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Mona Neubaur und Felix Banaszak, Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen in Nordrhein-Westfalen / dpa

Kommunalwahlen in NRW - Vom neuen Grünfunk und dem roten Brachland

Die Kommunalwahlen in NRW zeigen eindrucksvoll, wie ganze Wählerschichten der SPD und sogar dem Parteiensystem insgesamt abhanden kommen. Nicht mal für die AfD konnten sich diese Menschen begeistern. Wenn die SPD diese Milieus weiter ignoriert, stirbt sie einen grünen Tod.

Stefan_Laurin

Autoreninfo

Stefan Laurin ist freier Journalist und Herausgeber des Blogs Ruhrbarone. 2020 erschien sein Buch „Beten Sie für uns!: Der Untergang der SPD“.

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Ja, es war ein spannender Wahlabend gestern in Nordrhein-Westfalen. Und spannend war es auch in Dortmund. Wie seit mehr als 20 Jahren konnte sich auch der diesjährige SPD-Bewerber um das Amt des Oberbürgermeisters der Ruhrgebietsstadt, Thomas Westphal, nicht im ersten Wahlgang durchsetzen. Aber schon nach gut zehn Prozent aller Schnellmeldungen aus den Wahlbezirken war klar, wer bei der Stichwahl am 27. September sein Gegner sein wird: Andreas Hollstein von der CDU, noch amtierender Bürgermeister der Stadt Altena im Sauerland.

Der WDR sah das anders, erweckte über lange Zeit hinweg zumindest den Eindruck, dass auch die Grüne Kandidatin Daniela Schneckenburger noch mit im Spiel sei. Die Zeiten, in denen der WDR als Rotfunk verschrien war und als fester Partner der Sozialdemokraten galt, sie sind lange vorbei. „Schwarz-grün wird die Republik, hier ist sie es schon“ sang Rainald Grebe einmal über den Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg.

Er könnte auch das WDR-Funkhaus und die Stadt, in der es seinen Sitz hat, gemeint haben: Köln bleibt wohl schwarz-grün, auch wenn die von beiden Parteien unterstützte und selbst parteilose Oberbürgermeisterin Henriette Reker ebenfalls in die Stichwahl muss. Die ihr für die Wahl vom WDR prognostizierte Mehrheit von 61 Prozent im ersten Wahlgang verfehlte sie um mehr als satte 15 Prozentpunkte. Eine Abweichung, die sich mit statistischen Fehlern allein kaum erklären lässt.

Dem Abgrund entgegen

Das Ergrünen des WDR ist nicht das Problem der SPD in NRW, aber es ist, wie überhaupt das Ergrünen weiter Teile der Medienlandschaft, ein Problem. Geben sich die Sozialdemokraten nicht der zunehmend grünen Welle hin, gelten sie als altbacken. Tun sie es, zieht der Wähler das Original vor. Die SPD in Nordrhein-Westfalen verlor 7,1 Prozentpunkte und erreichte landesweit nicht einmal mehr jeden vierten Wähler. Im Ruhrgebiet, wo Wahlergebnisse von über 50 Prozent noch in den 1990er Jahren normal waren, kommt sie nur noch auf knapp über 30 Prozent. Mit solchen Zahlen im bevölkerungsreichsten Bundesland hat sie bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr nur eine überschaubare Perspektive.

In den vergangenen Jahrzehnten haben die Sozialdemokraten den vorpolitischen Raum fast vollständig an die Grünen verloren. Gewerkschaften, Medien, Kultur und viele Verbände haben sich den Grünen angenähert. Die SPD hat den Grünen diesen strategisch wichtigen Bereich fast widerstandlos geräumt, ohne eigene intellektuell und emotional interessante Angebote zu entwickeln. Nun taumelt sie ohne Perspektive dem Abgrund entgegen. Auch in Städten wie Bochum, wo ihr OB-Kandidat Thomas Eiskirch, auch von den Grünen aufgestellt, Wähler von CDU und FDP begeistern konnte, nutzte das der Partei nichts mehr. Sie verlor hier fast sieben Prozentpunkte.

Wohlstandsverachtung und grüne Träume

Die Niederlage der SPD ist so gewaltig, dass Armin Laschet und seine CDU sich als Gewinner fühlen dürfen, obwohl sie an diesem Sonntag das schlechteste Kommunalwahlergebnis ihrer Geschichte in NRW eingefahren haben. Gewonnen haben nur die Grünen, sie sind auch in Nordrhein-Westfalen die Partei der Stunde. Sie haben von den "Fridays for Future"-Kids bis zu Kirchenverbänden und Teilen der Gewerkschaften alle auf ihre Seite gezogen, die sich angesichts der kommenden tiefsten Wirtschaftskrise in der Geschichte der Bundesrepublik nicht um ihre Existenz sorgen müssen.

Dass mit der Automobilindustrie und dem Maschinenbau die Branchen am Abgrund stehen, die für den Wohlstand in diesem Land sorgen, halten viele von ihnen nicht für allzu bedeutend. Sie verfügen oft über den Wohlstand und die Einkommenssicherheit, die man benötigt, um sich Wohlstandsverachtung und die Träume von einem Green New Deal leisten zu können.

Selbst die AfD erreicht die Problemviertel nicht

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Duisburg Marxloh / dpa

Und die anderen, die Menschen in den Quartieren, die bald schon die Krise treffen wird, gingen häufig nicht zur Wahl: Im armen Duisburger Marxloh betrug die Wahlbeteiligung gerade einmal 16,59 Prozent. In der Kölner Neustadt, zu der auch das hippe Belgische Viertel gehört, waren es 61,26 Prozent.

Im Gegensatz zur Bundestags- und Landtagswahl 2017 konnte die AfD selbst in den Problemstadtteilen die Menschen nicht erreichen. Sicher, auf den wenigen Podiumsdiskussionen, die im Corona-Wahlkampf stattgefunden hatten, waren AfD-Kandidaten oft nicht eingeladen, in den regionalen Medien wurden die AfD in den vergangenen Jahren oft nicht erwähnt. Aber durch die Streitigkeiten auf Bundesebene, wegen offen gezeigtem Rechtsradikalismus und zahlreichen Skandalen auch in den Städten hat die AfD vielen derjenigen, die ihnen noch vor drei Jahren die Stimme gaben, gezeigt, dass es sinnvoller ist, zu Hause zu bleiben als die AfD zu wählen.

Ayse und Kevin wollen an die Uni

Eigentlich leben in Stadtteilen wie Marxloh Menschen, die eine Partei, wie sie die SPD einmal war, brauchen. Eine Partei für Menschen, die mit Arbeit aus dem Elend kommen wollen, die von einer guten Ausbildung für ihre Kinder träumen und die so banale Wünsche haben wie ein Auto, vielleicht einmal ein kleines Haus oder zumindest eine neue Wohnzimmereinrichtung. Etwas Luxus, für den man auch bereit ist, zu arbeiten.

Dass sich die SPD für sie nicht mehr interessiert und ihnen kein vernünftiges Angebot jenseits des öko-bürgerlichen Zeitgeistes macht, kostet die Partei ganze Wählerschichten. Ideen für die Menschen könnten der Teil einer modernen, gesellschaftlichen Vision sein, die wieder weiß, woher der Wohlstand kommt und wer ihn erarbeitet. Ayse und Kevin wollen an die Uni und träumen nicht davon, bei der Arbeitsagentur Leistungsbeziehende genannt zu werden.

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gabriele bondzio | Mo., 14. September 2020 - 18:13

Grün, das Wahre, sollte man ja nicht mit dem Tod in Verbindung bringen. Aber hier, Herr Laurin ist es schon eine AUSSAGE. Ich liebe ja eher den Rotfink als den Rotfunk...hier hat man sich aber schon längst nach Grün orientiert und Rot abgeschrieben „Man lügt wohl mit dem Munde; aber mit dem Maule, das man dabei macht, sagt man doch noch die Wahrheit.“ (Nietzsche/Jenseits von Gut und Böse) würde ich den Grünen ins Poesiealbum schreiben. Es kommt bald raus, dass mir die SPD noch leid tut. Wenn ich lese, dass in Duisburger Marxloh die Wahlbeteiligung bei 16,6 % liegt, kann man sich ausrechnen, dass viele dieser Bürger sich schon selbst abgeschrieben haben. Haben halt andere Sorgen oder leben an der Politik vorbei. Und dann trommeln sich Politiker (männlich/weibl.) wie Tarzan auf die Brust. Und schwadronieren, wie viele Migranten DE aus Moria holen müsste. Marcus baut gerade seine Schleimspur zu Merkel aus. ...nochmal substanziell aufstocken". Wegen des christl. Glaubens.

Die Oliv-Grünen, die bürgerlichen Parlaments-Linken, die Spezialdemokraten und Pseudo-Christen und Islamisten-FreundInnen, sie sollten mit gutem Beispiel vorangehen und auf 80 Prozent ihrer parlamentarischen Einkünfte verzichten! Dann hätten sie immer noch einen Facharbeiterlohn bzw. die doppelte Hartz-IV-Regelleistung zur Verfügung.

Nur die Forderung der paternalistischen Gutmenschen mit staatlichem Pensionsanspruch an die Mehrheit der Bevölkerung, die mit weniger Salär auskommen müssen, das reicht eben nicht, um die Mehrheit ins Lager der gut besoldeten zukünftigen Pensionäre zu treiben.

PS: Trotz deren Mehrheit bei dem GEZ-manipulierten Wahlvolk, nicht nur in NRW, das Erwachen kommt erst später.

Amen.

könnt es treffender nicht schreiben. Was sollen den Marxloher denn auch an der Wahlurne. Die haben schon ein Ausländeranteil von fast 60% und wie auch im Essener Norden werden dort wahrscheinlich wieder ein Grobteil der "Neuen" landen. Die können dann ja weiter integrieren. Ist halt Mist wenn die Eliten für's Gute/Humane zuständig sind und die "armen Teufel" in den "Decksecken" der Städte gegen das von den Eliten definierte Gute sind. Liebe Marxloher und andere, falls Ihr es könnt schafft Eure Kinder in andere Schulen ... auch ja die es sich leisten können sind ja schon weg. Der Rest ist verloren. Duisburg, Köln, Bremen, Berlin überall dort tut es mir leid um die Kinder ohne Zukunft. Es sollte eine Quote von Ausländerkinder in den Schulen eingeführt werden. Das wäre mal eine gelebt Solidarität der Habenden mit den Habenichtsen. Wird nicht kommen ... wetten.

helmut armbruster | Di., 15. September 2020 - 11:04

Antwort auf von Werner Sachs

ihre "Milieuschilderung" trifft den Nagel auf den Kopf.
Bleibt für mich die Frage warum unsere politischen Parteien und Politeliten das nicht sehen.
Wollen sie es womöglich gar nicht sehen?

Uwe Müller | Di., 15. September 2020 - 20:08

Antwort auf von Werner Sachs

wurde schon in Berlin ende der 90 Jahre versucht um zu setzen. Sie vergessen schlicht das deutsche Eltern zu recht ihre Kinder nicht mit muslim Kindern aufwachsen sehen wollen. In Berlin wurden jedenfalls der Islam Nachwuchs in Bussen quer in der Stadt verteilt, damit die deutschen Eltern nicht mehr ausweichen können.Für Ihre Quote bin ich in dieser Hinsicht, daß grundsätzlich Islam Kinder in Schulen gehören sollten in denen die Kinder unserer Politiker angeblich lernen. So können sie spüren was sie täglich für Schaden für unser schönes Deutschland anrichten.

Ines Schulte | Di., 15. September 2020 - 21:52

Antwort auf von Werner Sachs

Sehr tragisch!

Dennoch: Es wäre doch eine gute Quote, wenn 16.6 Prozent gewählt haben. Lt. Wikipedia sind ca. 66 Prozent Ausländer. Von den übrigen 34 Prozent ggfs. ca.20% wahlberechtigt.
Dem Autor sei ansonsten Dank für seinen tiefgründigen Bericht. Er schreibt u.A.: Selbst die AfD erreicht die Problemviertel nicht. Vielleicht ist es aber eher umgekehrt, - viele Bürger konnten die AFD nicht erreichen. In vielen Wahlbezirken hatten sie nämlich keinen Kandidaten/in aufgestellt. Selbst wenn die Notwendigkeit erkannt würde, vielen abgehängten und von anderen Parteien vergessenen Wählern eine Stimme zu geben, findet sich wohl oft kein Kandidat, der das gesellschaftliche Spießrutenlaufen teils durch Arbeitgeber, Kollegen, Nachbarn, mediale Begleitung, etc. bereit wäre durchzustehen. Insofern könnte man auch das kommunale Wahlergebnis in NRW unter diesem Gesichtspunkt betrachten und wäre einmal wert, aufgeschlüsselt zu werden.

Ines Schulte | Di., 15. September 2020 - 22:40

Antwort auf von Werner Sachs

Bzgl. prozentualer Wahlbeteiligung hatte ich einen Denkfehler. Die von mir angenommene große Wahlbeteiligung entpuppte sich gemessen an der Ausgangsbasis letztendlich doch als mager.

Günter Johannsen | Mo., 14. September 2020 - 18:56

Wer auf seine Altvorderen nicht hört ... seine Wurzeln verachtet, verliert seine Existenzberechtigung:
„Wer sich auf die kommunistische Einheitsfront einlässt, geht daran zugrunde!“ Willy Brandt

Erstaunlich. Aber behaupten kann man ja viel.

Diejenigen, die jetzt so scheinheilig auf die frühere SPD verweisen - und bei der AfD gelandet sind - hätten einen Willy Brandt damals alleine schon wegen seiner Ostpolitik vermutlich am liebsten an die Wand genagelt.

Muss man nicht ernst nehmen.

Reinhard Getzinger | Mo., 14. September 2020 - 21:46

Mit der Akademisierung der ehemaligen Arbeiterpartei durch die 68er ist das Linkssein aus den Arbeiterbezirken in gentrifizierte Altbauwohnungen übersiedelt.
Die neuen Träger des linken Selbstverständnisses
sind nicht Gewerkschaften und SPD, sondern ein esoterisches, linksliberales Bildungsbürgertum.
Mit Arbeitnehmerrechten und Interessenausgleich hat dieses Milieu genauso wenig am Hut wie dessen nationalliberale oder christlich-konservativen Eltern und Großeltern...

da haben Sie recht, lieber Herr Getzinger, ist "esoterisch und linksliberal".
Allerdings waren deren Éltern und Großeltern durchaus nicht alle national-liberal o. christlich-konservativ. Nein: Diese jüngeren Leute stammen durchaus auch aus Elternhäusern, in denen die SPD hoch angesehen war.
Die Generation, die jetzt das Sagen hat u. "grün" wählt, ist hervorgegangen aus der deutschen Wohlstandsgesellschaft der letzten 50 Jahre, in denen es selbstverständlich wurde, daß a l l e s zu einem bequemen Leben zur Verfügung steht. Der Staat garantiert allen alles.
Also wandte man sich anderen (angeblichen) Unsicherheiten zu, für die es zu
kämpfen galt: Umwelt, Klima, Nöte der "Dritten Welt" usw.
Diese "Eliten" sind sich gar nicht bewußt, daß jeglicher Wohlstand bei uns auf Sand gebaut ist, wenn er nicht täglich neu erwirtschaftet wird.
Ihre Ansichten schweben zum größten Teil im luftleeren Raum. Das kann nicht lange gut gehen. Aber bis dahin haben die GRÜNEN sehr viel Schaden angerichtet!

Ernst-Günther Konrad | Di., 15. September 2020 - 09:04

Walter Borjans in einem Interview nach den Wahlen sinngemäß: "Wir haben die Talsohle durchschritten und haben gegenüber der Europawahl uns verbessern können." Ich ergänze: Ja, ihr seid durch die Talsohle hindurch und rutscht gerade in ein grünes Wählerloch. Da fragt man sich noch, warum die SPD da steht, wo sie jetzt steht?
Ich frage mich das nicht, ich weiß es. Höre auf zu schreiben, meine Finger werden beim Thema SPD steif, wollen nicht mehr. Hab mir wohl die SPD-Gicht geholt.