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Die Protestierenden in Belarus erhalten nicht von allen Seiten Solidarität / dpa

Proteste in Belarus - Der alternative Imperialismus

Es hat gedauert, bis Alternativmedien in Deutschland das Thema Belarus für sich entdeckt haben. Doch wie im Fall der Ukraine offenbaren sie nicht nur ihre Abscheu gegen westliche Werte, sondern auch ihre Arroganz gegenüber den Menschen in Osteuropa.

Autoreninfo

Thomas Dudek kam 1975 im polnischen Zabrze zur Welt, wuchs jedoch in Duisburg auf. Seit seinem Studium der Geschichts­­wissen­schaft, Politik und Slawistik und einer kurzen Tätigkeit am Deutschen Polen-Institut arbei­tet er als Journalist.

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Tief im Westen der Republik gibt es eine Gruppe von Personen, die sich einige sorgenvolle Gedanken über die Demonstrationen in Belarus gemacht hat. „Liebe Menschen in Belarus“, heißt es zur Begrüßung eines „Offenen Briefes an die Protestierenden in Belarus“, der am 18. August im Onlinemagazin Telepolis veröffentlicht wurde. „Wenn wir den Bildern und Berichten des deutschen Fernsehens glauben dürfen, so befinden Sie sich seit einer Woche im Widerstand gegen den offiziell wieder gewählten Präsidenten Alexander Lukaschenko“, liest man weiter, stößt man auf die Bemerkung: „Warum Sie unzufrieden sind, erfährt man in unseren Medien kaum oder viel zu wenig.“

Was die Oppositionellen aus dem Ruhrgebiet trotz ihrer Unwissenheit aber nicht daran hindert, den protestierenden Belarussen einige Ratschläge mit auf den Weg zu geben. „Was Sie nach einer mehr oder weniger »friedlichen Revolution« in Belarus zu erwarten haben, das können Sie allerdings mit Gewissheit an fast allen anderen Ländern Osteuropas ausführlich studieren“, heißt es in dem Brief, in dem dann unter anderem vor Alkoholismus, Verwahrlosung oder den Zerfall der sozialen Infrastruktur gewarnt wird.

„Fordern Sie deshalb nicht freie Wahlen nach westlichem Vorbild. Folgen Sie nicht prowestlichen Oppositionskandidaten. Lassen Sie sich nicht vor den Karren der NATO spannen!“, heißt es zum Abschluss des Offenen Briefes, in dem die Unterzeichner den Protestierenden in Belarus empfehlen: „Wenn Sie dem Schicksal der Lohnabhängigen in anderen Ländern Osteuropas entgehen wollen - erobern Sie die demokratische Verfügungsgewalt der arbeitenden Klassen über die ökonomischen und sozialen Lebensbedingungen in Ihrem Land. Bilden Sie Räte!“

Offener Brief von unbekannten Oppositionellen 

Wer hinter den „Oppositionellen aus dem Ruhrgebiet“ genau steckt, ist nicht bekannt. Im Internet stößt man zwar schnell auf den Klavierkabarettisten Armin Fischer, aber nicht auf einen gleichnamigen Oppositionellen, der unter dem Brief als einziger namentlich auftaucht. Auch die Telepolis-Redaktion darf nicht verraten, wer die Unterzeichner sind, auch wenn sie auf Nachfrage darauf hinweist, dass ihr deren Identität bekannt ist und betont, dass es sich um keine Propaganda handelt.

„Wir haben den Brief als Gastkommentar veröffentlicht, weil uns wichtig war, die Hoffnungen der Protestierenden damit zu verbinden, welche Erfahrungen mit den Ergebnissen mancher solcher Bewegungen, die in verminten geopolitischen Interessenkonflikten stattfinden, verbunden sein können, letztes Beispiel Ukraine“, heißt es aus der Redaktion, die auch auf andere auf dem Portal erschienene Texte hinweist, in denen Lukaschenko offen als Diktator bezeichnet wird.  

Proteste in Belarus wecken antiamerikanische Instinkte

Der Verweis auf die Ukraine ist seit dem Ausbruch der Proteste in Belarus nicht neu. Während die einen wegen des brutalen Vorgehens der Sicherheitskräfte gegen die Demonstranten fürchten, dass es zu einem ähnlichen, gewalttätigen Konflikt kommen könnte wie auf dem Maidan in Kiew 2013/14, wecken die Ereignisse in Belarus bei vielen linken Alternativmedien antiamerikanische- und westliche Instinkte, die wie im Fall der Ukraine vor sechs Jahren hinter den Protesten nichts anderes sehen als einen von der NATO und der EU initiierten Regime Change. Das eigentliche Ziel: Die angebliche weitere Einengung Russlands.

Einer der bekanntesten diesbezüglichen Trommler ist der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Willy Wimmer. Eine der lautesten Plattformen dieser These sind die vom ehemaligen SPD-Politiker Albrecht Müller herausgegebenen „Nachdenkseiten“, auf denen schon mal unkommentiert Leserbriefe veröffentlicht wurden, die sich mit Folterphantasien gegen SPIEGEL-Journalisten befassten, die im Vergleich zum „Waterboarding a la Guantanamo ein Streicheln“ wären. 

Keine Zweifel an Lukaschenkos Wahlsieg

Da überrascht es nicht, dass Willy Wimmer und die Nachdenkseiten seit Jahren eine Zusammenarbeit pflegen, die nun auch zu einem Text über Belarus führte. Als „die letzte Lücke in dem NATO-Limes gegen Russland“ bezeichnet der ehemalige Bundestagsabgeordnete und Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE das Land. Als Beleg fügt Wimmer, der heute ein regelmäßiger Stammgast des vom russischen Staat betriebenen RT Deutsch ist, dem Text einen im Jahr 2000 verfassten Brief an den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder bei, in dem er über eine von mehreren US-Organisationen organisierten Konferenz in der slowakischen Hauptstadt Bratislava berichtet.

Was dazu führt, dass man bei den Nachdenkseiten nicht mal an dem Wahlsieg von Lukaschenko zweifelt. „Es dürfte ziemlich unumstritten sein, dass Lukaschenko die Wahlen gewonnen hat, die meisten Belarussen unterstützen ihn weiterhin“, kommentierte am 19. August der Nachdenkseiten-Mitarbeiter Marco Wenzel, ein emeritierter Elektroingenieur und Gewerkschaftssekretär, in den „Hinweisen des Tages“. Auf welchen Quellen sich seine angeblich unumstrittene These bezieht, erfährt man nicht. Dafür weiß er, dass er die USA „auf jeden Fall an einer Farbenrevolution à la Ukraine interessiert“ sind und die belarussische Opposition Interesse an der Loslösung von Russland hat. Seine Quelle: „Die Linke Zeitung“, die in ihrem Untertitel „Alle Macht den Räten“ fordert. 

Vorwurf der Anti-Lukaschenko-Berichterstattung 

Dabei hätte Wenzel nur einige Interviews mit Maria Kalesnikava in den „Mainstreammedien“ lesen müssen, darunter auch im CICERO, um sich vom Gegenteil zu überzeugen. In diesen bezweifelte sie offen die Effektivität der EU-Sanktionen. Und auch der von der Opposition gegründete Koordinierungsrat, dem unter anderem die Literatur-Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch angehört, betonte die enge Zusammenarbeit zwischen Russland und Belarus. Was sogar von alternativen Medien berichtet wurde

Doch all dies wäre mit Recherche- und Quellenarbeit verbunden, mit der selbst die ehemaligen NDR-Redakteure Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer überfordert waren. Am Freitag veröffentlichten sie bei den Nachdenkseiten einen Text, in dem sie der Tagesschau eine Anti-Lukaschenko Berichterstattung vorwerfen. Dabei warfen sie der Tagesschau die Benutzung des Wortes „Batka“-Väterchen“ vor, obwohl Lukaschenko sich so selbst von den eigenen Anhängern bezeichnen lässt. Sie schrieben auch voller Überzeugung, Belarus würde „wortgetreu“ Weißrussland bedeuten. Nein, dies wäre „Belorossija“ und wird in Belarus als diskriminierend empfunden. 

Es sind Texte über Belarus, die in ähnlicher Form auch bei RT Deutsch und KenFm erscheinen, die nicht nur das eigene antiamerikanische Weltbild bedienen, sondern auch gegenüber den Menschen in Osteuropa verletzend sind. Mit der Reduzierung auf die NATO und die EU sprechen sie ihnen jegliche Identität und eigenen politischen Willen ab.  

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Hans Schäfer | Mo., 24. August 2020 - 12:36

Die einen sind unwissend, die anderen wissend, am Ende weiß keiner was.
Bis einer aus dem nichts kommt, der es wisse.

Christa Wallau | Mo., 24. August 2020 - 12:48

eigenen Willen und auch ein Recht, diesem Ausdruck zu verleihen - mit Demonstrationen und allem, was noch dazugehört. Wenn es tatsächlich die M e h r h e i t der Bürger ist, die Lukaschenko loswerden will, dann wünsche ich ihnen alles Glück der Welt, um den Wandel zu erreichen.

Das ändert allerdings nichts an der Tatsache, daß
dieser Wandel mit Sicherheit jede Menge von
Machthungrigen und Glücksrittern auf den Plan ruft, die den Umsturz für ihre persönlichen Zwecke ausnutzen wollen und werden.
Die Ukraine und Rußland unter Jelzin sind beste Beispiel dafür, was in Umbruchszeiten alles falsch laufen kann. Kein Russe wünscht sich die Jelzin-Phase zurück!
Also halte ich Warnungen an die weißrussische Bevölkerung für durchaus angemessen und vernünftig.
Daß sich unter den "Warnern" auch jede Menge zweifelhaftes Volk befindet - geschenkt. Jedenfalls ist die Lage in Weißrußland nicht so sonnenklar, wie sich dies manch einer ausmalt. "Gute" und "Böse" gibt es auf allen Seiten.

dass die Bevölkerung von Belarus seinerzeit nicht mitbekommen hat, was zu Zeiten von Jelzin in Russland abgegangen ist, so dass entsprechende Warnungen aus Deutschland durchaus angemessen und vernünftig sind? Nun, ich traue der weissrussischen (wie übrigens auch der ukrainischen) Bevölkerung durchaus zu, dass sie, nur schon, weil deutlich näher am Ball, durchaus in der Lage ist, selber einschätzen zu können, woher allenfalls Gefahren drohen könnten, sollte ihrem Kampf um ein eigenbestimmtes Leben in einem freiheitlich-demokratisch konstituierten Staat in absehbarer Zeit Erfolg beschieden sein. Auf gute Ratschläge aus EU-Staaten, deren Bevölkerung darum nicht mehr kämpfen muss, dürfte da kaum wer gewartet haben.

Ernst-Günther Konrad | Mo., 24. August 2020 - 15:46

Nicht gekannt und doch gelebt, sagt ein Sprichwort. Was soll man von dem Inhalt der Plattformen halten? Ich für meinen Teil nichts. Ich schrieb bereits zu einem anderen Artikel, die Belarussen müssen ihr eigenes Ding machen und sollten sich von niemandem beeinflussen lassen. Keine Nato, keine EU, kein Russland. Erstmal sich selbst finden, definieren was sie wollen, eigene vertrauensvolle Menschen finden, in Verantwortung bringen und den Staat als solchen festigen. Was diese von Ihnen zitierten Plattformen da verbreiten ist vom Inhalt her doch ganz klar. Da will "jemand" Einfluss nehmen und täuscht Volkszugehörigkeit aus dem Exil vor. Das da ein SPDler mitmischt ist für mich neu, aber nicht überraschend. Es gibt einige Hinterbänkler die in obskuren Plattformen oder NGOs unterwegs sind.
Ich frage mich nur, wer liest so etwas? Nach der neuerlich Spiegel-Strache-Affäre würde mich nicht wundern, wenn da wieder Unwahrheiten gespiegelt werden. Menschen von Belarus macht Euer eigenes Ding

Ingo Buchholz | Mo., 24. August 2020 - 19:00

Billigste Diffamierung der Nachdenkseiten von einem der sich tatsächlich Journalist nennt.
Cicero war bisher seriös. Was nun? Abo kündigen oder warten auf bessere Artikel?

Dirk Weller | Mo., 24. August 2020 - 21:44

Und obwohl ich gelegentlich die genannten alternativen Medien lese, hat der Autor mit seiner Kritik meiner Meinung nach in Teilen Recht, allerdings nicht mit allem.
Denn bezüglich einer "ANGEBLICHEN weiteren Einengung Russlands" muß man nämlich feststellen, daß es, im Falle des Nato-Beitritts, eine "UNBESTREITBARE" Einengung Russlands durch einen "NATO-Limes" IST.
Daher ist es durchaus wahrscheinlich, das die Nato/USA die Opposition schon seit Jahren unterstützen. D.h. das man dem "eigenen politischen Willen" der Menschen eventuell ein wenig auf die Sprünge geholfen hat. Äquivalent zur finanziellen Unterstützung von NGOs in der Ukraine durch die USA von 1991 bis 2014 mit 5 Milliarden Dollar.
Und die den "Linken" zugeschriebenen "antiamerikanischen Instinkte" sollten doch seit dem Vietnam-krieg, dem Irak-Krieg, den verstörenden NSA-Enthüllungen durch Edward Snowden usw. usf. . . . . bei jedem erwachsenen und belesenen Menschen zumindest gelegentlich vorhanden sein.

angefangen bei den ehemaligen Ostblock-Staaten, die heute Mitgliedstaaten der EU sind, über die Ukraine bis zu hin Belarus mussten und müssen die NATO/USA den Menschen mit geeigneten Mitteln überall "etwas auf die Sprünge helfen", um ihnen Freiheit und Demokratie schmackhaft zu machen, auf die sie eigentlich "null Bock" hatten und haben, um es salopp zu formulieren. Sich von der Fürsorge des grossen Bruders im Osten und den Segnungen des real existierenden Sozialismus zu verabschieden, die ihnen über mehr als vier Jahrzehnte alles beschert hatten, wovon die breite Bevölkerung im kapitalistischen Westen nur träumen konnte, war keine leichte Übung ...
[Sie finden die Art von Glosse nicht wirklich lustig? Nun, ich auch nicht, doch ist mir mit Blick auf Ihre offenbar gut entwickelten "antiamerikanischen Instinkte" und das limitierte Zeilenkontigent spontan keine adäquatere Replik zu Ihrem Diskussionsbeitrag eingefallen.]

Aber auch wenn der starke Wunsch nach Demokratie und Freiheit in den entsprechenden Ländern mit Sicherheit schon immer bestanden hat :

es geht der Nato/USA nicht um Freiheit und Demokratie , sondern um geostrategische Interessen, und da will man eben nichts dem Zufall überlassen.

Und im Falle der Diktatur in Belarus habe ich durchaus Verständnis für eine von mir vermutete verdeckte Unterstützung der Opposition.
Hoffen wir, das es friedlich endet.

Und meine GELEGENTLICH vorhandenen "antiamerikanischen Instinkte" bezüglich deren Aussenpolitik könnten durchaus "geheilt" werden. Aber das würde eine Änderung in deren Aussenpolitik notwendig machen, und da habe ich unter Trump wenig Hoffnung.
Hoffen wir das Biden gewinnt und es besser macht.