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Kämpferischer Gewerkschaftschef: Bei Claus Weselsky ist es immer fünf vor zwölf / dpa

GDL protestiert gegen Bahn-Sparpläne - „Wir brauchen mehr Indianer als Häuptlinge“

Durch die Coronakrise hat die Bahn Milliardenverluste erlitten. Das Unternehmen plant deshalb Einsparungen bei Reallöhnen und Arbeitszeitkonten. Doch die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) stellt sich quer. Ihr Vorsitzender fordert eine „radikale Neuorientierung“.

Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Claus Weselsky ist wieder mal der Kragen geplatzt. „Das Zugpersonal in Deutschland lässt sich nicht in die Pflicht nehmen für das Verzocken von Milliarden in der ganzen Welt“, erklärte der Vorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) am Dienstag in Frankfurt am Main bei einer kurzfristig angesetzten Pressekonferenz. Die GDL werde daher das vom Bundesverkehrsministerium, dem Bahn-Vorstand, dem Gesamtbetriebsrat und der konkurrierenden, traditionell unternehmensnahen Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) vereinbarte Strategiepapier „Bündnis für unsere Bahn“ nicht unterzeichnen.

Damit bahnt sich erneut ein heftiger Konflikt in dem maroden, krisengeschüttelten Staatsunternehmen an. Die Deutsche Bahn AG schiebt einen Schuldenberg in zweistelliger Milliardenhöhe vor sich her. Zahlreiche Sanierungsprogramme und „Qualitätsoffensiven“ haben trotz wachsender Direktzuschüsse nicht dazu geführt, dass sich der Zustand der Infrastruktur durchgreifend verbessert. Während der Konzern bei unsinnigen Großprojekten wie dem neuen Bahnhof „Stuttgart 21“ und einzelnen „Rennstrecken“ mit schlechter regionaler Anbindung Milliarden verbuddelte und weitere Milliarden bei der erträumten Expansion zum globalen Logistikplayer versenkt wurden, ist der Alltag für die Kunden von extremen Verspätungen und Verlangsamungen durch Baustellen geprägt. Und der Schienengüterverkehr, dessen Ausbau als Alternative zu den endlosen LKW-Kolonnen auf Autobahnen und Bundesstraßen eigentlich einer der Eckpfeiler einer ökologischen Verkehrswende sein sollte, befindet sich weiterhin im freien Fall.

Kritik am „Blankoscheck für die Eingriffe in die Tarifautonomie“

Die derzeit auf bis zu 8,4 Milliarden Euro geschätzten Einnahmeverluste im Zuge der Corona-Krise haben die Finanzlage der Bahn nochmals dramatisch verschärft. Der Bund plant daher eine Anhebung der Schuldenobergrenze von bislang 25 auf 30 Milliarden Euro sowie eine Eigenkapitalerhöhung um bis zu 5,5 Milliarden Euro als Direktzahlung. Im Gegenzug sollen unter anderem die Personalkosten um zwei Milliarden pro Jahr Euro sinken, aber laut dem Bündnispapier gleichzeitig ein umfassender Kündigungsschutz vereinbart und weitere, dringend notwendige Neueinstellungen von Fachkräften vorgenommen werden, die in dem Konzern an allen Ecken und Enden fehlen.

Eine merkwürdige Gleichung, die bei einem kampferprobten Gewerkschaftsführer wie Weselsky alle Alarmglocken klingeln lässt. Einen derartigen „Blankoscheck“ für Eingriffe in die Tarifautonomie werde die GDL keinesfalls ausstellen. Man könne nicht einem „Rettungspaket“ pauschal zustimmen, ohne die Inhalte zu kennen: „Das ist mit uns nicht zu machen“. Weselskys Misstrauen hat gute Gründe.

Bahn will an Arbeitszeit und Realllöhnen sparen 

In der Bündniserklärung ist von „Eckpunkten zu einer tarifvertraglichen Vereinbarung“ die Rede , in denen „die Tarifpartner ihren Beitrag leisten, um das Unternehmen wirtschaftlich zu stabilisieren“. Das klingt nach Reallohnsenkungen und „Einsparungen“ bei den Arbeitszeitregularien, denn bei umfassendem Kündigungsschutz und weiteren Neueinstellungen und gleichzeitigen Einsparungen bei den Personalkosten müssten diese ja irgendwie umverteilt werden. Aber „Lokomotivführer und Zugbegleiter, die selbst in der größten Krise 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche und 365 Tage im Jahr sicher und zuverlässig Menschen und Güter transportieren, haben bessere und nicht schlechtere Entgelt- und Arbeitsbedingungen verdient“, hält der GDL-Vorsitzende dagegen.

Weselsky verlangt nicht weniger als eine radikale Neuorientierung der Schienenverkehrspolitik und des Staatskonzerns Deutsche Bahn AG. „Nicht der Global Player Deutsche Bahn ist systemrelevant. Systemrelevant ist das Schienennetz in Deutschland mit dem direkten Personal zum Transport von Menschen und Gütern.“ Die DB habe „Milliarden im Ausland versenkt, beispielsweise bei Arriva. Geld, das dem Schienensystem in Deutschland fehlt“. Daher fordert die GDL, die Schieneninfrastruktur aus dem Konzern herauszulösen und in eine gemeinnützige Gesellschaft zu überführen.

Im Konzern soll gründlich aufgeräumt werden 

Aber auch innerhalb des Konzern sollte jetzt gründlich aufgeräumt werden. Dort habe es eine  gewaltige „Umverteilung von Arbeitsplätzen“ gegeben: Während Führung und Verwaltung aufgebläht wurden, wurde der direkte Bereich verkleinert. „Statt immer mehr Häuptlinge benötigen wir deutlich mehr Indianer“, beklagt Weselsky. Die GDL fordert eine „schonungslose Analyse des Ist-Zustandes des gesamten DB-Konzerns. durch eine vom Parlament eingesetzte Expertenkommission“. Anschließend seien „die heutigen Strukturen aufzulösen und in für das Kerngeschäft relevante Struktureinheiten zusammenzuführen“.

Nur wenn die Eisenbahninfrastruktur aus der Gewinnerzielungspflicht herausgenommen werde, „kann die Schiene fit für die Zukunft gemacht werden und dem Allgemeinwohl und der Daseinsvorsorge dienen. Ein gut ausgebautes Netz in öffentlicher Hand ist gleichzeitig Garant für einen gesunden Wettbewerb auf der Schiene“, so Weselsky. Und zwar ohne Lohndumping, denn die GDL hat mit insgesamt 54 Schienenverkehrsbetreibern Tarifverträge für das Fahrpersonal abgeschlossen, die dem Niveau der Vereinbarungen bei der DB entsprechen oder schrittweise angenähert werden.

Millionen Euro Einsparungen durch Verzicht auf Boni 

Dass Weselskys Bild von zu vielen Häuptlingen und zu wenig Indianern beim DB-Konzern keineswegs aus der Luft gegriffen ist, zeigt ein Passus aus der Bündnis-Erklärung. Demnach sollen Vorstände und andere Führungskräfte aus Konzern und Tochterunternehmen alleine durch den einmaligen Verzicht auf Boni eine Beitrag zu den Personalkosteneinsparungen „im dreistelligen Millionenbereich“ erbringen.  

Das riecht nach Zoff. Denn die konkurrierende Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) hat das Bündnispapier unterschrieben.Sie vertritt vor allem Mitarbeiter außerhalb des Fahrdienstes, während die GDL die Tarifmacht für die Lokführer innehat. Der 2005 offen ausgebrochene und phasenweise immer wieder eskalierende Konflikt zwischen dem Management und den beiden Gewerkschaften könnte eine neue Stufe erreichen. Denn dass mit der sehr gut organisierten GDL nicht zu spaßen ist, wenn es um Entlohnung und Arbeitsbedingungen des Fahrpersonals geht, hat sie oft genug mit teilweise wochenlangen Streiks eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

Trickst die Bahn mit Verweis auf die Coronakrise? 

Doch auch außerhalb des Konzerns regt sich Widerstand gegen neue Milliardenschulden und Blankoschecks für das marode Staatsunternehmen. Der Bundesrechnungshof bezweifelt, dass der geschätzte Finanzbedarf von 9 bis 11 Milliarden Euro tatsächlich mit der Corona-Krise zusammenhängt. In einem Bericht an den Haushaltsausschuss des Bundestages heißt es mahnend, mit der Kapitalspritze des Bundes dürften nicht die Fehlinvestitionen der Vergangenheit finanziert werden. Die Deutsche Bahn versuche offenbar, dem Bund „auch die sich realisierenden Risiken aus ihren bahnfremden und weltweiten Geschäftstätigkeiten zu übertragen“.

Ähnlich sieht das Mofair, der Dachverband der privaten Bahnbetreiber. Bei den Coronahilfen des Bundes für die Deutsche Bahn sei keine Differenzierung nach dem Verwendungszweck vorgesehen, kritisiert Mofair-Geschäftsführer Matthias Stoffregen Mit der Finanzhilfe des Bundes für die Deutsche Bahn könnten alte Löcher gestopft werden , und am Ende muss der Steuerzahler die Abenteuer der Deutschen Bahn im Ausland finanzieren.“

Aufschlag für eine ökologische Verkehrspolitik 

Die Konkurrenten der Deutschen Bahn haben im Personennahverkehr einen Marktanteil von 40 Prozent. „Alle Unternehmen des Eisenbahnverkehrs haben hohe Einbußen“, sagte Stoffregen. Für die Wettbewerber der Bahn sind bislang aber keine  Hilfen vorgesehen. Es herrscht in der deutschen Gesellschaft wohl weitgehend Konsens, dass der Schienenverkehr eine der wesentlichen Säulen der Mobilität und einer ökologisch ausgerichteten Verkehrspolitik im Sinne der allgemeinen Daseinsvorsorge sein sollte. Und so bleibt zu hoffen, dass die Corona-Krise auch als Chance genutzt wird, die Fehler der Vergangenheit gründlich zu korrigieren und den maroden Staatskonzern Deutsche Bahn vom Kopf auf die Füße zu stellen. Die GDL hat dafür jetzt einen guten Aufschlage gemacht.     

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Michaela 29 Diederichs | Fr., 29. Mai 2020 - 22:30

Bahnfahrt von A nach B. Es passiert unterwegs sehr viel. Mal Schnee auf der Oberleitung (Zug muss zurück nach A), dann wieder in Richtung B. Kinder spielen im Gleisbett. Halt. Dann wieder Halt ohne Ansage. Herausgekippt werden alle in X, wo keiner hinwollte und die Durchsage des Lokführers lautet: "Heute ist nicht unser Tag." Und keiner kommt mehr dahin, wo er ursprünglich mal hin wollte. Jetzt mal vorgestellt: Sie liegen im OP und der Chirurg sagt Ihnen - "nee heute ist irgendwie kein guter Tag. Das lassen wir mal." Der ganze Laden DB muss mal unter die Lupe von Externen, die betrachten das Geschehen unabhängig und vermutlich sehr kritisch. Die Bahn braucht nicht mehr, sondern deutlich weniger Beamtenmentalität. Bei mir sind die durch - die Manager dieses Unternehmens.

Heidrun Schuppan | Sa., 30. Mai 2020 - 13:04

Antwort auf von Michaela 29 Di…

mehr Profallas ... wenn man Indianer für die wichtigen Jobs – mit Ahnung, mit Praxis – nicht zulässt, sondern Posten nach Parteibuch oder nach Vitamin B vergibt, wird das eben nichts.

Alfred Zielinski | Sa., 30. Mai 2020 - 14:49

Antwort auf von Michaela 29 Di…

(2) Ich weiß nicht wo Sie auf „Beamtenmentalität“ stoßen ab diese wurde bereits 1994 durch Heiz Dürr radikal „ausgedürrt“ – die Folgen (Ironie des Schicksals) beklagen Sie heute! In der FAZ sucht die Bahn aktuell Führungskräfte https://stellenmarkt.faz.net/unternehmen/deutsche-bahn-ag/ hier bietet sich für Sie die Möglichkeit der unmittelbaren Umsetzung Ihres Anliegens. Und ich bin überzeugt, Sie werden dort sicher auf sehr viele Gleichgesinnte treffen. Empfehle vorab einen Grundkurs Bahn bei Herrn Weselsky zu buchen, mal vier Wochen bei seiner Organisation zu hospitieren.

Yvonne Walden | Sa., 30. Mai 2020 - 16:12

Antwort auf von Michaela 29 Di…

Beim Blick "über den Gartenzaun" wird immer wieder das Schweizer Bahnsystem gelobt.
Angeblich fahren die dortigen Züge pünktlich wie das berühmte Uhrwerk aus eidgenössischer Produktion.
Warum funktioniert dies nicht auch in Deutschland so?
Eines dürfte klar sein: wer sein Personal nicht angemessen und leistungsgerecht entlohnt, darf sich über fehlende Motivation der Beschäftigten nicht wundern.
Also, warum läßt die Deutsche Bahn ihr Betriebssystem nicht endlich einmal von Schweizer Fachleuten durchleuchten?
Oder auch von Fachleuten anderer Bahnbetreiber?
Dabei sollte auch klar sein: Die Deutsche Bahn als umweltfreundliches Verkehrssystem sollte politisch deutlich stärker gefördert werden als die Bundesfernstraßen. Dazu müßten die Verkehrspolitiker allerdings die Lobbyisten der Automobilindustrie deutlich in ihre Schranken verweisen, schnellstmöglich.

Ernst-Günther Konrad | Sa., 30. Mai 2020 - 13:50

Weselsky benutzt da einen Spruch, den ich schon vor Jahren während meiner aktiven Zeit im Staatsdienst verwandt habe. Nur haben sich die Zeiten geändert. Ob Herr Weselsky gegen Corona und die "richtige" Meinung, die derzeit alternativlos ist ankommt? Inzwischen wird mit ganz harten Bandagen gespielt. Der "gefürchtete" Gewerkschafter könnte ganz schnell aufgrund angeblicher sprachlicher Verfehlungen in eine Ecke gestellt werden. Da sitzen schon einige in den Löchern, dem Mann irgendetwas "nachweisen" zu können, um ihn persönlich zu diskreditieren und seine Meinung zu sedieren.
In DE wurde der Diskurs inzwischen abgeschafft. Man sieht das bei Corona deutlich und dem Streit der Virologen. Ich mache mir da nichts vor. So recht Herr Weselsky mit dem Abbau des Wasserkopfes haben dürfte, auch der aufgeblähte Bundestag gehört gesund geschrumpft. Und was passiert da gerade. Eben. Nichts.
Dennoch viel Glück Herr Weselsky, starke Nerven und loyale Mitstreiter ohne parteipolitisches Amt.

Alfred Zielinski | Sa., 30. Mai 2020 - 14:43

Sehr geehrte Frau Diederichs,
Sie schreiben wie eine Blinde die über Farbe redet! Ich, Jahrgang 1949, erlaube mir die Annahme, dass die Lösung (ab 1994) nicht in "weniger Beamtenmentalität" sondern eher wieder im Gegenteil zu finden ist. All die beklagten Probleme liegen im Zwang zur unmittelbaren Wirtschaftlichkeit, im quasi freihändigen Bemühen darum. Parallelen zum Gesundheitswesen sind überdeutlich. Der individuelle Bahnkunde erwartete Leistungen ohne zu fragen was diese kosten. Die Bahn muss aber danach fragen, hat diese doch seit 1994 auch rd. 20 Mrd. Miese produziert. Natürlich muss die Grundleistungen, insbesondere die Einhaltung des Fahrplanes stimmen. Aber bedenken Sie, die Bahn produziert nicht in einer geschlossenen Halle auf eigenem Gelände sondern unter Gottes freiem Himmel und lebt heute unter dem öffentlichen Zwang mehr versprechen zu müssen als real halten zu können.

Michaela 29 Diederichs | Sa., 30. Mai 2020 - 23:27

Mir fällt noch ein, was mich höllisch nervt. Da hängen in der Bahn Bildschirme aus, wo die geplante Ankunftszeit steht. Die wird aber nicht aktualisiert. Steht da wie die Glocke, festgemauert, quasi in Stein gemeißelt, im Bildschirm eingebrannt. Der Zugführer gibt schon zum 3. Mal die Verspätungen durch - inzwischen summiert auf mindest 1,5 Stunden oder mehr - es ist und bleibt für mich unbegreiflich. Die DB betrübt maximal. Für mich keine Option mehr.