
- Die Polizei, dein Feind und Helfer?
In der Diskussion um Polizeigewalt in den USA ist jetzt auch die deutsche Polizei in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Gerade in Großstädten nehmen ihre Aufgaben zu – und auch die Angriffe auf sie. Ein Besuch an gesellschaftlichen Fronten.
Wenige Leute auf der Straße, das bedeutet wenig Stress. Nass und kühl ist es in Berlin. Kein Wetter für Straftaten. Vor einer Kindertagesstätte im westlichen Zentrum steht eine Polizeistreife. „Vorsatz“, murmelt die junge Polizistin auf dem Beifahrersitz. Sie ist im Wagen geblieben und verfolgt genau, was vor der Windschutzscheibe geschieht. Draußen hat ihr Kollege gerade einer Mutter erklärt, dass sie ihren Audi A6 vor der Kita nicht in zweiter Reihe parken darf. Parkplatznot hin oder her. „Ich weiß“, sagt sie. Eine ehrliche wie teure Antwort. Vorsätzliches Falschparken in zweiter Reihe. Die Frau wirkt zerknirscht. „Die wird das nie wieder tun“, glaubt der unerfahrene Passagier auf der Rückbank. „Doch“, sagt die junge Polizistin in einem Tonfall, bei dem einem dieser Mann in den Sinn kommt, der stoisch einen Stein den Berg hinaufrollt.
„Heute keine besonderen Vorkommnisse.“ Bei Sonne oder im Sommer sieht das anders aus, wissen die Beamten der Wache in Berlin-Moabit. Den Fahrer eines Botschaftsfahrzeugs auf der anderen Fahrbahnseite können sie wegen diplomatischer Immunität nicht belangen. „Den kennen wir schon.“ Fast könnte der Eindruck entstehen, die Meldungen zu Überbelastungen und Überstunden von Polizisten seien vor allem Übertreibungen. Doch bis Ende des vergangenen Jahres sind bei der Berliner Polizei fast 1,9 Millionen Überstunden angefallen. Allein innerhalb eines halben Jahres kamen 200 000 Stunden dazu. Der in den neunziger Jahren einsetzende Sparkurs ist bis heute zu spüren, auch weil die Anzahl der Aufgaben stetig wuchs: ob islamistischer Terror, Cyber- und Clankriminalität oder Rasereien auf dem Ku’damm. Dabei hat Berlin bundesweit die höchste Polizeidichte Deutschlands. Ein Polizist kommt hier auf 209 Einwohner. Schlusslicht ist Baden-Württemberg mit einem Beamten für 453 Einwohner.
In der Moabiter Wache schallt aus einem ITT-Schaub-Lorenz-Radio aus den 1970er Jahren Peter Fox und singt von seinem „Haus am See“. Gelegentlich klingeln Telefone, durchmischt von krächzenden Durchsagen aus den Funkgeräten, die auf den Tischen stehen. Besuch von der Presse, die Beamten sind zurückhaltend, skeptisch. Und fassen dann doch Vertrauen. Bedingung: keine Namen. Jedenfalls nicht die echten. Doch ins Misstrauen mischt sich dann das Wohlwollen, wenn sich einer Zeit nimmt, ihre Arbeit mitzuerleben, viel über sie wissen zu wollen, um zu verstehen, was es heißt, jeden Tag diese Arbeit zu tun.
Mehr Feind als Freund
Tatsächlich hat sich der Polizistenalltag verändert in einer Zeit und Gesellschaft, die voller Demos und Gegendemos ist. In der Polizisten der Hass der Antifa ebenso entgegenschlägt wie die Gewalttaten von Reichsbürgern und Rechtsradikalen. In der libanesische Clans nach eigenen Regeln leben und die eigenen Beamten mitunter selbst kriminell werden. In der sie Islamisten und Terroristen von links und rechts jagen, sie aber auch Rettungsgassen-Blockierer, Gaffer, Internetbetrüger und rivalisierende Fußballfans in Schach halten und dabei immer perfekt kommunizieren sollen. In der Respektlosigkeiten der Ku’damm-Autoraser ebenso fassungslos machen wie Spuckereien von Corona-Kontaktverbotsverweigerern gegen Polizisten. In der das Allerschlimmste aber die Gleichgültigkeit des großen Restes ist.

Verwarnung von den Vollstreckern
des Gesetzes / Nils Stelte
Was geschieht, wenn Polizisten und Polizistinnen durch ihre Uniform weniger als Freund und mehr als Feind wahrgenommen werden? Wenn sie als Person nie gemeint sein sollen, aber sie und ihre Familien immer mit getroffen werden? Wenn Rückhalt in Gesellschaft und Politik zu schwinden scheint? Wenn sie zerrieben werden zwischen politischen Ideologien, die sie entweder als Allheilmittel einordnen oder sie per se des Reaktionären verdächtigen? Wenn Polizisten ihrerseits das Vertrauen in den Staat und seine Institutionen verlieren? Wenn sie schließlich selbst zum Sicherheitsrisiko für andere und sich werden?
Zunehmende Straftaten gegen Polizeibeamte
Direkt neben der Wache in Moabit liegt das Bundesministerium des Innern. Dieses Jahr ging die hier Ende März veröffentlichte jährliche Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) fast unter. Wegen Corona. Sonst hätte sie Deutschlands oberster Polizeidienstherr Horst Seehofer wohl gewohnt öffentlichkeitswirksam präsentiert. Doch so blieb weitgehend unbeachtet, dass laut PKS „tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte und gleichstehende Personen“ im Jahr 2019 um 27,5 Prozent im Vergleich zu 2018 zugenommen haben.