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Die Kuppel des deutschen Bundestages / picture alliance

Wahlrechtsreform - Von Fröschen und Ästen

Der wachsende Bundestag und die Reform des Wahlrechts sind Gegenstand einer zentralen Debatte. Jan Söffing macht deutlich, dass eine Reduzierung der Abgeordnetenzahl sinnvoll ist, die Umsetzung und Wege dahin sich aber als deutlich komplexer darstellen, als oftmals dargestellt.

Jan Söffing

Autoreninfo

Jan Söffing ist Jurist und stellvertretender Vorsitzender des FDP-Bezirksvorstandes Düsseldorf. Als Landtagsvizepräsident a.D. ist er zudem Mitglied im FDP-Landesvorstand NRW.

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Mit großem Interesse verfolge ich die seit langem laufende Diskussion um die Verkleinerung des deutschen Bundestags. Vieles erinnert mich an meine Zeit als Vizepräsident des nordrhein-westfälischen Landtags in der 13. Legislaturperiode (2000-2005). Das Parlament und die Parlamentarier unmittelbar betreffende, herausragende Reformen betrafen seinerzeit die Reduzierung des Landtags von 201 auf 181 Sitze und die Diätenreform. Meine damals gemachten Erfahrungen zeigen, dass es nicht nur auf das angestrebte Ziel sondern auch auf den Weg dorthin ankommt.

Man könnte boshaft formulieren, um bei dem Bild von den Fröschen und dem Sumpf zu bleiben, kleine Frösche können nur kleine Sprünge machen. Dies entspräche aber allenfalls dem so beliebten Politiker-Bashing. Das eigentliche Problem zeigt besser das Bild mit dem Ast auf dem man sitzt und an dem man sägt. Es ist die eigene unmittelbare Betroffenheit der Entscheidungsträger; eine zutiefst menschliche Regung, von der sich kaum einer frei machen kann. Mit diesem Phänomen hatten wir uns bei unserer oben angesprochenen Diätenreform natürlich auch auseinanderzusetzen.

Parlamentarische Baustellen

Es wurde allen Abgeordneten ziemlich schnell klar, dass den erhöhten Diäten insbesondere bei den Älteren erhebliche Einbußen bei der Altersversorgung gegenüberstanden. Da die zur Entscheidung berufenen Abgeordneten natürlich ganz überwiegend zumindest auch in der nächsten Legislaturperiode wieder dabei sein wollten, war zunächst die Neigung gering, der Reform zuzustimmen.

Dies änderte sich erst, als die Möglichkeit eingeräumt wurde, gerade bei dem wichtigen Thema Altersversorgung zunächst weiterhin für das alte System zu optieren; die Verpflichtung, über das Versorgungswerk die Altersabsicherung vorzunehmen betraf zwingend nur die nach der nächsten Wahl neu eintretenden Abgeordneten. Eine unmittelbare Betroffenheit konnte damit zumindest vermieden und das Gesetz einstimmig verabschiedet werden. Was heißt das nun für die anstehende Wahlrechtsreform des Bundestages?

Eine zwangsläufig erforderliche, die Abgeordneten unmittelbar betreffende Reduzierung der Wahlkreise muss zwar in dieser Wahlperiode beschlossen werden, tritt aber erst zur übernächsten Wahlperiode in Kraft. Eine weitere parlamentarische „Baustelle“ sollte in diesem Kontext auch gleich mit behoben werden. Die Legislaturperiode wird ab der nächsten Wahl auf 5 Jahre verlängert. Eine effiziente parlamentarische Arbeit erfordert dringend eine Verlängerung der Legislaturperiode von 4 auf 5 Jahre wie es in den meisten Landesparlamenten der Fall ist. Dies hätte auch noch den positiven Nebeneffekt, dass eine mögliche unmittelbare Betroffenheit in noch etwas weitere Ferne rückt.

Weltfremde Argumentationen

Nun noch eine Anmerkung zum Ziel der Wahlrechtsreform, der Verkleinerung des Parlaments. Das immer wieder gebrachte Argument, eine Reduzierung der Wahlkreise würde zu einer zu großen räumlichen Distanz zwischen Bürger und Abgeordneten führen wird durch stete Wiederholung nicht besser; es ist schlicht weltfremd und zeugt vom Unwissen politischer Abläufe. Unterhalb der Bundesebene haben wir (zehn-)tausende von Mandatsträgern in Kommunen, Kreistagen, Landschaftsversammlungen, Regionalräten und Landtagen, die einen steten Fluss von Informationen und Wünschen der Bürgern bis hin zu Bundesebene garantieren.

Die Parteien sind über Kreis- Bezirks- und Landesverbände eng mit den jeweiligen Bundesparteien und deren Abgeordneten verbunden. Die Länder wirken über den Bundesrat an der Gesetzgebung mit. Von einem Mangel an demokratischer Legitimation von Entscheidungsprozessen auf der Bundesebene kann man nun wirklich nicht sprechen. Auf die Frage, welches nun die richtige Zahl er Wahlkreise ist, gibt es in der laufenden Diskussion zahlreiche Antworten. Dass Parlamentarier durchaus in der Lage sind, am eigenen Ast zu sägen, zeigt das oben angeführte Beispiel aus NRW.

Das Maß aller Dinge: § 1 Abs.1 Bundeswahlgesetz

Der damalige Sprung von 151 Wahlkreisen auf 128 Wahlkreise war zugegebenermaßen (wegen der unmittelbaren Betroffenheit) nicht sehr groß; die von mir aufgezeigte zeitliche Distanz würde bei der anstehenden Reform auf Bundesebene aber hoffen lassen. Ob die vorgeschlagene Reduzierung auf 200 Wahlkreise aber gelingen kann, erscheint mir mehr als zweifelhaft. Das Maß aller Dinge sollten die in § 1 Abs.1 Bundeswahlgesetz festgelegten 598 Bundestagsabgeordnetensitze sein. Diese könnten sich wie folgt verteilen: 249 Wahlkreise und 349 Listenplätze/keine Überhang- und Ausgleichsmandate.

Eine solche Reduzierung müsste auch für derzeit noch größere Parteien tragbar sein und auch diejenigen Parteien, die traditionell keine oder kaum Direktmandate erzielen, erhalten über die erhöhte Zahl an Listenplätzen die erforderliche Bedeutung im Parlament. Da Ausgleichs-/Überhangmandate nicht vorgesehen sind, kann die Zahl von 598 Abgeordneten nicht überschritten werden. Da das Grundgesetz ein Verhältniswahlrecht nicht zwingend vorschreibt, ist auch der Verzicht auf Ausgleichs-und Überhangmandate verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Bei aller leidenschaftlichen Diskussion kann man den Abgeordneten mit Goethe nur zurufen: „Entscheidet lieber ungefähr richtig als genau falsch!“ …und falsch wäre es, auf Dauer alles beim Alten zu belassen!

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Hans Jürgen Wienroth | Fr., 7. Februar 2020 - 16:25

Wozu brauchen wir in dieser „besten Demokratie aller Zeiten“ noch Wahlen? Wir dürfen doch ohnehin nur das Wählen, was Frau Merkel liebt ist. Verfassungen, Gesetze und so anderes überflüssiges Zeug brauchen wir nicht. Hält sich doch ohnehin niemand dran. Das ganze Geld, das der Bundestag kostet, können wir sparen. Politik wird vom Kabinett in Merkels Hinterzimmer gemacht.
Hoffentlich lebt die ewige Kanzlerin noch lange, sonst fehlt uns die Führung.

Tomas Poth | Fr., 7. Februar 2020 - 16:57

Eher geht wohl ein Kamel durchs Nadelöhr als dass die Parteien und mit ihr der Bundestag ihre Pfründe beschneiden.
Es gibt eine einzige Partei die dazu bereit wäre, ein Grund mehr dass sie so gehasst wird.
Klar ist es die unmittelbare Betroffenheit, zumal viele der Abgeordneten außer Parteiarbeit keinen "ordentlichen" Beruf erlernt haben. Sie fallen dann in das Nichts.
Trotzdem muß der Schnitt, auch bei den Länderparlamenten wie hier im Beispiel, gemacht werden andernfalls die Kosten für nicht produktive Arbeit ausufern.
Hier sollte eine Umschulung für Parlamentarier mit der Verkleinerung der Parlamente angeboten werden, um in den Mangelberufen die Situation zu verbessern, win-win also.
Gleichzeitig sollte das Angebot der Studienplätze im Bereich Politologie und Soziologie reduziert werden. Der Einstieg in die Politik sollte auch immer mit einem Beruf im Hintergrund als Präferenz gesetzt werden.
Wer aus der Praxis kommt kann auch etwas für die Praxis tun, nochmals win-win.

Heidemarie Heim | Fr., 7. Februar 2020 - 17:46

Ihre Vorschläge in allen Ehren werter Herr Söffing! Jedoch angesichts der neuen Konkurrenz von rächts und rot-grün, die die ehemals großen Parteien sozusagen ohnehin halbiert haben, glaube ich nicht an eine hohe Bereitwilligkeit für Laubsäge-Arbeiten am Geäst der eigenen Partei;-). Was glauben Sie was heute los wäre, sollten die Platzhirsche im Parlament Beschlüsse für ihre studierten Nachfolge-Karrieristen aus eigenen Jugendverbänden tätigen? Und seien Sie mir nicht böse, aber angesichts der Politik der letzten Amtsperioden plädiere ich persönlich nicht mehr für eine Verlängerung. Schon eher für die in anderen Demokratien übliche Amtszeitbegrenzung, die zugleich die hohe Klebekraft der Inhaber und ihrer Parteien an der Macht zumindest etwas vermindern würde. Auch der Wähler bekäme dann vielleicht wieder das was er gewählt hat und keine Politik(er*innen) in Dauerschleife statt 12 dann 15 Jahre! Was mich an den längsten Thronfolger aller Zeiten Prinz Charles denken lässt;-) MfG

Andreas Oltmann | Fr., 7. Februar 2020 - 19:30

Vielen Dank, jetzt habe ich gelernt, warum man sich um ein Mandat bemüht-wegen der Altersversorgung.
Ich war immer so naiv zu glauben, es ginge um politische Ziele...
Schade, dass keiner fordert, die Amtszeit des Bundeskanzlers auf 2 Perioden zu begrenzen, wie das in vielen Demokratien der Fall ist. Das hääte uns den Stillstand unter Kohl und Merkel erspart !

Ingrid Dietz | Sa., 8. Februar 2020 - 17:19

Antwort auf von Andreas Oltmann

ist längst überfällig !

Aber: es ist so sicher wie das Amen in der Kirche, dass die sogen. Altparteien bzw. die Parteien der GroKo dies nicht angehen !

Genauso wenig haben die Altparteien ein Interesse daran, dass Parlament zu verkleinern !
Es geht schließlich um Pöstchen, monatliche Alimentation und vor allen Dingen um fürstlichen Pensionen - incl. verschiedene lukrative Aufsichtsratsmandate !

Vertrauen in die Politik ist mir schon vor Jahren abhanden gekommen !

Rob Schuberth | Fr., 7. Februar 2020 - 20:13

Ich stimme dem Autor inhaltlich weitestgehend zu.

Schade nur, dass er keinen Weg aufzeigt den die Parlamentarier gehen sollten, um die in § 1 Abs. 1 Bundeswahlgesetz festgelegten 598 Sitze als Obergrenze zu akzeptieren.
Denn genau das halte ich für die einzige Option den BT in seinem Ausmaß endlich wieder zu stutzen.

Es ist m. E. schlicht eine dreiste Form der Selbstbedienung unserer Parlamentarier, wie sie FÜR SICH Überhang- u. Ausgleichsmandate "erdacht" haben.

Vllt würde eine Petition der Bürger ja helfen.

Ulrich Jarzina | Fr., 7. Februar 2020 - 21:49

Dieser Vorschlag zeigt einmal mehr, dass sich das politische Gleichgewicht in unserem Land zu sehr in Richtung Parteien verschoben hat. Die Parteien sollten bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken (Art. 21 GG). Momentan scheinen sie diese jedoch zu Lasten des Volkes zu dominieren, wie wir gerade in Erfurt sehen können.

In einer solchen Situation ist ein Vorschlag mit 1/3 mehr Listenplätzen gegenüber den Direktmandaten einfach nur grotesk.
Der Satz "auch diejenigen Parteien, die traditionell keine oder kaum Direktmandate erzielen, erhalten über die erhöhte Zahl an Listenplätzen die erforderliche Bedeutung im Parlament" ist entlarvend. Wenn die Erhaltung der Bedeutung der Parteien (und die Bezüge der Abgeordneten) die Hauptanliegen sind, läuft etwas grundlegend falsch.
Daher bin ich für eine 50:50 (bzw. 299 : 299) Regelung, was die Sitzverteilung betrifft. Alternativ kann die Zweitstimme auch gerne gänzlich gestrichen werden.
Alles andere wäre nur eine Scheinreform.

Josef Olbrich | Fr., 7. Februar 2020 - 22:51

Da das GG ein Verhältniswahlrecht nicht zwingend vorschreibt, hier ein Vorschlag: Wir haben 299 Wahlkreise, diese werden nicht angetastet, um Unruhe zu vermeiden. Die erste Stimme gehört weiterhin dem Kandidaten – Direktwahl. Der, der die zweitbeste Stimmzahl auf sich vereinigen konnte, gilt ebenfalls als direkt gewählter Kandidat. Das verlangt von den Parteien, dass sie Bürger aufstellen müssen, die sich ihr Vertrauen bei den Wählern erarbeiten. Damit ist jegliche Kungelei in Hinterzimmern ausgeschlossen. Der Wähler hat die Wahl, und so glaube ich, ist der Demokratie am besten geholfen und das Parlament kann nicht mehr aufgebläht werden.

Heidemarie Heim | Sa., 8. Februar 2020 - 12:19

Antwort auf von Josef Olbrich

Aber ich werde wohl einer Ihrer wenigen Fans sein werter Herr Olbrich,zumindest aus der Sicht Berlins! Wann und was geht bei uns bitte schön denn EINFACH? Schon Ihre transparente Erklärung bezüglich eines solchen Wahlrechts lässt jedem unserer Amtssprache mächtigen alle Haare zu Berge stehen! Das alleine sagt mir mein Gefühl,denn meine politische Bildung ist zugegebener weise nicht so umfassend um eine Machbarkeit Ihres sehr ansprechenden Plans weitergehend zu beurteilen.
Allerdings bin ich wie gesagt nicht so naiv , wie lange bemüht sich Herr Schäuble schon darum?, anzunehmen, das jedweder Plan zur Autsch! Selbstbeschneidung bei unseren Parlamentariern Anklang findet. Alles Gute! MfG

Susanne Dorn | Sa., 8. Februar 2020 - 10:28

...so denke ich, wird auch dieses Problem von alleine lösen. Diese Politikerkaste wird qualitativ nicht in der Lage sein, einen so gewaltigen Zusammenbruch noch in irgend einer Weise zu beeinflussen und zu steuern. Dazu ist es bereits zu spät. Gegensteuern hätte vor Jahren erfolgen müssen.

Um den dann noch übrig gebliebenen MANGEL an Allem zu verwalten, ist nur noch eine Handvoll Personal notwendig, denn der Souverän wird an seine Eigenverantwortung erinnert werden und dementsprechend agieren. Die finanziellen Mittel für satte Diäten und Pensionen werden fehlen. Sie wurden bereits heute „verfrühstückt.“

Es könnte ja sein, dass wir so, sehr elegant, unsere „Traumeliten“ im Bundestag und der Politik generell los werden. Die Angst, zur Rechenschaft gezogen zu werden, sitzt ihnen im Nacken.

Frank Dubber | Sa., 8. Februar 2020 - 17:13

Verlängerung der Legislaturperiode

Hier widerstreiten m.E. zwei Intentionen: effiziente Regierungsarbeit vs. Gelegenheit zur demokratischen Wahl. Insofern wäre eine Verlängerung der Legislaturperiode nur akzeptabel bei gleichzeitiger Stärkung der Elemente direkter Demokratie auf Bundesebene. Damit erhielte der Bürger wieder häufiger Gelegenheit zur politischen Korrektur.

Bernhard Weber | So., 9. Februar 2020 - 23:11

Seit 30 Jahren bin ich Bundesbürger und seit über 30 Jahren wird über die Vereinfachung des Steuerrechts gesprochen. Nichts ist aber passiert!
Genauso wird es dem Bestreben, die Anzahl der Bundestagsabgeordneten zu verringern, ergehen.
Einfacher ist es, die Anzahl der Sitzplätze im Plenarsaal zu erhöhen oder diesen (baulich !!) zu vergrößern.