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Soll er rollen oder nicht? / dpa

Fußball und Corona - Rote Karte für Geisterspiele

Anfang Mai will die Bundesliga wieder starten, auch wenn wegen der Corona-Pandemie nur Geisterspiele zu sehen sein werden. Was für die Branche ein wirtschaftlicher Segen ist, würde allerdings bedeuten, viele Vorsichtsmaßnahmen zu lockern. Ist es das wert?

Hugo Müller-Vogg

Autoreninfo

Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Falls es nach den Fußballclubs geht, soll der Ball vom 9. Mai an wieder rollen. Jedenfalls dort, wo es nicht nur um Tore und Punkte geht, sondern nicht zuletzt um viel Geld – in der ersten und zweiten Bundesliga. Noch haben die Ministerpräsidenten offiziell nichts entschieden. Aber die Regierungschefs von Nordrhein-Westfalen und Bayern, Armin Laschet und Markus Söder, wirken so, als liefen sie sich schon mal warm für die Fortsetzung der Bundeliga-Rückrunde. 

Da freuen sich viele Fußball-Fans, bei denen sich jeden Samstag um 15:30 Uhr ein Gefühl der Leere einstellt wie sonst nur in der Sommerpause. (Ich weiß, wovon ich rede und wie ich leide.) Zugleich schreckt der Ausblick auf den Wiederanpfiff jeden, der die Corona-Pandemie sehr ernst nimmt und die aktuelle Fortentwicklung des Postulats „Brot und Spiele“ zu „Kurzarbeitergeld und Fußball“ für höchst gefährlich hält.

Alle Corona-Regeln für 90 Minuten außer Kraft

Zugegeben: Die Deutsche Fußball Liga (DFL) und der Deutsche Fußball-Bund (DFB) haben ein ausgeklügeltes Sicherheitskonzept für die sogenannten Geisterspiele ohne Zuschauer ausgearbeitet. Die Kontakte zwischen Spielern und Betreuern vor und nach dem Spiel sollen auf ein Minimum reduziert und regelmäßige Corona-Tests der Beteiligten zur Voraussetzung für die Fortsetzung der Saison werden.

Aber das erste Gebot der Pandemie-Bekämpfung, „Abstand halten“, wird bei jeder Begegnung für 90 Minuten außer Kraft gesetzt. Denn Fußball ohne Körperkontakt ist nicht möglich. Wenn beispielsweise bei einem Eckstoß Verteidiger und Stürmer im Sechs-Meter-Raum – nassgeschwitzt und schwer schnaufend – geradezu aneinanderkleben, dann ist das aus der Sicht warnender Virologen zweifellos ein GAU.

Negative Begleiterscheinungen

Selbst wenn es gelingen könnte, dass sich auf dem grünen Rasen ausschließlich kerngesunde Sportler sehr nahekommen, hätte eine Fortsetzung der Fußballsaison viele negative Begleiterscheinungen – zu viele:

Mit welcher Begründung soll das Fußball-Personal regelmäßig getestet werden, wenn die Testkapazitäten nicht einmal für regelmäßige Tests vieler gefährdeter Berufsgruppen ausreichen?

Wie soll verhindert werden, dass Fans vor den Stadien „Party machen“? Sollen deshalb etwa Polizisten Überstunden ableisten?

Viele Fans sitzen nicht gerne allein vor dem Fernseher. Und die Sky-Kneipen sind geschlossen. Da wird es überall „Private Viewing“ geben – in viel zu kleinen Wohnzimmern.

Der Unterhaltungswert von Spielen ohne Fangesänge, Sprechchöre, Pfeifkonzerte und Jubelschreie ist sehr gering. Spätestens nach dem zweiten Geisterspiel-Spieltag sind deshalb neue „Öffnungsdiskussionsorgien“ zu erwarten. Tenor: Lasst wenigstens 20.000 Zuschauer in eine 60.000-Mann-Arena.

Wie sollen eigentlich Eltern ihrem Sohn erklären, dass seine Fußballhelden wieder auf Torejagd gehen, er selbst sich aber nicht einmal mit seinem besten Freund den Ball hin- und herschießen darf?

„Eine Sache von Leben und Tod“

Das politische Kalkül vieler Ministerpräsidenten ist klar: Dem großen, fußballbegeisterten Teil des unter Ausgangsbeschränkungen und anderen Beschwernissen im Alltag stöhnenden (Wahl)Volk soll etwas Unterhaltung geboten werden. Aber es ist ein gefährliches Spiel, zumal dieselben Politiker selbst darauf hinweisen, dass wir das Schlimmste keineswegs hinter uns haben.

Was die gesellschaftliche Bedeutung des Fußballs angeht, hat der legendäre Liverpool-Trainer Bill Shankly fast alles gesagt: „Manche Leute halten Fußball für eine Sache von Leben und Tod. Ich bin von dieser Einstellung sehr enttäuscht. Ich kann Ihnen versichern, es ist sehr viel wichtiger als das!“

Soll der Ball rollen, weil der Rubel rollen muss?

In der Tat: Es geht den Clubs, der DFL und dem DFB vor allem darum, hunderte Millionen an Fernsehgeldern zu retten, die bei einem Abbruch der Saison verloren wären. Denn viele unserer kommerziellen Fußballbetriebe, nostalgisch auch Vereine genannt, haben in ihrer Maßlosigkeit beim Spielereinkauf und anderen Investitionen einen Teil künftiger Einnahmen bereits beliehen und das Geld ausgegeben.

Diese Fußball-AGs haben nicht viel anders gewirtschaftet als mancher Kneipenwirt, der nach zwei Wochen ohne Umsatz vor dem Nichts steht. Aber das kann kein Grund sein, dass wir jetzt die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen lockern. Der Ball soll rollen, weil der Rubel rollen muss? Das wäre ein brutales Foul. Und darauf steht die rote Karte.

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Michaela 29 Diederichs | Do., 23. April 2020 - 18:23

Das sind weder Helden noch Vorbilder, wenn Geisterspiele stattfinden. Wo bleibt das Verantwortungsbewusstsein des DFB? Dann müssen diese Betriebe eben pleite gehen und wieder Vereine werden. Vielleicht hat das Virus hier reinigende Wirkung.

Dorothee Sehrt-Irrek | Do., 23. April 2020 - 18:40

von der Hand zu weisen.
Wollen die Spieler überhaupt so ein Risiko eingehen oder sollen sie, damit ihre Vereine wirtschaftlich überleben?
Etwas Geld könnten sie doch durch Wiederholungen bekommen oder haben sie alle Rechte daran abgetreten?
Unter dem Motto "Brot und Spiele" reichen jedenfalls Wiederholungen, der Jahreszeit angepasst, aus.
Meine andere innere Haltung will ich aber nicht verschweigen, es widerstrebt mir zutiefst, bei aller Vorsicht und jedem Respekt vor etwas Lebendigen, vor einem Virus in die Knie zu gehen.
Bis zum 9. Mai gibt es vermutlich schon Erfahrungen mit den jetzt angelaufenen Lockerungen, auf die man sich dann stützen kann für die dann je angemessene Haltung.

Werner Kahn | Do., 23. April 2020 - 20:04

Diese Diskussion ist unfassbar. Die entsprechenden Diskutierenden sind sinnbildlich aus einem Holz geschnitzt, was nicht nur faul und hohl ist, sondern was in keiner Wiese in unseren natürlichen Ablauf des Lebens passt.

Romuald Veselic | Fr., 24. April 2020 - 03:48

"Mit welcher Begründung soll das Fußball-Personal regelmäßig getestet werden, wenn die Testkapazitäten nicht einmal für regelmäßige Tests vieler gefährdeter Berufsgruppen ausreichen?" Zitatende.
Doppelbingo!
Tja: Wie immer; zuerst das Fressen, danach die Moral.
Oder anders herum: Gut gemeint, ist das Gegenteil von Gut.
Übrigens: Ich als Eishockey-Fan, find richtig, dass die Fußballer das zu spüren kriegen, wie die Sportler in anderen Sportarten. Sie könnten mit ihren vulgären Millionen Gagen, praktisch aktuell in die Rente gehen. Kann man besser ausgesorgt werden? Mir würde sogar für 2 Leben reichen.
Alternative zum Kein-Sport-Stress: Schachspielen...

Paul Baumann | Fr., 24. April 2020 - 07:29

Obwohl ich mit "diesem Fußball" nichts am Hut habe, wird es wohl doch wichtig sein, ihn wieder an den Start zu bringen, um die wohl noch länger anhaltenden Corona-Beschränkungen für kurze Zeit vergessen zu machen. Die Bundesliga dient hier (wie sonst eigentlich auch) zur Beruhigung der Massen.

Es gibt genügend Menschen, die das brauchen.

helmut armbruster | Fr., 24. April 2020 - 07:49

Da werden junge Männer mit einer Sonderbegabung zu Helden, was sie natürlich nicht sind. Die Erfolgreichen beziehen wahnwitzige Millionengehälter und dazu noch zig-Millionen Werbeeinnahmen.
Und als ob das noch nicht genug wäre, sind sie auch noch Idole und Vorbilder für Millionen.
Die nicht so viel Glück haben sieht man nicht. Sie fallen durch das Raster.
Und warum das alles?
Darum, dass der ansonsten hohle Kopf des Durchschnitts-Ottos wenigstens für 90 Minuten mit etwas gefüllt wird. Etwas, was an sich keinen Wert hat...

Ernst-Günther Konrad | Fr., 24. April 2020 - 08:36

Mir geht eines nicht in den Kopf. Haben die bei all den Millionen, die da jedes Jahr bewegt werden, keinen Rückhalt, um mal eine Saison halbwegs zu überbrücken? Leben die in den Vereinen von der Hand in den Mund?
Die Spieler mit Millionengehältern können nicht mal wenigstens auf die Hälfte für ein Jahr verzichten, ggfls. mit der Option es später wieder zu bekommen?
Mein Verhältnis zum Fußball ist sehr abgekühlt, ich bin aber kein grundsätzlicher Gegner. Nur diese kommerzielle Ausschlachtung geht mir gegen den Strich.
Wenn all die beim Fußball geldverdienenden Millionäre mal ihrem Verein Zahlungen stunden bzw. auf die Hälfte verzichten, müssten die doch über Wasser bleiben können.
Der Bürger soll bevorraten, soll sich für das Alter Rücklagen bilden, sich privat zusatzversichern, irgendwie vom kärglichen Lohn "etwas" zurücklegen, und die Millionäre in den Fußballclubs
jammern? Da reicht den Spielerfrauen wohl das Geld nicht mehr zum Shoppen.
Helft Euch selbst, dann hilft Euch Gott!!

Klaus Peitzmeier | Fr., 24. April 2020 - 09:59

Die Luft ist raus!
Bisher galt der Fußball als Emotionskick pur. Und jetzt soll`s ohne Stadionbesucher funktionieren? Wenn es so wäre, könnte man sich zukünftig viel Aufwand sparen. Keine Hooligans, keine Polizeieinsätze.
Nein, es geht nur um die hunderte Mio € Fernsehgelder. Diese landen zu fast 100 % bei wenigen Edelkickern. Geht`s noch perverser? Nur damit ein Lewandowski, Neuer oder wie sie alle heißen, weiter ihre Millionen pro Monat erhalten, sollen blutleere Veranstaltungen durchgezogen werden? Wo die gesamte Welt Abstand hält, knappe Coronatests für die Aufrechterhaltung des medizinischen Systems abgezweigt werden, viele Menschen erhebliche Einkommenseinbußen hinnehmen müssen, soll ausgerechnet für die Fußballmillionäre das alles nicht gelten? Wie krank ist das denn?
Wenn schon, dann sollen die Fußballer ihren Solidaritätsbeitrag leisten u in Zeiten der Not kostenlos kicken. Ich könnte mir vorstellen, daß die Sache dann nicht mehr als so dringend erachtet wird.

F.Oldenburg | Fr., 24. April 2020 - 11:18

Ich bin kein Fußballfan. Aber ich halte es für außerordentlich wichtig, zu mehr Normalität zurück zu finden. Wenn sich also auf dem Rasen nur getestete, kerngesunde Spieler begegnen, ist dagegen absolut nichts einzuwenden. Den Fans sollte man zutrauen, sich den neuen Umständen gemäß richtig zu verhalten. Und ja, natürlich muss "der Rubel wieder rollen", in absehbarer Zeit überall, sonst sind die Kollateralschäden, auch gesundheitlich, für alle Menschen viel zu groß.