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Macht sich mit dem Immunitätsausweis nicht beliebt: Jens Spahn

Immunitätsausweis - Die gefährliche Versuchung Spahns

Ein Immunitätsausweis soll jetzt einigen Menschen neue Freiheiten einräumen. Ein gefährlicher Ansatz, kritisiert Tim Demisch von den Grünen in seinem Gastbeitrag. Die gesellschaftlichen Konsequenzen wären fatal und könnten jeden Erfolg im Kampf gegen das Virus zunichte machen.

Tim Demisch

Autoreninfo

Tim Demisch, Jahrgang 2000, ist seit Dezember 2018 Mitglied der Grünen und dort im Bereich der Europa-, Außen- und Digitalpolitik aktiv. Er studiert Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeitet als selbstständiger Web- und Softwareentwickler.

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Als Gesundheitsminister Spahn am vergangenen Mittwoch mit erhobener Brust vor die Presse trat, ahnte wohl niemand, zu welcher gesellschaftlich spalterischen Maßnahme die Bundesregierung nun greifen würde. Mit dem sogenannten Immunitätsausweis soll ein ärztlicher Nachweis über eine COVID-19-Immunität eingeführt werden, der Menschen mit eben dieser Immunität von derzeitigen Grundrechtseinschränkungen ausnimmt.

Was sich für manche wie ein Lichtblick anhören mag, erweist sich tatsächlich als gefährlich. Aus medizinischer Sicht herrscht noch keine ausreichende Klarheit darüber, für welche Zeitspanne eine COVID-19-Immunität vorliegt, wie sie festgestellt werden kann und ob sie das Infizieren von anderen ausschließt. Doch selbst, wenn man diese Fakten außen vor lässt, darf der Immunitätsausweis, den die Bundesregierung als Instrument für das Infektionsschutzgesetz vorschlägt, in unserer freiheitlichen Demokratie keine Option sein.

Einladung zur Infektion

Landesregierungen und kommunale Gesundheitsämter würden den Zutritt zu gewissen Lokalitäten an ihn binden, Arbeitgebende würden ihn als Voraussetzung für ein Arbeitsverhältnis nutzen und auch im Privaten würde er eine zentrale Rolle spielen. All dies wären Anreize für die Bevölkerung, sich bewusst, mit dem Coronavirus zu infizieren, was ein Gesundheitsminister nicht ernsthaft anstreben kann, da man vulnerable Gruppen wie vorerkrankte und ältere Menschen diskriminieren und dem Gesundheitssystem eine enorme Last aufbinden würde.

Erinnert man sich daran, wie die Bundeskanzlerin vor wenigen Tagen eindrücklich erklärte, welche dramatischen Folgen eine auch nur leicht erhöhte Reproduktionszahl hätte, glaubt man kaum, dass ihr Gesundheitsminister jetzt eine deutliche Erhöhung dieser Reproduktionszahl provoziert. Letztendlich würde der Immunitätsausweis auch einen Keil durch unsere Gesellschaft treiben.

Strafe für vorbildliches Verhalten

Nach all der Solidarität, die sich in den letzten Wochen von der Nachbarschaftshilfe bis hin zur Dankbarkeit für Beschäftigte in gesellschaftsrelevanten Berufen gezeigt hat, möchte man sich die aus dem Immunitätsausweis resultierende Feindseligkeit und den Egoismus gar nicht erst vorstellen. Derzeitige Maßnahmen, die die Coronavirus-Verbreitung mittels schwerer Einschränkungen von Grundrechten begrenzen, finden auch deshalb weitgehende Akzeptanz, weil sie für die Allgemeinheit gelten.

Wendet man sich nun von diesem Grundsatz ab, würde sich in Teilen der Gesellschaft ein berechtigtes Gefühl der Benachteiligung einfinden. Menschen, die sich bisher an die verordneten Einschränkungen gehalten, zur Eindämmung des Virus beigetragen haben und eine Infektion so verhindern konnten, erführen plötzlich eine Strafe für ihr vorbildliches Verhalten. Noch problematischer wird das Konzept des Immunitätsausweises, wenn man sich vor Augen führt, dass das Konzept nach dem Willen der Bundesregierung nicht nur für COVID-19, sondern ohne zeitliche Beschränkung für jegliche übertragbare Krankheit genutzt werden soll.

Gesellschaftliche Zerwürfnisse und ethische Probleme

Die gesellschaftlichen Zerwürfnisse und ethischen Probleme, die daraus folgen könnten, sind immens. Stellt man sich beispielsweise vor, der Immunitätsausweis fände auch bei Krankheiten wie AIDS starken Gebrauch, so würden Erkrankte, die bereits heute massiver Stigmatisierung ausgesetzt sind, noch stärkere Diskriminierung erfahren. Trotz dieses katastrophalen Vorhabens der Bundesregierung gilt es aber, sich mit geschichtlichen Anspielungen zurückzuhalten. Über absurde Vergleiche mit einem umkehrten Judenstern oder einem Ariernachweis kann man sich nur schockiert zeigen.

Wer den Immunitätsausweis, der aller Voraussicht nach ein baldiger Beratungsgegenstand des Bundestags sein wird, wirklich verhindern möchte, sollte die Bedenken sachlich äußern und dem Bundesgesundheitsminister seinen Irrweg aufzeigen. Hinsichtlich der derzeitigen Einschränkungen bleiben Schritt für Schritt erfolgende und gut durchdachte Lockerungen für Allgemeinheit der sinnvolle Weg, während Ausnahmen für bestimmte Personengruppen einen dramatischen Schaden anrichten würden.

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Tomas Poth | Mo., 4. Mai 2020 - 15:41

Impfzwang. Der Hr. Spahn hat einiges auf seiner Arbeitsrolle was den Hang zum totalitären hat.

Beate Weikmann | Mo., 4. Mai 2020 - 15:43

spalte und herrsche, das haben die alten Römer schon gewusst!

Michaela 29 Diederichs | Mo., 4. Mai 2020 - 15:52

Guter Beitrag. Schauen wir mal, was der Ethikrat dazu sagt.

Urban Will | Mo., 4. Mai 2020 - 17:12

zeigt er doch, wie Sie denken.
Bei den „Rechten“ wird ja gerne von einem auf alle geschlossen, aber das lehne ich grundsätzlich ab.

Allerdings frage ich mich, was Sie geritten hat, solch einen Artikel zu schreiben, solche hanebüchenen Vergleiche (Judenstern, Ariernachweis...) in die Welt zu setzen.

Es geht um Grundrechte. Falls Sie das vergessen haben.

Und um die Frage, ob und wie stark und vor allem, in welchem Umfang man sie einschränkt.

Sie gehören zu Gruppe derjenigen, die lieber „auf Verdacht“ den Leuten die Rechte nehmen, anstatt zu differenzieren.

Es ist kein Privileg, infiziert gewesen zu sein, genauso wenig ist es eine Strafe, dies nicht zu sein.

Aber wer immun ist - dies gilt nun mal für alle Genesenen -, dem sollten diese GR – Entzüge erlassen werden.
Er muss nicht markiert werden deshalb, man darf in einer Demokratie – dieser Grundsatz scheint Ihnen fern – auf Eigenverantwortung setzen.

Und wer sich freiwillig anstecken möchte, mag das tun, es ist sein „Recht“.

Manfred Sonntag | Mo., 4. Mai 2020 - 18:26

Ein interessanter Beitrag. In Kürze feiern wir den 75. Jahrestag der Befreiung vom Hitlerfaschismus. Deshalb lohnt sich auch ein Blick in die heutige Gesellschaft. Timur Vernes hat die deutsche Mentalität sehr gut im Stil der Satire „Er ist wieder da“ analysiert! Aber das ist leider nicht zum Lachen. Wie behandeln wir unsere Nachbarn? Wie der Oberlehrer! Wie behandeln wir unsere Befreier, egal ob Amerikaner, Russen oder Briten? Viele Politiker und die Mainstreammedien beschimpfen sie ganz im Stil von Herrenmenschen. Und auch im Inland scheint dem Totalitären sein Schrecken abhanden gekommen zu sein. Heute der Corona Pass, morgen die Ökodiktatur.

Ernst-G. Konrad | Di., 5. Mai 2020 - 08:09

Sagt der Volksmund. Recht hat er und die Artikelschreiber auch. Es ist nicht Schaum vor dem Mund gefragt, sondern sachliche Auseinandersetzung mit dem Thema. RICHTIG.
Ich sage sachlich begründet, ich will das nicht. Ich bin gg. Stigmatisierung in jeglicher Form. Spahn wollte Organspendepflicht, will Zwangsimpfungen, jetzt diesen Ausweis. Trägt er dann offen an einer Kette um den Hals seinen Ausweis auch? Gerade er als schwuler Mann, Jahrhunderte von Staat und Kirche verfolgt, will mittels Ausweis die Gesellschaft in gesund, infektiös oder immun einteilen?
Gegen einen solchen Ausweis werde ich mich mit allen rechtlichen Mitteln stemmen und mich bis zum letzten Atemzug wehren. Auch wenn nicht gewünscht, werden schon zwangsweise Vergleiche gezogen werden. Auch das ist zulässige Meinungsfreiheit. Ob unbedingt sachlich? Nur, daß kritisiere ich an dem guten Artikel. Es darf nicht sein, dass gegen "rächts" jeder unsinnige Vergleich zulässig definiert wird und gegen die Regierung nicht.

Johann Streit | Di., 5. Mai 2020 - 08:34

“All dies wären Anreize für die Bevölkerung, sich bewusst, mit dem Coronavirus zu infizieren, was ein Gesundheitsminister nicht ernsthaft anstreben kann, da man vulnerable Gruppen wie vorerkrankte und ältere Menschen diskriminieren und dem Gesundheitssystem eine enorme Last aufbinden würde.“
So ein Schwachsinn! Was der Globalisierungssklave anstrebt, ist die Zwangsimpfung.

Urs Lieb | Di., 5. Mai 2020 - 11:41

Die Idee von Herrn Spahn - gottseidank mittlerweile zumindest vorerst auf Eis gelegt - ist deswegen so perfide, weil sie in rechtsstaatlichem Gewand daherkommt. Der Immunitätsausweis sei nichts anderes als ein Impfpass. Außerdem sei man ja dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verpflichtet und es sei unverhältnismäßig, immunisierte Personen den besonderen Beschränkungen, die momentan für die gesamte Bevölkerung gelten, zu unterwerfen. Dass unter anderem das Recht auf informationelle Selbstbestimmung /Art. 1 I, 2 I GG) damit vollkommen obsolet wird, wird nicht erwähnt.
Erlauben Sie mir eine Frage, Herr Bundesminister: Würden Sie - Stand heute - einen Immunitätsausweis bekommen? Falls nein, wie kann es sein, dass Sie sich immer noch auf Kabinettssitzungen, Pressekonferenzen u.ä. herumtreiben? Sie sind eine Infektionsgefahr für Ihre Mitmenschen. Bleiben Sie bitte zu Hause. Und schweigen Sie. Die Gefahr einer Tröpfcheninfektion ist bekanntlich nicht zu unterschätzen.

meine ich nicht nur polemisch gedacht. Spahns SED-Direktiven sind antidemokra-
tisch. Seine Aussage, den ab 80-jährigen Kranken das Recht auf orthopädische Operationen zu verweigern, war bereits ein menschenverachtendes, diskrimisieren-
des Alarmzeichen. Und dennoch Gesundheitsminister? Merkels Ego verweigert der
Bevölkerung menschenwürdige, charaktervolle Minister. Nicht zu unserem Wohle,
jedoch zum Machterhalt.

Markus Michaelis | Di., 5. Mai 2020 - 13:23

Die Bedenken in dem Artikel haben natürlich etwas für sich. Andererseits könnte ein Pass ein effizientes Mittel sein - wenn alle verantwortungsvoll damit umgehen.

Der Artikel redet zeitgeistig von Solidarität gegen Egoismus. Klar, das ist ein Punkt. Die Nichteinführung geht aber auch zu Lasten von Menschen - nur anderer. "Solidarität gegen Egoismus" klingt immer toll und liegt im Trend, heißt aber hier wie auch bei anderen Themen manchmal nur "Ich, Ich, Ich und meine Gruppe mit meinen Vorlieben - und nicht die anderen mit den falschen Vorlieben".

Die geschilderten Gefahren gehen gerade davon aus, dass sich Menschen nicht-solidarisch verhalten. Wer genau sind für den Autor die nicht-solidarischen Menschen, welche die solidarischen? Oder sind alle Menschen schlecht und nicht-solidarisch und eine gute Regierung muss sie vor sich selber schützen?

Also: gerne auch ohne Pass - es gibt gute Gründe dagegen. Aber nicht zu plump mit "Solidarität gegen Egoismus". Das ist überreizt.

helmut armbruster | Di., 5. Mai 2020 - 17:18

wenn die Politik jetzt anfängt Sonderausweise für dies oder jenes einzuführen, dann wird der BRD-Pass entwertet, weil man dann z.B. mit ihm alleine nicht mehr fliegen kann, sondern dazu noch einen Impfausweis oder eine Immunitätsbestätigung vorlegen muss.
Die Grundrechte würden damit eingeschränkt werden.
Kann man nur hoffen, dass das BVG es verhindern wird.