28.05.2019, Berlin: Eine Demonstrantin zeigt ein Schild mit der Aufschrift "Fahrverbote für Autos, nicht für Fahrräder" auf der Oberbaumbrücke. Wegen Bauarbeiten ist eine Fahrbahn der Brücke gesperrt. Radfahrer werden aufgefordert, abzusteigen und das Fahrrad über den Gehweg zu schieben. Gegen die angeordnete Absteigepflicht und den Autoverkehr wird nun demonstriert.
Grüne Verkehrswende oder taktische Verbotspolitik? / picture alliance

Berliner Verkehrspolitik - Der Verbrennungsmotor als Sündenbock

Ab 2030 sollen Berliner nur noch mit E-Autos und Autos mit Hybridmotor in der Innenstadt fahren dürfen. Mit dieser Forderung umgarnt die grüne Verkehrssenatorin Regine Günther ihre Klientel. Ihr Vorstoß lenkt von den Versäumnissen ihrer eigenen Politik ab

Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Dass Politiker mitunter mit – gelinde gesagt – skurrilen Vorschlägen vorpreschen, ist nicht ungewöhnlich. Manchmal handelt es sich schlicht um Profilierungsdrang. Doch bei Regine Günther kann man durchaus von einer kalkulierten Provokation ausgehen, als sie mit einer Vorlage in die Öffentlichkeit ging, laut der die gesamte Innenstadt innerhalb des S-Bahn-Rings ab 2030 zur Verbotszone für alle Autos mit Verbrennungsmotoren werden soll. 

Günthers Politik war von vornherein auf die Zurückdrängung des motorisierten Individualverkehrs besonders in der Innenstadt ausgerichtet. Im Dezember 2016 rotierte die politische Quereinsteigerin aus der Chefetage der Umweltorganisation WWF auf dem Ticket der Grünen in den neuen rot-rot-grünen Senat. Dort leitet sie das in der Hauptstadt besonders wichtige Ressort für Umwelt, Verkehr und die Klimaschutz, was sich für die Grünen zu einer Art identitätsstiftenden Bollwerk entwickelt hat. 

Die Parkplatzsuche wird zum Überlebenskampf

Für ein Umsteuern in der über Jahrzehnte auf das Auto fixierten Verkehrspolitik gibt es durchaus viele vernünftige Gründe. In der wachsenden, zunehmend verdichteten Stadt ist der ausufernde PKW- und Lieferverkehr längst kein Mobilitätsmotor mehr, sondern ein Hemmschuh für die ökologische und infrastrukturelle Entwicklung der Stadt.

Und dabei geht es nicht nur um Feinstaub und CO2, sondern auch um Kapazitätsgrenzen. Private PKW stehen im Schnitt 23 Stunden pro Tag auf öffentlichem Straßenland, die Parkplatzsuche wird zum ständigen Überlebenskampf, auf der einst als Meilenstein gepriesenen Stadtautobahn und auf vielen Hauptstraßen grüßt täglich das Stau-Murmeltier.Die Alternativen sind bekannt und in vielen europäischen Städten längst erfolgreich etabliert.

Verkehrsbetriebe kämpfen mit maroden Fuhrparks 

An erster Stelle wäre der massive, bedarfsgerechte Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) zu nennen, also U-Bahn, S-Bahn, Bus und Straßenbahn, ergänzt durch flexible Shuttle-Systeme und Car-Sharing-Angebote. Doch genau dabei hakt es in Berlin gewaltig. Die Verkehrsbetriebe kämpfen nach jahrelanger „Sparpolitik“ mit maroden Fuhrparks und fehlenden Kapazitäten, schnelle Abhilfe ist nicht in Sicht. Ausbaupläne verschimmeln in endlosen Planungsschleifen, wenn sie denn überhaupt über das Blaupausen-Stadium hinauskommen. Nennenswerte Fortschritte hat die Senatorin in diesen Fragen auch drei Jahre nach ihrem Amtsantritt nicht vorzuweisen.

Und selbst beim eigentlichen grünen Steckenpferd, dem Ausbau der Fahrradinfrastruktur, geht es kaum voran. Zwar wächst der Anteil der Fahrradfahrer im alltäglichen Verkehr wie gewünscht kontinuierlich, aber deren massive Gefährdung durch Nutzungskonflikte etwa an Kreuzungen  nimmt ebenfalls zu, wobei die jeweilige „Schuldfrage“ eher nebensächlich ist. Es mangelt einfach an sicheren, möglichst kreuzungsfreien Trassen für den Fahrradverkehr.

Ist der Verbrennungsmotor die Wurzel allen Übels? 

Vor diesem Hintergrund des umfassenden Versagens in der Verkehrspolitik hat der Vorstoß der grünen Senatorin etwas recht Perfides an sich. Wohlfeil wird der böse Verbrennungsmotor zur Wurzel allen Übels erklärt, was angesichts der alles dominierenden Klima-Debatte diffuse Grundstimmungen der eigenen Klientel gefühlig bedient.

Als Bonbon wird der oftmals gut situierten Anhängerschaft auch noch das E-Auto als restriktionsbefreite Ausweichmöglichkeit offeriert, obwohl bei einem – nicht zu erwartenden – massenhaften Umstieg auf E-Autos die meisten Probleme des innerstädtischen Individualverkehrs fortgeschrieben würden und abgesehen von den Abgasen auch die ökologische Wertigkeit dieses PKW-Typs zumindest zweifelhaft ist. Von den eigentlichen Aufgaben einer zukunftsträchtigen Verkehrspolitik lenkt Günthers Verbrennungsmotor-Bashing jedenfalls trefflich ab.

Die CDU, die Partei des „Schweinenackensteaks“

Doch sie könnte damit sogar durchkommen. Zum einen ist die Opposition gegen den rot-rot-grünen Berliner Senat bemerkenswert schwach. Zu Günthers Attacke fallen CDU, FDP und AfD  wenig mehr als archaisch anmutende Beschwörungen der „individuellen Freiheit“ des Autofahrers ein. Ein Politikkonzept, dass selbst der frühere Hamburger CDU-Bürgermeister Ole von Beust, der die schwächelnden Berliner Parteifreunde jetzt für den nächsten Wahlkampf in Sachen urbaner Großstadtpolitik beraten soll, für wenig erfolgsträchtig hält.

Er bescheinigt der Hauptstadt-CDU „eine Programmatik, die in den 80er Jahren hängen geblieben ist“, was der Wirklichkeit der Stadt nicht mehr gerecht werde. Als „Partei des Verbrennungsmotors, des Schweinenackensteaks und des Arbeitens bis zum Umfallen“ könne man in den großstädtischen Milieus keinen Blumentopf mehr gewinnen.

Die Suche der Berliner SPD nach ihrem Markenkern

Auch innerhalb der rot-rot-grünen Koalition sorgte Günthers Vorstoß für einigen Unmut, sowohl bei der SPD als auch bei der Linken. Denn die Koalitionspartner müssen wenigstens teilweise auch andere Klientele bedienen, als die postmodernen Grünen. Doch zum großen Krach wird es wegen der „Verbrennerfrage“ nicht kommen. Längst sind die drei Akteure damit beschäftigt, ihre Claims für die nächsten Wahlen im Herbst 2021 abzustecken.

Alle – auch die Opposition – gehen davon aus, dass es danach eine Neuauflage von Rot-Rot-Grün geben, mit wahrscheinlich deutlich veränderten Kräfteverhältnissen. Die Grünen wollen mit Verkehr, Umwelt und Genderthemen punkten, die Linke auch ein bisschen, aber vor allem mit dem Mietendeckel, und die SPD ist noch auf der verzweifelten Suche nach einem Berliner „Markenkern“. Vor dem Hintergrund dieser parteipolitischen und machttaktischen Großwetterlage kann man wohl kaum eine ernsthafte, sachorientierte Auseinandersetzung über eine zukunftsorientierte Verkehrspolitik und deren Umsetzung erwarten.  

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Stefan Jurisch | Do., 30. Januar 2020 - 08:00

mehr eine sachorientierte Art der Politik. Alles nur noch wahlorientierter, infantiler Unfug.

Karsten Paulsen | Do., 30. Januar 2020 - 10:43

Als „Partei des Verbrennungsmotors, des Schweinenackensteaks und des Arbeitens bis zum Umfallen“ könne man in den großstädtischen Milieus keinen Blumentopf mehr gewinnen.

Das habe ich schon immer vermutet, besonders das mit der Arbeit.

Hans Jürgen Wienroth | Do., 30. Januar 2020 - 11:09

Die Forderung nach autofreien Innenstädten ist nicht nur in Berlin sehr beliebt. Auch Hannover (und auch andere Städte) hat einen grünen Bürgermeister mit dieser Idee. Das Problem wird der Ausbau des ÖPNV sein. Planung, Finanzierung und Genehmigung neuer Strecken, die Beschaffung neuer Fahrzeuge (die haben Lieferzeiten!) und fehlendes Personal sind Schwerpunkte, also genau die Probleme von heute.
Für die E-Mobilität muss neben der Verfügbarkeit von genügend Strom auch die Infrastruktur (Leitungen, Ladesäulen etc.) entstehen. Probleme siehe oben.
Fangen wir doch einmal mit Windkraftanlagen in den großen Stadtparks an!
Gilt die Autofreiheit dann auch für Städter wird es eng für diese Ideen, insbesondere wenn die Berliner dafür nicht auf den Bundesausgleich hoffen können, sondern selbst finanzieren müssen.

Ernst-Günther Konrad | Do., 30. Januar 2020 - 12:14

Die Berliner wählen solche Menschen und schwärmen gerne mit diesen von einer ruhigen, autofreien, CO² freien Innenstadt. Sollen sie doch machen. Natürlich haben sie recht Herr B. Verbrenner mit Elktro ersetzen, mindert nicht den Verkehr, schaftt nicht mehr Abstellplätze, wird der Radfaher eben von einem Elektroauto platt gefahren, aber die Hauptsache ist, wir haben schon mal was gefordert. Wie es konkret geht, wer das bezahlt, welche Vor- und Nachteile wird nicht diskutiert. Und die Opposition versagt auch diesmal wieder. Alle meckern irgendwie, wollen aber kein Konzept erarbeiten, wie es in den nächsten 20-30 Jahren dort machbar aussehen soll. Ja, auch denen fehlt das Fachpersonal für städtebauliche Entwicklung. Das eint sie mit der RRG-Regierung. Berlin ist für mich weit weg. Sollen die dort machen was sie wollen. Nur eines sollten wir verhindern, das weiterhin Geld aus den anderen Ländern Berliner Grünen die Traumwelt finanziert. Der BER reicht schon. Nicht noch ein solches Projekt.

Norbert Heyer | Do., 30. Januar 2020 - 14:32

Eine Hauptstadt am finanziellen Tropf der besser wirtschaftenden Ländern. Warum groß anstrengen, wenn die benötigte Kohle auch so kommt? Nicht der Verbrennungsmotor trägt die Schuld am Verkehrschaos, sondern unterlassene Infrastrukturmaßnahmen in den vergangenen Jahrzehnten. Wir im Ruhrgebiet fahren auch bei jeder Gelegenheit mit dem ÖPNV in die Innenstädte, wo Autofahrer jederzeit vermittelt bekommen, wie ungern sie gesehen werden. Rotphasen bis zum Abwinken, teure Parkhäuser, Politessen zu jeder Tageszeit, Schikanen auf der Straße und Schrittempo, willkürlich verursacht. Aber die Quittung kommt: Immer mehr kaufen im Internet, die bestellten Artikel werden geliefert - und das Angebot ist größer und günstiger als in den überfüllten Städten. Das ist nicht nur die Zukunft in Berlin, sondern in allen Städten Deutschlands zu erwarten. Einkaufszentren sind nicht billiger als die Innenstädte, aber sie haben ein Herz für Liebhaber des Verbrennermotors - kostenlose Parkplätze für den Kunden.

Joachim Brunner | Do., 30. Januar 2020 - 16:08

Woher rührt eigentlich der ewige, immer wieder neu aufgelegte Hass auf bestimmte Antriebstechniken und Verkehrsmittel? Man möchte einfach nicht rational sehen, welch enorme soziale Errungenschaft der Individualverkehr darstellt. Schon gar nicht verstanden oder gar anerkannt wird die intellektuelle Leistung die in Verbrennungsmotoren und Automobilen steckt. Stattdessen werden Probleme die oft längst gelöst sind immer und immer wieder verzerrt und aufgebauscht.
"Links" zu sein hatte in der Vergangenheit meist
den Anspruch auf Fortschritt , daraus ist nun bei vielen eine widerliche, bevormundende und arrogante Maschinenstürmer-Ideologie der Postmoderne geworden. Die SPD müsste dem eigentlich gegensteuern... leider bisher Fehlanzeige!

Eckhard Lüth | Do., 30. Januar 2020 - 18:13

Schade, dass man R2G nicht zwingen kann, dass Gesetz dann auch anzuwenden, auch wenn das E-Auto/E-LKW bis 2030 nicht massetauglich sein sollte.Die Autobesitzer im RIngbereich werden dann knallhart enteignet oder müssen Auto vor der Stadt abstellen und die LKW-Frachten für Supermärkte werden auf Lastenfahrräder umgeladen. Auch für Handwerksbetriebe wird es lustig.Wird leider nicht so kommen, weil spätestens ab 2027 zurückgerudert wird.

dieter schimanek | Do., 30. Januar 2020 - 19:38

....wohnte ich 2 J. in Berlin. Das ist natürlich lange her aber ich hatte während dieser Zeit kein Auto und brauchte auch keines. Der ÖPNV war sehr gut, wie das heute ist, kann ich nicht beurteilen. Bei einem guten Nahverkehr kann ich mir autofreie Innenstädte gut vorstellen. Für das Umland Park & Ride am Stadtrand mit guter Verkehrsanbindung. Die Voraussetzungen müssen stimmen, bevor man alles verbietet. Es macht doch heute schon keinen Spaß mehr von Ampel zu Ampel zu zockeln um hinterher keinen Parkplatz zu finden oder Abgezockt zu werden. Bei gutem Wetter fahre ich vom Stadtrand aus mit dem E - Bike in die Stadt. 25 min. und bis vor die gewünschte Hausnummer, natürlich auf dem Radweg.