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Rettungssanitäter in Berg-Karabach tragen einen Toten zu einem Krankenwagen / dpa

Belarus, Kirgistan und Berg-Karabach - Russlands Korrektur der Katastrophe

Belarus, Kirgisistan oder Berg-Karabach – ob Zufall oder nicht, die derzeitigen Ereignisse in diesen drei Gebieten entsprechen einem Muster russischer Politik. Dahinter könnte Wladimir Putins Wunsch stehen, eine historische Korrektur zu erzielen.

Autoreninfo

George Friedman, 74, ist einer der bekanntesten geopolitischen Analysten der Vereinigten Staaten. Er leitet die von ihm gegründete Denkfabrik   Geopolitical Futures  und ist Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschien „Der Sturm vor der Ruhe: Amerikas Spaltung, die heraufziehende Krise und der folgende Triumph“ im Plassen-Verlag.

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Diese Kolumne erscheint regelmäßig auf cicero.de in Kooperation mit der Denkfabrik Geopolitical Futures.

Der russische Präsident Wladimir Putin hat den Zusammenbruch der Sowjetunion einmal als die „größte geopolitische Katastrophe der Geschichte“ bezeichnet. Auch wenn das mit Blick auf die gesamte Historie des Landes vielleicht nicht zutrifft, so doch mit Sicherheit auf die neuere russische Geschichte. Denn der Kollaps des Sowjetreichs hat Russland das gekostet, was es am meisten braucht: strategische Tiefe. Bis 1989 befand sich die Westgrenze Russlands faktisch in der Mitte Deutschlands. Der Kaukasus wiederum schirmte Russland vom Süden ab. Zentralasien war ein riesiger Puffer gegen Südasien und nicht zuletzt gegen China. Mit anderen Worten: Das russische Kernland war in alle Richtungen abgesichert.

Mit dem Zerfall der Sowjetunion verschob sich die russische Westgrenze hinter das Baltikum, die Ukraine und Weißrussland zurück. Russland behielt den Nordkaukasus, verlor aber den Südkaukasus – Aserbaidschan, Georgien und Armenien. Zentralasien zerfiel in unabhängige Staaten. Dieses Schrumpfen Russlands bedeutete nicht nur eine Verkleinerung, sondern auch eine Verringerung des Abstands zwischen potenziellen Feinden.

Absichtsvoll herbeigeführte Unfälle

Russland versuchte unweigerlich, die Grenzen neu zu ziehen, bevor eine ernsthafte Bedrohung entstehen konnte. Die Tatsache, dass diese zunächst ausblieb, ließ Russland etwas Zeit gewinnen. Aber für ein Land wie Russland können sich schnell neue Unsicherheiten ergeben. Deutschland entwickelte sich binnen weniger als einem Jahrzehnt von einer abgewrackten Nation in eine aus russischer Sicht existentielle Bedrohung. Die Russen mussten ihre strategische Tiefe vergrößern – jedoch ohne einen befürchteten Angriff auszulösen, bevor das Projekt vollendet war.

Wir haben in den vergangenen Monaten drei Ereignisse erlebt – eines in Belarus, eines im Südkaukasus, eines in Kirgisistan –, die allesamt Teile von Russlands verlorenen Grenzgebiete umfassen. Um es klar zu sagen: Es ist durchaus möglich, in den drei Krisensituationen eine mit dem strategischen Problem Russlands verknüpfte innere Logik zu erkennen, obwohl vielleicht überhaupt kein Zusammenhang besteht. Zufälle gibt es in der Geschichte zur Genüge, bei manchen vermeintlichen Zufällen handelt es sich aber tatsächlich um absichtsvoll herbeigeführte Unfälle. Wie dem auch sei, ob Zufall oder Unfall: Am Ergebnis ändert das nicht viel.

Belarus als wichtiger Puffer

In Belarus, einem wichtigen Puffer in der nordeuropäischen Tiefebene, wurde der langjährige Präsident Alexander Lukaschenko im August bei einer Wahl in seinem Amt bestätigt, die viele als illegitim sehen. Die Proteste gegen den Wahlausgang dauern seither mit wechselnder Vehemenz an. Das Verhältnis Russlands zu Lukaschenko ist kompliziert: Er versucht, ein Gleichgewicht zwischen Russland und dem Westen herzustellen, wo es geht – gleichwohl kann Lukaschenko kaum als prowestlich bezeichnet werden.

Er und Moskau haben ihre Differenzen, aber Moskau war immer sehr einflussreich in Minsk und hatte deswegen stets eine unvollkommene Lösung für Lukaschenkos strategisches Dilemma gegenüber dem Westen parat. Würde Lukaschenko durch jemanden ersetzt, der Russland feindseliger oder dem Westen freundschaftlicher gegenübersteht, könnte dies die Nato, Polen und die Amerikaner faktisch weiter nach Osten bringen und eine russische Stadt wie Smolensk zu einem Grenzposten degradieren.

Kirgisistan zwischen Russland und China

In Kirgisistan, das zwischen Russland und China liegt, gibt es ähnliche politische Unruhen. Auch hier hat eine Wahl zu Betrugsvorwürfen und Großdemonstrationen geführt. Die Russen unterhalten dort einige militärische Einrichtungen, aber der wichtigste Punkt ist, dass Kirgisistan einen Puffer zwischen Russland und China bildet. Russland und China sind derzeit nicht zerstritten, aber sie haben noch in den 1960ern gegeneinander gekämpft. Das mag zwar schon 60 Jahre her sein, doch Geopolitik führt dazu, sich zu wiederholen.

Welche aktuellen Interessen China und Russland auch immer verfolgen mögen – beide sind erfahren genug mit historischen Weichenstellungen, und keiner will, dass der andere einen Vorteil hat. Es ist unklar, ob das belarussische Skript hier funktionieren wird, aber Moskau hat ein Interesse an den aktuellen Geschehnissen in Kirgisistan. Und weil dort wahrscheinlich ein Vermittler gebraucht wird, wäre eine Einmischung Russlands nicht überraschend.

Berg-Karabach – ein hoch komplizierter Konflikt

Im Südkaukasus wiederum ist zwischen Aserbaidschan und Armenien ein Krieg um die Region Berg-Karabach ausgebrochen – um jene umstrittene Enklave, die von ethnischen Armeniern innerhalb Aserbaidschans regiert wird. Im Großen und Ganzen wird Aserbaidschan wie bisher von der Türkei unterstützt, einem Land, zu dem Aserbaidschan eine ethnische Affinität hat, während Armenien von Russland unterstützt wird.

Aber der Konflikt ist noch viel komplizierter. Zum einen hat Aserbaidschan wichtige Beziehungen zu Russland, die man nicht abbrechen will. Zum anderen wäre der russische Geheimdienst sicherlich über die Kriegsvorbereitungen in Aserbaidschan informiert gewesen und hätte der dortigen Regierung daher geraten, sich angesichts der Beziehungen Moskaus zu Armenien zurückzuziehen. Das ist aber nicht geschehen.
 
Schließlich hat Russland festgestellt, dass der Vertrag, den es mit Armenien hat, Berg-Karabach nicht einschließt und dass Moskau daher nicht verpflichtet ist, militärisch an der Seite Armeniens zu intervenieren. Die Russen nutzen den Krieg offensichtlich, um ihren Einfluss auf Aserbaidschan, das mächtigste und reichste Land im Südkaukasus, zu vergrößern. Übrigens half Moskau bei der Aushandlung eines Waffenstillstands, der jedoch schnell zerfiel. Ohne Russland hat Armenien nur wenige Optionen. Georgien, das 2008 von Russland überfallen wurde, wird keine große Hilfe sein, und die Vereinigten Staaten, die Georgien in diesem Krieg geholfen hatten, werden sich wahrscheinlich raushalten.

Moskau geht ein Risiko ein

Indem die Russen ihre Unterstützung scheinbar von Armenien nach Aserbaidschan verlagern – oder genauer gesagt: beide Länder in die russische Umlaufbahn bringen –, lösen sie zwei entscheidende strategische Probleme. Erstens sichern sie den Südkaukasus als potenzielles Einfalltor für Invasoren aus südlicher Richtung. Zweitens wird aus russischer Perspektive der Nordkaukasus durch die zunehmende Kontrolle über den Südkaukasus sicherer gemacht. Natürlich kontrolliert Russland bereits den Nordkaukasus und unterhält dort eine starke Verteidigungslinie, aber in Tschetschenien und Dagestan gibt es militante islamistische Bewegungen, von denen Moskau behauptet, diese würden von den USA durch Mittelsmänner aus dem Südkaukasus unterstützt. Ob das stimmt oder nicht: Moskau geht kein Risiko ein.
 
Es ist demnach erkennbar, dass mit den derzeitigen Ereignissen an Russlands West- und Südgrenzen die von Putin beklagte „geopolitische Katastrophe“ korrigiert wird. Es rumpeln keine Panzer, aber die aktuelle Politik scheint sich in diese Richtung zu bewegen. Natürlich kann das alles Zufall sein. Aber ob Kalkül dahinter steckt oder nicht: Die jetzt in Gang gesetzte Entwicklung ist allemal eine genaue Beobachtung wert.

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Klaus Funke | Mi., 14. Oktober 2020 - 13:07

Früher sagten wir "Kremlastrologie" zu solchen Vorhersagen und Bewertungen. Es sind allesamt Spekulationen mit dem Ziel Russland abzuwerten... Für mich (ich betone: Für mich!) absolut uninteressant. Außerdem: Richtige Diskussionen zu diesem Thema sind auch hier bei CICERO leider nicht möglich... weil, die Redaktion meint zensieren zu müssen... also lassen wir es als Meinungsbeitrag stehen!

Reinhold Schramm | Mi., 14. Oktober 2020 - 14:41

Antwort auf von Klaus Funke

Noch in der Endphase vor der Auflösung der Sowjetunion kam es zu vereinzelten regionalen Abstimmungen über die weitere Existenz der UdSSR. Dabei sprachen sich rund 70 Prozent der an einer freien Entscheidung beteiligten Regionen für die (reformierte) Beibehaltung der Union der Sowjetrepubliken aus.

Diese Abstimmung war lediglich regional und fand keine Ausdehnung auf die damaligen Sowjetrepubliken in ihrer Auflösung. Letztlich wurde eine Abstimmung der Völker der Republiken von der sich in Auflösung befindlichen politischen Führung verhindert.

In der weiteren Folge konnten sich die einstigen Komsomolzen in der Führung und Verwaltung der großen Unternehmen durchsetzen und ihre persönliche und familiäre Bereicherung als (neue) ökonomische Oligarchen und Kapitalisten durchsetzen.

PS: Eine weltanschauliche marxistisch-leninistische Verankerung [im Massenbewusstsein der Arbeiterklasse] hat es auch in der Führung und Basis der historischen KPdSU nicht gegeben.

Bernhard K. Kopp | Mi., 14. Oktober 2020 - 15:43

Antwort auf von Klaus Funke

Zum Süd-Kaukasus kann ich nichts sagen, nur dass diese Länder nie " russisch " waren. Zentralasien sind Turk-Völker, die von den Russen, wie von einer überheblichen Kolonialbesatzung, schlecht behandelt wurden. Das Baltikum war zwar lange Zeit auch unter zaristischer Souveränität, war aber nie russisch. Ukraine und Belo-Russia sind wohl für die meisten Russen heilige, russische Erde. Kiew ist die Mutter aller russischen Städte - steht sogar so im Reiseführer. Die Kultur- und Staatsgeschichte der Ost-Slawen ist bekannt. Wir wir wissen, fehlt in Kiew und in Minsk eine Staats- und Wirtschaftselite, und in der Gesamtbevölkerung eine ausreichende nationale Identität, um aus diesen abgespaltenen russischen Provinzen politisch und wirtschaftlich eigenständige Staaten zu machen, die auch nur eine Chance hätten in einer Generation eine eigene rechtsstaatliche Ordnung mit Aussicht auf eine Demokratie zu organisieren.

Meine Familie kommt aus Kasachstan du willst mir erzählen das die Kasachen schlecht behandelt worden sind. Viele waren Testpiloten und Kosmonauten. Mal wieder einer der mir was erklären will wovon er keine Ahnung hat, solche Leute sind die besten. Ach die Mischehen will ich gar nicht mal erwähnen. Junge junge

Bernhard K. Kopp | Do., 15. Oktober 2020 - 06:51

Antwort auf von Wladimir Kappes

Dem Namen nach sind sie kein ethnischer Kasache. Ich habe in 2000 ca. 6 Monate in Almati gelebt und gearbeitet und dabei auch in Bishkek und Astana zu tun. Meine lokalen Mitarbeiter waren alles jüngere Kasachen. Meine persönlichen Eindrücke und Erfahrungen werden auch durch sozialwissenschaftliche Studien gedeckt.

Yvonne Stange | Mi., 14. Oktober 2020 - 16:27

Antwort auf von Klaus Funke

.... wiederholt bin ich Ihrer Meinung. Rußland im Verbund mit China sind so stark wie nie zuvor. Die neue Seidenstraße wird noch mehr Macht bündeln und wie Lawrow so treffend sagte: Rußland ist es leid, mit Europa zu reden, es braucht Europa nicht.
Traurig nur für die Industrie im Osten, die wird baden gehen.
Zur Qualität des Artikels: etwas anderes als Rußland-Bashing dürfte doch eh nicht abgedruckt werden. Also das übliche. ;-)

Dirk Jäckel | Mi., 14. Oktober 2020 - 13:43

"Dieses Schrumpfen Russlands..."
Dieser Ausdruck ist natürlich inkorrekt. Der russische (Teil-)Staat hatte nach seinem Austritt (!) aus der SU denselben Umfang wie davor.
Was Armenien betrifft, ist bei den türkischen Nationalisten wieder einmal die übliche Doppelmoral zu bemerken: Armenien tat Anfang der 90er dasselbe wie die Türkei 1974 in Zypern: Einfach mal sich soviel nehmen, wie man kriegen konnte und das Ganze ethnisch säubern. Aber: Armenien hat wenigstens erklärt, die Gebiete, welche nicht zu Berg-Karabach gehören, lediglich als Verhandlungsmasse anzusehen.
Im Übrigen wird diese seit jeher opportunistische Kanzlerin für Armenien keinen Finger rühren aus Angst vor ihrem kerikalfaschistoiden Erpresser in Ankara. Hoffen wir wenigstens, dass sich die unverzeihliche deutsche Schande von 1915 nicht wiederholt.

Ernst-Günther Konrad | Mi., 14. Oktober 2020 - 16:22

Sie mögen ja an der einen oder anderen Stelle durchaus recht haben Herr Friedmann. Nur, dann stellen Sie einen Satz in den Raum, der mich verblüfft. Sie schreiben:
"Deutschland entwickelte sich binnen weniger als einem Jahrzehnt von einer abgewrackten Nation in eine aus russischer Sicht existentielle Bedrohung."
Die einzige Bedrohung die wir Deutschen haben ist Merkel. Okay. Sollte sie Anstalten machen, Putin abzulösen, stimme ich dem Bedrohungsszenario zu. Mit was soll Deutschland oder die NATO denn ernsthaft Russland gefährlich werden? Bei der BW in DE geht fast gar nichts, veraltet, kaputt, schießt nicht mehr, fliegt nicht, taucht nicht, schwimmt nicht, haben keine Soldaten. Ach doch, wir könnten ja die an den Standorten der BW betreuten Kinder fragen, ob sie Krieg spielen wollen.
Die EU ist zerstritten, die NATO ebenso. Da gibt es weder Zusammenhalt, Strategie noch wirklich klare Meinung zu Russland oder zu anderen Konflikten.
Frankreich und die Briten allein machen es nicht aus.

Deutschland als existentielle Bedrohung begreifen, sagt das wohl eher etwas über den höchst seltsamen Realitätsinn in Moskau aus.

Dort scheint man noch immer in den Kategorien der untergegangen Sowjetunion zu denken.
So wie bei uns manche Ostdeutsche wohl ewig unterdrückte DDRler bleiben werden, ist Putin ein Produkt sowjetischer Sozialisation. Und die kennt den Westen als ewigen Feind.

Durchaus konsequent zündelt Putin in den Nachbarländern, um seinen Einfluss zu sichern und zu erweitern.

Gleichzeitig unterstützt er überall in Europa rechtsextremistische und rechtspopulistische Parteien in deren Bemühen, die EU - für Putin ebenfalls ein Feind - zu destabilisieren.

Man erkennt unschwer an der Reaktion des rechten Randes, dass er damit durchaus Erfolg hat.

Das heutige Russland ist ein aggressiver, völkisch-erzkonservativer Staat, zumindest solange Putin an der Regierung bleibt. Und das wird wohl auf Lebzeiten der Fall sein.

Putins Vorstellung von gelenkter Demokratie..bequem.

.... Rußland, resp, Putin begreifen Deutschland keineswegs als existentielle Bedrohnung, dies ist nur die völlig unmaßgebliche Meinung eines einzelnen Herren aus einer "Denkfabrik".....
Ich hätte auch gerne mal so ein - zwei Beweise, wo denn Putin in den Nachbarländern "zündelt" bzw. "überall in Europa rechtsextremistische und rechtspopulistische Parteien in deren Bemühen, die EU - für Putin ebenfalls ein Feind - zu destabilisieren" unterstützt, das ist genau der gleicher Lacher ..... xD
"Das heutige Russland ist ein aggressiver, völkisch-erzkonservativer Staat..." mei oh mei.... drunter geht es scheinbar gar nicht mehr....

Wie tief sitzen doch bei manchen Deutschen die Vorurteile über andere Völker! Ach, der nachdenkliche Willy Brandt hat offenbar bei vielen keine Spuren hinterlassen. Ja, er sitzt tief, der deutsche Russenhass. Oder ist es die Angst? Wie dem auch sein, es ist einfach traurig. Man könnte offenbar problemlos den Geschichtsunterricht einsparen, weil bei so vielen Deutschen einfach nichts hängen bleibt.

Ich glaube der abgewrackte Staat war Westdeutschland 1945 und die Bedrohung war Deutschland in der NATO, vlt. 1980. Jedenfalls bevor abgerüstet wurde. Allerdings ist Deutschland nicht so harmlos wie es heute aussieht. Potentiell kann innerhalb weniger Jahre massiv aufgerüstet werden, allerdings nicht mit den heutigen Parteien. Sollte bsw Russland die halbe Ukraine annektieren, könnte so etwas die Folge sein. Schätze, deshalb hat Putin sich da zurück gehalten.

Eberhard Will | Mi., 14. Oktober 2020 - 17:01

Was ist das für eine Denkfabrik, die so einen offensichtlichen Unsinn formuliert? "Deutschland entwickelte sich binnen weniger als einem Jahrzehnt von einer abgewrackten Nation in eine aus russischer Sicht existentielle Bedrohung." Das würde bedeuten, dass die russische Führung die politischen Absichte, die wirtschaftlichen Interessen und die militärischen Fähigkeiten der Deutschen völlig falsch einschätzen würde. Da fragt man sich schon, ob die übrigen Ausführungen solider fundiert sind.

Tomas Poth | Mi., 14. Oktober 2020 - 20:11

... binnen weniger als einem Jahrzehnt ....
Ich denke hier ist die Zeit nach dem ersten Weltkrieg gemeint, anders kann ich das nicht verstehen.
Liegt Kirgisistan nicht zwischen China und Kasachstan? Eine unabhängige Republik mit der Hauptstadt Nur-Sultan (Astana).
Im Moment zündelt doch Erdogan im Konflikt um Berg-Karabach. Und zwischen dieser Region und Russland liegt noch Georgien!
Erdogans Zündeleien, in Syrien, Zypern und Berg-Karabach sollten mal einer Analyse unterzogen werden! Türkei ist Natoland kann es Absicht sein oder ist es Zufall dass Unruhe in dieser Region geschürt wird um Russland/Putin zu reizen?

Kai Hügle | Mi., 14. Oktober 2020 - 21:11

Als Sohn ungarischer Emigranten hat Friedman den Anti-Kommunismus verinnerlicht und in eine sehr Russland-kritische Haltung überführt. Seine Argumentation muss man nicht teilen, sie ist aber schlüssig.
Wie eigentlich alles, was das Ciciero-Forum nicht mag, so wird auch dieser Beitrag mit dem Standardvorwurf des "bashing" belegt.
Argumentativ armselig!
Stattdessen bejubeln AfD-nahe Foristen, die häufig auf die leidvollen Erfahrungen im DDR-Unrechtsregime verweisen, nun einen ehemaligen KGB-Offizier, der die Krim annektiert, "grüne Männchen" in die Ost-Ukraine geschickt, und in Syrien Kriegsverbrechen begangen hat,

https://www.theguardian.com/world/2020/mar/02/russia-committed-war-crim…

die jene Flüchtlingsbewegungen mitverursachen, die hier seit fünf Jahren z. T. groteske Untergangsfantasien auslösen.
Ironie der Geschichte: Diese Foristen sind das, was Heiner Geißler in den 80ern der SPD vorwarf zu sein - die "fünfte Kolonne Moskaus"!

Solchen Unsinn, 5 Kolonne, kann man ja gerne äußern. Und wer Russland-Haß in seinem Gemüt trägt muss sogar so reden.
Aber man sollte immer alle Aspekte betrachten. Einer davon ist, aus russischer Sicht, die Nato rückt Moskau immer weiter auf den Pelz. Als letzter Baustein fehlt noch die Ukraine.
Die Truppen der Wehrmacht standen Herbst 42 bis kurz vor Moskau, im Kaukasus und bei Stalingrad, also derzeit um einiges weiter als die Nato heute.
Man könnte Deutsche die die Nato-Ausdehnungs-Politik unterstützen auch als Revanchisten bezeichnen wollen. Sind Sie so einer?

Kai Hügle | Do., 15. Oktober 2020 - 17:45

Antwort auf von Tomas Poth

Weil ich ein Problem mit Annexion und Kriegsverbrechen habe und Sie einer Partei folgen, deren Ehrenvorsitzender stolz auf die Leistungen der Soldaten im Ersten und Zweiten Weltkrieg sein will, deren Landeschef Thüringen eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" fordert und deren Fraktionsvorsitzende im Bundestag die Bundesregierung für "Schweine" bzw. "Marionetten der Siegermaechte des 2. WK" hält??

Romuald Veselic | Do., 15. Oktober 2020 - 05:29

die Russen sind Europäer, europäisch geprägt, obwohl manchmal die Methoden der orientalischen Despotie anwenden. Denn; dem Despoten mit Menschenrechten o. Selbstbestimmung beizukommen, ist etwa so zu verwirklichen, wie Oktoberfest in Teheran. Abgesehen davon, schon mental/kulturell, sind mir Russen wesentlich näher, als Anatolier. Es liegt darin, dass man beim Doppelkorn u. Wodka, Samowar und Kaviar, sich mit einem Moskowiter sehr gut versteht.
Zugegeben, es gibt keine ideale Lösungen. Dennoch sind mir die russischen Lösungen lieber, als die anatolischen. Anatolien; liegt in Asien. Nur weil TR EU-Mitgliedschaft beantragte, ändert sich an der Geo-Politlage u. vorherigen geschichtlichen Tatsachen nichts. Framing hin oder her.

Christoph Kuhlmann | Do., 15. Oktober 2020 - 08:20

Sowjetrepubliken als Pufferstaaten sieht, die es weitgehend unter Kontrolle bringen möchte ist verständlich. Es ist allerdings die uralte imperialistische Landkartenlogik, die in Europa überwunden werden muss wenn es so etwas wie Bedeutung behalten will. Da ist eine Führungsrolle in einer Schlüsseltechnologie erheblich wichtiger als dünn besiedelte Regionen. Dasselbe gilt für Russland. Man kann das Ganze auch anders sehen, wird Weißrussland europäischer wird dies auch Wirkung auf Russland haben. Genau darin besteht aber auch das Risiko. Fällt Lukaschenko, ist dies ein Meilenstein auf dem Weg zum Sturz von Putin. Die eigentlichen Machtkämpfe spielen sich hinter den Kulissen ab und sind damit intransparent. Allerdings scheint die Macht der Oligarchie in solchen Demokratisierungsprozessen zu erodieren. Doch da muss man in Jahrzehnten denken, obwohl es plötzlich sehr schnell gehen kann.

Andre Möller | Do., 15. Oktober 2020 - 08:43

Geht Moskau nun ein Risiko ein oder nicht? Der letzte Absatz ist offensichtlich fehlerhaft... Astana oder Nur-Sultan ist die Hauptstadt von Kasachstan und Kirgisien liegt zwischen China und Kasachstan. Die zentralasiatischen Länder sind erst seit knapp 30 Jahren formell unabhängig, faktisch sind sie es nicht, die zentralasiatischen Völker hatten nie eigene Staaten gebildet - ebenso wie fast alle anderen ehemaligen Sowjetrepubliken. Rußland bleibt der Pol, um den sie kreisen - einige mögen sich was anderes wünschen, die Realität ist eine andere. Zentralasien ist nunmehr eine Einflußsphäre Chinas und Rußlands. Die EU ist außen vor, selbstverschuldet, und sie arbeitet weiter unermüdlich daran... Ich betrachte Herrn Friedmans Text nicht als Analyse - es sind eher ein paar sprießende Gedanken... ich hätte da mehr erwartet.

Walter Bühler | Do., 15. Oktober 2020 - 10:42

Friedman: "Es rumpeln keine Panzer, aber die aktuelle Politik scheint sich in diese Richtung zu bewegen. Natürlich kann das alles Zufall sein. Aber ob Kalkül dahinter steckt oder nicht: Die jetzt in Gang gesetzte Entwicklung ist allemal eine genaue Beobachtung wert."
Ja, das glaube ich auch: es ist denkbar, dass ein Kalkül dahintersteckt. Vielleicht ein Kalkül aus den USA und aus dem "willigen" Teil der NATO im Osten Europas und in Anatolien? Trump, Erdogan, Kaczinski, ...? Das ist für sich schon eine gefährliche Mischung, auch für Deutschland und die EU! Von welchem Think Tank könnte das wohl medial begleitet werden? Fragen über Fragen!