
- Die Eile der EVP-Liberalen, gegen Orbán loszuschlagen
Der liberale Flügel der EVP fordert Fraktionschef Manfred Weber zum Handeln gegen Ungarns Regierungspartei Fidesz auf – und verstößt dabei gegen interne EVP-Anweisungen zu warten, wie „Cicero“ exklusiv erfuhr.
Am Dienstagvormittag tagte der Fraktionsvorsitz der EVP gemeinsam mit den sogenannten Heads of Delegations – also das Präsidium und die Chefs der jeweiligen Landesdelegationen. Ein Thema war dabei der Vorstoß von 14 liberaleren Mitgliedsparteien, die EVP möge entschlossen gegen die ungarische Regierungspartei Fidesz vorgehen, weil diese im Parlament einen Ausnahmezustand ohne klare zeitliche Befristung durchgebracht hatte. Regierungschef Viktor Orbán könne damit, so der Vorwurf, unter dem Vorwand der Coronavirus-Epidemie de facto ohne parlamentarische Kontrolle regieren.
Die Anti-Orbán-Rebellen hatten deswegen gemeinsame Briefe an den EVP-Vorsitzenden Donald Tusk und an EVP-Fraktionschef Manfred Weber verfasst. Im Brief an Weber hieß es: „EVP Partei und Fraktion haben besonders in Krisenzeiten die moralische Verpflichtung, die liberale Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen“ Weber wurde aufgefordert, „die nötigen Konsequenzen zu ziehen“ aus diesem „zusätzlichen Angriff gegen unsere europäischen Werte und die Grundwerte der EVP“ Die Partei (und die von Weber geführte Fraktion) müssten eine „klare Haltung“ zeigen.
Bruchlinie zwischen Fraktions- und Parteichef
Im Brief wurde etwa Weber gemahnt, die Position der Fraktion müsse zumindest die Position der Partei wiederspiegeln. Was zwischen den Zeilen wohl bedeutete, dass die Unterzeichner da einen Unterschied sahen – eine Bruchlinie zwischen Fraktionschef Manfred Weber und Parteichef Donald Tusk. Der hatte am 4. April in einem Brief den Ausschluss von Fidesz gefordert – nicht jetzt mitten in der Pandemie, aber danach, wenn diese überwunden sei.
Weber selbst war am Dienstag nicht zugegen, als Stellvertreter leitete Fraktionsvize Esteban Gonzales Pons die Sitzung und forderte die 13 Rebellen mehrfach auf, den Brief an Weber vorerst nicht zu „promoten“ also breit zu publizieren in den Medien und auf den sozialen Netzwerken. Denn das lenke Aufmerksamkeit ab von der geplanten Veröffentlichung eines gemeinsamen Positionspapiers zur Bekämpfung der Coronavirus-Krise. Am Ende der Sitzung wiederholte er diese Aufforderung nach Angaben eines Teilnehmers noch einmal nachdrücklich.
Schlagabtausch auf Twitter
Aber die Orbán-Rebellen hatten es eilig. Noch am Vormittag publizierten mehrere EVP-Mitgliedsparteien den Brief, unter anderen die luxemburgische CSV und die dänische Konservative Volkspartei. Deren Abgeordnete Pernille Weiss lieferte sich einen Schlagabtausch mit dem Fidesz-Abgeordneten Tamás Deutsch auf Twitter.
Daraufhin benachrichtigte EVP-Pressesprecher Pedro López seine Mitarbeiter per Whatsapp über die Entscheidung vom Vormittag, und wies alle an, auf etwaige Anfragen erstens zu sagen, dass die EVP der Linie von Donald Tusk folgen werde, erst nach der Epidemie über Fidesz zu entscheiden. Ferner schrieb er: “we have asked the Commission to look at ALL emergency laws adopted by EU governments there is not only one single case that is contested“ Es gehe der EVP also nicht darum, eine Regierung und ihre Maßnahmen herauszupicken, sondern sämtliche Notstandsgesetze in der EU zu prüfen - darum habe man die EU-Kommission gebeten.
„Taktisch unklug“
Insofern Tusk sehr wohl Ungarn und Fidesz gesondert thematisiert hatte, ist das tatsächlich ein inhaltlicher Unterschied zwischen dem EVP-Vorsitzenden und der Fraktionsführung, zwischen Partei und Fraktion. Ungarns Justizministerin Judit Varga beschuldigte die EVP-Führung (nicht aber die Fraktion) auf Anfrage von Cicero, „in der Krise Spannungen zu steigern“ was „die Mehrheit der EVP-Mitglieder nicht wollen“.
„Taktisch unklug“ nannte eine Quelle aus Kreisen von Webers CSU das hastige Vordringen der Anti-Orbán-Rebellen. Grundsätzlich müsse bedacht werden, dass ein Ausscheiden von Fidesz zu „Verwerfungen“ führen werde, zum Abgang weiterer EVP-Mitglieder.
Ein Beobachter in Brüssel meinte, dass eigentlich Bemerkenswerte sei, dass die Zahl der Parteien, die sich in der EVP gegen Fidesz wenden, im Vergleich zum vergangenen Jahr nicht gestiegen sei. Es sind, wie schon im Frühling 2019 im Drama um Orbáns Anti-Juncker-Plakatkampagne vor den Europawahlen, 13 zumeist kleinere Parteien aus den alten, nördlichen EU-Ländern. Fazit des Beobachters: Solange Frankreich, Deutschland und Italien nicht dahinter stehen, ist Fidesz nicht in Gefahr.