August Diehl als Widerstandsheld Franz Jägerstätter
Wann schlägt Stolz in Hochmut um? August Diehl als Franz Jägerstätter / Pandorafilm

Filmstart: „Ein verborgenes Leben“  - Freiheit verlangt Opfer

Der amerikanische Regisseur Terrence Malick verfilmte die Geschichte des Franz Jägerstätter. Der Bauer aus Österreich bezahlte seinen Widerstand gegen die Nationalsozialisten mit dem Leben. Entstanden ist wuchtiger, wichtiger, ein allgemeingültiger Film. „Ein verborgenes Leben“ ist ein Meisterwerk

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Es ist doch nur ein Satz. Oder eine Unterschrift. Und alles wäre gut. Franz aber ist ein Dickkopf. Da hat der sanfte Herr, der ihm das Schriftstück hinhält, schon Recht. Der Bauer aus Tirol mochte einen ganz bestimmten Satz nicht aussprechen, den soldatischen Treueeid auf Hitler. Nun will er auch nicht unterschreiben, nicht Abbitte leisten auf Papier, sich nicht einreihen bei den Kameraden.

Man ist versucht zu sagen: Ums Verrecken nicht. Wenig später nämlich ist Franz Jägerstätter tot, geköpft von den Nationalsozialisten wegen „Wehrkraftzersetzung“. Das war im Sommer des Jahres 1943. Der amerikanische Filmregisseur Terrence Malick verfilmte die bekannte, aber nicht eben populäre Lebensgeschichte eines Unbeugsamen.

Wer sagt uns, was Gott will? 

Die Fragen, die Malick aufwirft, entstehen organisch aus dem historischen Kontext und überschreiten ihn: Wann schlägt Stolz in Hochmut um? Darf man aus übergeordneten Gründen für eine Sache kämpfen, die man innerlich ablehnt? Führt Moral sicher durch einen Alltag, den die Unmoral beherrscht? Darf man Menschen mehr gehorchen als Gott? Wer sagt uns, was Gott will? Vor allem aber: Zählt das, was dich am Leben hält, mehr als dieses Leben selbst? Darfst du den Preis deines Opfers anderen auferlegen? Franz Jägerstätter wurde 2007 von Papst Benedikt XVI. seliggesprochen.

Außergewöhnlich an „Ein verborgenes Leben“ ist das Meiste. Die Dauer von fast drei Stunden zählt in einer Ära der Überlängen nicht dazu. Gedreht wurde 2016, nun gelangt der Film in die Kinos. Bruno Ganz und Michael Nyqvist weilen nicht mehr unter uns; sie sind hier noch einmal zu sehen, Ganz freilich mit der Synchronstimme Rüdiger Voglers. Fast alle Schauspieler sind deutsche Muttersprachler, die fast immer vor der Kamera auf Englisch agierten und sich dann für die deutsche Fassung zurückübersetzten. Das gibt den Dialogen einen merkwürdigen Stich ins Irreale, Vage, Überzeitliche. Als handelte es sich um einen Stummfilm, dessen Originaltexte nachträglich eingesprochen wurden.

Eine Frage von Nähe und Entfernung 

Gewiss außergewöhnlich ist die über Felder, Wiesen, Bergen flirrende, sich in Burgen, Gefängnissen, Straßenecken hinwegduckende Kamera Jörg Widmers. Dass alles Menschliche eine Frage ist von Nähe und Entfernung: Widmer zeigt es. Zur Parabel wird die Biografie, weil die Kamera Anwalt ist des einzelnen und weil auf der Tonspur zwischen Bach, Pärt und Schnittke das christliche Abendland zu sich kommt. Franz Jägerstätter war überzeugter Katholik.

Für ihn war die Frage nach persönlicher Gerechtigkeit derart fundamental, dass unsere verzagte Gegenwart ihn ins Fach des Fundamentalisten schöbe. Um sich zu retten vor den Zumutungen, die solche Geradlinigkeit für uns bereithält. Sind die Kompromisse, die Jägerstätter selbst im Kleinen verweigerte, nicht das Material, aus dem wir unsere Großmoral zimmern?

Geschwindigkeit plus Überwachung gleich Diktatur 

Nicht minder außergewöhnlich ist die Perspektive, die Malick auf das Dritte Reich wirft. Es ist eine Herrschaft im Raum und über Räume. Nationalsozialisten errichteten ihre Stellungen in barocken Schlössern und vor Wandtapeten, auf Burgen, in Palästen. Überall hing das okkupierende Hakenkreuz an den Wänden, stolzierten Männer im Militärwichs auf und ab. Diktatur – man kann es nicht oft genug sagen – ist die Durchdringung des Raums, ist die Verwandlung öffentlicher Plätze in Exerzierfelder, die Verdrängung des Privaten.

Darum beginnt der Film mit Leni Riefenstahls Adolf Hitler, wie er im Wagen durch Nürnberg fährt und sich huldigen lässt. Geschwindigkeit plus Überwachung gleich Diktatur. Daran lässt der Film keinen Zweifel. Der Blick zum Horizont, den die Kamera oft sucht, ist weder ein metaphysischer Stoßseufzer noch Einkehr in die Beschaulichkeit. Des Himmels Botschaft lautet, dass alles Grenzen hat und seine Grenze findet. „Ich hab‘ Kraft“, sagt Jägerstätter einmal, „weil ich mich erinnern kann.“

Die Freiheit zum Tode 

Das kann kein Regime dieser Welt verstehen, am wenigsten vielleicht das nationalsozialistische, das auf Erinnerungsvernichtung trainiert war. Er müsse nur dieses Papier unterschreiben, sagt der Pflichtverteidiger im Gefängnis, dann käme er frei. Jägerstätter schaut auf, hält inne, erwidert gelöst, er sei doch frei. Und lächelt. Es ist eine Freiheit zum Tode, gewiss, aber eben auch die unverlierbare Freiheit des Menschen, der mit sich im Reinen ist, weil er lauter blieb.

Natürlich könnte man die Überidentifikation des Films mit Held und Heldin, dem Ehepaar Franz und Franziska Jägerstätter, kritisieren, das Pathos der Dramaturgie, den auf Effekte angelegten Schnitt. Doch Malicks Film ist ebenso ein Film über das Ehesakrament. August Diehl und Valerie Pachner, ein preußisch-österreichisches Duo, sind ideal besetzt in ihrer Mischung aus Burschikosität und Verwunderung, Verletzlichkeit und Kraft.

Unter der Regentschaft einer großen Lüge  

Leicht machen es sich hier nur die Tumben, die Sadisten, die prügeln, weil sie es dürfen. Selbst die Richter am Militärgerichtshof, Bruno Ganz voran, haben Skrupel. Jägerstätters junger Pflichtverteidiger kämpft redlich. Das nationalsozialistische Deutsche Reich ist hier kein Imperium der Bösen, sondern ein Staat unter der Regentschaft einer großen Lüge. Nur die Kühe und die Hühner und die Kälber und der Esel auf der Alm bleiben verschont; spätere Seminararbeiten werden die Spur des Esels durch die Einstellungen hindurch präzise nachzeichnen. Bis plötzlich die Kuh verschwunden ist und sich die Schwestern Franziska und Resi vergebens mühen, den Pflug über den Acker zu ziehen.

Draußen leben, Bauer sein, das heißt Arbeit, Arbeit, nochmals Arbeit. Freizeit gibt es weder als Begriff noch als Tat. Kaum je sieht man die Jägerstätters oder ihr Alpendorf, in dem sie beschimpft werden als „Verräter“, ohne Sense oder Korb, Leiter oder Flegel. Ein anstrengendes Leben führten sie, dessen Enge sehr eng sein konnte oder gerade deshalb den Blick öffnete in die Weite hinein. Tauschen möchte man nicht.

Wer aber am Ende, nach dieser Seelenexpedition von 174 Menschenminuten, nicht weint, der sollte einen Arzt seines Vertrauens aufsuchen. Und zwar dringend.

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Ludwig Römer | Mi., 29. Januar 2020 - 18:58

Ich kenne den Film nicht, aber als Oberösterreicher möchte ich festhalten:
Jägerstätter war ein Oberösterreicher aus St. Radegund im Innviertel, und das war und ist kein Tiroler "Alpendorf".
Er hat 1940 den Eid auf Hitler geschworen.
Am Ende wäre er bereit gewesen, Sanitätsdienst zu leisten.
Ich hoffe, der Film ist nicht allzu pathetisch oder gar kitschig.

Bernhard K. Kopp | Do., 30. Januar 2020 - 09:04

Antwort auf von Ludwig Römer

Mir ist auch ein Rätsel wie der Autor aus Franz Jägerstätter einen " Bauern aus Tirol " machen konnte, auch wenn dieser Irrtum weder Jägerstätter, noch der Seligsprechung durch Papst Benedikt, noch dem Film von Terrence Malick - und auch der Filmkritik des Autors substantiell etwas wegnimmt. Der Film " A Hidden Life " wurde letztes Jahr in Cannes zum ersten Mal gezeigt. Der Schauspieler Bruno Ganz war schon im Februar 2019 verstorben und dieser Film war möglicherweise der Letzte in dem er mitgewirkt hat.

herbert binder | Fr., 31. Januar 2020 - 01:49

Antwort auf von Ludwig Römer

Das, was Sie zum Schluß am liebsten ausgeschlossen wissen
möchten, lieber Herr Römer, ist bei Terrence Malick...nun ja.
Aber wie so oft, wohl auch nur eine Frage der Interpretation.
Ich habe mich diesem Regisseur erst später angenähert - mit
Gewinn. Geholfen haben mir u.a. zwei Publikationen. "Blick
und Welt: filmästhetische Konstruktionen beim frühen T.M.",
Jennifer Bleek (2009) und "Filmische Atmosphären im Werk
von T.M.", Leonie Lindstedt (2018). Im TV waren kürzlich die
beiden Filme "The New World" und "In der Glut des Südens"
zu sehen. Ein Meisterwerk ist für mich auch der frühe Film
"Badlands ", s. Betreff. Auf den neuen Malick bin ich natürlich
sehr gespannt - nicht zuletzt auch durch diese Rezension von
Herrn Kissler.

Tristan | Do., 30. Januar 2020 - 00:05

Ich bin sehr neugierig und habe Karten für morgen Abend im Delphi Lux gekauft.....

Die Bestände des kommunikativen Gedächtnisses vergehen leise und unmerklich. In aller Stille wird ein Gedächtniskapitel nach dem anderen geschlossen. Historisch bedeutsam wird das unmerkliche Absterben eines Gedächtnisabschnittes erst, wenn Erfahrungen betroffen sind, die dauerhaft sicherzustellen sind. Das ist auch der Fall bei den Verbrechen des Nationalsozialismus. Es wird die Generation aussterben, für die auch Hitlers Judenverfolgung und Judenvernichtung Gegenstand persönlicher traumatischer Erfahrung ist. Was heute zum Teil noch lebendige Erinnerung ist, wird morgen nur noch über Medien vermittelbar sein.

Wir benötigen von daher nicht nur Dokumente und Archive, sondern ebenso Medien zweiten Grades wie diesen Film. Ein kulturelles Gedächtnis als Kommunikationsform, für die Zirkulation kulturellen Sinns, eine Form der Repräsentation, als Sicherung und Kontinuität einer sozialen Identität.