre. Sein Wahnsystem war jedoch so durch und durch von Hass auf alles Mögliche geprägt, dass man ihn wohl eher als Alleshasser sehen muss, mit wechselnden Opfergruppen. Aber das wäre ja untauglich für die politische Ausschlachtung. Dass es niemandem aufgefallen ist, dass der Mann, der so einen Wahnsinn gedacht hat, einen Waffenschein hat, ist das eigentlich Schlimme. Man beschäftige sich mit seinem „Manifest“ und höre nicht auf die, die diese Tragödie politisch instrumentalisieren. Da wird für jeden, der will, alles etwas deutlicher.

Johan Odeson | Sa., 20. Februar 2021 - 07:20

„Das erklärt die Tat zumindest teilweise. Es entschuldigt sie aber nicht.“
Nach den Grundsätzen unseres Strafrechts hängt eine Strafbarkeit an den subjektiven Tatbestandsmerkmalen, nämlich an der individuellen Schuld. Der Täter ist Schuldunfähig und wäre, hätte er überlebt, nicht wegen Mordes verurteilt, sondern in eine psychatrische Klinik eingeliefert worden. Die Tat ist damit „entschuldigt“. Ob sie auf Grund des familiären Umfeldes erklärlich ist, ist hier vielmehr die Frage. Gerade werden auf Twitter „passende“ und „unpassende“ Opfer von Terror und Gewalt in der politischen Debatte gegeneinander aufgerechnet. Hanau, das sind meine Toten, Breitscheidplatz sind deine Toten. Aus der Sicht der Opfer und dem Leid der Familien ist das allerdings völlig egal. Ich finde die jeweilige politische Instrumentalisierung einfach nur entsetzlich.

Jens Böhme | Sa., 20. Februar 2021 - 08:14

Einem Täter, dem psychische Störungen und Ähnliches attestiert, zum Rechtsextremisten zu machen, geht nicht gut. Er hat mit Sicherheit rassistische Motive gehabt. Rassismus ist kein Alleinstellungsmerkmal für Rechtsextremismus, siehe z.B. den muslimischen Antisemitismus.

Dieter Freundlieb | Sa., 20. Februar 2021 - 09:02

Sehr geehrte Frau Hildebrandt,
wie immer, wenn ich Ihre Artikel lese, finde ich vieles, mit dem ich übereinstimme. Aber meistens gibt es auch ein, zwei Punkte, die ich kritisieren möchte.

Sie schreiben: "Eine Familie wurde aufgefordert, von 'Blutrachegedanken' Abstand zu nehmen. Es ist dasselbe Muster wie nach den NSU-Morden. Die Opfer werden zu Tätern gemacht."

Wenn die Polizei, wohl aus Erfahrungsgründen, Hinterbliebene vor 'Blutrache' warnt, dann kann man das nun wirklich nicht als einen Fall von 'Die Opfer werden zu Tätern gemacht' bezeichnen. Das halte ich für unentschuldbar.

Mein zweiter Punkt ist: Wie kann es sein, dass Sie, wie übrigens auch der Deutschlandfunk heute Morgen, immer nur von neun Opfern sprechen? Dass der Täter auch seine wohl völlig unschuldige Mutter erschossen hat, scheint niemand mehr zu interessieren. Ob es Mord oder Totschlag war, kann ich nicht entscheiden. Aber die Mutter wurde getötet. Und niemand zählt sie zu den Opfern. Dafür gibt es Gründe.