
- Eine Europäisierung der Verteidigung ist überfällig
Ist der US-Truppenabzug eine „politische Bestrafung“, weil Deutschland nicht genug in seine Verteidigung investiert? Das Verhalten der Trump-Administration ist zwar eines Bündnispartners unwürdig, doch auch ein Regierungswechsel in Washington wird nichts ändern.
Die Entscheidung der Trump-Regierung über den Abzug von 12.000 US-Soldaten aus Deutschland hat zu Aufregung und einer lebhaften Debatte in der deutschen Öffentlichkeit geführt. Präsident Trump selbst hat die Entscheidung mit den aus amerikanischer Sicht unzureichenden deutschen Verteidigungsleistungen begründet.
Daneben mögen auch andere Motive wie Trumps Unmut über die Energiebeziehungen Deutschlands mit Russland eine entscheidende Rolle gespielt haben. Nahezu einhellig wird daher die amerikanische Abzugsentscheidung von deutschen Kommentatoren als „politische Bestrafung“ Deutschlands gewertet.
Eines Bündnispartners nicht würdig
Ob eine „Bestrafung“ in der von der US Administration geübten Form die gewünschte Erhöhung der deutschen Verteidigungsleistungen oder im Gegenteil vielleicht eine Verhärtung der deutschen Position bewirkt, mag zunächst dahingestellt sein. In jedem Fall ist festzuhalten, dass die Art des Vorgehens der USA eines engen Bündnispartners nicht würdig und inakzeptabel ist.
Dies gilt abgesehen davon, dass die USA mit dem vorgesehenen Abzug (zudem unter erheblichen Kosten) ihren eigenen Sicherheitsinteressen schaden und zudem – auch das ist offensichtlich - ohne Not das transatlantische Verhältnis beschädigen und die Nato schwächen. Es bleibt der ungute Eindruck, dass Trump mit dem ostentativen Schritt sein Mütchen kühlen, in dem begonnenen US-Wahlkampf bei seiner Wählerschaft Punkte sammeln und von Problemen in anderen Bereichen seiner Regierungsarbeit ablenken will.
Nur ein Richtwert
Inhaltlich relevanter und für das deutsche politische Handeln bedeutsamer ist die Frage, ob die amerikanischen Forderung nach Erhöhung der deutschen Verteidigungsausgaben berechtigt ist. Ausgangspunkt für die Beantwortung dieser Frage ist die Entscheidung der Nato zum Zwei-Prozent-Ziel aus dem Jahre 2014. Diese Entscheidung spricht allerdings nur von einem Richtwert von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und der Selbstverpflichtung, sich innerhalb einer Dekade (d.h. bis 2024) in den Verteidigungsausgaben auf diesen zuzubewegen; das heißt, eine unmissverständliche Festlegung auf die punktgenaue Erreichung dieses Ziels liegt nicht vor.
Mit einem Anteil von knapp unter 1,4 Prozent am BIP ist der deutsche Verteidigungshaushalt aktuell noch weit von dem Richtwert entfernt. Dies mag als beschämend empfunden werden. Dennoch: Die Erhöhung der deutschen Verteidigungsausgaben in den letzten Jahren kann sich sehen lassen. Der Verteidigungshaushalt ist seit 2014 von 32,4 auf 45,2 Milliarden Euro im Jahre 2020 gestiegen. Nach Vergleichszahlen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts SIPRI hat allein 2019 das Wachstum zehn Prozent betragen, der höchste Wert unter den 15 Staaten mit den höchsten Militärausgaben.
Politische Empfindlichkeiten
Nach den jüngsten SIPRI-Angaben lagen die deutschen Verteidigungsausgaben 2019 in etwa gleichauf mit denen Frankreichs und etwas höher als die britischen Ausgaben. Sollte der deutsche Verteidigungshaushalt auf die geforderten zwei Prozent ansteigen, so wäre er der mit beträchtlichem Abstand höchste der europäischen Bündnispartner. Dies könnte möglicherweise politische Empfindlichkeiten bei unseren Partnern auslösen.
Dieser Gesichtspunkt mag eine typisch deutsche Sichtweise reflektieren, ganz zu vernachlässigen ist er dennoch nicht. Und schließlich liegen schon jetzt nach SIPRI Zahlen die Verteidigungsausgaben Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens zusammengenommen mit ca. 150 Milliarden Dollar deutlich über denjenigen Russlands, die mit 65 Milliarden Dollar beziffert werden (wobei natürlich die tatsächliche Vergleichbarkeit der Angaben hinterfragt werden muss).
Eine „Europäisierung“ ist überfällig
Die zitierten Zahlen bieten keinerlei Anlass zu Selbstgefälligkeit. Vielmehr stellt sich die Frage, warum trotz signifikanter Aufwendungen nicht nur in Deutschland, sondern auch bei unseren anderen europäischen Partnern, so eklatante Mängel in den Streitkräften fortbestehen. Die Antwort ist schon vielfach gegeben worden: Die „Europäisierung“ der Verteidigungsanstrengungen ist überfällig.
Die Mitgliedstaaten der EU sind gefordert, über ihren nationalen Tellerrand zu schauen und endlich eine Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu schaffen, bei der die militärischen Fähigkeiten harmonisiert und gestärkt werden und damit letztlich den schon jetzt gegebenen finanziellen Gesamtaufwendungen entsprechen. Die Erreichung dieses Ziels ist ungleich wichtiger als die Beckmesserei zu Anteilen des Verteidigungshaushaltes am BIP.
Gleichzeitig gilt jedoch auch, dass Deutschland - solange wir noch so weit von dem Ziel entfernt sind – durch Bereitstellung zusätzlicher finanzieller Mittel aber auch durch strukturelle Anpassungen schnellstmöglich die Mängel in der Ausrüstung und Personalausstattung der Bundeswehr zu beheben hat. Dies sind wir nicht Herrn Trump oder der Nato sondern unseren Soldaten schuldig.
Dialog ohne Scheu
Was ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen? Zu Dramatisierung oder Panik bei dem Thema Verteidigungshaushalte besteht keinerlei Anlass. Statt einer eindimensionalen Debatte, bei der es allein um die mechanistische Erfüllung eines Zwei-Prozent-Ziels geht, brauchen wir einen differenzierten sachlichen Dialog. Dabei geht es zentral um die Steigerung der Effektivität unserer Verteidigungsausgaben.
Auch mit den amerikanischen Partnern muss der Dialog offen und ohne scheue Zurückhaltung geführt und - wo immer möglich - intensiviert werden (die USA bestehen nicht nur aus einem Präsidenten Trump und wenig aufgeschlossenen Gefolgsleuten). Auszugehen ist dabei von dem Grundverständnis, dass das transatlantische Bündnis gemeinsame demokratische und freiheitliche Werte eint, sich heute einer Vielzahl von teilweise nicht absehbaren Herausforderungen für seine Sicherheit stellen muss und diese letztlich auch nur gemeinsam erfolgreich bewältigen kann. So „sonntagsrednerisch“ dieser Punkt klingen mag; heute mehr denn je brauchen wir eine praktische Rückbesinnung darauf.
So oder so kommen ungemütlichere Zeiten
Und ein weiterer Punkt ist von zentraler Bedeutung: Die Nato verfolgt in der Sicherheitspolitik seit den 1960er Jahren einen bewährten Doppelansatz, bei dem komplementär zur Gewährleistung gesicherter Verteidigungsfähigkeit die Bereitschaft zu Dialog, Rüstungskontrolle und Entspannung steht. Dieses zweite Kernelement ist in den letzten Jahren besonders von den USA, die auf überlegene militärischen Fähigkeiten gesetzt haben, sträflich vernachlässigt worden. Damit ist auch die Gefahr gewachsen, dass durch eine Verstärkung der Rüstungsanstrengungen und Erhöhung der Militärausgaben wir in das klassische Sicherheitsdilemma geraten, das Wettrüsten angeheizt und die globale Instabilität gefördert wird.
Aber täuschen wir uns nicht: auch ein Regierungswechsel in Washington wird nichts grundlegend ändern. In einer durch eine verschärfte Rivalität der Großmächte – insbesondere zwischen den USA und China - geprägten Welt wird die Erwartung der USA steigen, dass Europa stärkere Verantwortung für seine eigene Sicherheit und die Sicherheit der angrenzenden Regionen übernimmt. Dies hat bereits Präsident Obama mit seiner Hinwendung zu Ostasien (Pivot-to-Asia-Politik) deutlich werden lassen.
Die EU ist deshalb gut beraten, entschlossen das Ziel der Stärkung seiner militärischen Fähigkeiten und der Schaffung strategischer Autonomie zu verfolgen. Dies ist auch eine Frage der Selbstbehauptung in einer zunehmend komplexeren, von Machtpolitik bestimmten Welt, in der der Multilateralismus und universelle Werte geschwächt zu sein scheinen. Wir sollten uns auf sicherheits- und verteidigungspolitisch „ungemütlichere“ Zeiten einzustellen.