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Seit Ende September herrscht um das von Armeniern bewohnte Bergkarabach Krieg / dpa

Bergkarabach - Wie der Krieg gestoppt werden kann

In Bergkarabach liefern sich Armenien und Aserbaidschan einen brutalen Krieg. Die internationale Gemeinschaft hat bisher außer Appellen nicht viel anzubieten. Wie und warum Vereinte Nationen, EU und NATO endlich handeln müssen.

Autoreninfo

Botschafter a.D. Rüdiger Lüdeking war während seiner Zeit im Auswärtigen Dienst (1980-2018) in verschiedenen Verwendungen, u.a. als stv. Beauftragter der Bundesregierung für Abrüstung und Rüstungskontrolle und Botschafter bei der OSZE, mit Fragen der Sicherheits- und Rüstungskontrollpolitik intensiv befasst.

So erreichen Sie Rüdiger Lüdeking:

Der Krieg in Bergkarabach wird mit brutaler Härte ausgefochten; er hat bisher auf armenischer und aserbaidschanischer Seite viele Hundert, wenn nicht Tausende Opfer unter Soldaten wie der Zivilbevölkerung gefordert. Nach ersten Scharmützeln im Juli, für die sich beide Seiten gegenseitig verantwortlich machten, ging Aserbaidschan Ende September zu einem groß angelegten Angriff auf das von Armeniern bewohnte Bergkarabach über.

Es wurde dabei von der Türkei ermutigt und durch die Entsendung syrischer Söldner und militärischer Ausrüstung tatkräftig unterstützt. Initiativen insbesondere Russlands aber auch der USA zur Erreichung eines Waffenstillstands blieben erfolglos. Angespornt durch militärische Erfolge setzt Aserbaidschan jetzt auf einen militärischen Sieg. Ob dieser – sollte er überhaupt erreichbar sein – eine Lösung bringt, ist jedoch fraglich.

Krieg nach dem Zerfall der Sowjetunion

Der Konflikt um Bergkarabach reicht sehr weit in die Vergangenheit zurück. Für seine heutige Ausprägung war die sowjetische Entscheidung Anfang der 20er-Jahre bestimmend, das historisch mehrheitlich von christlichen Armeniern bewohnte Bergkarabach als autonomes Gebiet der aserbaidschanischen Sowjetrepublik zuzuschlagen.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion, der aus den internen Grenzen der Sowjetunion internationale Staatsgrenzen werden ließ, entlud sich der zuvor schwelende Konflikt 1992 in einem blutigen Krieg zwischen den jetzt unabhängigen Staaten Armenien und Aserbaidschan. An dessen Ende 1994 übernahm Armenien die Kontrolle über das umstrittene, völkerrechtlich zu Aserbaidschan gehörende Bergkarabach sowie weiteres aserbaidschanisches Territorium, das die Region von Armenien trennte; dabei wurden über 500.000 aserbaidschanische Zivilisten aus dem Gebiet vertrieben.

Aufrüstung auf beiden Seiten

Armenien suchte sich in dem 1994 geschaffenen Status quo einzurichten und ihn über die Jahre zu zementieren; daran änderte auch die Tatsache nichts, dass die bereits 1991 ausgerufene unabhängige armenische Republik Bergkarabach international nicht anerkannt wurde. Demgegenüber sann Aserbaidschan auf Revanche. Es unternahm deshalb außergewöhnlich große Anstrengungen zur Modernisierung und Aufrüstung seiner Streitkräfte. 

Das ungleich ärmere Armenien, das anders als Aserbaidschan nicht über beträchtliche Einkünfte aus der Erdöl- und Erdgasförderung verfügte, konnte diesen kaum etwas entgegensetzen. Dennoch darf der Widerstandswille der Armenier nicht unterschätzt werden. Dies könnte Aserbaidschan in nächster Zeit bei dem Versuch der Eroberung und Besetzung der gebirgigen Teile Bergkarabachs noch zu spüren bekommen.

Die internationale Gemeinschaft schaut zu

Die Reaktion der internationale Gemeinschaft auf den erneuten Krieg ist bisher ritualisiert-verhalten. Sie beschränkt sich im Wesentlichen auf an Armenien wie Aserbaidschan gleichermaßen gerichtete Appelle zu einem Waffenstillstand und einer friedlichen Konfliktlösung.

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat bisher nicht vermocht, formell und angemessen auf die militärische Eskalation zu reagieren. Und Nato wie EU vermeiden es sorgsam, Partei zu ergreifen. Auch die Verurteilung des Krieges und der Aufruf zur Aufnahme von Verhandlungen durch die so genannte Minsk Gruppe, die unter dem Vorsitz von Russland, Frankreich und den USA steht und bereits seit 1992 von der OSZE mit der Vermittlung im Konflikt beauftragt ist, sind ergebnislos verhallt.

Aussitzen ist keine Lösung

Die Komplexität des Falles Bergkarabach wie auch politische oder wirtschaftliche Rücksichtnahmen dürfen kein Vorwand für Untätigkeit sein. Leisetreterei und Bemühen um Wahrung von Neutralität sind unangebracht.

Dies gilt nicht nur angesichts der Opfer, die schon jetzt zu beklagen sind, und angesichts der humanitären Folgen, die sich noch zu einer unvorstellbaren Katastrophe auswachsen könnten, sollte es Aserbaidschan gelingen, Bergkarabach von der Versorgung von Armenien abzuschneiden.

Der Kalte Krieg sollte eine Lehre sein

Die Rückkehr militärischer Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Interessen darf nicht akzeptiert werden. Es geht um die Wahrung der im Zuge der Überwindung des Kalten Kriegs in der KSZE/ OSZE getroffenen Vereinbarungen über das friedliche Miteinander der Staaten im euro-asiatischen Raum.

Der Krieg um Bergkarabach belegt, wie weit wir heute von den Erwartungen und Hoffnungen nach dem Ende des Kalten Kriegs entfernt sind. 1990 hatten die Mitgliedstaaten der KSZE in der Charta von Paris feierlich den Aufbruch in ein neues Europa beschworen, das geprägt sein würde von gemeinsamen Werten, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, von Zusammenarbeit, den Verzicht auf Gewalt und ausschließlich friedlicher Streitbeilegung.

Was jetzt nötig ist

Aktuell geht es um zwei Ziele: die sofortige Einstellung militärischer Kampfhandlungen und die Initiierung eines diplomatischen Prozesses zur Beseitigung der Konfliktursachen.

Zur Erreichung eines Waffenstillstands gilt es vor allem, auf Aserbaidschan und den Kriegstreiber Türkei nachhaltig einzuwirken. Dabei sieht Erdogan in dem Konflikt offenbar die Chance, sich als Förderer der „muslimischen Sache“ zu gerieren und seinen Einfluss in einer Region auszubauen, die bislang Russland als seine ausschließliche Einflusssphäre betrachtet hat.

Eine Resolution der Vereinten Nationen

Es ist nicht einzusehen, warum hierzu nicht der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen – trotz zu erwartender Widerstände Aserbaidschan unterstützender ungebundener Staaten – eine Resolution verabschiedet.

Diese müsste natürlich nicht nur die militärische Offensive Aserbaidschans und die Unterstützung durch die Türkei, sondern ausgewogen auch beispielsweise die langjährige Verletzung der territorialen Integrität Aserbaidschans durch Armenien verurteilen.

Maßnahmen der EU und NATO

Sind weder Aserbaidschan noch die Türkei bereit, einzulenken und auf eine militärische Lösung zu verzichten, so sollten Sanktionen und vor allem der Stopp der Ausfuhr von Waffen und anderer militärischer Güter in beide Staaten ernsthaft geprüft werden.

Die EU ist hier in besonderer Weise gefordert und sollte auf falsche wirtschaftliche und migrationspolitische Rücksichtnahmen verzichten. Zudem sollte sich auch der Nato-Rat kritisch mit dem Krieg in Bergkarabach befassen, birgt doch das unabgestimmte Vorgehen des Partners Türkei das Risiko eines Konfliktes mit Russland.

Ein ernsthafter diplomatischer Lösungsprozess

Bei der Umsetzung des zweiten Ziels, der Initiierung eines ernsthaften diplomatischen Lösungsprozesses, gilt es, sich nicht von der Ergebnislosigkeit seit 1994 mehrfach unternommener Versuche entmutigen zu lassen. Auch hier bedarf es gezielten Drucks, um Aserbaidschan und Armenien an den Verhandlungstisch zu bringen.

Inhaltlich geht es um die Aushandlung eines Ausgleichs zwischen dem von Aserbaidschan reklamierten Recht auf Integrität seines Staatsgebietes und dem Recht auf Selbstbestimmung der in Bergkarabach lebenden Armenier. Dazu kann an im Rahmen der OSZE geleistete Vorarbeit angeknüpft werden.

Es gibt schon Lösungsvorschläge von der Minsk-Gruppe 

So wurde beispielsweise von der so genannten Minsker Gruppe bereits 2007 ein Lösungsvorschlag vorgelegt, der unter anderem den Rückzug Armeniens aus den besetzten Gebieten außerhalb Bergkarabachs und die Rückkehr von Aserbaidschanern dorthin vorsah, die Stationierung von Friedenstruppen, Wiederaufbauhilfe sowie zu einem späteren Zeitpunkt ein Referendum über den Status Bergkarabachs.

Angesichts der in der Vergangenheit gemachten Erfahrungen und der unerbittlichen Feindschaft, mit der sich Armenien und Aserbaidschan gegenüberstehen, mögen die vorstehenden Postulate wohlfeil erscheinen. Dennoch: ein entschiedenes außenpolitisches Engagement insbesondere Deutschlands und der EU ist auch eine Frage der außenpolitischen Glaubwürdigkeit.

Die EU-Staaten müssen sich zusammenraufen

Dies gilt selbst für den Fall, dass letzten Endes dann doch ein Arrangement zwischen der Türkei und Russland zur Lösung des Bergkarabach-Konfliktes führt, die EU und westliche Staaten nur unbeteiligt zuschauen können und lediglich gefordert sind, humanitäre und Wiederaufbauhilfe zu leisten. Die einfache Fügung in das realpolitisch Unvermeidliche kommt einer außenpolitischen Abdankung gleich.

Ein Lavieren, wie es die EU, Nato und andere westliche Staaten an den Tag legen, wird der Bedeutung des Krieges für die Sicherheit auf unserem Kontinent nicht gerecht. Bergkarabach zeigt einmal mehr: Die Mitgliedstaaten der EU müssen sich endlich zusammenraufen, um außenpolitisch nicht Spielball Dritter zu sein. Und die OSZE als die 1995 aus der KSZE hervorgegangene Organisation kollektiver Sicherheit muss wieder politische Aufmerksamkeit erfahren, ihre Autorität und Durchschlagskraft gestärkt werden.

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Walter Bühler | So., 8. November 2020 - 11:16

... aber gibt es überhaupt noch eine Chance für eine einheitliche EU-Außenpolitik, nachdem sich DE durch seine Politik so gründlich in der Rest-EU isoliert hat? Wie so viele andere sinnvolle Wünsche wird daher vermutlich auch dieser Wunsch nicht in Erfüllung gehen, so schlimm es für die betroffenen Menschen auch ist.

Wenn die Beteiligten zustimmen, dann könnte und sollte ein UN-Beauftragter die diplomatischen Bemühungen koordinieren. Alles andere muss den Streitparteien, mit Russen und Türken mit am Tisch, überlassen bleiben. Die Leute müssen ihre weit in die Geschichte zurückreichenden Konflikte selber lösen.

Ernst-Günther Konrad | So., 8. November 2020 - 11:39

Es ist wie mit einem Lagerfeuer in der Wildnis, einer muss immer dafür sorgen, dass es irgendwie glimmt, am Leben erhalten wird, man braucht ja ein Lagerfeuer. Es ist und bleibt auch da, wie überall in der Welt, ein Krieg der Religionen. Christen gegen Muslime, die Vorherrschaft des Glaubens in der Region, sowie die geopolitischen Interessen Russlands und der Türkei. Beide Kriegsparteien merken nicht, dass sie Spielball sind und die EU/Nato bleibt Zuschauer und darf ab und zu den Ball wieder ins Feld zurück werfen. Ich mache mir was die westlichen Bündnisse anbetrifft keine Illusionen. Die Nato fährt "auf Sicht" und hätte wahrscheinlich nicht mal genug Soldaten, dort Friedenstruppen zu installieren. Außerdem verdienen ja einige von den am Waffenhandel. Die EU darf und wird wie immer zahlen, wenn was aufgebaut werden soll, zu sagen haben sie nichts. Erinnert mich an Merkel. Bloß keine Verantwortung tragen, viel reden und nichts sagen. Wenn dann kann nur RUS und die Türkei das lösen.

Mein Vorschlag zu diesem Konflikt wäre eine Kosovo-Lösung, Herr Konrad.
Im Kosovo war die Bevölkerung mehrheitlich Albaner, gehörte aber terretorial zu Serbien.
Als dort der Konflikt eskalierte führte die NATO einen Luftkrieg gegen Serbien. Der Kosovo wurde unabhängig und nicht Albanien zugeschlagen. Man kann auch sagen: Ein Staat im Staate.
Bergkarabach könnte also auch Autonom & Unabhängig werden. Dort stellen ja die Armenier die Bevölkerungsmehrheit.
Problem hier: Aserbaidschan & die Türkei. Und die Russen möchten ja auch noch mitreden.

Bernhard K. Kopp | Mo., 9. November 2020 - 13:34

Antwort auf von Roland Völkel

Mit " Kosovo " wurde den ehemaligen UCK-Terroristen, und der albanischen Mafia, die immer schon ineinander verwoben waren, ein souveräner Staat geschaffen, damit die korrupten Eliten sowohl die eigene Bevölkerung ausbeuten können, und, sich an den Leistungen der EU bereichern können. Deutsche Immobilien, die man über Briefkasten-Firmen anonym erwerben kann, stehen an erster Stelle auf der Liste für die Anlage von korrupt erworbenem Fluchtkapital. Nach der herrschenden Erzählung war natürlich die russische Annexion der Krim das Staatsverbrechen gegen die europäische Ordnung. Kosovo war nach der Bombardierung Serbiens die politisch-moralische Kriegsbeute, also o.k.

Helmut Sandmann | Di., 10. November 2020 - 04:30

Antwort auf von Roland Völkel

Kosovo ist ein kuenstliches Staatsgebilde, finanziell 100% abhaengig von der EU. Sobald die NATO das Land verlaesst werden die im Kosovo noch verbleibenden Serben abgeschlachtet. Der frueher von den Kosovaren gewuenschte Anschluss an Albanien wird nicht weiter verfolgt weil es sich auf EU Kosten ganz gut leben laesst.

Dirk Jäckel | So., 8. November 2020 - 12:25

Es wäre erfreulich, wenn sich v.a. Frankreich einbrächte.Merkel als opportunistische und skrupelarme Erdogan-Abhängige wäre völlig ungeeignet, auch die Interessen der Armenier zu berücksichtigen. Selbst bei einem neuen 1915 wäre von ihr nichts zu erwarten.

Bernd Muhlack | So., 8. November 2020 - 17:55

Antwort auf von Dirk Jäckel

Die Armenien-Resolution qua des Genozids der Armenier seitens des Osmanischen Reiches wurde vom Bundestag mit sehr großer Mehrheit angenommen.
An der Abstimmung beteiligte sich kein einziges Mitglied der Bundesregierung, natürlich war auch die Kanzlerin absent - "Terminüberschneidungen".

Das Osmanische Reich war Verbündeter des Deutschen Reiches und Reichskanzler von Bethmann-Hollweg soll gesagt haben, dass ihn diese Armenier nicht interessieren, nur das Bündnis sei wichtig.
Man erinnere sich etwa an das Projekt "Bagdad-Bahn".

Der Rest ist Geschichte, das Ende bestens bekannt.

Sie haben Recht Herr Jäckel: bloß nicht Kanzlerin Frau Dr. Merkel oder ihr Adlatus, Höfling Heiko Maas!
Das sollen Putin, Erdogan und der Iran regeln, wie auch die causa Syrien.
Erst danach kommt die Stunde unserer Kanzlerin: "Kommet her all die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken!"
Das wird zeitlich nicht passen - es sei denn ...

Gott bewahre!!!
Und das sage ich: ein Ungläubiger, Atheist.

Jörg Müller | So., 8. November 2020 - 22:22

„Es geht um die Wahrung der im Zuge der Überwindung des Kalten Kriegs in der KSZE/ OSZE getroffenen Vereinbarungen über das friedliche Miteinander der Staaten im euro-asiatischen Raum.“ Tolle Ideen, nur muss man sie auch durchsetzen können. Die militärische Unfähig- und Unwilligkeit der europäischen Mächte ist doch mittlerweile eine Konstante, mit der jeder zuverlässig rechnen kann, weil es in der Mentalität des Wahlvolkes tief verankert ist.

Robert Schmidt | Mo., 9. November 2020 - 12:18

Wikipedia: "Die Armenier fühlten sich diskriminiert und waren besorgt, weil ihr Anteil an der Bevölkerung in Bergkarabach langsam, aber stetig abnahm (1926: 93,5 %, 1989: 73,5 %)"

Hier geht es doch um nichts anderes als eine Vollendung der Vertreibung, mit Erdogan als einer treibender Kraft!
Und "wir" unterstützen Erdogan mit Milliarden Euro mittels Flüchtlingsdeal, mittels Waffenlieferungen, mittels Vorzugsbehandlung, u.a..

Es ist schreiendes Unrecht und wenn Deutschland TATSÄCHLICH aus der Geschichte gelernt haben wollte (namentlich dem Genozid an den Armeniern unter deutscher Beteiligung), müsste es sich VÖLLIG entgegengesetzt verhalten.

Es ist eine Schande!