
- „Niemand will der deutsche Trump sein“
Nach dem Sturm von Trump-Anhängern aufs Kapitol distanzierten sich europäische Rechtspopulisten wie Beatrix von Storch oder Marine Le Pen vom Noch-Präsidenten. Doch an der Basis ist sein Ansehen noch gestiegen. Wie kann er für sie jetzt noch Vorbild sein?
Ivan Krastev ist einer der bekanntesten europäischen Politikberater und Politikwissenschaftler und Träger des Jean-Amery-Preises für europäische Essayistik 2020. Der gebürtige Bulgare hat in Großbritannien bei Ralf Dahrendorf studiert und jahrelang in Wien gelebt, bevor er in der Coronakrise mit seiner Frau in seine Heimat zurückgekehrt ist. Gerade ist bei Ullstein sein neues Buch erschienen: „Ist heute schon morgen? Die Paradoxien von Corona."
Herr Krastev, was haben Sie gedacht, als Sie die Bilder eines wütenden Mobs sahen, der das Kapitol gestürmt hat? Waren Sie überrascht?
Die Amerikaner hatten immer gedacht, es könnte nie bei ihnen passieren. Nun wissen wir, dass es überall passieren kann. Andererseits gibt es gerade einen großen politischen Konflikt in den USA. Metaphorisch gesehen, befindet sich das Land gewissermaßen in einem Bürgerkrieg.
Sie meinen, weil die Leute wütend waren, weil Trump behauptet hatte, er hätte die Wahl gar nicht verloren? Ihm seien Stimmen gestohlen worden?
Genau.
Hat er nur die Kontrolle über seine Anhänger verloren, oder war es seine Absicht, sie aufs Parlament zu hetzen?
Ich tue mich da schwer mit einer Ferndiagnose. Donald Trump ist nicht der Typ zynischer Politiker, der genau weiß, er hat die Wahl verloren – und der trotzdem darauf besteht, er habe sie nicht verloren, nur um im Amt zu bleiben. Trump lebt in seiner eigenen Welt, und da sind Niederlagen schlicht undenkbar. Er glaubt also wirklich, dass ihm die Stimmen gestohlen wurden, und viele seiner Anhänger glauben es auch.
Er wurde Opfer seiner eigenen Paranoia?
Genau, und deshalb ist es für mich so schwer zu glauben, dass hinter dem Sturm aufs Parlament eine Strategie steckte. Es war seine Entscheidung, die Niederlage nicht einzugestehen. Damit bestimmte er den Plot. Er kam als Populist an die Macht, der von sich selbst sagte, er sei zwar anti-liberal, aber nicht anti-demokratisch. Nach der Wahl änderte sich das aber. Er endete als Diktator, als er die Wahlergebnisse nicht akzeptierte.
Aber wenn er offenbar den Bezug zur Realität komplett verloren hat, ist dann ein Amtsenthebungsverfahren nicht geradezu zwingend?