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Weil Hausärzte keine Schutzausrüstung haben, werden Praxen vorsorglich geschlossen / picture alliance

CoronavIrus - „Die Hausärzte dürfen sich nicht selbst schachmatt setzen“

Weil Hausärzte fürchten, sich mit dem Coronavirus anzustecken, bleiben immer mehr Praxen geschlossen. Die Berliner Hausärztin Sybille Katzenstein hat Ideen, wie sich das Risiko minimieren ließe. Doch scheitert ihre Umsetzung an der Bürokratie?

Antje Hildebrandt

Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

So erreichen Sie Antje Hildebrandt:

Sibylle Katzenstein betreibt eine Praxis für Allgemeinmedizin und Geriatrie in Berlin. Sie appelliert an die Behörden, Videosprechstunden und Eigentests für Patienten unter Corona-Verdacht zuzulassen, um das Ansteckungsrisiko für Ärzte zu minimieren. 

Frau Katzenstein, Sie sind Hausärztin in Berlin. Zur Zeit ist es schwer, Sie zu erreichen, weil das Telefon in Ihrer Praxis ständig besetzt ist. Was ist da gerade los?
Eigentlich gar nichts Besonderes. Meine Patienten verhalten sich wie immer. Aber ich muss damit umgehen, dass unter diesen Infektpatienten eventuell auch Corona-infizierte Patienten sind. Ich hab ein sehr junges, internationales und auch sehr reiselustiges Publikum. In den vergangenen zwei, drei Wochen hatte ich bestimmt schon vierzehn Patienten, die aus Risikogebieten wie Norditalien oder Hongkong eingereist sind. Bis gestern konnte ich Ihnen nichts anbieten.

Woran liegt das?
Es lag daran, dass es eine große Verunsicherung gibt, wo man sich überhaupt hinwenden kann. Also, ich hatte bis gestern keine Test-Kits, mein Labor hat noch gar nicht angefangen, zu testen. Die Corona-Hotline war ständig besetzt. So etwas frustriert die Leute doch. Meine Patienten sind alle fitte Patienten. Selbst, wenn sie Corona hätten, würde ihnen wahrscheinlich nichts passieren. Aber sie wollten sich verantwortlich verhalten. Alles, was sie wollten, war ein Abstrich. Und das war bis gestern nicht möglich. 

Bislang musste man in Berlin ins Virchow-Klinikum, um einen Abstrich machen zu lassen. Woher haben Sie die Test-Kits bekommen?
Von meinem Labor, das ist seit gestern am Start. Es ist aber keine einfache Sache. 

Warum nicht?
Es ist nicht wie ein Influenza-Abstrich. Man steckt dem Patienten das Wattestäbchen in den Rachen, das ist zwar das Gleiche wie beim Influenza. Aber ich habe keine Schutzbekleidung und keine Atemschutzmasken. Ich muss überlegen: Wie hoch ist das Risiko für mich selbst oder für den Kollegen, der es machen soll? Ich war da in einer Patt-Situation. Bis mich meine 16-jährige Tochter auf eine Idee gebracht hat. 

Die Patienten sollen sich die Wattestäbchen selbst in den Rachen stecken. 
Genau. Auf diese Idee wäre ich selbst nicht gekommen. Ich hatte es aber auch schon nirgendwo gelesen. Auf YouTube habe ich eine Anleitung gefunden, wie man selbst einen Influenza-Test macht. Wenn ich es schaffe, stelle ich die auf meine Homepage. Dazu gibt es noch ein Diagramm aus einer achtseitigen Gebrauchsanweisung der Weltgesundheitsbehörde WHO. Ich schreibe dann noch dazu, wo genau abgestrichen werden muss. Das ist eigentlich nicht weiter schwierig. Der Patient kann sich ja nicht an sich selbst anstecken. 

Dem Tagesspiegel haben Sie gesagt, Patienten sollten die Arztpraxen meiden. Warum? 
Um sich nicht zustecken und um andere nicht zu infizieren. Das gilt vor allem für ältere Patienten, die besonders gefährdet sind. Aber auch bei den jüngeren könnte man es entzerren, indem man eine Telefon- oder Videosprechstunde einrichtet. Leider schaden wir uns damit wirtschaftlich selbst. 

Wie meinen Sie das?
Ärzte sind freie Unternehmer. Nur der persönliche Kontakt zählt zur Abrechnung. Wenn wir eine sichere Medizin praktizieren wollen, treiben wir uns selbst in den wirtschaftlichen Ruin. 

Unter den Menschen, die sich bislang mit dem Virus infiziert haben, sind auffällig viele Ärzte. Wie begründet ist es denn Ihre Sorge, sich bei Ihren eigenen Patienten anzustecken? 
Ich weiß gar nicht, wie hoch der Anteil der Ärzte ist. Aber wie wir uns schützen können, darüber sollten uns Virologen informieren. Ich habe mir das aus dem Internet aus einem Podcast zusammengeklaubt. Wenn ich einen viertelstündigen Kontakt mit einem Corona-Patienten habe, habe ich ein fünfprozentiges Risiko, mich anzustecken. Was heißt das? Ich muss Abstand halten, mindestens anderthalb Meter. Ich muss den Stuhl also ein Stückchen wegstellen und den Kontakt so kurz wie möglich halten – oder vielleicht besser gleich eine Video-Sprechstunde machen.  

Der Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung rückt nur noch in Ausnahmefällen aus. Altenheime werden nur noch besucht, wenn die Einrichtung den Ärzten eine Schutzausrüstung zur Verfügung stellt. Fühlen Sie sich als Hausärztin gerade wie der Notnagel der Nation?
Nö. Ich befinde mich in einer Situation, die ich noch nicht erlebt habe. Vor ein paar Wochen habe ich sie noch als bedrohlicher eingeschätzt. 

Sibylle Katzenstein
Sibylle Katzenstein / privat  

Das Behördenchaos macht Ihnen gar keine Angst?
Es geht mir besser, seit ich versuche, konstruktiv damit umzugehen. Ich würde mir wünschen, dass das auch auf anderen Eben funktioniert und die Patienten selbst mitdenken. Also, meine Patienten verhalten sich verantwortungsvoll. Sie wollen andere nicht anstecken. Vereinzelt sind mal Angstpatienten darunter, aber die hatte ich auch schon vorher. Und es ist ja auch verständlich, Angst zu haben. 

Wenn Patienten aber nicht zum Arzt gehen soll, was wäre denn ihre erste Anlaufstelle. Das Gesundheitsamt?
Keine Ahnung. Die regulären Wege finden sich erst. Es gibt einen Mangel an Informationen zwischen den Behörden und Stellen, die zuständig sind, Erst wurde den Patienten gesagt: „Geht zum Hausarzt!“ Aber der Hausarzt war ja auch noch nicht gerüstet. Dann gab es eine Corona-Hotline, und das Virchow-Klinikum hat eine Sprechstunde für Patienten mit Corona-Verdacht eingerichtet. Doch diese Sprechstunde war schnell überlastet. Jetzt gilt: Learning by doing. Wir müssen versuchen, diese Aktivitäten zu koordinieren. Die Hausärzte dürfen sich nicht selbst schachmatt setzen.

Einige haben jetzt Schilder an ihren Praxen: Kommen Sie nicht mehr!   
Ich kann das verstehen. Heute habe ich gelesen, in Nordrhein-Westfalen hätten einige Kliniken die Quarantäne-Bestimmungen für Ärzte gelockert, um die Versorgung der Patienten aufrechterhalten zu können. Aber wenn ich mich infiziere, droht meiner Praxis auch die Schließung. Ich glaube, dass es besser ist, das Ansteckungsrisiko zu minimieren. 

Die Patienten sollten nur noch kommen, um sich das Test-Kit zu holen und es selbst ins Labor bringen?
Der Idealfall wäre: Sie melden sich telefonisch. Sie schicken eine gesunde Person vorbei, die das Test-Kit abholt und wieder zurückbringt. Ich schicke es dann ins Labor und werte es aus. Das ist wirklich nicht schwierig. Und ich glaube nicht, dass andere Ergebnisse dabei herauskommen, als wenn ich es selbst mache. 

Der Gesundheitsminister hat gesagt, Deutschland sei mit dem Corona-Virus bislang gut zurechtgekommen. Wenn man Sie so reden hört, bekommt man einen ganz anderen Eindruck. 
Noch gibt es keine Toten. Ich würde mich nicht an solchen Formulierungen festhalten. Es geht darum, dass wir jetzt aktiv werden. 

Wen meinen Sie mit „wir“?
Ich hatte eine E-Mail an die Institutionen geschrieben, die ich für verantwortlich halte – an die Ärztekammer, das Robert-Koch-Institut und die Kassenärztliche Vereinigung. Leider habe ich auf diese E-Mail keine Antwort bekommen. Der Stein kam erst ins Rollen durch einen Bericht im Tagesspiegel. Darin hatte ich meine Ideen vorgestellt. Seitdem rufen mich die Politiker an. Gerade hatte ich ein Gespräch mit Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD). Die war sehr interessiert. 

Klingt gut. Aber verbreitet sich die Krankheit nicht schneller, als sich die verantwortlichen Stellen auf ein Vorsorge-Konzept einigen können?
Da haben Sie den Nagel auf den Kopf getroffen. Deswegen ist es mir wichtig, keine politische Kontroverse zu entfachen. Das Coronavirus kann viele Todesopfer fordern. Wir müssen uns jetzt schnell zusammenschließen, um das abzuwenden.

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt. 

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Bernd Muhlack | Fr., 6. März 2020 - 16:57

Zitat:
"Meine Patienten sind alle fitte Patienten." Ende
Wovon lebt Frau Dr. Katzenstein?
Ein Fitness-Studio?
Mein Hausarzt sagte einmal zu mir:
"Herr BM, wenn alle meine Patienten ihre Werte hätten, wäre mehr als die Hälfte tot!"

Lassen wir das.

Ich kann mir keine abschließende Meinung zu dieser Corona-Geschichte bilden.
Die Widersprüche der "Experten" sind schlicht zu krass.
Das reicht von "eher harmlos" bis zur Apokalypse.
Wie auch in der Politik ist die "Mitte" abhanden gekommen, es gibt nur noch Extreme.

Mein Hausarzt fragte am MO tel. nach, ob man den Termin am DO canceln könne, es herrsche das absolute Chaos!
"Kein Problem, aber ich brauche ein Rezept und eine Überweisung." - "Schon unterwegs!"

Es gibt Zeitgenossen die sofort jede Krankheit haben, welche aktuell im Angebot ist.
"Wenn Ihre Knie sehr warm sind, sofort zum Arzt!"
"Mein Gott, die glühen ja!" Sofort 112!

D ist leider zum Meister der Hysterie, Panik mutiert.
… u auch der Inkompetenz.

Reden! Was ist TUN, MACHEN?

Andere Länder reagieren doch viel entschlossener.
In Japan, Iran, Italien etc. sind alle Schulen geschlossen.
Selbst die besonnenen Schweizer haben längst alle Veranstaltungen über 1000 Personen (z.B. Fußballspiele) verboten.
Rußland und USA lassen schon seit Wochen keine Menschen aus Risikostaaten wie China mehr ins Land.
Ebenso Israel. Da herrscht inzwischen sogar Einreisestopp und Visarückruf für uns Deutsche!
Offensichtlich gelten wir international inzwischen als Risikogruppe.
Das sollte uns zu denken geben, ob hier nicht vielleicht zu wenig getan wird...
Mein Eindruck ist leider, daß unsere „Eliten“ nur noch dazu taugen, den Staat zu verwalten, so lange alles gut ist.
In Krisenzeiten auch schwierige Entscheidungen zu treffen, die „unschöne Bilder“ produzieren, das können sie nicht. Das funktioniert in unserer medienregierten Demokratie offensichtlich nicht mehr ausreichend.
Man lässt sich auch hier wieder lieber von Stimmungen und Meinungsumfragen treiben.

Susanne Dorn | Fr., 6. März 2020 - 19:34

Frau Dr. Sibylle Katzenstein ist eine sehr umsichtige und vertrauenserweckende Ärztin, die nicht lange auf politische Anweisungen wartet, so sie denn überhaupt kommen, sondern selbstbewußt HANDELT!

Als Präventionsmaßnahmen gegen das Corona-Virus kann ich empfehlen: Gesunden Menschenverstand einschalten, Ruhe bewahren, auf die Bedürfnisse des eigenen Körpers hören, für ausreichend Erholung und Schlaf sorgen, vitaminreiche Kost zu sich nehmen, viel trinken, jeden Tag Bewegung in der frischen Luft, das Immunsystem stärken, Kontakte mit fremden Menschen weitgehend meiden, Desinfektionstücher- oder Spray benutzen, Nachrichten (MSM) abschalten, Fernseher (MSM) ausschalten und sich auf sich selbst, das eigene Leben und das seiner Lieben konzentrieren.

Der Sinn unseres Lebens ist nicht, uns von Politikern als „Unterrasse“ (CDU-Abgeordnetert), Gesindel, Pack, Nazi oder Inländer beschimpfen und uns vernichten zu lassen, oder wie die SED meint,1% der

Susanne Dorn | Fr., 6. März 2020 - 19:36

der Bevölkerung erschießen zu müssen oder in Arbeitslager zu stecken.

Es gibt keine moralische Pflicht zur Selbstzerstörung!

Und hier noch eine meiner Lieblingsgeschichten:
Es war einmal ein Wanderer, der auf seinen Weg den Tod traf. „Tod wohin gehst du?“ TOD: „Ich gehe in die nächste Stadt und töte 100 Menschen.“
Der Wanderer dachte darüber nach und ging seines Weges. Der Tod ebenfalls. Auf dem Rückweg traf der Wanderer den Tod nochmals und sagte zu ihm: „Tod, du hast gelogen, du hast nicht 100 Menschen getötet, sondern Zehntausende.“ Der Tod antwortete:“Nein, ich habe 100 Menschen getötet, die Zehntausende sind an der Angst gestorben!“

Alles Gute Ihnen allen!

Marianne Bernstein | Sa., 7. März 2020 - 14:47

Es kann doch nicht so schwer sein eine einheitliche Regelung zu finden, z.B. eine abgeschottete Abteilung im Krankenhaus, wo sich Betroffene hinwenden können, Adressen und Telefonnummern kann man im Internet bekannt machen. Dazu sollte es eine allgemeine Seite des Bundesministeriums geben, die dann Unterseiten für Länder und Landkreise hat. Damit wäre auch klar, dass diese Stationen die Schutzkleidung benötigen. Diese sollte dann das Ministerium bzw. die Länder besorgen und an die Krankenhäuser weiterleiten. Ja, das ist böser Zentralismus, aber nur so funktioniert das.
"Altenheime werden nur noch besucht, wenn die Einrichtung den Ärzten eine Schutzausrüstung zur Verfügung stellt."
Ich verstehe ja die Ärzte, aber es ist eine Bankrotterklärung unseres Gesundheitssystems und der Solidargemeinschaft insgesamt.
Chaos, jeder ist sich selbst der Nächste. Sind das die Werte unserer Gesellschaft?

Frau Bernstein, Sie bringen es auf den Punkt!

"... im Internet bekannt machen …"
schreiben Sie u. a.
Grds. nichts einfacher als das, jedoch muss das auch beim Kunden, Bürger ankommen, abrufbar sein.
"Sorry, diese Seite ist zurzeit leider nicht verfügbar.
Probieren Sie es später noch einmal."

"Man" redet ob der "Dickitalisirunk", rautiert dabei die Hände und wie gesagt, ist das Internet ja Neuland für uns.

Der größte Fachkräftemangel herrscht in der Regierung und diese Zeitgenossen blockieren (und befördern!) sich lächelnd gegenseitig; das so genannte "Peter-Prinzip".

Fachkräftemangel ist eine Definitionsfrage.
Wann ist man eine Fachkraft?

War ich damals als Zivi auf einer Pflegestation (für wenig Geld) eine Fachkraft?
Oft zu nur zweit in einer 16er Gruppe junger Behinderter!
Das war/ist unzulässig und gefährlich!
Learning by doing!
"Die hat über 40 Fieber u zittert, die muss sofort ins KH!"
Ein Blick zum Zivi (= "neee") & ein Zäpfchen.

Frau Bernstein, was nicht tötet, härtet ab.