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Relikt aus der analogen Zeit: Die rote Nelke / picture alliance

Der DGB und der 1. Mai - Ohne Pose wär hier gar nichts los

Zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg sind die traditionellen DGB-Demos am 1. Mai ausgefallen. Dabei sind die Gewerkschaften in der Coronakrise gefragt wie noch nie. Statt auf der Straße hat der DGB deshalb im Internet demonstriert. Eine gute Sache?

Antje Hildebrandt

Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Nelken, rote Nelken. Alice Hornung schaut genau hin. Es sind nicht die roten Kunstblumen, die sie sich sonst immer am 1. Mai ans Revers heftet, wenn sie, die DKP-Frau, zur DGB-Kundgebung in ihrer Heimatstadt Saarbrücken geht. Heute blühen die Nelken auf dem Shirt der Berliner Singer-/Songwriterin Dota, und die steht nicht auf der Straße, sondern in einem Studio in der DGB-Zentrale in Berlin-Mitte. Sie singt ein Lied gegen „Grenzen“. 

Die 84-jährige Alice Hornung sitzt vor ihrem PC und schaut zu. Der Ton bricht zwischendurch mehrfach ab, das Bild friert ein, weil die Leitungen überlastet sind. Aber hey, ihren Enkeln kann Hornung sagen: Auch 2020 war ich dabei. Seit 60 Jahren ist sie, die als Fremdsprachenkorrespondentin für einen Industriebetrieb gearbeitet hat, Mitglied der Gewerkschaft. Seither hat sie keine einzige 1.Mai-Kundgebung verpasst. Sie sagt, es sei jedes Mal ein Highlight: „Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl spürt man nur auf der Straße.“ Umso trauriger war Hornung, dass der DGB alle Demos bundesweit absagen musste. Gesundheit first, heißt das Credo in der Coronakrise.   

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Dorothee Sehrt-Irrek | Sa., 2. Mai 2020 - 09:29

mit dem Anderen zutun?
Ja der 1. Mai zusammen und vor Ort ist ganz etwas anderes, als den Stream zu verfolgen, jedenfalls dann, wenn man Gewerkschaften nicht nur vom Hörensagen kennt.
Viele kennen Gewerkschaften aber nur vom Hörensagen, für die könnte der Stream interessant gewesen sein, für sattelfeste Gewerkschafter jetzt in Zeiten der Krise eine gute Möglichkeit, die Solidarität weltweit mitzubekommen.
Ungewöhnlich war es deshalb nicht, weil derzeit fast alles über den "Stream" läuft.
Richtig aber die Erkenntnis, dass man durch den Stream sich als Gewerkschaften neue Dimensionen erschliessen kann, wohl auch durch Homeoffice.
Mir sagte mal jemand in jungen Jahren, "Bezirkssekretäre* werden nicht alt".
Aufgefallen ist mir am Rande, dass ich immer noch heize, wo ich sonst schon Anfang April ausschalten konnte.

Dorothee Sehrt-Irrek | Sa., 2. Mai 2020 - 09:36

um Entschuldigung.
Ich vergass darauf hinzuweisen, dass sich mein Gewerkschaftsgefühl aus vielen Jahrzehnten beim Lesen dieses Artikels angenehmerweise wieder einstellte.
Das wird es bei mir eben nie sein, Pose, immer gelebte Vergangenheit und vielleicht jetzt anders, aber auch Gegenwart und Zukunft.
Ich bin dankbar, wenn es nicht ständig(er) Kampf ist.

Christa Wallau | Sa., 2. Mai 2020 - 11:11

Wer sich schwach und rechtlos fühlt, sucht die Gemeinschaft von Menschen, denen es ähnlich ergeht. Gemeinschaft bzw. Einigkeit macht stark -
dies ist ein bewährter Grundsatz.
Ich kann die Gefühle nachvollziehen, die Menschen dazu bringen, in eine Gewerkschaft einzutreten, um mit deren Hilfe Schutz vor Ausbeutung und Kündigung zu erhalten bzw. zu sichern.
Daß Arbeitnehmer eine Interessensvertretung gegenüber Arbeitgebern brauchen, kann wohl niemand ernsthaft bestreiten.

Was mich an den deutschen Gewerkschaften stört, ist ihre ideologische Beschränktheit, ihre große Nähe zu Linken - Sozialisten, Kommunisten. Diese
Verbindung ist keineswegs zwangsweise vorgegeben. Deshalb gründete man ja auch z. B. christliche Gewerkschaften, die allerdings kaum mehr eine Rolle spielen.
Bei den Lehrern gibt es immer noch die GEW (links) und den VBE (eher konservativ), wobei aber auch hier erstere - unterstützt von den Medien - den Ton angibt. Leider.

die im Arbeitsleben wirklich auf Unterstützung angewiesen sind? Die sich einem BR anvertrauen – und dieser (Verdi-Mitglieder) eher die Interessen von Geschäftsführung und Führungskräften vertritt, weil gekauft? Wenn diesem BR die eigenen Gehaltserhöhungen wichtiger sind als die der kleinen Angestellten? Welcher BR, auch wenn er Gewerkschaftsmitglied ist, stellt sich heute noch auf die Seite der Arbeitnehmer, weil die eigene Position ihm wichtiger ist (siehe VW)?

Früher gab es Gewerkschafter wie Heinz-Oskar Vetter, Ernst Breit, etwas später auch Klaus Zwickel. Mit ihrer Politik konnte ich etwas anfangen.
Das Gewerkschaften keineswegs immer Arbeitnehmer-Interessen vertreten und Zielkonflikte oft nicht ehrlich diskutieren, erlebte ich Anfang der 90-Jahre. Frau Wulff-Matthies setzte für den Osten eine zweistellige Lohnerhöhung im Öffentlichen Dienst durch. Die Angleichung Ost-West-Tarif sollte 'schneller' erfolgen. Alle waren begeistert und Frau Wulff-Matthies konnte vor Kraft kaum laufen.
Wenige Monate später wurden in unserem Krankenhaus alle Reinigungskräfte entlassen und anschließend von einer privaten Firma wiedereingestellt. Fortan machten sie - als 'Dienstleister' für einen Bruchteil des ÖTV-Tarifs das Krankenhaus sauber. Wenig später begann die Privatisierungs-Welle.
Und Frau Wulff-Matthies wurde befördert - zur EU-'Komissarin'.
Auf eine Gewerkschaft, deren Ergebnisse (auch) zu solchen Ergebnissen führt, kann ich verzichten!

Werner Peters | Sa., 2. Mai 2020 - 11:25

"Weiter erklärte der DGB-Vorsitzende, er gehe davon aus, dass die Wirtschaft in ein paar Wochen wieder aus der Krise und in Fahrt komme. " Quelle: ZDF
Mein Gott, wo lebt der Mann ? Hat der wirklich so wenig Kontakt zu den Problemen seiner Basis ? Nur noch erschreckend.