
- Corona-Bonds schaffen Waffengleichheit
Die Bundesregierung beharrt auf einem Nein zu Corona-Bonds für Italien. Sie setzt auf andere EU-Instrumente. Damit schadet sie der EU und sich selbst, findet unser Autor. Wenn die Gemeinschaft ihre schwächsten Glieder nicht unterstützt, springen Russland und China in die Bresche.
Vor jeder Kooperation stehen drei Fragen: Kann man das Problem überhaupt alleine lösen? Kann man es besser alleine lösen? Kann man es leichter alleine lösen? Kooperation ist also kein Selbstzweck. Sie fällt außerdem leicht in sich zusammen, wenn sie für die Beteiligten keinen Sinn ergibt. Dieser kann in unmittelbarem Nutzen bestehen, etwa in der Lösung von Problemen, die nur gemeinsam zu bewältigen sind, oder auch in Geschichte, Werte und Traditionen.
Man arbeitet also zusammen, weil irgendjemand lange vor einem selbst diese Lehre aus der Vergangenheit gezogen hat, oder weil man es gewohnt ist und ebenso macht. Dauerhaft tragfähig sind Kooperationen allerdings nur, wenn der Nutzen aus der Zusammenarbeit für alle Beteiligten erkennbar bleibt. Das gilt auch für die Europäische Union, deren Mehrwert sich allerdings aus der Sicht vieler Länder und deren Bürgern zuletzt nicht immer erschlossen hat. Und es gilt erst recht in Zeiten von Corona.
Lernen von den stärker betroffenen Ländern
Denn das Virus macht nicht an Grenzen halt. Krisenmanagement, Eindämmungsstrategien und Informationspolitik anderer Länder berühren uns in einer globalisierten Wirtschaft und als reiselustiges Volk direkt. Es ist offensichtlich, dass wir den Herausforderungen, die aus der Krise entstehen, auch gemeinsam begegnen müssen. Grenzüberschreitende Probleme erfordern grenzüberschreitende Zusammenarbeit.
Kooperation ermöglicht beispielsweise ein Voneinanderlernen. Länder, die von dem Virus zuerst getroffen wurden, sind nicht nur zu bedauern, sie ermöglichen in der Regel auch erst den anderen Ländern eine bessere Vorbereitung. Spitzenforschung, die uns hoffentlich bald Gegenmittel und einen Impfstoff liefert, ist ohnehin nur international vernetzt denkbar, denn auch Intelligenz ist nicht entlang von nationalen Grenzen verteilt. Und Ressourcen, die im eigenen Land nicht mehr oder noch nicht gebraucht werden, können anderen zur Verfügung gestellt werden, seien es Atemschutzmasken oder Krankenbetten in Kliniken.
Rücksichtnahme erlebt eine Renaissance
Dies alles ist unter gegenseitiger Hilfe zu fassen oder unter Solidarität, die derzeit wieder hoch im Kurs steht. Es zeigt sich, dass – wie immer in Krisen – auch Werte an Bedeutung gewinnen, die in „normalen“ Zeiten unter die Räder der Fraktion „Wenn jeder an sich denkt, ist an alle gedacht“ geraten. Hilfsbereitschaft, aufeinander achten, Rücksichtnahme erleben gerade eine Renaissance. Mögen wir uns nach der Krise möglichst lange daran erinnern, wie gut das allen tut.
Und gleichzeitig dürfen wir als politisch Verantwortliche die Wirkkraft einer Zusammenarbeit nicht übersehen, die nicht nur in wechselseitiger Hilfe oder Unterstützung der Schwächeren durch die Stärkeren liegt. Vielmehr sind wir aufgerufen, bessere Lösungen für die möglichst größte Zahl bei möglichst geringeren Verlusten Dritter anzustreben. „Geben ist seliger als Nehmen“ ist ein Satz, dem ich ausdrücklich anhänge. Vielleicht ist sogar eine Lösung erreichbar, die nicht nur einen Kuchen gerecht aufteilt, sondern einen größeren Kuchen zustande bringt, von dem dann alle mehr haben. Dann muss man versuchen, so eine Lösung zu erreichen. Und hier kommen wir zu dem, was nun in Europa unbedingt zu tun ist, aus Solidarität und aus Eigeninteresse aller Beteiligten gleichermaßen.
Russland und China stehen schon stand-by
Unsere eigene, stark exportgetriebene Wirtschaft hängt von der Wirtschaftskraft der Absatzmärkte ab, die unsere Produkte abnehmen sollen. Wie soll das gehen, wenn nach Corona alles am Boden liegt? Nationale Regierungen müssen jetzt zunächst tun, was in ihren eigenen Möglichkeiten liegt. Nach dem vorgenannten ist nachvollziehbar, dass an der Kooperation in Europa ernste Zweifel auftauchen, wenn der Mehrwert in einer solchen Krise ausbleibt – und stattdessen China oder Russland in die Bresche springen.
Diese Sichtweise, etwa in Italien, ist auch eine politische Waffe, doch sie hat eine reale Grundlage. Umgekehrt: Wenn wir alle und noch dazu unverschuldet die gleiche Krankheit haben, warum soll das Rezept des Arztes oder der Ärztin für die einen teurer sein als für die anderen, noch dazu für die Ärmeren teurer als für die Reicheren? Die Bekämpfung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Krise wird einen Mix unterschiedlicher Maßnahmen erfordern. Wichtig ist dabei nicht, was auf dem Papier am besten klingt, sondern was erreichbar ist – und zwar schnell.
Raus aus der ideologischen Falle
Vor diesem Hintergrund ist die Position der deutschen Bundesregierung nachvollziehbar, zunächst auf einen veränderten Europäischen Stabilitätsfonds, die Europäische Investitionsbank und eine Art europäische Rückversicherung für Kurzarbeiterregeln in den Mitgliedsstaaten zu setzen. Zusätzlich sollten Haushaltsreste im europäischen Haushalt in den Blick genommen werden.
Wenn wir wollen, dass das Rezept für alle Kranken gleich viel kostet, muss die Debatte um gemeinsame Anleihen in Europa aus der ideologischen Falle heraus. Corona- oder Recovery-Bonds müssen zeitlich befristet und klar der Bekämpfung der aktuellen Krise gewidmet sein, dann sind sie das Instrument der Stunde. Sie schaffen Waffengleichheit gegen das Virus. Und sie helfen letztlich uns allen bei der wirtschaftlichen Erholung nach der Krise, weil Haushalte und Wirtschaft unserer Partner nicht über die Maßen strapaziert werden.
Die Krise als Chance
Eine Krise als Chance zu definieren, ist ein dieser Tage viel bemühter Sprechakt, der Hoffnung stiften soll und dabei vor allem zeigt, wie ernst es ist. Doch besteht mit Corona tatsächlich die Chance, der europäischen Zusammenarbeit wieder einen Sinn zu geben und den Wert der Partnerschaftlichkeit mit neuem Leben zu füllen. Denn Corona ist ein externer Schock, seine Bewältigung eine gemeinsame Aufgabe.
Damit liegen die Voraussetzungen anders als in einer Finanz- und Wirtschaftskrise, die vor allem hausgemachte Probleme offenbart, die auch im eigenen Haus gelöst werden müssen. Wenn es uns heute gelingt, die Blockaden der letzten Jahre zu überwinden, dann könnten wir gemeinsam zeigen, dass wir erst am Beginn einer guten Entwicklung auf unserem Kontinent stehen und das Beste noch vor uns haben.