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Ministerpräsident, aber nur auf dem Papier: Thomas Kemmerich / picture alliance

Thüringen, ein Land ohne Regierung - Stillstand, Agonie, Ratlosigkeit

Wer regiert eigentlich Thüringen, solange Thomas Kemmerich zwar formell weiterhin der geschäftsführende Ministerpräsident ist, aber ohne Kabinett? Dieser Frage ist „Zeit Online“ nachgegangen. Der Beitrag fördert erschreckende Erkenntnisse zu Tage.

Antje Hildebrandt

Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Stellen Sie sich vor, eine Landesregierung besteht nur aus einem einzigen Mann, dem Ministerpräsidenten. Alle haben sein Foto schon einmal gesehen, aber niemand in der Verwaltung kennt ihn. Das klingt nach dem Drehbuch für eine Sitcom. In Thüringen ist es aber bitterer Ernst. Seit der mit den Stimmen von AfD, CDU und FDP zum Ministerpräsidenten gewählte Liberale Thomas Kemmerich auf Druck der Kanzlerin wieder zurückgetreten ist, steht Thüringen vor einer Aufgabe, die historisch wohl einmalig ist. 

Was das für das Land und seine 2,1 Millionen Einwohner bedeutet, beschreibt Martin Debes anschaulich für Zeit Online. Das Leben muss weiter gehen, irgendwie. Aber wie regiert man ein Land ohne Minister? Formell ist Kemmerich immer noch geschäftsführender Ministerpräsident eines Kabinetts, das nur aus ihm besteht. Er führt dieses Amt aber nur so lange aus, bis ein Nachfolger gefunden wird. Theoretisch. Faktisch aber, hat Debes erfahren, sei der Regierungschef bislang vor allem durch Abwesenheit aufgefallen. Keine öffentlichen Auftritte. Die, so schreibt er, wären auch schwierig. Erstens befinde sich Kemmerich nach dem Theater um seine Wahl „politisch in einer prekären Lage“. Zweitens brauche er rund um die Uhr Polizeischutz, weil er und seine Familie bedroht würden.

Ein Land in Wartestellung

Es ist ein Zustand, mit dem keiner zufrieden sein kann. Ein Land in Wartestellung. Doch solange sich CDU und FDP nicht dazu aufraffen können, dem Linken Bodo Ramelow und seiner rot-rot-grünen Minderheitskoalition zumindest vorübergehend zurück ins Amt zu helfen, wird sich daran nichts ändern. Für den Fall, dass sich der Landtag auflösen muss und Neuwahlen anberaumt werden, rechnen Experten mit einem halben Jahr. In der Zwischenzeit werde Thüringen „notverwaltet“, schreibt Debes.

Dass die rot-rot-grüne Landesregierung den Etat für das laufende Jahr schon vor der Landtagswahl im Oktober verabschiedet hat, erleichtert dem „Behelfskabinett“ die Arbeit. Polizisten oder Lehrer werden nach wie vor neu angestellt. Das Geld dafür ist vorhanden. Vier Staatssekretärinnen und acht Staatssekretäre führen die laufenden Geschäfte. Alles Parteifunktionäre, Verwaltungsleute und vormalige Mandatsträger. Spaß macht ihnen der Job auf dem führerlos gewordenen Dampfer „Thüringen“ offenbar nicht. „Wer in den Verwaltungsapparat hineinhört, vernimmt die Worte „Stillstand“, „Agonie“ und „Ratlosigkeit“, schreibt Debes. Deutlicher äußern sich Politiker, die nicht in Thüringen leben. Einer hat neulich gefragt, was eigentlich wäre, wenn in Thüringen eine Epidemie ausbräche. 

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Tomas Poth | Di., 18. Februar 2020 - 19:28

Das ist der Preis der Dämonisierung.
Ein gewählter MP wird politisch unter Druck gesetzt damit er das angetretene Amt wieder abgibt.
Warum sollen sich CDU und FDP aufraffen den Ramelow zu wählen, was ist das für eine Linke Farce! Typisch R2G Milieu (Die Zeit).

Joachim Kopic | Mi., 19. Februar 2020 - 19:21

Antwort auf von Tomas Poth

... das wird momentan von den meisten Medien unterm Tisch gekehrt. Und Ramelow bzw. dessen Linke pochen nur auf Unterstützung durch FDP/CDU, weil sie ansonsten fürchten, dass die AfD ihn zum Ministerpräsidenten wählt.
Schon verteufelt, wenn man eine demokratisch GEWÄHLTE Partei verteufelt ... wenn es nicht so ernst wäre, könnte man fast drüber lachen!

Ulrich Jarzina | Di., 18. Februar 2020 - 19:49

Dass der Thüringer Landtag im vergangenen Jahr den Haushalt für 2020 gleich mitbeschlossen hat, hat mich seinerzeit auch mehr als gewundert. Ob Ramelow schon damals etwas ahnte? Falls ja, wäre das der erste Coup.

Der zweite Coup ist die Rolle Kemmerichs: Ebensowenig wie man einem nacktem Mann in die Tasche greifen kann, kann man einen geschäftsführenden Ministerpräsidenten parlamentarisch unter Druck setzen. Was wollen die Abgeordneten denn tun? Kemmerich zum Rücktritt auffordern? Den Haushalt nicht absegnen? Sollen die Fraktionen drohen, ihre Minister abzuziehen?

Nein - wenn sich die erste Aufregung gelegt hat, hat Kemmerich in Thüringen freie Hand - zumindest für ein Jahr.

Christa Wallau | Di., 18. Februar 2020 - 19:50

wenn es zeitweise gar keine Regierung gäbe!
Jedenfalls dann, wenn die Regierenden nur Murks anrichten.
Als ob die Staatssekretäre und die höheren Beamten nicht viel genauere Kenntnisse von allen Sach- und Gesetzeslagen hätten als die Minister!
Ich bin davon überzeugt, daß im September 2015
die Massen von Immigranten n i c h t in unser Land
gelassen worden wären, wenn - wie jetzt in
Thüringen - es keine deutsche Regierung gegeben hätte. Niemals wären die ausführenden Organe (wie etwa die Bundespolizei) auf die idee gekommen, die Grenzen n i c h t zu schützen.
Dazu brauchte es die einsame, falsche Entscheidung einer Kanzlerin.

Also: Bloß keine Panik! In Thüringen geht alles seinen gewohnten Gang. Außer der Demokratie
und dem Image der Parteien steht da nichts auf dem Spiel.

Frau Wallau. Möge Gott Sie uns lange erhalten, damit unser Herz weiterhin viel Sonne, Optimismus & Humor bekommt.
Ach, Herr Lenz - & dies hat nichts mit der AFD zu tun, sondern mit der Seele. Es gab/ gibt nur wenige Menschen, die mich so beeindruckt(en.) haben. Aber bei jenen würde ich sogar einen Blanco-Scheck ausstellen. Schade, des es heutzutage in der Politik kaum noch Menschen gibt, denen ich so absolut vertrauen könnte. Da Sie mir aus der Seele schreiben, füge ich nichts hinzu.
Alles Liebe & alles Gute

Da mein letzte trostspendende Antwort an Sie Frau Wallau auf meinen Post zu einem anderen Artikel nicht veröffentlicht wurde, schließe ich mich einfach nur den Worten unseres Herrn Lehmann an. Ich hoffe, dass ich das noch schreiben darf. Nicht aufgeben. Es braucht alles einfach nur Geduld.

Hans Jürgen Wienroth | Di., 18. Februar 2020 - 21:22

Möglicherweise ist dies eine gute Warnung an alle, die zu leichtsinnig in die Demokratie eingreifen wollen. Noch ist die Ordnung nicht zusammengebrochen.
Es war jedoch nicht nur die Kanzlerin, die Herrn Kemmerich zum Rücktritt drängte, es war auch der Druck der politischen Gegner, die Teile der Bevölkerung aufgehetzt haben, die Demonstrationen organisiert und die die Bedrohung des verfassungsgemäß gewählten MP, seiner Familie, seiner Partei und seiner Parteikollegen provoziert haben. Alles im sogenannten Sinne der Demokratie.
CDU und FDP erfahren gerade, wie schnell man selbst in den Focus der Straße gerät, wenn man diesen auf andere richtet und sich plötzlich mit dem vermeintlichen Gegner „in einem Topf“ geworfen sieht.
Für Thüringen wäre es wünschenswert, wenn alle Demokraten (also auch die „ausgegrenzten“) gemeinsam nach einer Lösung suchen, möglichst bald Ruhe einkehrt und das Land wieder über eine handlungsfähige Regierung verfügt.

Susanne Dorn | Di., 18. Februar 2020 - 23:20

…Politiker und Beamte, dass es keine Regierung gibt. Der selbständige Souverän, der seine Freiheit liebt und von Politikern nicht ständig belästigt werden will, fühlt sich anscheinend in Thüringen wohl. Ich habe jedenfalls noch keine Klagen gehört.

Andreas Zimmermann | Mi., 19. Februar 2020 - 01:24

Tja, wahrscheinlich würden alle Thüringer sterben! Schließlich haben sie ja keine Regierung, welche sie retten kann! - Das wäre wahrscheinlich die Antwort welche dem Politiker gefallen würde.
Na klar, ohne Regierung und Politiker geht nichts mehr! Die Leute würden nicht mehr arbeiten gehen - schließlich bekommen wir unser Geld ja von den Politikern, Strom würde nicht mehr fließen und die Sonne nicht mehr scheinen. Nichts würde mehr klappen - selbst das Atmen würde uns schwerfallen - vom Gang auf die Toilette möchte ich gar nicht reden. Wir brauchen Regierungen, Politiker, ihre Entscheidungen, ihre Korruption, Lobbyarbeit und Arroganz und vor allem brauchen wir eines - ihre Entscheidungen! Ohne die können wir nichts von den vorher aufgeführten Dingen machen und da gibt es bestimmt noch mehr. Also... Es war schön Euch mal kennengelernt zu haben liebe Thüringer, aber ohne Regierung - Sorry, aber das war´s wohl für euch!
Gott, bin ich froh das ich das mal sagen konnte! Danke ihr Politiker!

Ingo frank | Mi., 19. Februar 2020 - 07:42

Sagen sie liebe Frau Hildebrandt, dem nicht aus Thüringen stammenden Politiker:
NICHTˋS Thüringen wird ja eh schon von Berlin aus verwaltet.

Viele Grüße aus Thüringen

Armin Latell | Mi., 19. Februar 2020 - 08:12

Die ist bereits ausgebrochen. Allerdings im gesellschaftspolitischen Bereich, der Seuchenherd befindet sich im Bundeskanzleramt, hochansteckend, Überträger sind die Medien, politische Funktionäre und kriminelle Fanatiker: Demokratie-Intoleranz, gepaart mit Verfassungsignoranz, verstärkt durch chronische Hirnnutzungsabstinenz. Diese Pandemie hat sich schon im ganzen Gebiet der früheren BRD ausgebreitet. Allerdings gibt es auch dagegen natürlich Immunisierte, die sich selbst allerdings wegen Selbstschutzes in Quarantäne, in die Sicherheit der Schweigsamkeit begeben haben.

Rob Schuberth | Mi., 19. Februar 2020 - 20:40

Antwort auf von Armin Latell

was für ein wunderbar bissiger, aber leider zutreffender Beitrag.

Danke Herr Latell.

Manfred Bühring | Mi., 19. Februar 2020 - 08:15

Trotz sorgfältigem Lesen kann ich dem Zeit-Artikel keine - wie die Autorin skandalisiert - erschreckenden Erkenntnisse entnehmen. In Thüringen geht doch alles seinen parlamentarischen Gang. Ein paar Tricks hier, ein paar Absprachen da - so geht Politik. Und das Land geht nicht unter, für die Autorin wohl überraschend.
Vielmehr erschreckend ist die rasante Erosion demokratischer Spielregeln in Thüringen, eine Blaupause für das, was uns im Bund in Zukunft blüht. Vieleicht sollte Politik einfach mal den Wählerwillen zur Kenntnis zu nehmen, der 2RG nicht mehr wollte. Na ja, dann lassen wir so lange wählen, bis uns das Ergebnis passt.

Peter Silie | Mi., 19. Februar 2020 - 09:21

WER bedroht Kemmerich? Will keiner wissen, oder?

Wolfgang Tröbner | Mi., 19. Februar 2020 - 09:28

Ja, das wäre ganz, ganz schlimm, ohne Politik, ohne Regierung, ohne deren Entscheidungen ... Nicht auszudenken, da gebe ich Ihnen vollkommen recht. Aber wer weiss, vielleicht läuft es dann sogar viel besser? Haben wir nicht die Verwaltungen und Behörden? Oder brauchen die ständig Anweisungen der Politik? Können sie nicht eigenständig entscheiden, was zu tun ist?

Ernst-Günther Konrad | Mi., 19. Februar 2020 - 09:33

Also Frau Lieberknecht schon mal nicht. Die hat heute morgen bekannt gegeben, dass sie nur dem Ramelowvorschlag gefolgt wäre und den CDU-Gegenvorschlag ablehnt. Sie will Ramelow an der Spitze. Uih. Frau Lieberknecht stellt sich auf die Seite von Attilas Herrchen. Naja, die ist in keinem Amt derzeit, Merkel kann ihr also keine Funktion entziehen und rauswerfen aus der CDU sicher auch nicht. Das wird totgeschwiegen.
Herrlich zu sehen, wie sich alle dort in Thüringen jeden Tag ein Stückchen mehr demontieren. Die einen wollen mit den anderen nicht, dürfen nicht und nehmen lieber die Selbstdemontage in Kauf.
Ich bin mir sicher, ob Neuwahlen morgen oder im Herbst. Die CDU in Thüringen hat fertig und auch Merkel?
Von ihr oder ihrer Stimme Seibert hört man was?
Natürlich nichts. Warum auch. Für sie läufts doch bestens. Alle reden über das Chaos in Thüringen, niemand redet über die chaotische Kanzlerin. Die schaut lächelnd ihren im Parteisandkasten spielenden "Nachfolgern" zu.

ich aber denke, hier ist volle Absicht im Spiel. Man lässt Chaos zu, befeuert es noch ein bisschen, wartet ab - die alte Katze hat warten gelernt - um am Schluss, wenn sich auch die Kandidaten für den CDU-Vorsitz und die Kanzler-Kandidatur gegenseitig zerfetzt und/oder neutralisiert haben, zuzuschlagen: Ihr könnt es nicht, es gibt nur eine Person, die alternatlvlos ist, also gut: Ich mach es nochmal - da aber in diesem Fall die nächste Legislatur mit großer Wahrscheinlichkeit im Chaos endet, vielleicht sogar in einer Art Bürgerkrieg, könnte eine zweite Variante greifen: Die alte Katze zaubert eine uns allen noch unbekannte Spielzeugmaus (oder eine, mit der niemand mehr gerechnet hatte) aus der Kiste und präsentiert uns diese dann als alternativlose und letzte Möglichkeit. Thüringen dient dabei als Modellbaukasten. Am Ende des Jahres sind wir vielleicht schlauer. Immer aber (leider ist es so!) hat die alte Katze ihre Karten im Spiel. Wir sind die noch längst nicht los!! Totgesagte...

gabriele bondzio | Mi., 19. Februar 2020 - 09:34

Zwölf Staatssekretäre der rot-rot-grünen Vorgängerregierung Ramelow führen die Geschäfte. Wenn Ramalow von einer Staatskrise spricht, vertraut er wohl seinen eignen Personal nicht? Das er schnell wider MP werden will ist ja bekannt.
Prof. Dr. Pestalozza (Staatsrechtler) sieht keine Anzeichen einer „drohenden Staatskrise“ in dem Freistaat. Bemängelt allerdings das unprofessionelle Handeln aller Beteiligten. Ruf nach Neuwahlen ist in seinen Augen Bequemlichkeit. Als Bürger kann man aber recht gut sehen, es geht vorwiegend um parteiliche Machtpositionen, der Bürger ist dabei Nebensache.

Hans Schäfer | Mi., 19. Februar 2020 - 11:51

Antwort auf von gabriele bondzio

Wem sagen Sie das. Der Bürger ist nur Stimmvieh. Er darf seine Stimme abgeben. Gedeutet wird die Stimme zur Erhaltung der Macht von anderen. Und, keiner traut sich dagegen vorzugehen. Die Wenigen, die es denoch wagen, müssen mit Repressalien rechnen, bishin zu Rufmord

Heidemarie Heim | Mi., 19. Februar 2020 - 13:25

Tun in Thüringen jetzt genau das wofür ihr Status sie bestimmt. Polizei und Justiz arbeiten nach Recht und Gesetz doch auch weiter, sollte der Minister wegen Krankheit oder Abwesenheit seiner Weisungsbefugnis gerade nicht nachkommen können. Beamte wie auch Angestellte des öffentlichen Dienstes "dienen" aufgrund ihres
Eides und halten somit die öffentliche Ordnung aufrecht, egal was sich politisch gerade tut.
Der auch im hiesigen Ausnahmefall sehr aussagekräftige Alarmismus der alten Chefs, das "ohne sie" gar nichts geht oder gehen darf!, spricht für sich und das Vertrauen, das diese in ihre eigene Verwaltung und deren Personal setzen! Das die sogenannten politisch besetzten Akteure momentan nicht amused sind ist zwar nachvollziehbar, aber jedem Arbeitnehmer bei einem Unternehmen dessen Management Mist baut und die Entlassung droht, ergeht es ebenso. Er erfüllt seine Aufgabe meist auch bis zum Ende der Hängepartie oder dem Insolvenzverfahren. MfG

Romuald Veselic | Mi., 19. Februar 2020 - 15:46

D-Bund-Systems.
Anderswo, wie in Spanien, würde die Verwaltung durch Zentralregierung übernommen, und per Dekret das System weiter zu steuern.
Ich glaube, diese Patt-Situation wird öfter vorkommen, denn die Polit-Mitte, sich nicht von politischen Rändern erpressen ließ. Man kann zwar eine Minderheitsregierung zwangsläufig aufstellen, aber bei nächster Abstimmung, wieder zum Fall bringen.