
- Schaffen wir das Jahrhundertziel?
Die Aktivisten von „Fridays for Future“ demonstrieren heute wieder in vielen deutschen Städten. Sie werfen der Bundesregierung vor, die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu verfehlen. Doch tatsächlich sind wir auf einem viel besseren Weg, als oftmals behauptet wird.
Deutschland erfüllt seine Verpflichtungen gemäß dem Pariser Klimaabkommen von 2015 nicht, so lautet ein immer wieder lautstark vorgetragener Vorwurf. Aber stimmt das?
Gemeinsam mit mehr als 190 Staaten hat sich Deutschland als Ziel gesetzt, die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter auf „deutlich unter“ zwei Grad Celsius, möglichst sogar auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Der weltweite Scheitelpunkt der Treibhausgasemissionen soll sobald wie möglich erreicht werden. Für die zweite Hälfte des Jahrhunderts wird ein Gleichgewicht zwischen Treibhausgasemissionen und deren Abbau durch Senken (Treibhausgasneutralität) angestrebt.
Darum wird die den Vorhaben gerecht
Die EU und deren Mitgliedstaaten haben gegenüber dem Weltklimarat die Zusage gemeldet, gemeinsam die Emissionen an Treibhausgasen bis 2030 gegenüber 1990 um 40 Prozent zu senken. Diese Zusage ist – ebenso wie die bereits zuvor gemäß Kyoto-Protokoll von der EU übernommene Verpflichtung zur Reduktion der Treibhausgasemissionen um 20 Prozent bis 2020 – rechtlich verbindlich. Fakt ist: Das letztgenannte Ziel hatte die EU bereits 2017 mit einer Minderung von 23 Prozent übererfüllt. Alle wichtigen Rechtsvorschriften zur Umsetzung des 2030er Emissionsziels waren bereits bis Ende 2018 verabschiedet worden.
Tatsächlich werden die EU und deren Mitgliedstaaten den Anforderungen durch ein differenziertes Vorgehen gerecht.
• Sektoren, die dem 2005 eingeführten Emissions Trading System (ETS) unterliegen – das sind Energiewirtschaft und Industrie –, müssen die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 21 und bis 2030 um 43 Prozent im Vergleich zum Jahr 2005 reduzieren. Diese Vorgabe auf die Mitgliedstaaten herunterzubrechen, geschieht deshalb nicht, weil so eine kosteneffiziente Emissionsreduktion innerhalb des Binnenmarkts gesichert wird. Der Emissionshandel sorgt verlässlich dafür, dass die erfassten Industrieanlagen europaweit nicht mehr CO2 emittieren können, als an Zertifikaten ausgegeben wird.
• Die Treibhausgasemissionen in den Sektoren Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft sind EU-weit bis 2020 um 10 und bis 2030 um 30 Prozent (ebenfalls gegenüber dem Bezugsjahr 2005) zu verringern. Um diese Vorgabe zu erfüllen, wurden per Vereinbarung die Lasten auf die Mitgliedstaaten aufgeteilt (Effort Sharing). Denn ein EU-weiter Mechanismus existiert bislang nicht. Deutschland hat sich dabei rechtlich verbindlich verpflichtet, die Treibhausgasemissionen dieser Sektoren bis 2030 um 38 Prozent im Vergleich zu 2005 zu reduzieren. Dieses Ziel wird für 2020 aufgrund der verzeichneten Rückgänge im Energieverbrauch, ausgelöst durch die Corona-Pandemie, eingehalten. Um das 2030er Ziel zu erfüllen, sind zusätzliche Maßnahmen im Gebäude- und im Verkehrssektor unverzichtbar. Ein vorgezogener Ausstieg aus der Kohleverstromung würde nicht helfen, da die Vorgaben in den Nicht-ETS-Sektoren einzuhalten sind.
So steht es um die nationalen Ziele
Neben den durch EU-Recht begründeten Vorgaben existieren nationale Treibhausgasminderungsziele. So hatte sich die Bundesregierung verpflichtet, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu verringern. Bis 2019 konnte ein Rückgang um 35,7 Prozent erreicht werden. Aufgrund der Verbrauchssenkungen als Folge der Corona-Pandemie wird das für 2020 geltende 40-Prozent-Ziel – entgegen vorheriger Erwartungen – mit 42 Prozent sicher erreicht werden.
Bis 2030 will Deutschland den Treibhausgasausstoß um mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 verringern. Dafür hat die Bundesregierung als erste Regierung weltweit in einem Klimaschutzgesetz ihr nationales Klimaschutzziel verbindlich festgeschrieben. Das Gesetz trat am 18. Dezember 2019 in Kraft. Es zeigt auf, wie viele Treibhausgasemissionen jeder Sektor, also Energiewirtschaft, Industrie, Gebäude, Verkehr, Land- und Forstwirtschaft sowie Abfallwirtschaft, noch emittieren darf.
Am 11./12. Dezember 2020 hat der Europäische Rat beschlossen, das gegenwärtig für die Gemeinschaft der Mitgliedstaaten bestehende 2030er Ziel zur Reduktion der Emissionen an Treibhausgasen von 40 auf mindestens 55 Prozent im Vergleich zu 1990 zu verschärfen, wobei natürliche CO2-Speicher wie Wälder und Moore auf das Ziel angerechnet werden sollen. Dieser ehrgeizige Zwischenschritt wird als erforderlich angesehen, um die im Rahmen des Green New Deal beschlossene Treibhausgasneutralität der EU bis 2050 zu gewährleisten. Damit das gelingt, beabsichtigt die EU-Kommission, bis Juni 2021 Gesetzgebungsvorschläge unter anderem zur Erweiterung und Modifizierung des Emissionshandelssystems, zur Reform der Energiebesteuerung und der Energieeffizienz- sowie der Erneuerbare-Energien-Richtlinien und der Verordnung zu den CO2-Flottengrenzwerten für Fahrzeuge vorzulegen.
Emissionshandel seit 1. Januar
Weil das Treibhausgasminderungsziel der EU für 2030 angehoben wurde, wird die Menge an Emissionsrechten, die jährlich über freie Zuteilung und Auktionen auf den Markt gelangen, weiter abgesenkt werden. Einbezogen werden soll zudem der innereuropäische Schiffsverkehr. Die freie Zuteilung von Zertifikaten für innereuropäische Flüge soll zurückgeführt werden. Eventuell werden auch internationale Flüge in den Anwendungsbereich fallen. Ferner wird geprüft, weitere bisher nicht von diesem System erfasste Sektoren, wie Gebäude und Verkehr, einzubeziehen. Seit 1. Januar 2021 ist in Deutschland ein nationales Handelssystem für genau diese Sektoren etabliert worden. Vorstellbar wäre, solche nationalen Systeme auf europäischer Ebene zu verknüpfen und damit zumindest vorläufig ein zweites ETS zu schaffen, um die Systeme schließlich zusammenzuführen.
Weitere Konsequenz der Verschärfung des EU-Zieles für 2030 ist eine Erhöhung des Ambitionsniveaus in den Sektoren, die den Effort-Sharing-Regularien und damit national ausgerichteten Verpflichtungen unterliegen. Das sind vor allem der Gebäude- und der Verkehrssektor sowie die Landwirtschaft. Als ein wichtiger Schritt wurde in Deutschland mit Wirkung zum 10. November 2020 das Gesetz zur Änderung des Brennstoffemissionshandelsgesetzes in Kraft gesetzt: Unternehmen, die Heizöl, Erdgas, Benzin und Diesel in den Markt bringen, zahlen seit 1. Januar 2021 dafür einen CO2-Preis. Sie sind verpflichtet, für den Treibhausgasausstoß, den diese Brennstoffe verursachen, Emissionsrechte zu erwerben.
Dies geschieht über den bereits erwähnten neuen nationalen Emissionshandel. Für 2021 gilt ein fester Preis von 25 Euro pro Tonne CO2, der bis 2025 schrittweise auf 55 Euro pro Tonne CO2 angehoben wird. Für 2026 gilt ein Preiskorridor von mindestens 55 bis höchstens 65 Euro pro Tonne CO2. Nach der Einführungsphase müssen die Emissionsrechte per Auktion ersteigert werden. Die Gesamtmenge der Zertifikate für den CO2-Ausstoß wird entsprechend den Zielen gemäß Klimaschutzgesetz begrenzt. Der Preis bildet sich durch Angebot und Nachfrage.
Notwendige Zuwachs in der Stromerzeugung
Die Einnahmen werden vor allem zur Entlastung der Umlage gemäß Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) genutzt, deren Höhe für 2021 durch Gewährung eines Bundeszuschusses auf 6,5 Cent pro Kilowattstunde begrenzt wird. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Deckung des inländischen Bruttostromverbrauchs hat sich seit dem Jahr 2000 von 6,3 Prozent um 40 Prozentpunkte auf 46,3 Prozent im Jahr 2020 erhöht. Damit wurde die von der Bundesregierung für 2020 formulierte Zielvorgabe von mindestens 35 Prozent deutlich übertroffen.
Bis 2030 soll der Anteil auf 65 Prozent erhöht werden. Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien muss von 255 Terawattstunden im Jahr 2020 auf etwa 400 Terawattstunden im Jahr 2030 ansteigen, um dieser Vorgabe unter Berücksichtigung des erwarteten Anstiegs des Bruttostromverbrauchs von 543,5 Terawattstunden im Jahr 2020 auf mehr als 600 Terawattstunden im Jahr 2030 gerecht zu werden.
Der notwendige Zuwachs in der Stromerzeugung erneuerbarer Energien innerhalb des bevorstehenden Zehnjahreszeitraums entspricht ziemlich genau dem Anstieg, der von 2010 bis 2020 mit insgesamt 150 Terawattstunden realisiert worden war. Die Einhaltung auch dieses Zieles ist somit bei fortgesetztem Ausbau von Anlagen auf Basis von Fotovoltaik und Wind, Wind insbesondere auch offshore, möglich. Dazu braucht es aber einen Kapazitätszubau von 130 Gigawatt im Jahr 2020 auf rund 200 Gigawatt im Jahr 2030.
Diese Entwicklung trägt maßgeblich dazu bei, die im Klimaschutzgesetz für die Energiewirtschaft formulierten Ziele zur Treibhausgasemissionsminderung zu erreichen – und dies obwohl die Nutzung der Kernenergie zum Jahresende 2022 ausläuft. Die schrittweise reduzierte Nutzung der Kohle zur Stromerzeugung, die im Kohleausstiegsgesetz von 2020 geregelt ist, steht in Einklang mit den im Klimaschutzgesetz verankerten Zielvorgaben für die Energiewirtschaft.
Die Nationale Wasserstoffstrategie
Herausfordernd bleibt der Gebäude- und Verkehrssektor. Der Anteil erneuerbarer Energien am Energieverbrauch ist in diesen Sektoren mit 15 Prozent im Gebäude- und mit 6 Prozent im Verkehrssektor noch sehr begrenzt. Ein wichtiger Hebel ist, wie in der Industrie, die Elektrifizierung, also fossile Energien durch erneuerbar erzeugten Strom zu ersetzen. Im Gebäudebereich kann dies insbesondere durch vermehrten Einsatz elektrischer Wärmepumpen geschehen. Im Verkehrssektor gehören – neben der Elektromobilität – die Nutzung von Wasserstoff und synthetischen Brennstoffen zu den zentralen Bausteinen der angestrebten Dekarbonisierung. Dies gilt vor allem in Bereichen, in denen für eine direkte Elektrifizierung technische oder wirtschaftliche Hemmnisse bestehen, wie etwa beim Gütertransport mit Lastkraftwagen und im Luftverkehr.
Wasserstoff kann in Brennstoffzellen und als Basis für synthetische Kraft- und Brennstoffe genutzt werden. Auch in der Industrie lassen sich Produktionsprozesse auf Wasserstoff umstellen. Die Internationale Energieagentur hält einen Anstieg der weltweiten Produktion von Wasserstoff um den Faktor 100 bis zum Jahr 2030 als Beitrag zur Einhaltung der Klimaziele von Paris für notwendig.
Die Bundesregierung hat passend dazu im Juni 2020 die Nationale Wasserstoffstrategie vorgestellt. Im Zeitraum 2020 bis 2023 werden Technologien in der Industrie, die Wasserstoff zur Dekarbonisierung von Herstellungsverfahren einsetzen, mit über einer Milliarde Euro gefördert. Zusätzlich werden sieben Milliarden Euro für den Markthochlauf von Wasserstofftechnologien hierzulande und weitere zwei Milliarden Euro für internationale Partnerschaften bereitgestellt.
Mit der Nationalen Wasserstoffstrategie wird auch das Ziel verfolgt, die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Firmen zu stärken und damit die mit dieser Technologie verbundenen volkswirtschaftlichen Chancen zu nutzen. Die EU und viele andere EU-Staaten haben ebenfalls derartige Strategien vorgelegt – Wasserstoff erfährt gerade einen Hype, und das zu Recht. Klar ist aber auch: Eine Wasserstoffwirtschaft – vor allem eine grüne – gibt es nicht ohne Förderung. Denn Wasserstofftechnologien sind teurer als konventionelle Prozesse.
Wasserstoff, sogenannter „grauer“ Wasserstoff, lässt sich auch aus Erdgas erzeugen. Dies führt aber nur dann zu signifikanten Minderungen an CO2-Emissionen, wenn das CO2 in dem Prozess abgeschieden und entweder einer Nutzung zugeführt oder gespeichert und damit „blauer“ Wasserstoff produziert wird. Um diesen Pfad zu ermöglichen, müsste aber die Gesetzgebung so geändert werden, dass die breite Umsetzung dieser – insbesondere in der Stromerzeugung und für Produktionsprozesse – unverzichtbaren Technologie auch in Deutschland zur Anwendung kommen kann.
Effizienzziel beim Primärenergieverbrauch nur knapp verfehlt
Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, muss außerdem die Energieeffizienz weiter verbessert werden. Deutschland kann hier bereits große Erfolge vorweisen: So erreichte der Primärenergieverbrauch in Deutschland 2020 den niedrigsten Stand seit 1968. In Deutschland wurde also 2020 weniger Energie verbraucht als noch vor 50 Jahren, obwohl sich die Bevölkerungszahl um rund 5,5 Millionen vergrößert und die Wirtschaftsleistung mehr als verdoppelt hat. Das von der Bundesregierung für 2020 angestrebte Effizienzziel, nach dem der Primärenergieverbrauch gegenüber dem Jahr 2008 um 20 Prozent zu vermindern ist, wurde mit einem Rückgang von 19 Prozent nur knapp verfehlt.
Fazit: Deutschland kann also mit Offenheit für alle dazu geeigneten Technologien die bis 2050 angestrebte Klimaneutralität erreichen und damit einen angemessenen Beitrag zur Einhaltung der Pariser Klimaziele leisten.