
- Sprache der Diskriminierung?
In ihrem Buch „Sprache und Sein“ versucht die Bloggerin Kübra Gümüsay, die deutsche Sprache als Waffe der Diskriminierung von Muslimen zu entlarven. Dabei zeigt sich aber vor allem ihr Mangel an Diskursbereitschaft und ihr Missverständnis von Integration.
Kübra Gümüsay ist mir aufgefallen, als sie 2013 bei den Gezi-Protesten in Istanbul twitterte, dass es zur AKP-Partei Erdogans keine Alternative gäbe. Im Studentenmagazin der Zeit führte sie ein einfühlsames Gespräch mit dem als Vordenker des politischen Islams geltenden Tariq Ramadan, in dem er ihr seine Strategie für Europa erklärt: „Statt Integration müssen wir Mitbestimmung und Teilhabe fordern.“
Sie antwortete: „Erklären Sie das mal einer Frau, die Verantwortung übernehmen will, aber wegen ihres Kopftuchs nicht Lehrerin werden darf.“ Gümüsay ist eine Aktivistin der #ausnahmslos-Kampagne gegen sexualisierte Gewalt und Rassismus. Gleichzeitig wird ihr eine Sympathie zu islamistischen Kräften wie der Milli Görüs nachgesagt.
Nicht Muslimin, sondern „Mensch mit Expertise“
Aktuell wird ihr Projekt „Eeden“, eine Ideenwerkstatt für eine „zukunftsfähige Gesellschaft“, vom Hamburger Senat mit 100.000 Euro gefördert. Im Hamburger Thalia-Theater wird sie am 7. April zusammen mit dem Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck ihr neues Buch „Sprache und Sein“ vorstellen.
Die Bloggerin und kämpferische, feministisch auftretende Islam-Aktivistin möchte nicht mehr als Muslimin wegen ihrer Kleidung, ihrer Hautfarbe, ihrer Sprache oder sonst einer Eigenschaft angesprochen werden, sondern als „Mensch mit Expertise“. Sie schreibt deshalb in ihrem Buch nicht über die problematische Rolle der islamischen Gepflogenheiten, sondern über die Diskriminierung durch die Deutschen und deren ausgrenzende Sprache.
Eloquenz weicht kindlichem Erstaunen
Sie erklärt damit für sich die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem real existierenden politischen Islam für obsolet. Das Buch „Sprache und Sein“ – nicht nur im Titel eine Anspielung auf Erich Fromms „Haben und Sein“ – zielt darauf, den Deutschen auf dem Feld der Sprache ein Schuldgefühl zu vermitteln, indem wieder einmal „den Fremden“, zu denen sie sich zählt, die Rolle des Opfers zukommt.
Sie schreibt in durchweg gut lesbarem Stil über Stereotypen der Sprache. Was zunächst durch Eloquenz beeindruckt, verwundert bereits nach wenigen Seiten. Geradezu kindlich erstaunt ist Gümüsay darüber, dass in unterschiedlichen Kulturen Dinge unterschiedlich benannt oder gar anders gemeint werden und dass Wahrnehmung durch Sprache beeinflusst wird.
Mehr Kulturrelativismus geht nicht
Sie zitiert kluge Köpfe mit Kalenderweisheiten, kokettiert mit ihrer Dreisprachigkeit und plädiert dafür, jede kulturelle Regung ungefragt für gleich wertvoll und schützenswert zu halten. Mehr Kulturrelativismus geht nicht. Wenn die jeweiligen Kulturen aber analysiert oder gar hinterfragt werden sollen, steht sofort der Rassismus- und Pauschalisierungsverdacht im Raum.
Gümüsay illustriert ihre Vorliebe für das Exotische am Beispiel eines indigenen Volkes aus Südamerika, das ausschließlich in der Gegenwart lebe, keine Zahlen kenne und dem Erinnerung wie Abstraktion fremd seien. Soll die Botschaft des Ansatzes lauten, dass der Mensch, der seine Lage nicht hinterfragt, das eigentliche Ideal ist? Ein Ideal „der versiegelten Zeit“ (Dan Diner) wäre es, das die muslimische Umma in weiten Teilen immer noch lebt.
Die Deutsche Sprache grenzt aus und verkennt Talente
Für Hier und Heute heißt dies bei ihr, jede/r soll ihre/seine Mutter-Natur- Sprache sprechen, es darf keine „Stereotypen“, Zuschreibungen, Erwartungen geben. Sie gehört damit zu denen, die seit Jahren mit dem Prinzip „Muttersprache zuerst“ Generationen von Migrantenkindern besonders aus islamischen Ländern in die Schul- und Berufsunfähigkeit getrieben haben, weil sie als Folge dieser Methode weder ausreichend Deutsch noch beispielsweise Türkisch lesen und schreiben können.
Gümüsay charakterisiert Deutsch als Herrschaftssprache, mit der andere ausgegrenzt und um ihre Talente gebracht werden. „Türkisch wird hier nicht gesprochen“, habe eine Grundschullehrerin ihr gesagt und damit die sprachliche und kulturelle Pluralität ihrer „bilingualen Mitschüler*innen“ verkannt. „Wie hätten sie sich entwickelt, hätten wir in der Schule neben Goethe und Schiller auch Emine Sevgi Özdamar (…..) Necip Fazil Kisakürek oder Noémi de Slousa gelesen?"
„Wir, die Fremden..."
Vielleicht hätten sie gespürt: „Ich bin wertvoll.“ Dass sie mit Kisakürek einen Pan-Islamisten für den deutschen Schulunterricht empfiehlt, will sie auf Nachfrage nicht gewusst haben. In diesen Beschreibungen evoziert Gümüsay eine vorurteilsgeladene, diskriminierende Gesellschaft, die die Macht der Sprache gegen die Anderen, vor allem gegen Muslime, Flüchtlinge, Fremde einsetzt.
Sie schreibt an einer Stelle, dass sie in Deutschland „im gurbet lebt“. „Gurbet" ist das türkische Wort für „Heimweh“, meint hier aber wohl Diaspora. Die in Hamburg geborene Autorin erklärt sich als fremd und fragt: „Ist das Deutsche auch meine Sprache?“ und antwortet vorwurfsvoll im pluralis majestatis offenbar für alle: „Wir, die Fremden, wachsen auf in einer Sprache, in der wir als Sprechende nicht vorgesehen sind. (…) In deren Macht es steht, uns zu kategorisieren, zu markieren, auszusortieren.“
Gümüsay spaltet die Gesellschaft in zwei Kategorien
Soll Deutsch in Deutschland nur noch ein Idiom unter vielen sein, damit alle sich heimisch fühlen? Gümüsay spaltet die Gesellschaft in zwei Kategorien. In „ die Unbenannten“, offenbar die Deutschen, die für sie „der Standard. Die Norm. Der Maßstab.“ sind. Sich selbst zählt sie, die sich entschieden hat, statt in Oxford lieber doch in Deutschland zu leben, zu „den Benannten“, die „Fremd. Anders.“ sind.
Die Deutschen würden die Fremden nur als Kollektiv wahrnehmen: „Sie analysieren sie. Katalogisieren sie. Versehen sie schließlich mit einem Kollektivnamen und einer Definition (…). Das ist der Moment, in dem aus Menschen Benannte werden. In dem Menschen entmenschlicht werden.“ Das ist gefährlich gedacht.
In der Denktradition des reaktionären Islam
Sie denunziert unter anderem mit dieser Unterstellung im Prinzip die wissenschaftlichen Methoden der Soziologie, die Beschreibung sozialen Handelns, als vorgebliche Selektionswerkzeuge. Sie wirft den Deutschen Diskriminierung vor, wenn von den muslimischen Frauen oder den Muslimen gesprochen wird, nimmt aber das Kollektivmandat für sich in Anspruch, wenn sie von „Wir Fremde“ spricht.
Sie schließt mit dieser Ablehnung wissenschaftlichen Denkens für sich das Tor der Erkenntnis und steht damit in der Denktradition des reaktionären Islam, der dies vor eintausend Jahren mit der Philosophie gemacht hat – mit bis heute fatalen Folgen für die muslimische Gesellschaft.
Robert Habeck als geistige Schützenhilfe
Geistige Schützenhilfe nimmt sie von dem Vorsitzenden der Grünen, Robert Habeck, in Anspruch, den sie prominent zitiert: „Wenn wir uns darauf einlassen, eine Einzelperspektive zu verabsolutieren, dann suchen wir sprachliche Herrschaft über andere.“
Die Autorin nutzt die hermeneutische, durchweg westliche Methode, um die Deutschen, um europäische und westliche Praxis und Prinzipien zu kritisieren, ergreift aber nicht die Chance, mit diesem Wissen die eigenen mitgebrachten Werte und Traditionen etwa der islamischen Welt zu hinterfragen, zu deuten und gegebenenfalls zu ändern.
Unsinn und Hybris
Sie will sich nicht damit auseinandersetzen, weshalb die islamische Welt von den Frauen das Tragen von Kopftüchern verlangt. Weshalb diese Welt Männer und Frauen voreinander schützen will, statt Gleichberechtigung zu praktizieren. Sie will keine Verantwortung für ihre Herkunftskultur oder Religion übernehmen und begründet das auch mit einem bizarren Beispiel: „Wenn ich, eine sichtbare Muslimin bei Rot über die Straße gehe, gehen mit mir 1,9 Milliarden Muslim*innen bei Rot über die Straße. Eine ganze Weltreligion missachtet mit mir die Verkehrsregeln.“ Das ist Unsinn und Hybris.
Es soll wohl dazu beitragen, dass sich jeder Diskurs über ernsthafte Probleme in der Luft der Beliebigkeit auflöst, weil es so etwas wie Gesellschaft, Tradition, Kultur gar nicht mehr geben soll, sondern nur noch „Menschen mit Expertise“. Die Ausführungen Gümüsays passen in eine Zeit, in der kulturelle Identität oder Begriffe wie „Volk“, „Nation“ vornehmlich als Ausgrenzungsvokabeln verstanden werden und die Zeile „Einigkeit und Recht und Freiheit“ nicht mal mehr als Motto des Kölner Lesben- und Schwulentages taugt.
„Sprache und Sein“ als Umsetzung einer Eroberungsphantasie
Der vermeintlich linke und grüne Mainstream, dem sich Gümüsay anbiedert, ist eins mit den Theorien der staatlich geförderten Migrationsforschung, wie sie etwa Naika Faroutan in Berlin propagiert. Diese Polit-Elite definiert die Probleme mit dem übergriffigen Islam und der scheiternden Integration weg, wertet selbst das Nennen von Fakten als rassistisch und islamophob ab.
„Sprache und Sein“ ist die Umsetzung der Eroberungsphantasie Tariq Ramadans aus dem Jahr 2013 in das Feld der Sprache: „Wir befinden uns in einer Übergangsphase, in der Muslime immer sichtbarer werden – das empfinden manche als Problem. Sie glauben, dass Menschen, die durch ihre Kleider als Muslime erkennbar sind, nicht integriert seien."
Das Gegenteil ist wahr: Gerade weil Muslime im Alltag sichtbar werden, sind sie integriert. Sie (die Muslime) haben das geografische und soziale Ghetto, in dem viele anfangs lebten, verlassen. Muslime sind jetzt Teil des Mainstreams. Ersetzt man „im Alltag“ durch „in der Sprache“, wird ein Buch daraus. Robert Habeck wird das recht sein.