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Im Gerichtsaal in Konstanz wird das Urteil verkündet / dpa

Mafiaprozesse - „Man muss den Weg des Geldes verfolgen“

In einem der größten Mafiaprozesse in Deutschland urteilte jüngst das Landgericht Konstanz. Im Interview erläutert der Oberstaatsanwalt Joachim Speiermann die Hintergründe des Prozesses und warum häufig der Satz „Mafia, das interessiert uns nicht“ fiel.

Sandro Mattioli

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Sandro Mattioli ist freiberuflicher Journalist und hat sich auf die Berichterstattung über die Mafia spezialisiert. (Foto: (c) Lorenzo Maccotta)

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Dr. Joachim Speiermann trat 1986 in die Justiz ein und war bis 2002 Richter in verschiedenen Gerichten. Von 1993 bis 1996 wirkte er als abgeordneter Richter an der Universität Konstanz. 2002 wechselte er in die Konstanzer Staatsanwaltschaft, zuerst als Abteilungsleiter einer Allgemeinen Abteilung und ab 2014 als stellvertretender Behördenleiter und Leiter der OK- und Rauschgiftabteilung.

Herr Dr. Speiermann, Sie haben kürzlich einen der größten Mafiaprozesse in Deutschland abgeschlossen und – zugespitzt formuliert – hat es kaum jemand mitbekommen. Wie fühlt sich das für Sie an?
Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass wir in Corona-Zeiten leben. Die letzten Verhandlungstage sind daher nicht so stark besucht worden. Überhaupt, nach 100 Verhandlungstagen lässt das Interesse spürbar nach.

Der Vorsitzende Richter sprach von einem „Mafia-Verfahren, das keines war" und er sagte auch, dass es ihn nicht interessiert, ob jemand zur Mafia gehöre, weil das nach deutschem Recht nicht relevant sei. Heißt das, dass die deutsche Justiz blind ist für das Thema Mafia?
So direkt will ich das nicht sagen, aber ich bin über diese Aussage auch etwas verwundert gewesen. Das Verfahren hatte seinen Beginn in einer Information der amerikanischen Anti-Drogenbehörde DEA an die Italiener. Wir wurden dann informiert, weil Beteiligte in unserem Bezirk wohnten. Wir haben im Rahmen der Ermittlungen eindeutige Erkenntnisse gewonnen, dass dieses Verfahren Mafia-Bezüge hat. Dies wurde im Prozess durch Zeugenaussagen bestätigt.

Von links Wolfgang Rahm, LKA-Polizist Thomas Flaig, sein Chef Thomas Hechinger und Joachim Speiermann
Joachim Speiermann (r.) mit Polizisten des LKA in Palermo
/ Foto: privat

Sicherlich können wir in Deutschland nicht im Einzelnen feststellen, wer ein Mafia-Mitglied ist und wer nicht. Aber so ein großer Drogenhandel ist nur möglich, wenn man die Hintermänner miteinbezieht. Und es hat mich schon ein Stück weit enttäuscht, dass das nicht passiert ist – man kann nicht nur rein tatbezogen arbeiten. Für mich symptomatisch war zu Beginn ein Satz des Vorsitzenden an den Chefermittler. „Bleiben Sie bitte an der Oberfläche“, forderte der Richter ihn auf. Man wollte ihn wohl gar nicht umfassend berichten lassen. Außerdem fiel während der langen Hauptverhandlung leider mehrfach der Satz: „Mafia, das interessiert uns nicht“.  

Wie erklären Sie sich das?
Das ist generell die Tendenz von Gerichten. Es ist einfacher, an der Oberfläche zu bleiben. Es ist am einfachsten, nur Geständige zu verurteilen und nur wenn es schwierig wird, in die Tiefe zu gehen. Dieses Verfahren war am Anfang kein einfaches, mit etwa 20 Verteidigern, von allen Seiten wurde geschossen. Aber ich hätte es schon schön gefunden, man hätte die italienischen Beziehungen da auch ausgeleuchtet. Die Kammer wollte jedoch am liebsten nur Rauschgift-Geschäfte aburteilen, die in Deutschland getätigt worden sind. Es wurde leider kein einziger Polizist aus Italien als Zeuge geladen und angehört, obwohl dort ja auch ermittelt wurde.

Sie sagten, die Hinterleute dieser Drogengeschäfte in Italien stammten aus dem Mafia-Umfeld. Macht es für sie einen Unterschied, im Gericht Leute mit solchen Verbindungen vor sich zu haben?
Ja sicher, für die Strafzumessung ist das ein fundamentaler Unterschied. Ob sie einen Einzeltäter haben, es um Spontantaten geht oder organisierte Kriminalität. Wenn es dann Bezüge zur kalabrischen 'Ndrangheta gibt oder zur sizilianischen Cosa Nostra, dann ist das ein entscheidender Punkt.

Und wie ist das für Sie persönlich, das sind ja keine Engelsbuben. Die Mafia-Organisationen haben viele Richter und Staatsanwälte, die ihre Arbeit taten, auf dem Gewissen.
Nachdem die Gruppe in Deutschland Schwierigkeiten mit dem Absatz hatte und das Geld nicht reinkam, haben wir im Verfahren ein Telefongespräch gehört. Da hieß es dann, man müsse das Gespräch bei der Cupola in Palermo suchen, der obersten Machtzentrale der Cosa Nostra.

Sie dachten aber nicht an Leute wie Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, die ermordet wurden wegen ihres Kampfes gegen die Mafia?
Nein, das nicht. Sicher sind mir diese Taten bekannt und ich bin beeindruckt. Ich weiß um die Hochachtung der Italiener vor diesen Kollegen. Wer in Italien zur Mafia arbeitet, arbeiten unter ganz andere Bedingungen als bei uns, auch heute noch, sagen die Kollegen.

Manchmal hört man den Vorwurf, die deutsche Polizei wolle nicht gegen die Mafia vorgehen.
Im Gegenteil, das Team hier war wahrscheinlich der Schlüssel zum Erfolg. Wir hatten einen sehr guten Polizeibeamten, einen Hauptkommissar, der beim LKA Ansprechpartner für italienische organisierte Kriminalität war und der über wahnsinnig gute Kontakte nach Italien verfügte. Den haben wir mit ins Boot geholt, er hat den direkten Kontakt zu Ermittlern in Palermo geknüpft. Da hat man sich kennen- und schätzen gelernt. Nur so hat das Verfahren überhaupt funktioniert.

Wir haben dann frühzeitig den direkten Informationsaustausch zwischen den Polizeien vereinbart. So erspart man sich den umständlichen Weg über Interpol oder die Polizei-Schiene. Die Verwertung lief dann natürlich ordnungsgemäß im Rahmen der Rechtshilfe. Es gab zwei Verfahren, sogenannte Spiegelverfahren: meines in Deutschland und das des Kollegen in Italien. Die jeweiligen Erkenntnisse wurden zeitnah ausgetauscht und man hat sich immer abgestimmt.

Ich habe gelesen, dass insgesamt sechs Millionen Euro beschlagnahmt worden sind.
Wir gehen in Deutschland anders an die Verfahren heran als in Italien. Klar versuchen auch wir in Deutschland Vermögen abzuschöpfen. Wir haben Bank-Auskunftsersuchen und alles gemacht, konnten aber leider nicht so viele Vermögenswerte feststellen und beschlagnahmen. Auch darin liegt ein Vorteil eines deutsch-italienischen Spiegelverfahrens: Die Italiener haben dann im Wege der präventiven Sicherstellung sechs Appartements und Grundstücke vorläufig sichergestellt.

Was bedeutet das, präventiv sichergestellt?
Wenn der Beschuldigte nicht darlegen kann, woher das eingesetzte Kapital kommt oder die Herkunft dubios ist, nicht nachvollziehbar, dann können in Italien Vermögenswerte sichergestellt werden. Wenn jemand kaum Steuern zahlt und dann aber Vermögen besitzt, dann sind die Italiener relativ schnell mit der präventiven Beschlagnahme. Der Beschuldigte muss dann die ordnungsgemäße Herkunft nachweisen. Kann er dies nicht, kann das Vermögen eingezogen werden. So war das in diesem Fall auch. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass das Kapital dann für weitere Straftaten dienen kann.

Welche Lehren haben Sie denn aus diesem Verfahren gezogen?
Ich habe gelernt, dass ein gemeinsames Vorgehen auch grenzüberschreitend funktioniert, wenn die richtigen Handelnden dabei sind und wenn die Leute motiviert sind. Die lange Verfahrensdauer macht mürbe, es sind jetzt über 100 Verhandlungstage gewesen, und da ist die Frage schon von den Kosten her, ob das gerechtfertigt ist. Im Ergebnis muss ich aber sagen: von den elf Angeklagten sind alle verurteilt worden; das stimmt mich froh. Die Strafhöhe liegt im Ermessen des Gerichts, sie hat mich nicht vollständig überzeugt. Aber es war ein Erfolg.

Sind wir in Deutschland für das Problem transnationale organisierte Kriminalität gut aufgestellt?
Es braucht motivierte Polizeibeamte und motivierte Staatsanwältinnen und Staatsanwälte. Das ist das Wichtigste. Geht man mit Bedenken an Verfahren ran, kommt man nicht weit. Man muss manchmal auch ein Stück mutig sein, neue Wege gehen, dann funktioniert es. Ich habe keinen genauen Überblick über die Zahlen, aber es macht mich nachdenklich, wenn man sieht, wie wenig Verfahren in diesem Bereich in Deutschland durchgeführt werden. Vor allem weil es immer heißt, es gebe mehrere hundert Mafiosi in Deutschland. Und in unserem Fall haben wir noch nicht mal festgestellt, dass es sich um Mafiosi handelt.

Wie könnte man diesen Kampf erfolgreicher gestalten?
Man muss den Weg, den die Italiener gehen, forcieren – man muss den Weg des Geldes verfolgen. Das passiert in Deutschland zu wenig. 2017 wurden ja einige Gesetze geändert, es bleibt abzuwarten, ob die tatsächlich umgesetzt werden. Das Instrumentarium ist da, aber man muss es auch nutzen. Auch wir in der Staatsanwaltschaft werden an Statistiken gemessen. So ein OK-Verfahren verlangt viel Zeit und Personal.

In meinem Verfahren etwa waren das allein im Hauptverfahren 100 Sitzungen mit zwei Personen jeweils aus meiner Abteilung. Zusätzliches Personal haben wir für das Verfahren leider nicht bekommen. Nach dem Personalbedarfsberechnungssystem (Pebb§y) wird uns ein solches Verfahren mit 2000 Minuten – wobei es sich natürlich um einen Durchschnittswert handelt - angerechnet! Da bringen viele einfache Verfahren wie Ladendiebstähle für eine Behörde mehr Personal und das erklärt dann vielleicht auch die insgesamt relativ wenigen OK-Verfahren.

Wie haben sie die Angeklagten im Prozess erlebt?
Als Männer mit schwarzem Anzug und Sonnenbrille wie in Mafia-Filmen? Nein!  Sie waren mir gegenüber respektvoller als die Verteidiger. Einer der Angeklagten war etwas geltungsbedürftig, aber das waren ganz normale Angeklagte, wie man sie immer wieder erlebt.

Gab es denn danach noch Kontakt zwischen ihnen und den Angeklagten irgendeiner Form?
Zum Teil habe ich auch positive Rückmeldung bekommen, wo ich sie nicht erwartet hätte. Ein Angeklagter aus Kalabrien hat sich persönlich verabschiedet. Er hat sich bedankt für die Fairness und mir gesagt, wenn ich dort mal Urlaub machen sollte, in Kalabrien, sollte ich vorbeischauen bei der Familie. Was ich natürlich abgelehnt habe. Die Verteidiger waren eher das Problem des Verfahrens. Eine ihrer Strategien war, das Gericht mürbe zu machen, was zum Teil auch gelungen ist.

Es gab ja einen Verteidiger, dessen erster Satz im Verfahren überhaupt im Grunde als eine Drohung verstanden werden konnte an die Zeugen. Sinngemäß sagte er: Wer den Mund hält, wird 100 Jahre alt.
Das kann man natürlich so verstehen, wobei, bei dem Anwalt weiß ich nicht, ob er überhaupt verstanden hat, was er gesagt hat. Vielleicht wollte er sich damit nur brüsten. Ob das tatsächlich eine Drohung war, muss ich offenlassen. Fakt war aber, dass zunächst eisern geschwiegen wurde.

Sehen Sie Handlungsbedarf, etwa in politischer Hinsicht? Müsste man Staatsanwälte schulen?
Ja. Vor allem wegen des grenzüberschreitenden Aspekts der Arbeit. Wir sind jetzt da ja auf dem Weg mit der europäischen Staatsanwältin und es gibt Eurojust als europäische Koordinierungsstelle für Ermittlungen. Aber eine entsprechende Schulung, Tagungen zum Thema wären sicherlich gut, zu denen man auch die jungen Kolleginnen und Kollegen hinschickt. Das JIT Verfahren (Justice Investigation-Team) mit Ermittlungsteams in zwei oder mehr europäischen Ländern ist ein wichtiges Mittel und es vereinfacht die Arbeit über Grenzen hinweg.

Wie oft mussten sie für diese Ermittlung nach Italien reisen?
Ich war dreimal in Sizilien. Das war persönlich bereichernd, die Gastfreundlichkeit der Kollegen dort. Und wenn man sieht, wie die italienischen Polizisten arbeiten, unter welchen Bedingungen und für wie wenig Geld, da haben unsere deutschen Polizisten auch erst gemerkt, wie gut es ihnen hier eigentlich geht. Außerdem lernt man voneinander: Die Italienischen Ermittler schauen zum Beispiel viel mehr nach den Erträgen krimineller Geschäfte als wir in Deutschland.

Was ist der besondere Reiz an Ermittlungen im Drogen- und Mafia-Bereich?
Man hat einen sehr direkten Kontakt zur Polizei, das schweißt zusammen. Dank Maßnahmen zur Telekommunikationsüberwachung sieht man, was so läuft. Das ist einfach sehr, sehr interessant.

Haben sie noch Kontakt nach Italien jetzt?
Ich gehe jetzt ja in Pension; zu meinem Ausstand wollten eigentlich vier Polizisten kommen. Aber wegen Corona ging das nicht. Ich habe weiterhin Kontakt und wenn ich einmal in Sizilien bin, werde ich die Kollegen sicher besuchen.

Schauen Sie noch Mafiafilme?
(lacht) Eher selten. Ich schalte ja noch nicht mal Tatort an. Das hat mit der Realität wenig zu tun.

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Ernst-Günther Konrad | So., 17. Mai 2020 - 18:09

Wer sich die Komplexität deutscher Gesetze anschaut, die personelle Überlastung aller Justizbereiche und den Strafverfolgungsbehörden, wer jemals in einem Richterzimmer den Berg von Akten gesehen hat, die alle gelesen und durchdacht, überlegt und berücksichtigt werden sollen, kann wirklich Verständnis dafür aufbringen, das Richter Verfahren so schnell wie möglich - hier immerhin 100 Tage- zu Ende bringen wollen. Wer dann noch weiß, wie gewiefte Anwälte, Richter auf die Palme bringen können, mit geradezu absurden Anträgen lähmen, im Wissen, das sie ganz schnell Revisionsgründe finden, der muss froh sein, wenn solche Mammutverfahren überhaupt noch zu Verurteilungen führen. Die deutsche Strafprozessordnung ist dermaßen kompliziert geworden, die Rechtsanwendungen immer schwieriger, das kaum noch jemand in der Lage ist, halbwegs revisionssichere Verfahren zu beenden. Wir haben ein Recht, das Tätervermögen schützt, Beschuldigten alle Mögllichkeiten der Verteidigung gibt und Opfer vergisst.

Bernd Muhlack | So., 17. Mai 2020 - 19:45

Ein sehr gutes Interview!

Ob die geschilderten Aussagen hinsichtlich des erkennenden Gerichts, des Vorsitzenden zutreffen, lasse ich einmal dahin gestellt, kann ich nicht beurteilen.
Zitat:
"Sie dachten aber nicht an Leute wie Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, die ermordet wurden wegen ihres Kampfes gegen die Mafia?"

Meine Tochter schenkte mir zum "Vatertag" einmal das Buch:
Die Richter. Der Tod, die Mafia und die italienische Republik (Deutsch) Gebundene Ausgabe – 1997 - Beck-Verlag.
Ja, das ist natürlich ne Weile her, jedoch ist dieses geniale Buch zeitlos gut!
Es hat sich im Prinzip nichts, aber auch gar nichts verändert!
Toto Riina flog nicht mit Lear-Jets um die Welt, sondern latschte mit Sandalen durch seinen Garten; damals der capo dei capi.

Im Gegensatz zum "Kollegen" Speiermann kucke ich gleich den neuen kölsche Tatort.
Realität?
Ein jeder hat wohl seine eigene, nicht wahr?

Alles Gute für Sie und passen Sie auf sich auf!