Twitter hat den Account von Donald Trump gesperrt / dpa

Twitter, Trump und die Wahrheit im Netz - Die Wissenschaft hat festgestellt ...

Mit der Sperrung von Donald Trumps Social Media-Accounts hat eine Debatte über die Türhüter der Wahrheit begonnen. Das Problem liegt jedoch nicht bei der Politik oder den Konzernen. Das Problem liegt bei der Wahrheit selbst. Schon Schlegel wusste: „Wahrheit wird nicht gefunden, sondern produziert.“

Ralf Hanselle / Antje Berghäuser

Autoreninfo

Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Die Welt ist alles, was der Fall ist. Das zumindest hat ein weiser Mann einmal behauptet. Der Umkehrschluss: Ein Fake ist alles, was nicht der Fall ist. Ein Fake ist ein Pferd mit Flügeln oder der berühmte rosa Elefant im Raum. Ein Fake ist alles, was es nicht gibt, was der Wahrheit zuwiderläuft; nicht messbar, nicht quantifizierbar ist. Da helfen am Ende keine „alternative facts“, kein Geschrei, kein Aufstand gegen die Wirklichkeit. Ja, man kann so laut werden, wie man will: Ein Fake wird durch Getöse nicht richtig.

So weit, so logisch. Bleibt am Ende nur dieses Problem: Wer entscheidet eigentlich darüber, was wahr und was gelogen ist? Wer teilt die Welt in Fake und Fakten? So schwer diese Frage zu beantworten sein mag, eines scheint dieser Tage relativ sicher: Der amerikanische Präsident, vor noch nicht allzu langer Zeit als vermutlich mächtigster Mann der Welt gehandelt, ist es offenbar nicht. Denn nach ihm kommt einer, der noch viel mächtiger ist, einer, der die Wahrheit in Händen hält wie Demeter ihre Fackel oder Justitia das Schwert.

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Maik Harms | So., 17. Januar 2021 - 13:09

Diese entspannte Haltung gegenüber offener Debatte würde voraussetzen, dass Mensch mit Ungewissheit (und seiner eigenen Unwissenheit) souverän umgehen kann. Diese psychische Fähigkeit ist aber nicht jedem gegeben und muss zumeist mühsam antrainiert werden. Fehlt sie, sehnt man sich doch nach der einen, letztgültigen, universellen Wahrheit, die auf keine Fall infrage gestellt werden darf.
Somit sind die Voraussetzungen für das "im Gespräch bleiben" größer, als man glauben mag.

Walter Bühler | So., 17. Januar 2021 - 13:17

Wenn die Wahrheit in Verruf gebracht wird, wird auch Wissenschaftsfeindlichkeit gefördert, die ohnehin schon oft aus der grassierenden Technikfeindlichkeit erwächst. In meinen Augen ist aber die ("wahre") Wissenschaft die einzige Möglichkeit des Menschen, Probleme rational lösen zu können.
Wissenschaft und Forschung benötigen für ihre Arbeit den fernen Fixstern der Wahrheit ebenso wie die Fähigkeit, die Lücken im eigenen Wissen zu sehen. In dieser lebendigen Spannung zwischen Nicht-Wissen und der Suche nach neuem Wissen bewegen wir uns.

Das Problem, das Sie so schön beschreiben, liegt also nicht in der Wissenschaft, sondern in Informationsmonopolen, die schon immer dazu neigen, temporäre Annäherungen an die Wahrheit in ewige Dogmen umzudeuten und diese Dogmen durch Zensur zu schützen.

Es ist daher "wahr", was Sie am Ende schreiben: Die größte Gefahr für uns Menschen ist die Hybris zu glauben, im Besitz der wahrsten Wahrheit zu sein.

Ja, das Problem ist eher, dass sich unsere Gesellschaft für ihre großen Fragen zu sehr auf Wissenschaft und Wahrheit stützen will. Das wird schief gehen. Auch Wissenschaft ist ein nie endendes Hinterfragen der eigenen Einbettung, selbst bei grundlegenden Fragen der Physik, mehr bei Medizin, bei Fragen der Soziologie, Geschichte, Recht etc. sowieso.

Zu glauben wir könnten relevante gesellschaftliche Fragen durch soetwas wie wissenschaftliche Wahrheit weiterbringen, ist ähnlich wie der Versuch es durch Gott als hächste Instanz klären zu wollen.

Zu glauben, dass schwierige Coronafragen, Migrationsfragen, Europafragen, Diskriminierungsfragen etc. an Wissenschaft gegen Aluhüte hängen, ist eine wenig wissenschaftliche Auffassung. Wir werden uns dazu durchringen müssen unsere Wahrheiten zu vertreten, weil es unsere Wahrheiten sind, nicht weil Gott oder Einstein uns schützen. Zum Glück können wir aber ein paar abstruse Dinge wissenschaftlich ausschließen.

Unser privates und politisches Leben verlangt uns ständig Entscheidungen ab, bei denen wir nicht warten können, bis wir von der "Wahrheit" eines Sachverhalts vollkommen überzeugt sind. Wir brauchen daher im privaten wie im politischen Alltag außer unserem Wissen immer ein Stück Mut und Risikofreude. Einstein kann uns dabei nur in Grenzen helfen, vielleicht schon eher dem einen oder anderen Gott.

Die Erfahrung zeigt aber, dass durch Beachtung der Ratschläge aus den Wissenschaften das Risiko unserer Entscheidungen stark minimiert werden kann, obwohl es auch dann keine absolute Risikofreiheit gibt.

Die Wissenschaft selbst muss aber trotzdem am unerreichbaren Ideal der objektiven Wahrheit festhalten. Tut sie das nämlich nicht, dann konvergieren ihre aktuellen Ergebnisse auch nicht gegen den "wahren" Sachverhalt, sondern führen weiter weg. Insofern würde das Risiko wachsen, das mit ihren Lösungsvorschlägen verbunden ist.

"Wahrheit" bleibt deshalb für mich ein positiver Begriff.

Markus Michaelis | So., 17. Januar 2021 - 13:25

Stimmt, ein großes Problem unserer Gesellschaft ist es der Wahrheit hohe Bedeutung zu geben. Unser Leben besteht immer aus mehr oder weniger willkürlich zu Begriffen zusammengefassten Phänomenen, denen wir Bedeutung geben. Dahinter gibt es keine letzte Wahrheit, die etwas gesellschaftlich Relevantes beweisen würde.

Eine Wahrheit ist: wir können nicht morgen alle auf den Mond umziehen und heute hat es 12:33 am Platz X geregnet. Aber ist das relevant?

Es gibt Nationen oder nicht? Es gibt Europa oder nicht? Offenheit und Vielfalt sind besser, oder nicht? Was ist Offenheit, was ist Vielfalt? Es gibt für gewisse Fragen nur europäische Lösungen? Maaßen ist ein Wegbereiter für Höcke? Tichy, Achgut und Cicero spielen den Rechten in die Hände? Diskriminierung ist ein großes Problem? Person X oder Gruppe X ist diskriminiert? Corona ist gefährlich?

Das sind alles relevante Fragen, zu denen es aber keine Wahrheit geben kann, weil diese Fragen viel mit Bedeutung, wenig mit W. zu tun haben.

Hans Jürgen Wienroth | So., 17. Januar 2021 - 13:37

Eine Gesellschaft, die über 10% der Wähler ausgrenzt, hat das Gespräch verlernt, die ist nicht bereit, die Spaltung durch Diskussionen und Kompromisse zu überwinden. Eine Regierung, die keine Diskussion über Alternativen zulässt, welche die Grundlage ihrer Entscheidung nicht nachvollziehbar darlegen kann, sondern nur mit populistischen Sprüchen die „Populisten“ verurteilt, kann nicht vermitteln. Sie ist froh, wenn die „sozialen Medien“ ihre Entscheidungen als einzig richtige zulassen. Allerdings bedenken sie nicht die Abhängigkeit, in die sie sich damit von diesen Medien begeben.
Trumps Sieg bei der Wahl 2016 war nur möglich, weil niemand seinen Einfluss über die soz. Medien für möglich gehalten hat. Man war überzeugt, diese über TV und Zeitungen zu verhindern. 2020 war man klüger und hat bereits im Wahlkampf seine Aussagen in den soz. Medien tw. gesperrt. War das Wahlentscheidend?
Wir sollten uns alle Fragen: Welchen Einfluss der soz. Medien lassen wir auf unser Leben zu?

Konrad Paukner | Mo., 18. Januar 2021 - 12:29

Antwort auf von Hans Jürgen Wienroth

stimmt so nicht, lieber Herr Wienroth. Das Gespräch wird nur mit der Gruppe gesucht und vertieft, bei der ein Grundkonsens vorhanden ist. Es ist ja sehr viel bequemer, eine nicht genehme Meinung durch ignorieren zu eleminieren und sich damit dieser erst garnicht stellen zu müssen.
Die Zensur in den "sozialen Medien" ist höchst bedenklich, da keiner mehr nachvollziehen kann, was da alles gelöscht bzw. erst garnicht veröffentlicht wird. So bilden diese Medienunternehmen eine nach "Firmeneigenen Werten" zensierte Informationsblase. Ich traue mir immer noch zu selbst zu unterscheiden, was Fake ist und was nicht. Blösinn muss und kann man ertragen, strafrechtlich relevante Aussagen können und müssen von der Exekutive verfolgt und geahndet werden. Die Mittel wären vorhanden, nur der Wille fehlt.

Josef Olbrich | So., 17. Januar 2021 - 14:15

Simplicitas Signum Veritas, die lateinische Maxime, wer auf diesem Grund steht, ist nicht erhaben über andere, deren Wahrheiten oder Fakes er zur Kenntnis nimmt, er kann sie einordnen. Und so sein Bild von der Welt, wie sie sich ihm vorstellt, vervollständigen, doch seine gewonnene Einsicht muss nicht immer synchron mit dem Mainstream verlaufen. So bleibt die Demokratie lebendig.

Heidemarie Heim | So., 17. Januar 2021 - 14:22

Bin gerade etwas überfordert lieber Herr Hanselle! Weniger mit dem was Ihre Überlegungen und Erkenntnisse zum Thema Wahrheit oder die Mächte dahinter, sondern mit der Herausforderung zu erkennen welche Rolle die eigene Hybris bisher einnahm, bzw. meine persönliche Meinungsbildung auch hier in unserem Forum ausmachte. Wie schwierig bisweilen allein der Versuch schon in dem relativ kleinen Kreis ist sich mit den Autoren wie Ihnen und danach mit den Mitkommentaren auseinander zu setzen. Schwierig für mich deshalb, weil mir fundamentale Wissensgrundlagen fehlen z.B. im "Kulturresort", die nicht mehr aufzuholen sind, und nicht nur darin.
Also gilt es, zumindest für mich, mich anderer Mittel zu bedienen in der Auseinandersetzung. Meist bleibt mir nur, was man wohl als Instinkt bezeichnen würde und eigene Lebenserfahrungen um ein/abzuschätzen und darauf zu reagieren. Sowie eine Portion (Rest)-Vertrauen in das Gegenüber und dessen Motive. Nicht gerade viel, aber was soll man machen;)? MfG

Liebe Frau Heim
Das ist das Gute am Cicero und dem Kommunikationsforum hier. Meist ergeben sich unterschiedliche Meinungen und Ansichten, aus denen man seine eigenen Schlüsse ziehen kann. Dazu ist es wichtig, dass unterschiedliche Meinungen hier im Forum verbleiben, wie z. B. auch die des Herrn Lenz. Positiv ist es, wenn die Autoren nicht nur Meinungen, sondern auch etwas Hintergrund oder Begründungen mitliefern, was bei 1000 Zeichen manchmal etwas schwierig ist.
Man muss ja nicht immer selbst mitdiskutieren, sondern kann auch einfach nur mitlesen.

Reinhardt O. Cornelius-Hahn | So., 17. Januar 2021 - 16:30

Will man sich der Wahrheit nähern, so muss man die Wirklichkeit fragen. Die Wirklichkeit ist der Ort, der gesehen, erfahren, erhört und auch geschmeckt wird (und mehr). Ohne sinnliche Wahrnehmung keine Wahrheit. Wahrheit ist schwarz auf weiß, ist die Hausnummer und mehr und ist das Wort in seiner klarsten Anmutung und Genauigkeit. Darauf kann sich einigen, weil jede Wahrnehmung auch anders sein muss.
Was mit Fake, Fake News und Fakten sein soll, ich weiß es nicht. Das geistige Rüstzeug für Linkspopulisten (Journalisten)?. Die Wahrheit hat einen großen Bruder, die Wahrhaftigkeit. Wahrhaft, so ist es gewesen, also das Märchen, auf das man sich einigen kann. So kann man auch daraus Ethik machen, die Ästhetik schärfen, aber nicht ändern und endlich bei der Logik angekommen, sich einigen. Der Diskurs ist die Schnittmenge, gesellschaftlich und persönlich und leicht zu überprüfen. Der Feind der Wahrheit ist nicht die Lüge, sondern die Anonymität .1. Semester Literaturwissenschaft 1978 in L.

weitaus mehr als simple Phänomenologie. Paris ist die Hauptstadt von Frankreich, und Canberra die Hauptstadt Australiens, und das ist wahr, auch wenn ich das nicht mit eigenen Sinnen sehe oder erschnüffele.

Wahrheit ist etwas ganz anderes als das Ergebnis irgendeiner literarischen Reflektion. Journalismus sollte über Fakten berichten, und ausgerechnet derjenige, der Journalismus grundsätzlich mit Linkspopulismus gleichsetzt, verlässt die Wahrheit, die er einfordert, vollständig und bevorzugt Ideologie.
Wahrheit hat auch meist wenig bis nichts mit angeblichen Wahrheiten zu tun, die selbsternannte "Enthüller" hinter Fakten sehen, die ihnen schlicht nicht in den Kram passen.
Und irgendwo gibt es immer Einen mit tieferem Wissen, der ja schon immer wusste, dass die ganze Menschheitsgesichte, vermutlich das ganze Universum, nur das Ergebnis eines Komplotts derer "da oben" ist, denn...im Grund ist die Erde natürlich noch immer eine Scheibe.
Das ist die Wahrheit, und nichts als die Wahrheit.

Gerhard Hellriegel | So., 17. Januar 2021 - 17:06

Zunächst sind da Ideen, Theorien. Die wirken wie Masken, die wir dem Weltgeschehen überstülpen. Die Ideen sind von unterschiedlicher Qualität, manche sagen viel, andere wenig, manche sind leer. In Bezug auf die Welt passen manche gut, andere weniger. Das ist schon alles. Wissenschaft ist der Versuch, die derzeit besten zu finden und noch bessere zu entwickeln. Es ist kein Zufall, dass das in den Naturwissenschaften besser gelingt als in den Sozialwissenschaften.
Man kann also die Sachlage beschreiben, ohne sich auf das Glatteis der Frage "Gibt es die Wahrheit?" zu begeben.
Selbstverständlich ist "die Wahrheit" konstruiert, aber es gibt halt gute und schlechte Konstruktionen. Und wer entscheidet das? 1. die Evolution 2. Ich 3. Sie

Dieter Freundlieb | So., 17. Januar 2021 - 18:44

Im ersten Paragraphen dieses Artikel geht alles mögliche durcheinander. Aber das kann ich hier aus Platzgründen leider nicht analysieren. Dieses Durcheinander mit dem Satz "So weit, so logisch" abzuschließen, ist aber schon sehr gewagt.

Wahrheit ist leider ein sehr schwieriges philosophisches Thema, und der Autor wird ihm mMn nicht gerecht. Nur eines zu Popper:

Zitat: "Nach Karl Popper sind Wissen und Wahrheit hypothetisch und eingebettet in die Grenzen der jeweiligen Theorien." Das stimmt so nicht. Naturwissenschaftlich erzieltes Wissen ist hypothetisch. Das ist wahr. Aber Wahrheit ist nach Popper nicht etwas Hypothetisches, und es ist nicht eingebettet in Theorien. Es ist das, wonach die Wissenschaft strebt und an das sie sich annähert. So hat es Popper jedenfalls verstanden, obwohl diese Aussage philosophisch sehr problematisch ist, weil wir nie wissen können, wie nah wir der Wahrheit mit einer Theorie gekommen sind. Das ginge nur, wenn wir die Wahrheit schon kennen würden.

Bernhard Jasper | Mo., 18. Januar 2021 - 11:44

Antwort auf von Dieter Freundlieb

Zunächst, Wissenschaft und Philosophie sind zwei getrennte Kontinente. Wissenschaft versucht Probleme zu lösen, die wissenschaftlich lösbar sind. Das Ziel von Wissenschaft ist Kenntnis über die Welt zu gewinnen, die für ein überlebensförderdendes Handeln dient. Im Laufe der Evolution wurde sie in der Auseinandersetzung mit der Umwelt gewonnen.

Aktuell: Eine drastische Unterbrechung der Kontakte ist evident. Es ist dieser Möglichkeitssinn und Verantwortlichkeit den Wissenschaft ausmacht. Kontrollierte Problemformulierung und Problemnlösung.