
- Die gefesselte Republik
Die Corona-Krise deckt schonungslos auf, dass Deutschland seine Handlungsfähigkeit abhandengekommen ist. Denn der föderale Rechtsstaat erweist sich in Notsituationen als Schönwetterinstitution. Demokratie und Effizienz dürfen aber keine Gegensätze sein.
Das Drama nahm am 14. Oktober 2020 seinen Anfang. Nach Monaten hatte die Kanzlerin die Ministerpräsidenten wieder persönlich nach Berlin zum Gipfel geladen. Durch diesen symbolischen Akt sollte auch klargestellt werden: Die Lage ist ernst. Während in anderen europäischen Ländern die Infektionen bereits davongaloppierten, deutete sich eine ähnliche Entwicklung auch für Deutschland an.
Der Immunologe Michael Meyer-Hermann sollte an der Seite Merkels Deutschlands führende Politiker mit Modellrechnungen wachrütteln, aber es wollte nicht recht gelingen. Heraus kam ein politischer Formelkompromiss der Zögerlichkeiten. Konsequente Entscheidungen wurden vertagt. Nur wenige Stunden nach dem Gipfel musste der sichtlich zerknirschte Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) im ARD-Morgenmagazin eingestehen, dass die beschlossenen Maßnahmen „vermutlich nicht ausreichen“ würden. Was die Politik nicht geschafft hatte, sollten nun andere besorgen: „Deshalb kommt’s jetzt auf die Bevölkerung an.“ Das war der erste Teil einer politischen Kapitulationserklärung.