Tausende Formulare für die Briefwahl in den USA liegen in Umschlägen in einem Kasten / dpa

Gefährlicher Trend zur Briefwahl - Kein Gewinn für die Demokratie

Gerade in Zeiten von Corona wird immer häufiger per Briefwahl abgestimmt. Doch dieser Trend ist verfassungsrechtlich hoch problematisch. Und das liegt nicht an der Anfälligkeit für Manipulationen. Sondern am Kenntnisstand der Wähler zu einem bestimmten Termin.

Alexander Marguier

Autoreninfo

Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Nur mal gesetzt den Fall, die Vorwürfe der New York Post gegen Joe Biden würden sich bewahrheiten und der demokratische Präsidentschaftskandidat wäre tatsächlich in irgendwelche unsauberen Geschäfte mit der Ukraine involviert: Hätte das wohl Auswirkungen auf den Wahlausgang am 3. November? Ein anderes Beispiel: Sollten sich innerhalb der nächsten zwei Wochen Hinweise verdichten, dass Donald Trump versteckte Wahlkampfhilfe aus Russland oder vielleicht auch von Saudi-Arabien erhalten hat: Könnte ihn das seine Wiederwahl kosten? Wie gesagt, diese zwei Szenarien müssen gar nicht der Realität entsprechen, um eines deutlich zu machen: Unvorhergesehene Ereignisse können die Ergebnisse von Wahlen entscheidend beeinflussen. So weit, so normal.

Zu früh gewählt

Die Frage ist nur: Was passiert dann eigentlich mit den Stimmen, die bereits vor einer „gamechanging news“ abgegeben wurden? Was wäre mit einem Brief-Wähler, der etwa im Vertrauen auf Bidens weiße Weste diesem seine Stimme gegeben hat, bevor neue Erkenntnisse vom Gegenteil zeugen? Die Antwort: Pech gehabt, gewählt ist gewählt – das per Briefwahl abgegebene Votum lässt sich eben nicht zurückholen. Selbst dann nicht, wenn man aus sehr guten Gründen sein Kreuzchen lieber an anderer Stelle machen würde. Aber kann da eigentlich noch von einer „Gleichheit der Wahl“ die Rede sein, wenn Teile der Wahlbevölkerung einen Wissens- und Erkenntnisvorsprung gegenüber jenen haben, die ihren Stimmzettel „zu früh“ ins Couvert gesteckt und abgeschickt haben?

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Markus Michaelis | Do., 15. Oktober 2020 - 17:49

Ich finde die Gleichzeitigkeit weniger problematisch. Wahlen finden ohnehin nur alle paar Jahre statt und sollten weniger von Einzelereignissen bestimmt sein.

Problematischer scheint mir die freie Wahl. Bei einer Briefwahl, die sich zunehmend als Standard etabliert, kann niemand garantieren, dass der Wahlzettel nicht unter dem Druck einer Familie oder Gruppe ausgefüllt wurde.

Auch wenn vielleicht erst 5% unter Druck ausgefüllte Wahlzettel eine Wahl bedeutend beeinflussen können: schon weit davor würde alleine der Umstand, dass es passiert, das Vertrauen und die Legitimation der Ergebnisse untergraben.

Den eigentlichen Kern der Demokratie, das Vertrauen in die anderen und die Akzeptanz von Wahlsiegen, haben wir in D über Jahrzehnte als selbstverständlich angesehen. Wir lernen aber gerade, dass dem nicht so ist und man das auf keinen Fall riskieren sollte.

Tatsächlich ist die Gefahr der Beeinflussung bei der Briefwahl die wesentliche.

"Ich wähle immer was mein Mann wählt!" - der Chef des Haushaltes schaut beim Kreuzchen machen der folgsamen Wählerin über die Schulter, damit die politisch "Ungebildete" auch ja das Kreuzchen macht, wo es "hingehört". Nix mit geheimer und freier Wahl. Gab und gibt es.

Das lässt sich aber nicht abstellen. Sehr wohl dagegen das Durcheinander von wegen unterschiedlicher Abgabetermine und Auszählung. Was spricht dagegen, die Briefwahlstimmen ALLE am Wahlabend zu zählen?

Und was die Information des Wählers angeht: Da gibt es nie den einen, richtigen Zeitpunkt. Oftmals kommen massive Beeinflussungen erst nach der Stimmabgabe an die Öffentlichkeit - oder auch nicht. Beispiel Brexit: Da sind massiv Gelder für das Pro-Brexit-Camp geflossen, und man weiss bis heute nicht, wo die herkammen. Siehe Spendenaffairen der AfD. Oder Putins Parteinahme zugunsten Trump.

.... die vielen Vertreter von (bestimmten Parteien nahestehenden) Wohlfahrtsindustrien und NGO`s, die vor den Wahlen scharenweise durch die Pflegeheime streifen.....

Günter Johannsen | Do., 15. Oktober 2020 - 18:39

Briefwahl sollte nur im Notfall (Krankheit; Dienstreise etc.) erlaubt sein. Die Beispiele von Herrn Alexander Marguier finde ich gar nicht so abwegig: " … auch die Pädophilendebatte bei den Grünen (sexuelle Befreiung der Kinder) nahm erst Fahrt auf, als viele Bürger ihre Stimme schon bei der Briefwahl vergeben hatten … " Außerdem würde es den bösen Menschen den Wind aus den Segeln nehmen, die behaupten, Briefwahl ermöglicht und fördert Wahlmanipulation! Ich glaube, Briefwahl war ursprünglich als Notbehelf gedacht. Dabei sollte man es auch belassen!

Christa Wallau | Do., 15. Oktober 2020 - 19:41

Bei Wahlen, die eine einzige Entscheidung erfordern, d. h. eine Partei bzw. deren Spitzenkandidaten betreffen, sollte die Briefwahl unbedingt beschränkt werden auf Ausnahmefälle, die begründet werden müssen.
Es ist tatsächlich nicht unwichtig, daß alle Bürger ihre Wahl am gleichen Tag treffen, weil nur dann diese Wahl das Ergebnis einer Erhebung ist, bei der die Bedingungen für a l l e gleich waren.

Anders verhält es sich bei Kommunalwahlen, bei denen jede Menge Kandidaten aufgelistet sind und bei denen nicht selten noch kumuliert und panaschiert werden kann.
Hier braucht man, um gültig zu wählen, viel Zeit!
Unter Druck in einer Wahlkabine verzählt man sich leicht und macht damit u. U. seinen Wahlzettel ungültig. Bei Briefwahl kann man zuhause in aller
Ruhe und Präzision seine Auswahl treffen.

Bernd Muhlack | Do., 15. Oktober 2020 - 19:47

war ich erstmals Briefwähler.
Stationärer Aufenthalt im KH - kommt eben ab und an vor.
Vorab zitiere ich einen meiner besten Dozenten, Prof. Dr. Paul Kirchhof; genial und viel Humor:
"Jede Stimme hat den gleichen Zählwert, jedoch nicht denselben Erfolgswert."

Zitat
"Aber kann da eigentlich noch von einer „Gleichheit der Wahl“ die Rede sein, wenn Teile der Wahlbevölkerung einen Wissens- und Erkenntnisvorsprung gegenüber jenen haben, die ihren Stimmzettel „zu früh“ ins Couvert gesteckt und abgeschickt haben?"

Werter Herr Maguier, in unserer heutigen Zeit sollte man von vielen Medien keine neutrale, objektive Vermittlung von Wissen/Erkenntnis erwarten.
Das ist die Aufgabe eines jedweden Zeitgenossen himself!

Ich erinnere die SH-Wahl 1987 "Waterkantgate"; Barschel gg Engholm und das "Ehrenwort"
In der Tat, ein worst case am SA vor der Wahl!

Aktuell ist soviel Framing, Wording, Gedönsing, dass der finale "Fäkalienwurf" am Tag vor der Wahl eher unerheblich ist.

18:00 GONG - PROGNOSE ?

Kai-Oliver Hügle | Fr., 16. Oktober 2020 - 08:03

Ihre Bedenken sind plausibel begründet. Anknüpfend an Ihre eingangs formulierten Szenarien aus dem amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf möchte ich jedoch zu bedenken geben, dass die Wahlentscheidung vieler Bürger heutzutage von systematischer Desinformation beeinflusst wird. Hier nur ein Beispiel von vielen:

"Der Kurznachrichtendienst Twitter hat mehrere Konten gesperrt, deren Inhaber sich anscheinend fälschlicherweise als afroamerikanische Befürworter des US-Präsidenten Donald Trump ausgegeben haben. Über die Profile wurden häufig identische Kurznachrichten verbreitet. Sie lauteten etwa: 'Ja, ich bin schwarz und wähle Trump!'."

https://www.spiegel.de/politik/ausland/us-wahlkampf-twitter-sperrt-fals…

Angesichts solcher u.v.a. Meldungen muss man sich fragen, ob nicht die Qualität der Informationen viel problematischer ist als das Timing und die Schwächen des Briefwahlverfahrens.

Günter Johannsen | Fr., 16. Oktober 2020 - 10:03

Antwort auf von Kai-Oliver Hügle

(kann hier leider kein Passfoto beifügen), wähle aber trotzdem nicht grün, denn wenn man bei vielen Grünen den Lack abkratzt, schimmert die rote Grundfarbe der 68er durch, Herr Hügle. Und ja: "Ihre Bedenken sind plausibel begründet."

Ferdinand Schulze | Fr., 16. Oktober 2020 - 08:37

...ist die Briefwahl nicht weniger aussagekräftig. Im Gegenteil: ich behaupte, dass sich Briefwähler - zumindest bei uns in D - längerfristig ihre Meinung bilden, ihre Wahlentscheidung lange vor der Wahl feststeht. Eine Wahlentscheidung aufgrund von aktuellen Skandälchen, "Katastrophen" oder gar irgendeiner TV-Sendung mit Politikern zu treffen, halte ich nicht für sinnvoll. Wenn ich beispielsweise vier Jahre schlechte Schulpolitik mit einem Politiker in einem Bundesland erlebt habe, dann urteile ich nicht danach, was der - gut frisiert und geschminkt - in der letzten Talkshow vor der Wahl für dieZukunft verspricht. Das ist was für Doofe.

gabriele bondzio | Fr., 16. Oktober 2020 - 08:56

Hinweise verdichten, dass Donald Trump versteckte Wahlkampfhilfe aus Russland...“... Tja Herr Marguier, Propagandagranaten sind ja heutzutage das A und O in der realen Politik.
Um der zu erreichenden Mach willen versucht Jeder der Gegenseite so viel wie möglich unterzujubeln. In Voraussicht der Wähler schluckt jede vorgesetzte Kröte brav runter.
Andererseits blüht die regierungsamtliche Halbwertzeit so mancher Veröffentlichung. Das ist nicht nur in Amerika Mode, dass die Lebensdauer einiger hochgeputschter Nachrichten oft sehr kurz ist.
Die Kämpfer für das „Gute“ sind hier besonders eifrig! Im Bemühen Hass und Hetze zu unterbinden, werden diese Kategorien erst richtig ausgekostet.
Der Wähler ist freilich bei einer Briefwahl der Geblaumeierte, wenn er feststellt. Auf Grund von Fake-News manipuliert, seine Stimme vorschnell abgegeben zu haben. Keiner ist gefreit reingelegt zu werden.
Wir werden sehen, dass sich vor Briefwahlen, die negativen Nachrichten über Kandidaten mehren.

Ernst-Günther Konrad | Fr., 16. Oktober 2020 - 09:17

Mindestens seit 2013 nicht mehr. Warum? Nun, da machte sich eine Partei namens AFD auf, eine von Merkel geschaffene Opposition, die sich wagte, Ihre Politik zu kritisieren und zu hinterfragen. Schnell begann das lächerlich machen, Stigmatisieren, schlecht reden, heute zu "Nazis" zu erklären, faktisch "unwählbar" und inzwischen unsichtbar/unhörbar zu machen. Mit Hilfe der staatlich finanziert Medien/ÖRR auch kein Problem mehr. AFD wird nur erwähnt, wenn die "wieder" mal was Schlimmes gesagt haben. Wer politisch interessiert, gar in einer Partei ist, weiss schon, wen er wählt. Ihre Aussage der Gleichzeitigkeit von Wahlen, trifft doch nur auf die Unentschlossenen zu. Ja, mag sein, das man deren Entscheidung durch ein frisches "Skandälchen" beeinflussen könnte. Nur wurden die Wähler schon lange vorher manipuliert und bis zum letzten Tag mit Umfragen, Prognosen und Beliebtheitsskalas gelenkt. Briefwahl hin- oder her. Wer macht das Kreuzchen eigentlich für die wenigen Alten in Heimen?

Mit dem Auftreten der AfD auf der politischen Bühne verschwand der letzte Rest von
Fairness im Wahlkampf. Aber nicht die AfD war die Ursache dafür, sondern der Umgang der anderen Parteien mit ihr, der verhaßten Konkurrenz.
Die AfD wurde quasi zum Freiwild erklärt, auf das jeder schießen durfte, was das Zeug hielt.
O B W O H L von honorigen Leuten gegründet (unter Einhaltung aller Regeln, die auch für andere Parteien gelten) und O B W O H L sie mit einem absolut
grundgesetztreuen Programm auftrat, wurde diese neue Partei vom ersten
Augenblick ihres Daseins an als rechtsradikal, demokratiezersetzend und
hochgefährlich verschrien. Dieser vernichtende Prozeß vollzieht sich jetzt ununterbrochen seit mehr als sieben Jahren!
Die AfD erhielt n i e eine faire Chance, mehr Unentschlossene für sich zu gewinnen.
Daß sie trotzdem ca. 10% festen Wählerstamm hat, ist darauf zurückzuführen, daß sie bereits bei ihrer Gründung so viele tief enttäuschte Konservative auf sich verbuchen konnte.

... GANZ so wie von Ihnen beschrieben habe ich das nicht erlebt. Die Kritik an der Alt-AfD kam von den Befürwortern der angeblich alternativlosen, europäischen Quasi-Schuldenunion durch Frau Merkel, die EZB und andere.
Die Kritik an der Neu-AfD seit Mitte 2015 richtet sich gegen deren Ansichten zur angeblich ebenfalls alternativlosen Flüchtlingspolitik von Frau Merkel und anderen. Das sind für mich zwei verschiedene Paar Schuhe, und die Kritik der Alt-AfD an der EZB-Europolitik wurde halt NICHT mit rechten bis sehr rechten Argumenten, Vergleichen und Parolen geführt, was ich gut fand und unterstützt habe. Jetzt will ich das nicht mehr, obwohl auch ich diesbezüglich verschiedene Problematiken in der praktizierten Politik sehe.