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Kramp-Karrenbauer, Spahn, Merz: In der CDU scheint derzeit niemand den Weg zu kennen / picture alliance

Zwischenruf von Rudolf Scharping - Dass ich mir einmal Sorgen um die CDU machen würde ...

Die CDU reibt sich und die Bundesrepublik an Personalien auf. Hat die Union als Volkspartei noch eine Zukunft? Der ehemalige SPD-Vorsitzende und Verteidigungsminister Rudolf Scharping appelliert in „Cicero" an die Union, sich endlich zu besinnen.

Rudolf Scharping

Autoreninfo

Rudolf Scharping war von 1993 bis 1995 Bundesvorsitzender der SPD, von 1991 bis 1994 Ministerpräsident des Landes Rheinland-Pfalz und später Bundesminister der Verteidigung. Bei der Bundestagswahl 1994 war er Kanzlerkandidat und von 1995 bis 2001 Präsident der Europäischen Sozialdemokraten. Nach seiner Zeit als Politiker baute er die eigene Beratungsgesellschaft RSBK AG auf, die deutsche Unternehmen im Zusammenhang mit China berät. Seit 2005 hat Scharping auf zahlreichen Reisen insgesamt fast sechs Jahre in China verbracht.

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Deutschland braucht gute Politik. Aber wenn die Koalition liefert, redet kaum ein Mensch darüber. Kein Wunder, überlagern doch die beiden Volksparteien ihre eigene Politik permanent mit öffentlichem Gezerre und Personalfragen. Erst war die CDU auf der Suche einer neuen Spitze, dann die SPD quälend lange. Nun will die CDU diesem blödsinnigen, für die Reputation von Politik und das Ansehen der Institutionen gefährlichen Trend offenbar einen neuen Höhepunkt hinzufügen. Man möchte schreien: „Besinnt euch!"

Aber der Reihe nach. Am 3. Mai 1993 trat der SPD-Vorsitzende Björn Engholm zurück. Bald darauf beschloss der SPD-Parteivorstand, die Mitglieder zu befragen – sie sollten einen Vorschlag machen, wer den SPD-Vorsitz übernehmen sollte. Manchen schien das ein Triumph innerparteilicher Demokratie, der erste Schritt zur Überwindung der SPD als Kaderpartei – andere sahen darin eher Führungs- und Entscheidungsschwäche. Es war beides.

Integrierende konservative Kraft

Entscheidend ist aber: Ein Verfahren ersetzt weder Haltung noch Charakter. Das müssen die Beteiligten schon selbst mitbringen. Ich hätte nie gedacht, dass ich mir einmal Sorgen machen könnte um die Union – und dann auch noch öffentlich. Das aber tue ich gerade. Meine politische Sozialisation fand statt in Rheinland-Pfalz, einem Land mit geradezu erdrückender CDU-Mehrheit. Den damit verbundenen Mief und Filz konnte die SPD anprangern, aber nicht aufbrechen – sie war damals einfach zu schwach. Das machte dann Helmut Kohl mit einer ziemlich jungen und frischen „Mannschaft“.

Kohl und seine Leute machten für die Verhältnisse der Union ziemlich moderne Politik – und achteten doch sorgfältig auf ihre sozialen und wirtschaftlichen, ihre kulturellen und politischen Wurzeln. Und heute? Noch ein Blick zurück: Nach 1949 war die politische Landschaft zersplittert; die Union „integrierte“ Mitläufer aus der Nazizeit; die rechtsradikale „Sozialistischen Reichspartei – SRP“ wurde verboten (die KPD auch). Die Union wurde, als was der jugendliche Rudolf Scharping sie erfuhr und später zu schätzen wusste, die integrierende konservative Kraft, die rechts von sich alles hart bekämpfte und damit Deutschland und der rechten Mitte des politischen Spektrums Anziehungskraft, der Bundesrepublik damit Stabilität verlieh.

Zu hohe Erwartungen?

Wissen die das heute noch? Handeln sie danach? Zurück zu sozialdemokratischen Erfahrungen. Nach dem Rücktritt Engholms wurden also die Mitglieder der SPD befragt. Die Kandidierenden stellten sich vor, und viele raunten, wer von den großen Alten denn da wen unterstütze. Da war viel Unsinn in dem Geraune, aber gut: Nach weniger als sechs Wochen entschieden die SPD-Mitglieder am 13. Juni 1993, danach ebenfalls noch im Juni 1993 der SPD-Parteitag. Das war gut überlegt, ein offener Prozess, ein fairer Wettbewerb – also ein gutes Verfahren; nicht mehr, nicht weniger.

Wenn man die Erwartungen überzieht und die Messlatten unerreichbar hoch hängt, kann nur Frust und vielleicht auch Wut dabei herauskommen. Der Vorsitz einer demokratischen Partei aber ist ein Amt, das man nur im Team und mit klarer Führung meistern kann. Er dient weder einem Ego, noch darf ein solcher Vorsitz mit einer „Heilserwartung“ überfrachtet werden.

Die Politik in Verruf

Die Frage ist also niemals nur, ob der oder die es „kann“ – entscheidend ist immer auch, ob der oder die ein starkes Team formen kann, ob so die sozialen, kulturellen und politischen Wurzelwerke einer (per defitionem) breit aufgestellten Volkspartei wirksam werden, ob alle Beteiligten Respekt untereinander und vor Mehrheitsentscheidungen aufbringen, ob für den Beifall der Galerie oder den Erfolg des Teams gearbeitet wird – oder ob die demokratische Entscheidung nur den Startschuss bildet zu neuem Wettkampf, neuer Intrige, gewürzt durch Bosheiten im „Hintergrund“.

Es ist dieses Verhalten, das Parteien und Politik in Verruf bringen und das Volksparteien ruinieren kann. Nun denn: 1994 wurden auf diese Weise der SPD über 17 Millionen Stimmen (36,4 Prozent der Zweitstimmen und 38,3 Prozent der Erststimmen) zur gefühlten Niederlage, obwohl sich die schwarz-gelbe Bundesregierung nur durch Überhangmandate retten konnte. Hat die Union als Volkspartei eine Zukunft? Ich hoffe es, und dass das gehen kann, erleben wir gerade in Bayern (CSU) und in Hamburg (SPD).

Die CDU muss nicht alles nachmachen

Wünsche ich der CDU eine gute Zukunft als Volkspartei, obwohl sie vielen meiner zentralen Überzeugungen und Vorstellungen nicht entspricht? Ja, das tue ich – denn mit einem tariffähigen Partner kann auch die Sozialdemokratie wachsen und handeln. Und wohin Zersplitterung führt, gepaart mit Dummheit und Verantwortungslosigkeit, das lehrten uns CDU und FDP in Thüringen. Hallo Leute, diese Wahlperiode begann mit Verweigerung von Verantwortung durch die FDP! In der Folge zog sich die Bildung der Regierung über Monate hin.

Meine Partei hat Mitglieder beteiligt; sie stimmten ab über den Koalitionsvertrag, später über die Führung der SPD. Die CDU muss ja nicht alles nachmachen. So viel „Sozialdemokratisierung“ wäre zu viel. Vor allem aber: Die gesamte sachliche Arbeit dieser Koalition wird fortlaufend überdeckt von Personalfragen und anderem Gezerre. Lasst das, ihr könnt es besser – und nur dafür wurdet ihr gewählt!

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Helmut Bachmann | Fr., 21. Februar 2020 - 14:59

Hätte man nicht von Alternden schreiben müssen? Die Kandidierenden möchten vielleicht nicht auf diese maskulinisierende Form reduziert werden.

Dorothee Sehrt-Irrek | Fr., 21. Februar 2020 - 15:28

dass ich einmal begreife, wie wichtig die CDU/CSU für die Bundesrepublik war, ist und sein wird.
So eine Katastrophe wie in Italien mit dem Untergang der Democrazia Christiana ist in Deutschland undenkbar.
Ein wunderbarer Artikel von Rudolf Scharping, zurecht auf die Erfolge der Großen Koalition verweisend.
Der Preis dafür ist evtl. sehr hoch, aber wie ich schon öfter schrieb, ich bin ein recht stolzes Mitglied der SPD.
Mich stören die kritischen Artikel und Kommentare hier eigentlich nicht besonders, ich lerne davon und begreife dann immer wieder, wie schön es in der SPD ist.
Danke für diesen Text

Würde man die Entwicklung der CDU innerhalb der vergangenen Jahre auf einem Aktien-Chart nachbilden, könnte man einen regelrechten Crash konstatieren. Mit Frau Merkel als Parteivorsitzende und Bundeskanzlerin hat die CDU, mit Ausnahme des Jahres 2013, stets die schlechtesten Ergebnisse in ihrer Geschichte eingefahren. Dass die CDU mit essentiellen Problemen kämpfen muss, ist vor allem auf fundamentale strategische Fehler zurückzuführen. Für die Union galt lange, es dürfe sich rechts von ihr keine Partei etablieren. Merkels Strategie, die AfD zu ignorieren statt die inhaltliche Auseinandersetzung mit ihr zu suchen, ist gründlich fehlgeschlagen. Die CDU hat aber auch ein gravierendes personelles Problem. Je näher der politische Abschied Merkels rückt, umso mehr wagen sich bei der CDU aus der Deckung. Die „politischen Leichen“ Merkels kommen nun, kurz vor ihrem Scheiden, nach und nach aus dem Keller hervor.

Die CDU bräuchte in ihrer schwierigen Situation eine echte Führungspersönlichkeit. 
Felix Austria. Dem österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz ist es gelungen, die schwarz-grüne Regierungskoalition nicht gegenseitig auf Minimalkompromisse herunterzuverhandeln, sondern das Beste aus beiden „Welten“ im Sinne der Bürger zu vereinen.
Eine Politik, die sich nicht nach eigenen Machtinteressen, sondern nach dem Wohle einer Mehrheit der Bürger orientiert, würde man sich in Deutschland wieder wünschen.

Hillebrandt Klaus | Fr., 21. Februar 2020 - 16:40
Ernst-Günther Konrad | Fr., 21. Februar 2020 - 18:02

Ja, da kennt der Rudolph. War ja selbst mal "Opfer" als ihn Schröder und Lafontain als Sandwichbelag vernaschten. Aber mal im Ernst. Vieles was er schreibt rifft zu. Der schlechteste SPDler war er auch nicht. Eher zu ehrlich und nicht gemein genug, um sich seinerzeit richtig zu wehren. Das er gerade im hier Cicero der CDU ein Grußwort schreibt dürfte eine Ehre für die Readktion sein. Wie lange noch. Augustein hat ja schon zum medialen Angriff auf alle Kritiker des Mainstream via Twitter gerufen. Wenigstens hat Herr Scharping Anstand und schreibt einen Artikel mit seiner Sicht der Dinge. Es würde mich nur mal interessieren, was er zu seiner SPD derzeit sagt. Die ist ja geradezu eine Blaupause für die CDU. Vielleicht sollte Herr Scharping twittern, damit ihn jemand wahrnimmt. Hier im Cicero sind viele kluge und kritische Artikel und Kommentare auch zum Thema Verfall der CDU verfasst worden. Hat es was geholfen? Nein. Die geben immer mehr Gas auf dem Weg in den Angrund. Traurig, aber wahr

Bernd Muhlack | Fr., 21. Februar 2020 - 18:33

Liebe Ciceronen, ich kann es schlicht nicht fassen!

Dann doch lieber Norbert Blüm, der alte Opelianer, die Inkarnation des Geruchs von Altöl und Handwaschpaste!
Letztlich immerhin Theologie (was natürlich keine Abwertung eines Opelianers ist!)

Scharping?
Es gibt diese Aktion im Bundestag. Er hält am Rednerpult eine Bildzeitung hoch: Krieg im Balkan!
"Auf dem Baaalkaaan hääärrscht Krieeeesch!"
Bis er das gesagt hatte, war der Krieg bereits vorbei.
Damals das Dreigestirn, Triumvirat: Scharping, Schröder, Lafontaine. Zielsicher hatte sich die SPD für den "Looser" entschieden.

Ob ich die Worte des Genossen S. zur Kenntnis nehmen soll?
Um es mal wieder mit Loriot zu sagen: "Lies doch mal was Herrmann!"

Vor sehr vielen Jahren saßen wir auf den Treppen vor der Neuen Uni in HD; ein Käffchen.
"Das ist doch der Weizsäcker!" Wir standen auf und winkten. Er kam auf uns zu (2 Wächter) u parlierte ne Weile mit uns. "Viel Erfolg den jungen Juristen!"

Wegen Scharping wäre keiner aufgestanden!

Jürgen Keil | Fr., 21. Februar 2020 - 18:52

Herr Scharping, wenn ich meinen eigenen Sohn nicht richtig erzogen habe, ist es etwas anmaßend, wenn ich mir über die Kinder des Nachbarn Sorgen mache. In Sachsen sagt man an so einer Stelle: Kehr vor deiner eigenen Haustür!

Markus Michaelis | Fr., 21. Februar 2020 - 21:42

Ich denke Herr Scharping beschreibt hier eine Welt von Gestern, die nicht mehr kommen wird. Das Gestern war sehr in Deutschland eingebettet und auf Deutschland begrenzt. Heute geht es um Europa und die ganze Welt, alle Menschen. Was soll da das Besinnen auf die eigenen kulturellen und politischen Wurzeln? Das ist doch heute viel zu eng und aus der Zeit gefallen. Es geht um Progressivität, die ist universell und bestimmt nicht an die Wurzeln der CDU gebunden (die der SPD auch nicht).

Henner Majer | Sa., 22. Februar 2020 - 00:57

Mal eben so das Postengejage abstellen sollen - diese Forderung an politische Parteien zu stellen, ist naive Kunst, Herr Scharping. Sie sind ja in diesem Fachgebiet erfahren, d.h. mussten erfahren, was naive Einstellung in der Politik zeitigt: Eine zündende Parteitagsrede und man war weg vom wohlumsteckten Fenster. Da hilft dann auch kein Herumrudern oder -plantschen im Pool weiter.

henriette schmitt | Sa., 22. Februar 2020 - 10:34

Wie wäre es denn mit einer Bundespartei CSU?
Das Chaosspiel der CDU wäre zu Ende, unsere Sch Kanzlerin wäfre weg, und Söder macht einen passablen Eindruck?