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Den Führerschein haben sich Frauen in Saudi-Arabien hart erkämpft/ dpa

Aufklärung im Islam - Top-down oder Bottom-up?

In einem Gastbeitrag für „Cicero“ vertrat der Orientalist Michael Kreutz die These, dass der Fortschritt in der islamischen Welt meist von oben kam – und der Widerstand von Religionsgelehrten. Der muslimische Theologe Mouhanad Khorchide sieht es genau umgekehrt.

Autoreninfo

Mouhanad Khorchide leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. 1971 ist er im Libanon geboren und wuchs in Saudi-Arabien auf. Er studierte islamische Theologie im Libanon und promovierte in Wien in der Soziologie. Als einer der bedeutendsten muslimischen Theologen der Bundesrepublik bildet er nun Lehrer für den künftigen islamischen Religionsunterricht aus. Er ist Autor des Buches „Islam ist Barmherzigkeit – Grundzüge einer modernen Religion“

So erreichen Sie Mouhanad Khorchide:

Religiöse Reformen durch autoritäre Regime sind zum Scheitern verurteilt. Reformen haben nur dann eine realistische Chance auf langfristigen Erfolg, wenn sie von den betroffenen Menschen selbst gewollt und getragen werden. In seinem Gastbeitrag über die „Reislamisierung von unten“ widerspricht Michael Kreutz meiner These in meinem neuen Buch „Gottes falsche Anwälte. Der Verrat am Islam“, wonach Unterwerfungsstrukturen im Islam sich anfangs aus politischen Gründen herausbildeten, bevor sie sich zu einer geistigen Mentalität der Unterdrückung verselbständigten, auch unter vielen Gelehrten.

Er vertritt vielmehr die These, wonach der Fortschritt in der islamischen Welt meist von oben kam, der Widerstand dagegen von unten, von den Gelehrten. Dass die Religion von der Politik korrumpiert wurde, sei ein Mythos. Mein Hauptproblem mit dieser These besteht in der Verdinglichung der Menschen, sie seien Objekte der Zähmung, daher könne die Modernisierung nur „von oben“ kommen. In meinem Buch spreche ich von Unterwerfungsstrukturen, die erst überwunden werden müssen, ehe eine Aufklärung möglich sein kann, denn Aufklärung verstehe ich als Prozess der Befreiung des Menschen zum selbstbestimmten Subjekt. Eine von oben erzwungene Aufklärung/ Modernisierung ist daher ein Widerspruch in sich.  

Unterdrückung im Namen der Rationalität

Bevor ich auf ein aktuelles Beispiel aus Saudi-Arabien eingehe, bleiben wir bei dem von Herrn Kreutz angeführten Beispiel der Mu’taziliten. Diese hatten ihren Höhepunkt im 8. und 9. Jahrhundert und galten tatsächlich als die rationalistische Schule im Islam, die zugleich an den freien Willen des Menschen glaubte. Der abbasidische Kalif al-Ma’mun (813-833) und seine beiden Nachfolger vertraten die Lehre der Mu’tazila.

Sie hatten sie zur Staatsdoktrin erklärt und jeden gezwungen, diese anzunehmen, was zu einer Art Inquisition (Mihna) führte. Menschen, die die Lehren der Mu’tazila ablehnten, wurden gefangen gehalten und zum Teil gefoltert. Anders als Michael Kreutz, der darin ein Beispiel für einen Fortschritt von oben sieht, sehe ich hier einen Ausdruck von Unterwerfungsstrukturen, die sobald sie an die Macht kamen, schnell auf Repressionen zurückgreifen und Werte der Freiheit und Rationalität veräußern.

Unterwerfung unter dem Deckmantel der Rationalität

Den Mu’taziliten, die sonst von der Willensfreiheit des Menschen predigten, ist nicht gelungen, einen Diskurs der Freiheit zu etablieren – im Gegenteil: Sie reproduzierten Strukturen der Unterwerfung, nur diesmal umhüllt mit dem Mantel der Rationalität. Es dauerte daher nicht lange, bis der Kalif al-Mutawakkel die Lehren der Mu’tazila, auch „von oben“ und mit Mitteln der Gewalt, verbot.

Dieses Beispiel zeigt, worin die eigentliche Herausforderung liegt, nämlich in diesen Unterdrückungsstrukturen. Nötig ist ein aufgeklärter islamischer Diskurs, in dem die Selbstbestimmung des Menschen als nicht verhandelbares Gut gilt. Dazu gehört das kritische Hinterfragen einiger längst etablierter religiöser Positionen, die nichts anderes sind als Produkte von Unterwerfungsstrukturen.  

Reformen in Saudi-Arabien: Aufklärung oder nur ein Politikum? 

Der Wahhabismus, der als Vater des Salafismus gilt, war nur durch einen engen Bund zwischen Muhammad Ibn Abd al-Wahhab (gest. 1792), auf dessen Namen die Bezeichnung „Wahhabismus“ zurückgeht, und Muhammad Ibn Sa’ud, dem Urvater des saudischen Königreichs, überlebensfähig, denn er wurde zur Staatsdoktrin erklärt. Der Wahhabismus ist ein gutes Beispiel für eine Radikalisierung von oben.    

Die religiösen Reformen der letzten fünf Jahre in Saudi-Arabien – etwa die Lockerung des Kopftuchzwangs und die  Geschlechtertrennung im öffentlichen Raum, die Erlaubnis für Frauen, Auto zu fahren, die Erlaubnis, Musikkonzerte zu organisieren oder Kinos einzurichten – gehen auf die Reformversuche des Kronprinzen Muhammad Ibn Salman zurück. Er will das Land modernisieren und dessen Attraktivität für Touristen und Investoren erhöhen.

Freizeitangebote als Erlösung 

Einige der wahhabitischen Gelehrten kooperieren und versuchen, ihre früheren Auslegungen des Islams zu relativieren oder völlig zu revidieren, um zu zeigen, dass die neuen Reformen mit der islamischen Lehre im Einklang stehen. Andere halten sich zurück und argumentieren, es sei ein grundsätzliches religiöses Gebot, dem Herrscher zu gehorchen, ein Protest gegen ihn gleiche einer großen Sünde.

Diejenigen, die mit den Reformen nicht einverstanden sind und sich öffentlich dagegen äußern, müssen damit rechnen, dass man ihnen Redeverbot erteilt oder sie inhaftiert. Nun hat der saudische Staat eine eigene Behörde für Unterhaltung eingerichtet, die moderne und zum Teil freizügige Freizeitangebote organisiert. Für viele sind solche Angebote eine Art Erlösung, die sie nie mehr missen möchten. Damit die Religionspolizei solche Aktivitäten nicht stört, wurden deren Kompetenzen stark eingeschränkt, die Religionspolizei wurde faktisch abgeschafft. 

Geiselnahme der Religion fürs Politische 

Sowohl der Wahhabismus als auch die neueren Reformversuche wurden „von oben“ durchgesetzt. Beide sind nicht das Ergebnis theologischer Reflexionen, sondern Ausdruck eines politischen Willens. Das erinnert an die Einführung der rationalen Doktrin der Mu’tazila als Staatsdoktrin zu Beginn des 9. Jahrhunderts, aber auch deren Verbot durch die Kalifen. Was sagt uns das? War und ist der religiöse Diskurs in der islamischen Welt nicht hauptsächlich in der Hand der jeweiligen Herrscher?

Diese setzten sich stets für den jeweiligen religiösen Diskurs ein, der ihnen gerade politisch genehm war. Und genau hier verorte ich das eigentliche Problem, nämlich in der Geiselnahme der Religion für das Politische, was ich als Politisierung der Religion bezeichne. In dieser geht es nicht um die Frage der Modernisierung, beziehungsweise des Rückschritts, sondern um eine opportunistische Haltung gegenüber dem religiösen Diskurs. 

Einfluss fremder Ideologien auf den Islam    

Zum Schluss möchte ich wieder in die Geschichte zurückgehen, um einen weiteren kaum diskutierten Aspekt zu thematisieren: Es geht um die Einflüsse fremder Herrschaftsideologien auf den islamischen Diskurs. Die Muslime kamen im Zuge der islamischen Expansion frühzeitig mit den beiden Großreichen Großpersien und Byzanz in Berührung. Beide Reiche wurden im Zeitraum zwischen 633 und 640 zur Zeit des zweiten Kalifen Omar erobert.

Durch die schnelle Ausweitung der islamischen Gebiete musste der Kalif Omar einen Verwaltungsapparat aufbauen, wozu ihm allerdings sowohl die Expertise als auch die notwendige Erfahrung fehlten. Er musste auf die Erfahrungen der Perser sowie der Byzantiner zurückgreifen, deren Verwaltungsapparat er sukzessive übernahm, was intensive Austauschprozesse förderte, die auch das politische Selbstverständnis der muslimischen Herrscher beeinflussten. 

Die religiöse Autorität des Herrschers 

In Byzanz und Großpersien wurde dem politischen Amt des Herrschers eine religiöse Autorität verliehen. Und genau dieses Verständnis eigneten sich die Muslime nun an. Hier ein Beispiel: Von Ardaschir I., dem Gründer des persischen sassanidischen Reiches, stammt einer der einflussreichsten persischen Texte zum Verhältnis von Religion und Politik, der zur Zeit der Abbasiden ins Arabische übersetzt und mehrfach rezipiert wurde.

Dieser Text bildete die Grundlage des Herrschaftsverständnisses vieler abbasidischer Kalifen. Darin schreibt Ardaschir: „Wisse, dass die Religion und das Königreich zwei Brüder sind, von denen keiner ohne den anderen existieren kann. Die Religion stützt das Königreich, und das Königreich schützt die Religion. Was an Stütze fehlt, muss zugrunde gehen, und was keinen Beschützer hat, wird vergehen.“

Einen ähnlichen Satz finden wir im 20. Jahrhundert bei dem führenden Muslimbruder Sayyid Qutb, der zugleich Erfinder der Formel „al-Islam Din wa Dawla“ (Der Islam ist Religion und Staat) und somit einer der wichtigsten Ideologen des politischen Islams war. Zur Legitimation seiner Vorstellung von der Verquickung zwischen Religion und Staat im Islam schreibt er nicht nur Mohammed, sondern allen Propheten eine politische Rolle als Herrscher im Namen Gottes zu.

Religion als Instrument der Manipulation 

Ich schließe mit einem Zitat von Ardaschir, das nicht nur für die abbasidischen Kalifen von grundsätzlicher Bedeutung war, sondern bis heute seine Gültigkeit in der islamischen Welt besitzt. Es regt zum Nachdenken darüber an, wieso sowohl die damaligen Kalifen als auch die Staatsoberhaupte der meisten heutigen islamischen Länder die Karte der Religion nicht aus der Hand geben und niemals ein säkulares Regime akzeptieren würden, sondern stets die Kontrolle über die religiösen Angelegenheiten behalten wollen: „Ihr sollt wissen, dass wenn ein religiöser und ein politischer Führer in einem Staat existieren, dass stets der religiöse Führer dem politischen seine Macht aus der Hand nehmen wird, weil die Religion die Grundlage und die Politik die Säule ist, und die Grundlage hat die Priorität gegenüber den Säulen [die auf der Grundlage bestehen].“

Politische Regime in Ländern wie der heutigen Türkei, Saudi-Arabien, Ägypten oder Iran, aber auch Anführer des politischen Islams haben diese Botschaft verinnerlicht. Sie haben erkannt, dass sich die Masse mit der Religion emotional am besten erreichen und manipulieren lässt. Es ist bezeichnend, wie alte Herrschaftsvorstellungen der Sassaniden, die zum Teil aus der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts stammen, noch bis heute gelebte Praxis in vielen islamischen Ländern sind.   

Überlegungen aus dem neu erschienen Buch „Gottes falsche Anwälte. Der Verrat am Islam“ von Mouhanad Khorchide, erschienen im Juli 2020 im Verlag Herder. 

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Yvonne Stange | Sa., 15. August 2020 - 18:37

Da muß ich aber lachen. Reden hier Blinde von der Farbe? Es wird nie eine Aufklärung oder einen Fortschritt im Islam geben, solange die oberste Doktrin ist, das der Koran unveränderbar ist. Blöd ist nur, daß wir das mittlerweile alles auch auskosten müssen, ob wir wollen oder nicht. Wir werden wieder wie im Jahr 600 leben, genau wie es damals war. Weder am Islam noch an der Scharia hat sich irgendwas geändert. Es ist mir schlichtweg egal, wer oder wen hier korrumpiert oder nicht, ich bin es leid, mich damit zwangsweise beschäftigen zu müssen, ich würde gerne mein Grundrecht auf negative Religionsfreiheit wahrnehmen. Geht aber nicht, da ich zwangsweise ständig belästigt werde mit dieser Ideologie. Denn eine Religion ist der Islam für mich nicht, es ist eine Gesellschaftsform mit eigener Rechtssprechung, der grausamen Scharia. Nebenbei: der Islam widerspricht in vielen Dingen unserem GG. Wie Erdogan schon sagte: "Die Demokratie ist der Zug, auf den wir aufspringen, bis wir am Ziel sind."

geben, solange die oberste Doktrin ist, das der Koran unveränderbar ist." Die Bibel wird ja auch nicht alle Nase lang umgeschrieben.

Der Rest ist Interpretationssache.

Wer sich Strömungen wie z.B. Sufis oder Aleviten ansieht, erkennt, dass Pauschalaussagen unsinnig sind.

Holger Jürges | Sa., 15. August 2020 - 18:49

„Der Glaube ist für den Menschen das Kamel in der Wüste“ Friedrich Nietzsche – Daraus ziehen die Religionen ihre Legitimation ...und werden seit je her von Machthabern schamlos zur Unterdrückung und Manipulation von Menschen genutzt. - Man darf sich nicht der Illusion hingeben, dass innerhalb einer Religionsblase eine Änderung hin zur Aufklärung erfolgen kann. - Das schließt sich aus, es wäre ein Widerspruch in sich, denn Aufklärung definiert sich durch Abwesenheit von Religion. - In all die Probleme der Welt reihen sich die Religionen (als Problemgebärende) nahtlos ein. - Reiner Glauber reine Erkenntnis jedoch vollzieht sich im Menschen selbst: Im tiefsten Innern, z.B. im Zen. - Ein Religionsapperat ist in diesem Sinne überflüssig, denn Gesetze und Normen ergeben sich aus den jeweiligen Verfassungen der Staaten.

Romuald Veselic | Sa., 15. August 2020 - 20:52

die nicht mit Esprit u. bahnbrechender/humaner Philosophie auf sich aufmerksam macht. Religion ist Glaube, und nicht Reflexion des Erlebten, des Praktischen. Ein saudisches Sprichwort besagt: "Der (islamische) Gott erschuf die Ungläubigen, damit sie uns (Gläubigen), mit ihrem Wissen dienen." Dazu braucht man kein Kommentar.
Und; es wird in Islamsociety nicht als Klischee abgetan, sondern akzeptiert.
Fast "revolutionär" klingt eine weitere Aussage aus der Gemeinschaft der Rechtsgläubigen: "Gott überschätzte seine Fähigkeiten, als er Fliegen und Juden schuf." Solange solche Aussagen geltend bleiben, geschieht nichts. Ebenso sollte Scharia abgeschafft werden, dass Menschen auf Frauen u. Männer aufteilt, sowie auf Gläubige u. nicht gläubige einsortiert. Und solange die jüdisch-israelischen Passagiere nicht in Flugzeugen (Kuwait Airways) der meisten islamischen Ländern reisen dürfen, ist die ganze Debatte über islamische Emanzipation, Erwärmung des Raumes durch Atemluft.

Markus Michaelis | Sa., 15. August 2020 - 22:25

Geschichte ist vielfältig, die im Artikel genannten Aspekte sind sicher auch vorhanden. Ich würde aber eine Sache prinzipiell etwas anders sehen:

"Der Verrat am Islam“, wonach Unterwerfungsstrukturen im Islam sich anfangs aus politischen Gründen herausbildeten" und "die Aufklärung als die Befreiung des Menschen zu ...".

Hinter beidem liegt glaube ich die Idee, dass es einen "wahren, ursprünglichen" Menschen/Menschsein gibt, das man verraten oder aus eine Gefangenschaft befreien kann.

Das sehe ich nicht so. Die Menschheit experimentiert welche Glaubens- und Weltbilder für große Gemeinschaften funktionieren. Das Christentum war lange sehr erfolgreich mit sehr starken Elementen, dass Glaube von oben kam und Fürsten auch hohe oder höchste Glaubensvertreter waren. Später war beim Christentum der Gegensatz Papst-Fürst mit Vorteilen behaftet. Ab der Aufklärung, mit neuen Wirtschaftsformen, musste das Individuum mehr betont werden, damit es funktionierte. Auch der Islam experimentiert.

Alexander Mazurek | Sa., 15. August 2020 - 23:48

... auch nur eine Religion, wenn auch eine gottlose, so G. K. Chesterton, "Auch der Fortschritt hat seine Heiligen und seine Märtyrer, seine eigenen Legenden und Wundergeschichten wie jede andere Religion, nur sind sie meistens falsch, wie die Religion, zu der sie gehören. Am verbreitetsten ist die Legende, der junge fortschrittliche Mensch werde von dem alten gewöhnlichen unterdrückt. Aber das stimmt nicht. Der alte gewöhnliche Mensch ist der Unterdrückte."
Die größten Verbrechen der Neuzeit wurden im Namen des Fortschritts, der "Wissenschaft" und der Hygiene begangen, der Rassenhygiene ...
Der Fortschritt ist somit keine Alternative zum Islam, und auch kein Heilmittel, beide haben dieselben Fehler im Anfang: Die Lüge, dass vorher Dunkelheit herrschte und den Massenmord an jüdischen Stämmen wie Banu Quraiza oder an den Katholiken der Vendée ...

helmut armbruster | So., 16. August 2020 - 07:35

beides wurde und wird postuliert und beides wurde und wird niemals wirklich praktiziert und tatsächlich gelebt. Es ist nur eine Wunschvorstellung.
Es mag viele geben, die das gerne glauben möchten, aber wahr ist es deshalb noch lange nicht. Die Geschichte beweist es.
In allen Religionen ist erforderlich, dass man an die Dogmen glaubt. Vernunft stört da nur. Unter solchen Voraussetzungen kann man alles glauben.
Europa hat sich aus dieser Glaubensenge befreien können. Dank der Aufklärung wissen wir, dass wir uns auf unsere Vernunft verlassen können. Weil das so ist hat Religion und Glaube bei uns nicht mehr die Macht und Bedeutung wie früher.
Ganz anders die islamische Welt. Sie ist praktisch im Mittelalter stehen geblieben. Denn nach wie vor ist die Religion die höchste Instanz. Sie liefert die Erklärung für alles und darf nicht kritisiert und in Frage gestellt werden.
Und das ist so, weil es in der islamischen Welt nie so etwas wie die europäische Aufklärung gegeben hat.

Christoph Kuhlmann | So., 16. August 2020 - 07:49

sowohl im West- als auch im Oströmischen Reich mit der gewaltsamen Unterdrückung polytheistischer Glaubensvorstellungen zu tun, die im römischen Reich zuvor weitgehend friedlich koexistierten. Das das Christentum ein Problem damit hatte, dem Caesar einen göttlichen Status zu zusprechen und damit das Primat der Politik vor der Religion anzuerkennen war sein Problem. Sobald das Christentum zur Staatsreligion erhoben worden war wurden Andersgläubige ebenso grausam verfolgt wie die Christen von Nero. Die weitere Mission in den Nachfolgestaaten des römischen Imperiums erfolgte danach weitgehend durch Eroberung, Unterwerfung und religiösen Versklavung der einheimischen Bevölkerung. Die Parallelen zur zeitgleichen Islamisierung des Nahen- und Mittleren Ostens und Nordafrikas sind offensichtlich. Der Fortschritt Europas wurde durch die Reformation und damit der teilweisen Entmachtung des Christentums und des Feudalismus durch das Bürgertum ermöglicht. Erst dadurch entstand die Toleranz ...

Christoph Kuhlmann | So., 16. August 2020 - 08:03

Gewaltenteilung in Staten mit monotheistischen Religionen Voraussetzung war. Die Vertragsfreiheit, die ohne Demokratie nicht denkbar ist (und umgekehrt), die Freiheit der Wissenschaft, die der Religion die Rolle der Welterklärung längst abgenommen hat und die Freiheit des Glaubens, als zentraler Baustein zur Befreiung des Individuums von kollektiven Allmachtsfantasien monotheistischer Glaubenslehren. Das ist bisher der einzig erfolgreiche Weg das massenhafte Elend großer Teile der Bevölkerung zu beseitigen, dass andernfalls durch Kriege, Korruption und Bevölkerungsexplosion immer wieder aufs neue beginnt. Kurz gesagt, es geht um Gewaltenteilung, die dem Monotheismus wesensfremd ist, deren Grundlagen in Europa nur durch äußert blutige Konflikte errungen wurden.

Stefan Jurisch | So., 16. August 2020 - 08:19

Es läuft immer auf ein neues Diktat unter neuem Namen hinaus. Wenn doch eins ersichtlich ist, dann doch, dass die Revolutionsführer „Freiheit“ (oder was auch immer) rufen, und später, wenn sie an der Macht sind, selbst die größten darin sind, diese „Freiheit“ wieder einzukassieren.
Ob nun „weltliche“ oder „religiöse“ „Führer“, das stelle ich mal ganz nebenan.

Dieter Erkelenz | So., 16. August 2020 - 08:21

Ein hervorragendes Essay des islamischen Theologen! Klar und in einem verständlichen Deutsch.
Das zur Semantik.
Am wichtigsten scheint mir das Resümee: "Sie haben erkannt, dass sich die Masse mit der Religion emotional am besten erreichen und manipulieren lässt".
Nicht nur hier werde ich an die Historie des Christentums,resp. Katholizismus erinnert. Die Parallelen zum Islam und umgekehrt sind unverkennbar. Meines Erachtens führte 'Glaube'in der Regel grundsätzlich zu Machtmissbrauch und Despotismus.

Günter Johannsen | So., 16. August 2020 - 14:56

Antwort auf von Dieter Erkelenz

Das strahlende Bild des Nazareners hat einen überwältigenden Eindruck auf mich gemacht. Es gibt nur eine Stelle in der Welt, wo wir kein Dunkel sehen. Das ist die Person Jesu Christi. In ihm hat sich Gott am deutlichsten vor uns hingestellt. Jedem tiefen Naturforscher muß eine Art religiösen Gefühls naheliegen, weil er sich nicht vorzustellen vermag, dass die ungemein feinen Zusammenhänge, die er erschaut, von ihm zum erstenmal gedacht werden. Im unbegreiflichen Weltall offenbart sich eine grenzenlos überlegene Vernunft. – Die gängige Vorstellung, ich sei Atheist, beruht auf einem großen Irrtum. Wer sie aus meinen wissenschaftlichen Theorien herausliest, hat sie kaum begriffen. Im unbegreiflichen Weltall offenbart sich eine grenzenlos überlegene Vernunft. Wissenschaft ohne Religion ist lahm, Religion ohne Wissenschaft ist blind. Nicht Gott ist relativ und nicht das Sein, sondern unser Denken.“

eines Wissenschaftlers und/oder philosophischen Denkers, der Weltruhm geniesst, weil er geistige Weltgeschichte geschrieben hat, und sich trotzdem oder gerade deswegen sicher ist, dass es eine "Kraft" gibt, die alles bei weitem überstrahlt und übersteigt, was ein Mensch gedanklich je zu erfassen in der Lage wäre. Manche nennen diese "Kraft" auch "Gott", nur hat das mit Religion in einem kirchlichen bzw. institutionellen Sinne, will heissen, mit einem "Apparat", der meint, quasi das Monopol auf die Lehre zu dieser "Kraft" bzw. zu "Gott" zu haben, meist nicht allzu viel zu tun. Man kann durchaus auch ohne irgendein ein Adjektiv (jüdisch, christlich, muslimisch etc. pp.) gläubig und zugleich auch rational im Sinne der "Aufklärung" sein. Das eine schliesst das andere nicht aus, sondern ergänzt sich, und das in einer Art, die in der Regel nicht dazu führt, anderen den "richtigen" Glauben beibringen und sie in ihrer Freiheit beschneiden zu wollen, wenn sie darauf nicht freiwillig ansprechen.

gabriele bondzio | So., 16. August 2020 - 08:37

und getragen werden.“...Davon bin ich auch überzeugt. Der Rückschritt der Muslime, mit der islamischen Revolution im Iran. Wurde ja auch aus der breiten-unzufriedenen Masse initiiert Auch wenn sich das Land anders entwickelt, als es sich ein Großteil der Demonstranten damals wünschten. Demokraten, Kommunisten und Liberale haben zugelassen, dass ihr Land in die Hände von Mullahs fällt und alles was vorher schlimm war, wurde noch schlimmer. Die Unterwerfungsstrukturen in den Islam wurden mit Gewalt nachjustiert und verschärft und wirtschaftlich hat sich für die, welche den Schah gestürzt haben nichts geändert.
Die Masse ist mit der Religion emotional am besten erreichbar gewesen, auch heute noch. Damals hatten die Menschen keine konkreten Ziele und keiner konnte ahnen, was die Männer um Khomeini im Schilde führten. Daraus könnten sie heute aber lernen.

Helmut Bachmann | So., 16. August 2020 - 11:29

War es nicht so, dass Mohammed bereits als Politiker in Erscheinung trat, Kriege vom Zaun brach und auch ins Private hinein Bestimmung erließ? Diese Hypothek dürfte dem Islam schwer zu schaffen machen. Auch und gerade einem sich aufklärendem Islam.

Günter Johannsen | So., 16. August 2020 - 17:01

Antwort auf von Helmut Bachmann

[Sure 2,191] Und tötet sie (die heidnischen Gegner), wo (immer) ihr sie zu fassen bekommt.
[Sure 2,216] Euch ist vorgeschrieben, (gegen die Ungläubigen) zu kämpfen, obwohl es euch zuwider ist.
[Sure 4,76] Diejenigen, die gläubig sind, kämpfen um Allahs willen, diejenigen, die ungläubig sind, um der Götzen willen. Kämpft nun gegen die Freunde des Satans!
[Sure 8, 39] Und kämpfet wider sie, bis kein Bürgerkrieg mehr ist und bis alles an Allah glaubt!
[Sure 9,123] O die ihr glaubt, kämpfet wider jene der Ungläubigen, die euch benachbart sind.
[Sure 47,4-5] Und wenn ihr die Ungläubigen trefft, dann herunter mit dem Haupt, bis ihr ein Gemetzel unter ihnen angerichtet habt.
[Sure 8,55] Als die schlimmsten Tiere gelten bei Allah diejenigen, die ungläubig sind und (auch) nicht glauben werden. [Sure 98,6] Die Ungläubigen unter den Leuten des Buches (Juden und Christen): Sie sind von allen Wesen am abscheulichsten!

Brigitte Miller | Mo., 17. August 2020 - 13:58

Antwort auf von Helmut Bachmann

die mich schon lange umtreibt. Wenn man liest , wer Mohammed war,( wenn es ihn denn gegeben hat, aber im Islam ist er ja sehr wichtig, er ist der Stifter und sein Leben gilt als vorbildlich, oder ist der Islam denkbar ohne Mohammed? ) was er getan hat, was er anstrebte und empfahl )
dann versteht man nicht, wie der Islam als barmherzig bezeichnet werden kann.

Ja, im Koran heisst es immer wieder "denn Allah ist barmherzig" was aber nicht wirklich so erscheint.
Was dort an Spaltung betrieben betrieben wird zwischen den guten Muslimen und den Ungläubigen ist erschreckend. "Mohammed war auf Eroberung und Macht aus, der spirituelle Anteil wirkt nicht sehr gross.
Die Unterschiede zwischen Christus und Mohammed sind gewaltig.

Dorothee Sehrt-Irrek | So., 16. August 2020 - 11:29

Religion, als der politischen Herrschaft.
im Gegensatz zu Ihnen vermute ich Zaid Ibn Amr als den Vater des Islam und wenn Mohammed, dann weil er sein "Schüler" war.
Dazu passt seine Ermordung, wie der Tod vieler Religionsführer, deren Auftreten nicht Allen willkommen war.
Sie mögen das Christentum als eine Religion von unten begreifen, ich sehe sie von oben, weshalb Christus folgerichtig von seinen Jüngern als Sohn Gottes bezeichnet wurde.
Dagegen spricht genau nicht, dass er die Elenden befreite - vorausgesetzt seine Jünger verstanden ihn, wird es ihm um Erlösung gegangen sein, die in seinem Fall sehr wahrscheinlich nicht nur die Elenden verstanden, die Mächtigen konnten ihn evtl. nur nicht gegen einige Hohe Priester und das aufgewiegelte Volk schützen, unabhängig davon, ob sie seiner Lehre folgten, dürften sie in ihm Göttliches erkannt haben.
Vielleicht entkam Maria Magdalena so?
In Europa wurde das Christentum "Staats"-Religion und damit deren Welt zu einer göttlichen -> Aufklärung

Günter Johannsen | So., 16. August 2020 - 13:00

Typisch für unsere "politisch korrekte Gesellschaft" ist die gezielt eingeführte Sprachverwirrung. Urheber: Eine gewisse Stiftung, die sich für "Sprachhygiene" verantwortlich fühlt und sehr dem "Betreuten Denken" nahe kommt, wie wir es aus DDR-Zeiten kennen. So kommen diese Leute zu einer sehr merkwürdigen Auslegung von Rassismus, der bis heute unwidersprochen von Medien - besonders von den Öffentlich Rechtlichen - hingenommen und sogar selbst benutzt wird. Man sollte meinen, das Religion nichts mit Rassismus zu tun hat. Aber da irrt sich der Mensch und der Gelehrte wundert sich: Kritik gegenüber dem Islam (Ditib), wie er sich bei uns darstellt, wird sofort als Rassismus apostrophiert und der Kritiker als Nazi identifiziert. Aber was soll das? Was hat Religion mit Rasse zu tun? Das eigentlich Irre ist doch: wer einen Islam-Kritiker als Rassisten bezeichnet, ist selbst der Rassist, denn er schiebt den Islam in eine Ecke, wo der nicht hingehört!

Günter Johannsen | So., 16. August 2020 - 13:09

Ich glaube nicht, dass der Islam reformierbar ist, weil er seine Substanz wegreformieren müsste: Unbedingte Dominanz über alles und jeden mit dem Ziel Weltherrschaft und Zwangsbekehrung unter Androhung der Todesstrafe für "Ungläubige (Christen; Atheisten; Jesiden u.a.)!". Solange Ditib in Deutschland den verlängerte Arm Erdogans spielen darf, wird sich in unserm Land und auch an der menschenverachtenden Überheblichkeit des Islam gegenüber Juden und Christen in unserem Land nichts ändern!

Wo fand denn Zwangsbekehrung statt? Selbst im islamisch dominierten Ägypten gibt es seit jeher Millionen koptische Christen.

Im Unterschied zu den Christen ging es weniger über angedrohtesKopfabschneiden bei der Missionierung, sondern über Besteureung.

und die werden da nicht selten als eine Art "Zweitklass-Menschen" behandelt, in ihrer freien Entfaltung behindert, schikaniert, bedroht und bisweilen sogar umgebracht. Nicht, weil sie etwas verbrochen hätten, sondern schlicht deshalb, weil sie in einem strikt islamischen Sinn keine wahren Gläubigen sind. Ich weiss, wovon ich rede, habe das im Rahmen einer ausgedehnten Ägyptenreise in einer Kleingruppe von sechs Europäer/-innen mit einem Reiseleiter muslimischen Glaubens und dessen - nebenbei bemerkt weit gebildeteren - sogenannten Assistenten koptischen Glaubens im Massstab 1:1 selber erlebt. Und das noch vor dem berühmt-berüchtigten Attentat von Luxor, das den Ägypten-Tourismus vorübergehend stark einbrechen liess, und Jahre vor dem Erstarken des Islamismus in weiten Teilen der muslimisch geprägten Welt nach der Jahrtausendwende.
[PS: Und nein, ich bin keine bekennende Christin in einem kirchlichen Sinn.]

Günter Johannsen | So., 16. August 2020 - 18:50

Das strahlende Bild des Nazareners hat einen überwältigenden Eindruck auf mich gemacht. Es gibt nur eine Stelle in der Welt, wo wir kein Dunkel sehen. Das ist die Person Jesu Christi. In ihm hat sich Gott am deutlichsten vor uns hingestellt. Jedem tiefen Naturforscher muß eine Art religiösen Gefühls naheliegen, weil er sich nicht vorzustellen vermag, dass die ungemein feinen Zusammenhänge, die er erschaut, von ihm zum erstenmal gedacht werden. Im unbegreiflichen Weltall offenbart sich eine grenzenlos überlegene Vernunft. – Die gängige Vorstellung, ich sei Atheist, beruht auf einem großen Irrtum. Wer sie aus meinen wissenschaftlichen Theorien herausliest, hat sie kaum begriffen. Im unbegreiflichen Weltall offenbart sich eine grenzenlos überlegene Vernunft. Wissenschaft ohne Religion ist lahm, Religion ohne Wissenschaft ist blind. Nicht Gott ist relativ und nicht das Sein, sondern unser Denken.“