
- Kalter Krieg 2.0
Die Kluft zwischen dem Westen und Russland wird immer größer und erinnert an längst überwunden geglaubte Zeiten. Doch diesmal wird der Konflikt auch im Cyberspace ausgetragen, was ihn noch gefährlicher machen könnte. Denn klare Regeln gibt es nicht
Es erinnerte an einen Thriller von John Le Carré. Ein Russe, später identifiziert als Jewgeni N., war in einem Luxusauto mit seiner Freundin durch die Prager Innenstadt gefahren, nun hatte sich das Paar in einem schicken Restaurant zum Abendessen hingesetzt. Dann schlug die tschechische Polizei zu. Die Ermittler stürmten das Restaurant und nahmen ihn fest. Der junge Mann war so erschrocken, dass er in Ohnmacht fiel (Die Festnahme im Video). Die Verhaftung erfolgte schon am 5. Oktober, doch erst vor einer Woche machte die tschechische Polizei sie publik.
Später kam heraus: Die tschechischen Behörden hatten mit der US-amerikanischen Bundespolizei FBI zusammengearbeitet. Jewgeni N. wird vorgeworfen, die Internetdienste LinkedIn, Dropbox und Formspring als Hacker infiltriert zu haben und zwar im Dienst der russischen Regierung. Nun bemüht sich die USA um eine Auslieferung des Hackers. Russland protestierte gegen die Verhaftung. „Die Vereinigten Staaten veranstalten eine regelrechte Hetzjagd auf russische Bürger in der ganzen Welt. Wir arbeiten mit den tschechischen Behörden zusammen, um die Auslieferung eines russischen Staatsbürgers in die USA zu verhindern“, sagte eine Sprecherin dem Nachrichtendienst Bloomberg.
Eine neue Ära des alten Konflikts
Es scheint, als befänden wir uns wieder mittendrin in längst vergessenen Zeiten, aber unter neuen Vorzeichen. Nach der Annexion der Krim, der Ukraine-Krise und Putins militärischer Intervention in Syrien sprechen Diplomaten offen von einer Rückkehr des Kalten Krieges zwischen dem Westen und Russland. Auch beim Treffen der Nato-Verteidigungsminister in Brüssel am heutigen Donnerstag dominiert der Umgang mit Russland die Gespräche. Erst am Montag hatten die USA bekannt gegeben, dass sie Soldaten im norwegischen Trondheim stationieren wollen, etwa tausend Kilometer Luftlinie westlich von Russland. Prompt folgte die russische Kritik.
Diesmal aber, so scheint es, erleben wir eine neue Ära, einen Cyberkrieg oder einen Kalten Krieg 2.0. – anders im Charakter, aber potenziell genauso bedrohlich, wenn nicht sogar bedrohlicher. Denn im Kalten Krieg 2.0 gibt es keine klaren Regeln.
US-Geheimdienst: Wikileaks beauftragt von Russland
Der vorläufige Höhepunkt des Cyberkriegs waren die von Wikileaks im Juli veröffentlichten E-Mails der demokratischen Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton. Sie zeigten, dass die Führung der Demokratischen Partei Clinton bei der Nominierung systematisch bevorzugt hatte – zum Nachteil von Bernie Sanders, ihrem innerparteilichem Konkurrenten. Die damalige Parteivorsitzende der Demokraten, Debbie Wasserman Schultz, trat daraufhin von ihrem Amt zurück. Anfang Oktober machte die US-Regierung offiziell Russland für das Hacken der E-Mail-Konten verantwortlich. Das Ziel sei gewesen, Hillary Clinton zu schwächen und eine Wahl Donald Trumps wahrscheinlicher zu machen, und so eine Instabilität in der US-amerikanischen Regierung zu verursachen. Indirekt beschuldigten der Direktor der nationalen Nachrichtendienstes und das Heimatschutzministerium Wikileaks und dessen Gründer Julian Assange, mit Russland zusammenzuarbeiten. „Wir denken, dass nur leitende russische Beamte diese Aktivitäten beauftragt haben können“, hieß es.
Daraufhin ließ das Außenministerium Ecuadors, die Internetverbindung von Julian Assange kappen, er lebt in der Londoner Botschaft des Landes. Am selben Tag wurden die Konten des russischen Fernsehsenders RT bei den britischen Banken Natwest und der Royal Bank of Scotland-Gruppe eingefroren – wer dahintersteckt, ist bis heute unklar. In den USA wird derweil offen über Vergeltungsschläge diskutiert. Die CIA plane eine „beispiellose Cyberattacke“ auf Russland, sagten US-Geheimdienstmitarbeiter dem Fernsehsender NBC. Vermutlich wird es dabei um die Enthüllung zwielichtiger Taktiken Putins und finanzieller Machenschaften gehen. Pikant dabei: Michael Hayden, der ehemalige Chef der Nationalen Sicherheitsbehörde (NSA) gab zu, dass die USA schon in der Vergangenheit ganz ähnlich vorgegangen sind, wie sie es jetzt Russland vorhalten.
Ist Eskalation die richtige Antwort?
Jeder spioniert den anderen aus, eine Veröffentlichung folgt der anderen, soll es ewig so weitergehen? Die Wahrscheinlichkeit, dass Putin auf eine weitere Cyper-Attacke der USA mit dem sofortigen Abbruch der russischen Aktivitäten reagieren würde, ist gleich null. Russland wird nicht aufhören, mit moderner Technologie Geheimdienstinformationen über die USA zu sammeln, und andersherum genauso. Doch die Spannung in den klassischen Feldern der Politik zwischen den Großmächten ist bereits hoch genug, eine Eskalation des Cyberkriegs könnte fatal sein. Schon Anfang Oktober hatte Außenminister Frank-Walter Steinmeier gesagt: „Die neuen Zeiten sind anders, sind gefährlicher. Früher war die Welt zweigeteilt, aber Moskau und Washington kannten ihre roten Linien und respektierten sie.“ Ob das auch im Cyberkrieg gilt, der noch dazu mithilfe von außenpolitisch völlig unerfahrenen Hackern ausgetragen wird, ist zweifelhaft.
Es ist nur eineinhalb Jahre her, dass China als größte Cyber-Bedrohung der USA galt. Chinesische Hacker hatten immer wieder die Server großer amerikanischer Firmen infiltriert und sich außerdem Zugang zu Akten der US-Regierung verschafft. Anstatt kriegerische Reden zu schwingen, verhandelte die US-Regierung mit China. Heute gibt es von dieser Seite aus kaum noch Attacken. Im Kalten Krieg kam es trotz aller martialischer Rhetorik auf beiden Seiten stets zu Verträgen, die einer Eskalation entgegenwirkten. Die Zeit wäre reif für ein internationales Cyber-Abkommen.