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Ein Teil des Welfenschatzes im Kunstgewerbemuseum Berlin / dpa

Restitutionsdebatte um den Welfenschatz - Der umstrittene Schatz

Der amerikanische Supreme Court entscheidet demnächst über die Zuständigkeit von US-Gerichten für Rückforderungen von NS-Raubkunst. Der Fall, der sich am sogenannten Welfenschatz festmacht, offenbart die Nachlässigkeit der deutschen Politik.

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Julien Reitzenstein befasst sich als Historiker in Forschung und Lehre mit NS-Verbrechen und Ideologiegeschichte. Als Autor betrachtet er aktuelle politische und gesellschaftliche Entwicklungen.

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Deutschland genießt immer noch weltweites Ansehen für seine hohe Rechtssicherheit. Die Bundesregierung tut viel dafür, dass dieser Eindruck aufrechterhalten wird, will man sich doch vom Unrechtsstaat der Nationalsozialisten abgrenzen. Das Eigentumsrecht haben die Vereinten Nationen im Artikel 17 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschrieben, auch der Artikel 14 des Grundgesetzes schützt Eigentum und Erbrecht. Jenes Grundgesetzes, das nach dem Willen seiner Mütter und Väter an so vielen Stellen implizit und explizit einen Kontrapunkt zum NS-Unrecht setzen und dem Rechtsfrieden dienen soll. Das ist beim Thema Raubkunst gründlich schief gegangen. 

Der Supreme Court der Vereinigten Staaten von Amerika soll dieser Tage über die Zuständigkeit von US-Gerichten für bestimmte Raubkunst-Rückforderungen bestimmen, welche auch deutsche Museen betreffen könnten. Konkret geht es um den so genannten Welfenschatz, einem Reliquienschatz des Braunschweiger Doms, der 1929 für 7,5 Millionen Reichsmark an ein Konsortium von drei jüdischen Kunsthändlern aus Frankfurt verkauft wurde und der von diesen wiederum in Teilen 1935 für 4,25 Millionen Reichsmark an den Preußischen Staat verkauft worden ist.

Eine amerikanische Nebenjustiz?

Vielerorts wird nun aufgeregt diskutiert: Bauen Trumps USA jetzt eine Nebenjustiz auf, der sich Deutschland unterwerfen muss? Wer sich in Deutschland nicht einigen kann, klagt zukünftig in den USA? Wird nun die deutsche Kulturlandschaft ruiniert – durch Verlust unzähliger Exponate einerseits und horrende Rechtskosten in den USA andererseits? Die einfache Antwort lautet, dass es in diesem Fall keine einfache Antwort gibt.

Aber es gibt doch zwei einfache Erkenntnisse. Erstens: Würde der Holocaust nicht seit Jahrzehnten in Deutschland mit ähnlichen Rechtsmaßstäben wie gewöhnliche Verbrechen gemessen, läge der Fall Welfenschatz heute nicht beim Supreme Court der USA. Zweitens: Zwar muss dieses Gericht nun eine Entscheidung treffen, aber der aktuelle Fall ist der denkbar ungeeignetste. So hat dieser Rechtsstreit zwei Ebenen, denn einerseits gibt es den ganz konkreten Fall, der den Welfenschatz in die Hände des NS-Staates brachte. Andererseits geht es um die Frage, an wen sich jemand wenden kann, der ein unabhängiges Gericht sucht, um seine Ansprüche oder die seiner Familie auf von den Nationalsozialisten geraubtes Eigentum überprüfen zu lassen.

Verkauf unter Wert

„Aufgrund der Verfolgungs- und Ausplünderungsmaßnahmen der Nationalsozialisten mussten Juden – meist unter Zwang – ihr Eigentum weit unter Wert an die Profiteure des NS-Staats verkaufen, sofern es sich der Staat nicht durch fingierte Steuerverfahren, Beschlagnahme oder andere Zwangsmaßnahmen aneignete“, sagt Rechtsanwalt Hannes Hartung, der seit 2002 Restitutionsverfahren sowohl auf Kläger- als auch Beklagtenseite begleitet. Zu den Geburtsfehlern der Bundesrepublik gehört es, dem weltgeschichtlich einmaligen Unrecht des Holocaust mit normalen Gesetzen begegnen zu wollen. Die Rechtsordnung ging und geht immer noch im Normalfall davon aus, dass zwei gleichberechtigte Vertragspartner ohne Zwang einen Vertrag abschließen, der gültig ist und für den es Belege gibt. Was aber, wenn jemand die Belege auf dem Weg nach Auschwitz bei sich hatte? Was, wenn die Erben, möglicherweise entfernte Verwandte, erst Jahrzehnte später in einem Museum ein Gemälde wiedererkennen, das auf einem alten Familienfoto über dem Sofa hängend abgebildet ist? Wie beweisen, dass es sich um Familieneigentum handelt?

Blamabel spät verabschiedete die Bundesrepublik 1956 das Bundesentschädigungsgesetz, dass zwar erlittene Schäden finanziell kompensiert, aber keine Rückgaben von Raubkunst regelte. Auch war die Antragsfrist derart kurz, dass viele Geschädigte die notwendigen Unterlagen nicht rechtzeitig beschaffen konnten. Ähnlich kurz waren die Antragsfristen des 1957 verabschiedeten Bundesrückerstattungsgesetzes, das die Rückgabe geraubten Eigentums regeln sollte. Darüber hinaus verjähren jedwede zivilrechtliche Ansprüche in Deutschland generell spätestens nach 30 Jahren. Hannes Hartung rügt, dass „der Bundesrat bereits 2002 eigene Verjährungsregeln für Raubkunst angemahnt hat, doch dies bis heute nicht umgesetzt wurde.“ 

Die Washingtoner Prinzipien

Nach zähen Verhandlungen unterschrieb die Bundesrepublik zwar 1998 die so genannten „Washington Principles on Nazi-Confiscated Art“, die sie und die anderen 43 Signatarstaaten sowie 13 nichtstaatliche Organisationen anhalten, „nach NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut zu suchen und gegebenenfalls die notwendigen Schritte zu unternehmen, eine gerechte und faire Lösung zu finden“. Für Streitfragen wurde die sogenannte „Beratende Kommission“ bei der vom Bund getragenen Stiftung Deutsches Zentrum Kulturgutverluste eingerichtet. Der Zürcher Rechtsanwalt Olaf Ossmann, der seit 30 Jahren zahlreiche Erben gegenüber Museen in aller Welt vertritt, bemängelt: „Deutschland hat bis heute die entsprechenden Washington Principles nicht in nationales Recht überführt, sondern hantiert mit einer Art ‚Soft Law‘, das heißt, die Beratende Kommission kann auf Antrag beider Streitparteien eine unverbindliche Empfehlung abgeben. Es gibt keine Form der Durchsetzung einer solchen Empfehlung und auch keine rechtliche Überprüfungsmöglichkeit.“ 

Weil es in Deutschland keine Möglichkeit gibt, Ansprüche auf Raubkunst von einem unabhängigen Gericht überprüfen zu lassen, kommen die USA ins Spiel, wie Ossmann erläutert: „Die USA, als maßgeblicher Gesetzgeber von Alliiertem Recht nach 1945 in Deutschland, haben im Foreign Sovereign Immunities Act von 1976 (FSIA) eine Ausnahmezuständigkeit der amerikanischen Gerichte bei Enteignung unter Verstoss gegen das Völkerrecht kodifiziert. Dazu gehörte bislang unstrittig jegliche Art von Vermögensveränderung bei Verfolgten des Naziregimes, soweit in deren Heimatländern keine ausreichende rechtliche Möglichkeit zur Rückerlangung des Eigentums bestand.“ Aufgrund des FSIA war es Maria Altmann möglich, erfolgreich fünf Bilder von der Republik Österreich zurück zu erstreiten, die schon lange vor dem deutschen Einmarsch im Besitz ihrer Familie waren. Darunter war das von Gustav Klimt gemalte Bild ihrer Tante Adele Bloch-Bauer, die „Goldene Adele“. Dieser Rechtsstreit ist Gegenstand des sehenswerten Films „Die Frau in Gold“, in dem Altmann von Helen Mirren verkörpert wird. 

Die SPK wird verklagt

2016 erließ der Kongress der Vereinigten Staaten ein weiteres Gesetz, den Holocaust Expropriated Art Recovery Act (HEAR). Dieses Gesetz erlaubt jenen, die durch die genozidalen Maßnahmen der Nationalsozialisten beraubt wurden, vor US-Gerichten zu klagen. Sofern der Beklagte in den USA kommerziell tätig ist, können US-Gerichte deshalb über Raubkunstfälle entscheiden. Da dies für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) zutrifft, in deren Hand der Welfenschatz liegt, wurde sie in Washington, D.C. auf Herausgabe verklagt. In zwei Instanzen bejahten US-Gerichte die Zulässigkeit der Klage. Die Stiftung hielt dagegen – und steht nun mit ihrer Haltung vor dem Supreme Court. "Wir sind der Überzeugung, dass der Welfenschatz-Fall nicht vor ein U.S. amerikanisches Gericht gehört und freuen uns, dass unsere Anwälte die Argumente dafür dem U.S. Supreme Court vortragen konnten“, sagt Hermann Parzinger, Präsident der SPK. „Neben der Tatsache, dass wir die Klage in den Vereinigten Staaten von Amerika nicht für zulässig halten, sind wir nach jahrelanger sorgfältiger Provenienzforschung auch der Auffassung, dass der Fall inhaltlich unbegründet ist, weil es sich um keinen NS-verfolgungsbedingten Zwangsverkauf handelt."

Doch es steht weit mehr als der Welfenschatz auf dem Spiel. Müsste dieser nämlich zurückgegeben werden, wäre das ein moralischer Sieg für sämtliche Opfer der von 1933 bis 1945 wütenden Rassisten - und deren Nachfahren. Jedoch drohte dann möglicherweise eine Prozesslawine, deren Kosten deutsche Kultureinrichtungen oft überfordern dürften. Anders als viele Beobachter meinen, ist der Fall des Welfenschatzes nun aber kein so klarer Sachverhalt, als dass die neun obersten Richter der USA ihn ebenso einfach beurteilen können, wie all die „gewöhnlichen“ hunderttausendfachen Raubkunstfälle. Worum geht es also?

Ein Schatz aus Braunschweig

Der seit fast 1.000 Jahren laufend vergrößerte Kirchenschatz des Braunschweiger Doms ist seit Jahrhunderten im Eigentum des Fürstengeschlechts der Welfen. Deren damaliges Oberhaupt Herzog Ernst-August III. von Braunschweig-Lüneburg musste ihn in den 1920er Jahren zu Geld machen, zu einer Zeit, als die Preise am Kunstmarkt ungeahnte Höhen erreichten. Mit einer Kaufpreisvorstellung von 24 Millionen Reichsmark für die 82 Stücke des Schatzes bot er wohl kein Schnäppchen an, aber es war am Kunstmarkt nicht unüblich, im Falle berühmter Einzelstücke ohne Vergleichspreise die Preisvorstellungen zunächst am obersten Ende zu kommunizieren („asking price“).  Noch während viele Interessenten den Preis als sehr hoch oder zu hoch einschätzten, brach 1929 während der Verkaufsbemühungen die Weltwirtschaftskrise über Deutschland hinein. Der Kunstmarkt erlitt massive Einbrüche.

In seiner Not bot Ernst-August der Stadt Hannover den Schatz für nur mehr 10 Millionen an und legte auch noch die berühmten Herrenhäuser Gärten drauf. Doch aufgrund des desolaten Haushalts musste die Stadt abwinken. So übertrug der Herzog im Oktober 1929 die Verwertung der 82 Stücke für einen Mindestpreis von 7,5 Millionen Reichsmark einem Konsortium, denn eine solch gewaltige Summe hätten damals auch ohne Weltwirtschaftskrise nur wenige Privatleute aus eigener Tasche aufbringen können. Aufgrund der Weltwirtschaftskrise konnten die Händler des Konsortiums bis 1932 nur 40 der 82 Kunstwerke verkaufen - viele in die USA - und dafür nur rund 1,5 Millionen Reichsmark erlösen. Die restlichen Stücke mussten ab 1932 also für rund sechs Millionen Reichsmark verkauft werden, damit keine Verluste entstanden. Eine Bewertung in dieser Höhe war nach Ansicht von Experten durchaus ambitioniert, aber auch nicht gänzlich utopisch. 

Die Geschäfte gingen 1933 zurück

Das Konsortium bestand auf den ersten Blick aus drei nach außen auftretenden Frankfurter Kunsthandelsunternehmen. Diese hatten teilweise einen Inhaber, teilweise mehrere. Zudem gab es zahlreiche Finanziers, die ebenfalls Konsortialanteile hielten. Manche dieser Anteile wechselten über die Jahre die Besitzer, auch innerhalb des Konsortiums. Die Details sind unbekannt, der Konsortialvertrag und die weiteren Verträge scheinen in den Wirren von Weltkrieg und Holocaust verloren gegangen zu sein. Nun handelte es sich bei den nach außen auftretenden Händlern des Käuferkonsortiums aber um jüdische Kaufleute, und 1933 kamen die Nationalsozialisten an die Macht.

Als Juden waren die Händler in denkbar schlechter Position. Und dies nicht allein unmittelbar aufgrund der beginnenden Judenverfolgung, sondern auch mittelbar, da viele Käufer sich aufgrund der Verfolgungen scheuten, bei Juden zu kaufen. So gingen die Geschäfte des jüdischen Kunsthandels im gesamten Reich rapide zurück. Im Welfenschatz war jedoch viel Kapital gebunden. Dies wird Mancher dringend zurück gebraucht haben, um die wirtschaftlichen Auswirkungen der NS-Diskriminierungen zu kompensieren. Zudem wollten auch die im In- und Ausland sitzenden jüdischen und nichtjüdischen Finanziers des Konsortiums irgendwann ihr Kapital verständlicherweise wiedersehen.

Preußen greift zu

Viele der in den 1920er Jahren von Banken vergebene Kredite stellten sich nach der Weltwirtschaftskrise als notleidend heraus. Sie waren oft mit Kunstwerken besichert, besonders oft bei den von der Dresdner Bank verwalteten Krediten. So begannen denn Verhandlungen mit den Berliner Museen als potentiellen Käufern dieser Sicherheiten, welche die Bank zu Geld machen wollte. Diese bank- und museumsgeschichtlich bemerkenswerten Zusammenhänge erklärt die Provenzienz-Professorin Lynn Rother, eine der weltweit führenden Wissenschaftlerinnen auf diesem Sektor, in ihrem detailliert recherchierten Standardwerk „Kunst durch Kredit“. Kurz zusammengefasst, waren die Berliner Museen bereit, das sehr gemischte Kunstportfolio der Bankseite zu übernehmen, wenn dieses um andere attraktive Kunstwerke vom freien Markt ergänzt würde. Und dazu zählte der Welfenschatz, der eine ungeheure Bereicherung für die Berliner Museumslandschaft sein würde.

Auf diesem Wege gelangten trotz ihrer komplexen Eigentümer- und Verkäuferstruktur die verbleibenden 42 Stücke des Welfenschatzes in die Hand des Staates Preußen und – mit Zwischenstationen – in die heutige SPK. "Bei dem Welfenschatz-Geschäft handelte es sich nach unserer Meinung nicht um einen NS-Restitutionsfall. Unsere sorgfältigen Recherchen haben gezeigt, dass der Preis angemessen war, und dass die Händler frei über den gezahlten Preis verfügen konnten“, sagt SPK-Präsident Parzinger. Genau dies ist aber springende Punkt: Restitutionsfälle liegen auch dann vor, wenn der Kaufpreis zwar angemessen war und der Verkauf auch ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus zustande gekommen wäre, aber die Verkäufer nicht frei über den Verkaufserlös verfügen konnten. Denn oft musste dieser auf ein Sperrkonto eingezahlt werden, über das die Verkäufer nicht frei verfügen konnten. Kritiker monieren, dass die Tatsache, dass einige Verkaufsbeteiligte Teile des Erlöses aus dem Welfenschatzverkauf ins Ausland überwiesen bekamen, allein noch nichts aussage. Denn ohne zu prüfen, welche Auswirkungen dies auf ihr in Deutschland liegendes Vermögen hatte, könne man die freie Verfügung nicht annehmen.

Keine Verfügung über den Verkaufserlös?

Drei Nachfahren einiger Inhaber der drei Frankfurter Konsortialunternehmen, bestreiten die freie Verfügung über den Verkaufserlös. Alan Philipp, Enkel des Kunsthändlers Zacharias Hackenbroch, Gerald Stiebel, Großneffe des Kunsthändlers Isaak Rosenbaum, und Jed Leiber, Enkel des Kunsthändlers Saemy Rosenberg, verweisen darauf, dass Juden im Nationalsozialismus eben keine gleichberechtigten Handelspartner gewesen seien. Nachdem die SPK deren Ansprüche abgewiesen hatte, wandten sich die Kontrahenten an die Beratende Kommission. Diese befand: „Der Kaufvertrag wurde am 5. Oktober 1929 von den Inhabern der Kunsthandelsfirmen J.S. Goldschmidt, I. Rosenbaum und Z.M. Hackenbroch unterzeichnet. An dem Kauf waren ‚in- und ausländische Geschäftsfreunde‘ beteiligt, die mit den verfügungsberechtigten Kunsthändlern ein Konsortium bildeten.

Der Konsortialvertrag konnte bisher nicht aufgefunden werden. Die Zusammensetzung und rechtliche Struktur des Konsortiums sind nicht bekannt.“ Die Kommission sprach sich gegen eine Rückgabe aus. Für die SPK stellt sich zudem die Frage, wem genau sie denn einen Schatz zurückgeben solle, wenn unklar ist, wem genau er gehört hatte und wie viele Nachkommen dieser Voreigentümer es geben könnte. Hermann Parzinger verweist auf die Forschungen der SPK. Sie hätten ergeben, „dass der Welfenschatz zum Zeitpunkt des Verkaufs im Jahr 1935 nicht nur den drei Unterzeichnern des Kaufvertrags gehört hat, deren Nachfahren heute Kläger im Verfahren sind. Das ist in unserem Bericht auch dargestellt". 

Kein gleichberechtigter Vertragspartner

Anwalt Ossmann, der ähnliche Fälle vor die Beratende Kommission gebracht hat, gibt den Klägern in einem wichtigen Punkt recht: „Die Kommission beurteilte den Kaufvorgang isoliert und allein nach zivilrechtlichen Gesichtspunkten. Das Konsortium wurde behandelt, als hätten zu diesem Zeitpunkt für deren Partner volle Vertragsfreiheit und Privatautonomie bestanden. Dies ist aber der grundlegende Fehler, den die Alliierten bereits in der Anwendung des Wiedergutmachungsrechts in der Nachkriegszeit bemängelten und entsprechende Urteile aufhoben. Die für den Preußischen Staat auftretende Dresdner Bank stellte gerade keinen gleichberechtigten Vertragspartner dar. Im heutigen Verständnis würde man von einer klassischen ‚Äquivalenzstörung‘ sprechen.“ Ossmann ist überzeugt, dass es für jeden Kunsthändler problematisch geworden wäre, der Dresdner Bank, die in großem Stile Kunsthandel finanziert habe und selbst an zahlreichen Konsortien beteiligt gewesen sei, einen Wunsch abzuschlagen. Dies habe schnell Auswirkungen auf andere Geschäfte haben können. Nach dem ablehnenden Votum der Beratenden Kommission ließen die Erben Stiebel, Philipp und Leiber die Zuständigkeit von US-Gerichten in Washington, D.C. prüfen. Sie obsiegten in zwei Instanzen und stehen nun mit dieser Frage vor dem Supreme Court. 

Es ist also eine denkbar ungünstige Konstellation, mit der sich dieses Gericht nun befassen muss. Ein klarerer Fall wäre allseits wünschenswerter, auch und gerade um die Frage zu klären, unter welchen Umständen eine Klage in den USA nun genau zulässig ist. „Aber diesen Fall hätte gar nicht vor den Supreme Court führen müssen. Das jahrelange sorglose Aussitzen des größten Raubzuges der Weltgeschichte, der halbherzige Schlendrian nach dem Auslaufen des Bundesrückerstattungsgesetzes und Bundesentschädigungsgesetz vor vielen Jahrzehnten, die zögerliche Umsetzung der Washington Principles in vielen Museen waren keine erfolgreichen Strategien. Es ist nun an der Zeit, dass die Bundesregierung Erben von Beraubten eine verbindliche rechtliche Klärung in Deutschland ermöglicht“, urteilt Hannes Hartung. 

Wurden die Probleme ausgesessen?

Am einfachsten wäre es, die Washington Principles in nationales Recht zu überführen und den Rechtsweg für streitige Verfahren zu öffnen. Will die Regierung eine empörungsgeladene Neiddebatte verhindern, muss sie nur auf zwei Sachverhalte sehr deutlich hinweisen: Kunstwerke in staatlicher Hand, beispielsweise Museen, machen nur einen kleinen Teil aller geraubten Kunstwerke aus, von denen viele heute nicht nur in aller Welt verstreut sind, sondern auch die Wohnzimmerwände deutscher Privathaushalte schmücken. Diese kann niemand mehr zurückfordern, denn die Ansprüche der eigentlichen Eigentümer hat der Gesetzgeber verjähren lassen. Zudem waren Kunstgegenstände nur ein kleiner Teil des geraubten Eigentums deutscher und europäischer Juden. Fabriken, Fahrzeuge, Land- und Forstwirtschaft, Aktien, Immobilien und so vieles mehr gehörte den sechs Millionen ermordeten Juden. Die Entschädigung der wenigen Juden und ihrer Erben, die nach dem Krieg sowohl noch lebten, als auch binnen der kurzen Fristen Ansprüche stellen konnten, betrug aber jeweils nur einen Bruchteil des erlittenen Verlusts.

Es droht bei der Überführung der Washington Principles in deutsches Recht durchaus kein unüberschaubarer Verlust für deutsche Museen. Experten schätzen, dass höchstens 1% der Museumsbestände überprüft werden müsste, bei denen es sich dann zu einem Teil um Raubkunst handeln könnte. Ein geringer Preis für eine große Verantwortung! Hermann Parzinger betont: „Für die SPK sind die Washingtoner Prinzipien zentrale Richtschnur ihres Umgangs mit Fragen zu NS-Raubgut. Seit 1999 hat die SPK mehr als 50 Restitutionsbegehren bearbeitet und dabei mehr als 350 Kunstwerke und mehr als 1500 Bücher an die Berechtigten zurückgegeben.“ 

Ein deutscher Rechtsweg

Auch andere Häuser setzen bei eindeutigen Fällen von Raubkunst auf eine faire und gerechte Lösung. Für die verbleibenden streitigen Fälle wäre die Eröffnung des Rechtsweges in Deutschland auf vielen Ebenen vorteilhaft. Denn wer einen vergleichsweise günstigen Rechtsweg in Deutschland beschreiten kann, wird eher nicht kostenintensiv in den USA klagen. Nach dem Vorbild der nur an wenigen Landgerichten angesiedelten und deutschlandweit zuständigen Pressekammern könnten mit entsprechendem Rechtssachverstand und bundesweiter Zuständigkeit ausgestattete Kammern geschaffen werden, die streitige Ansprüche überprüfen.

Die Beratende Kommission sowie das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste wären dennoch nicht überflüssig. Ihr großer Wissensschatz stünde den Parteien eines solchen Rechtsstreits weiter zur Verfügung und deren Stellungnahmen hätten sicherlich auch in einem Verfahren vor einem ordentlichen Gericht großes Gewicht. Das Verfahren vor dem Supreme Court muss ein Weckruf für die Bundesregierung sein, der Empfehlung des Bundesrats von 2002 zu folgen. Ein beherztes Handeln in nächster Zukunft wäre ein großer Gewinn für die Glaubwürdigkeit deutscher Gedenkkultur. 
 

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Karl-Heinz Weiß | Mo., 25. Januar 2021 - 12:58

Eine sehr interessante Darstellung, die zum Vergleich mit der Berichterstattung im CICERO zum Fall Hohenzollern einlädt. Im Gegensatz dazu handelt es sich eindeutig um früheres Privatvermögen, während die Hohenzollern ihr Vermögen der Stellung als staatliche Akteure verdanken. Wie bekannt, nicht durchgängig zum Wohle Deutschlands.

Raubkunst? Sind US-Gerichte die Herren der Welt ?Wie steht es mit den Reparationsforderungen Polens aus einem Zweiten Weltkrieg (1939-1945!!!) an einen deutschen Staat im Jahre 2021?Man hört,daß tatsächlich für einen polnischen Staat die Möglichkeit bestünde,bei Ablehnung Deutschlands,vor einem "Weltgericht"in den USA zu klagen.Dort ist wohl verbindlicher Gerichtsstand für jede Ungeheuerlichkeit gegen andere Staaten? Wer klagt dort einmal gegen die US-Schwerverbrechen der US-Geschichte? Was soll das? Wer sind jetzt die "Guten"?

Markus Michaelis | Mo., 25. Januar 2021 - 16:02

Gesetze und Recht sollen Gerechtigkeit herstellen, aber noch wichtiger sollen sie denke ich Rechts-Sicherheit herstellen, indem Fragen überhaupt klar entschieden werden und nicht endlos lähmen.

Trotzdem wäre glaube ich hier eine politische Diskussion und Entscheidung gut. Meinem Gefühl nach gibt es eine Gefahr, dass es die Gesellschaft zunehmend zerreißt, weil soviele Gerechtigkeitsfragen anliegen. Würden die alle vor ausländischen, europäischen, internationalen Gerichtshöfen entschieden, wäre das nach meinem Empfinden eine Destabilisierung der Gesellschaft. Aber das ist sicher auch eine Frage in wieweit man jeden Fall als Einzelfall sieht und in welchen Zusammenhängen man ihn einsortiert.

Michael Marx | Mo., 25. Januar 2021 - 19:39

Die Behauptung ist falsch, daß die Fristen für das BEG &c. zu kurz waren; erstens gab und gibt es die Wiedereinsetzung bei einer unverschuldeten Fristversäumung, und zweitens wurden diese Gesetze und ihre zahlreichen Nebengesetze immer wieder novelliert, damit verbunden eine Fristenöffnung. Es gab eigenen Kammern bei den Landgerichten, Senate bei den Obergerichten.
Daß die Materie kompliziert und unübersichtlich ist, rechtfertigt nicht solche falschen Behauptungen, sondern würde eben sorgfältig(er)e Recherche erfordern.

Karsten Berger | Mo., 25. Januar 2021 - 23:30

Man reibt sich die Augen und bemüht sein Gedächtnis. Vor wenigen Jahren hat sich in der FAZ zum gleichen Thema, in großer Ausführlichkeit ebenfalls ein oder mehrere Historiker geäußert, die allerdings schon in der Darstellung der gar nicht so komplexen Sachlage zu vollständig anderen Ergebnissen kamen. Entsprechend waren dann auch die dargelegten Rechtsfolgen. Eine Gegenüberstellung im Cicero wäre hilfreich. Es schärft den Blick und eröffnet andere Perspektiven.

Gunther Freiherr von Künsberg | Di., 26. Januar 2021 - 15:48

Jetzt 76 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der NS-Herrschaft wird das Thema staatlicher enteignender Maßnahmen neu hochgekocht. Damit ein US-Gericht für zuständig zu erklären verletzt die deutsche Souveränität, zumal seit 76 Jahren zumindest im Westen und seit nunmehr über 30 Jahren auch im Osten Rechtsstaatlichkeit herrscht.
Auch stellt sich eine weitere Frage: wie steht es mit der Rückgabe von in der DDR enteigneten Wirtschaftsgütern, insbesondere land-und forstwirtschaftlichen Gütern, die seit Jahrhunderten im Familienbesitz waren und von einem Unrechtsstaat enteignet wurden? Kann man hier auch US-Gerichte bemühen, nachdem das Bundesverfassungsgericht insoweit entschieden hat, dass kein Rückgabeanspruch besteht, sofern nicht Rassismus oder Sippenhaft (von Widerständlern) Begründung für die Enteignung war.
Hier wird eindeutig mit zweierlei Maß gemessen.