Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender bei der Gedenkveranstaltung in Auschwitz
Fader Beigeschmack: Wem nutzt das ritualisierte Gedenken? / picture alliance

Holocaust-Gedenkveranstaltungen - Von der Unmöglichkeit des Erinnerns

Zum 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz nimmt das Erinnern kein Ende. Unser Gastautor ist selbst Jude. Ihn nervt die zur Schau gestellte Betroffenheit allmählich. Er fragt: Was bringt es, der Toten zu gedenken, wenn einem die lebenden Juden egal sind?

Autoreninfo

Sergey Lagodinsky ist Rechtsanwalt und Publizist russisch-jüdischer Herkunft. Seit der Europawahl 2019 sitzt er für die Grünen/EFA im EU-Parlament. 

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Wenn Juden das Volk des Buches sind, ist Deutschland dieser Tage das Volk der Worte. Bekenntnisse über Bekenntnisse, Rituale über Rituale. Die Kollektivübung scheint darin zu bestehen, das Unfassbare zu vermessen, das Unmögliche auszudrücken - weniger das Verbrechen, mehr die eigene Betroffenheit. Manches hat mit Schuld und Scham zu tun. Manches mit einer Pflichtübung. Und manches auch mit dem kollektiven, fast erotischen Verlangen, eine Beziehung zu der historischen Monstrosität aufzubauen.

Und so entstehen sie, die sich wiederholenden, sich in sich selbst erschöpfenden Sprachübungen, die eine Mischung aus politischer Pflicht und historischer Wolllust sind. Irgendwie muss jeder ran, und irgendwie wollen es auch viele. Und das hilflose „irgendwie“ wird zum Ausdruck der Unmöglichkeit der Aufgabe und zugleich ihrer sich selbst produzierenden Trivialität. Es gibt nur einen Holocaust, es gibt aber 80 Millionen von uns und noch viele mehr, wenn wir es global betrachten.

Worte werden zu Wörtern 

Es ist eine unmögliche Aufgabe, Erinnerung durch Worte wach zu halten. Nicht weil es dafür viel zu wenig Worte gibt, sondern weil viel zu viele Wörter gesprochen werden. Und so werden Worte zu Wörtern – in nur einer Woche haben sie den Holocaust zerredet. Sogar die Geschichten der Einzelnen klingen hohl, wenn sie von allen Bühnen der Welt wiederholt werden.

Sogar dann, wenn unsere Bekenntnisse das erwähnen, was sonst stets am wirksamsten ist – persönliche Geschichten der Opfer – bekommen diese Geschichten in öffentlichen Reden einen faden Beigeschmack: Präsident Steinmeier erzählte in Jerusalem die Geschichte von Samuel Tytelman und seiner Schwester Rega. Doch wenn es sechs Millionen vergaster und erschossener Lebensgeschichten gibt, ist es unweigerlich, dass auch sie sich in öffentlichen Reden ähneln.

Sechs Millionen Leben, sechs Millionen Schicksale 

Jeder war ein Sohn oder eine Tochter von jemandem, viele hatten Geschwister, die Kinder hatten ihre typischen Kindheitsgeschichten und die Eltern ihre Berufe. Wenn jeder Politiker, jede Reportage auch nur eine Geschichte erzählt, erinnert sie würdevoll an ein Opfer. Doch zugleich wird das Persönliche massenhaft durch die schiere Zahl der Geschichten – sechs Millionen Einzelleben sind eben sehr sehr viel.

Die Unmöglichkeit unserer Erinnerungsaufgabe steckt in der Übergröße des Verbrechens. Sollen wir deswegen aufhören, uns zu erinnern? Selbstverständlich nicht! Doch sollen wir deswegen darüber hinwegsehen, dass diese offizielle Erinnerung immer pathetischer, immer ermüdender wirkt? Auch das wäre ein falscher Weg! Wahrscheinlich sind wir als Gesellschaft dazu verdammt, die unmögliche Erinnerung immer wieder in Worte zu fassen und zu zerreden und diese Übung dann immer und immer wieder zu versuchen.

Was tut die Politik für die Überlebenden?  

Diese Worte habe ich als persönlich betroffener Beobachter geschrieben. Als Politiker ergänze ich dies: Unsere kollektiven Erinnerungsversuche, mögen sie auch noch so hilflos und repetitiv rüberkommen, bleiben nur dann legitim, wenn sie glaubwürdig, opfergerecht und gegenwartsrelevant sind. Es ist nicht glaubwürdig, wenn unsere Erinnerungsbemühungen rituell wirken, sich in Symbolik erschöpfen.

Erinnerung an die Schoah bedeutet, sich auch außerhalb der Feiertage an Menschen zu wenden, die Opfer von damals waren: Was tut Politik für die Überlebenden des Holocausts und ihre Nachfahren, wenn es etwa um würdevolle Lebensbedingungen in Deutschland geht? Die Bemühungen um die Lösung einer Altersversorgung für jüdische Zuwanderer, vielfach Holocaust-Betroffene und ihre Kinder dauern seit Jahrzehnten an. Viele von ihnen sind längst verstorben, ohne dass ihre Lebensleistungen anerkannt wurden. Die politische Kälte, mit der diese Fragen bisher behandelt wurden, oder eher unbehandelt blieben, ist kein Zeichen der Glaubwürdigkeit des politischen Verantwortungsauftrags. 

Wem nutzt die Theatralik der Betroffenheit? 

Die Erinnerung darf nicht instrumentell wirken. Diese Erinnerung ist nicht zu politischen Zwecken da, aber sie ist auch nicht da, um sich selbst als Gesellschaft zu entlasten. Eine tragische Einzelgeschichte, die vom Manuskript vorgelesen wird, mag berühren. Aber sie darf nicht zur Theatralik der eigenen Betroffenheit verkommen.

Vor allem geht es darum, die Erinnerung ins Heute zu bringen: Es geht in erster Linie um klare Erinnerungs- und Antisemitismusbildung. Es geht darum, jüdische Menschen in Deutschland und in Europa zu schützen, die verschiedenen Formen des Antisemitismus ernst zu nehmen. Es geht darum, anzuerkennen, dass der Judenhass sich nicht nur in der alten Form des Nationalsozialismus wiederholt, sondern in anderen Formen – von übertriebener Israel-Kritik bis hin zur stereotypen und obsessiven Finanzkapitalkritik und Verschwörungstheorien. Der Auftrag muss sein, dass alle Justiz- und Verwaltungsstellen dies wissen, also auch dazu ausgebildet werden. Es bringt wenig, Gesetze zu verschärfen, wenn der Hass nicht mal erkannt wird.

Kontakt zu lebenden Juden pflegen 

In Schulcurricula brauchen wir mehr Informationen über das heutige jüdische Leben. Das ist die beste aktive Erinnerung an die Toten und ein offener und direkter Beziehungsaufbau zu ihren Nachfahren. Es ist wichtig, dass jüdisches Leben ganz selbstverständlich, religiös und säkular, bunt und vielfältig erfahrbar gemacht wird. Entweder durch einen Kontakt wo möglich oder durch Schulbildung, wo es kein jüdisches Leben gibt. Es bringt nichts, der Toten zu gedenken, wenn einem die lebenden Juden gleichgültig sind.

Ein Gespräch darüber, wie wir unsere Erinnerungskultur in Deutschland ehrlich und glaubwürdig gestalten, kann nicht schnell genug beginnen. Am liebsten gleich am Tag nach dem Jahrestag der Auschwitzbefreiung!

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Helmut Bachmann | Di., 28. Januar 2020 - 13:14

aber das Ende wirft Fragen auf. Der Autor traut sich tatsächlich nicht, vom glaubensgesteuerten, zugewanderten Hass zu sprechen. Und das, obwohl er zu Recht Authentizität einfordert. Das Leben unserer jüdischen Mitbürger wird auch dann ignoriert, wenn man unter den Tisch kehrt, dass 41% des erlebten Antisemitismus von Muslimen ausgeht und 20% von Rechtsextremen.(Umfrage der EU-Grundrechteagentur 12/2018). Es gehört zur Verantwortung, die ganze Wahrheit anzusprechen.

Robert Hans Stein | Di., 28. Januar 2020 - 14:14

Antwort auf von Helmut Bachmann

was ich während der letzten Tage zu diesem Thema gehört oder gelesen habe. Und keine Partei, keine Glaubensgemeinschaft sollte auf Verständnis hoffen dürfen, wenn sie nicht konsequent gegen Leute vorgeht, die den Geruch des Antisemitismus nicht loswerden. Und ja, insbesondere bei der AfD, die ich nicht in Bausch und Bogen verurteile, sehe ich da Handlungsbedarf. Trotzdem haben auch Stimmen ihre Berechtigung, die Zweifel am Umgang unserer Medien und Politiker äußern. Es ist gut vorstellbar, dass diese Dauerbeschallung, die Betroffenheitsübungen der letzten Tage bei nicht wenigen Menschen das Gegenteil dessen bewirken, auf was sie zielen. Man hätte Juden und dem Staat Israel - und beiden gehört meine Sympathie - dann einen Bärendienst erwiesen.

Gerhard Lenz | Di., 28. Januar 2020 - 15:40

Antwort auf von Helmut Bachmann

Dennoch dürfte dieser mehrheitlich im rechten politischen Spektrum zu hause sein. In der von Ihnen genannten Untersuchung werden übrigens keine 41%, sondern 30% der Urheber des gefühlten Antisemitismus als Menschen mit "extremist Muslim views" identifiziert. Interessant auch, wo Antisemitismus wahrgenommen wird: "They assess antisemitism as being most problematic on the internet and on social media (89 %), followed by public spaces (73 %), media (71 %) and in political life (70 %). "
https://fra.europa.eu/en/publication/2018/antisemitism-survey-2018/fra-…
Interessant der Hinweise auf eine CNN-Umfrage, wonach „antisemitische Klischees in Europa fortbestehen, während die Erinnerung an den Holocaust schwindet”. https://edition.cnn.com/interactive/2018/11/europe/antisemitism-poll-20…
Angeblich war ein Resultat der Umfrage, dass "A third of Europeans said that Jews use the Holocaust to advance their own positions or goals." - Aussagenn der europäischen Ur-Bevölkerung also!

Der Artikel ist hervorragend. Ich denke, wir sollten uns alle mal an die eigene Nase fassen. Ein Textauszug von Sabine Müller, tagesschau sagt alles:
"An Bundespräsident Steinmeier lag es nicht: Der Gedenktag in Yad Vashem wurde von den egoistischen Auftritten Israels und Russlands überschattet. Eine vertane Chance im Kampf gegen Antisemitismus." und weiter "Unwürdig war dagegen, wie Israel und Russland diesen Gedenktag teilweise kaperten. Wie sie vor der offiziellen Veranstaltung sozusagen ihre eigene politische und erinnerungspolitische Privatparty feierten" (aus Mena-Watch.com)
Ein Land der Opfer und ein Land der Befreier von deutscher Vernichtung „kapern“ diesen Gedenktag und „feiern“ eine „Privatparty“?
Ergebnis ist dann diese Sichtweise: "Die Moral ist ein Meister aus Deutschland. Die neuen Deutschen tragen statt Springerstiefel Sneakers, Ballerinas oder Birkenstock. Doch sie trampeln damit ebenso unbeirrt und unerbittlich durch die Welt wie ihre Großväter und Urgroßväter."

Ein unfaßbar beschämender Kommentar von Frau 'Haltungs-'Müller. Da weiß man als GEZ-Gebühren-Pöbel, was die salbungsvollen Phrasen des Herrn Bundes-Präsidenten in der Praxis wert sind - gar nichts.
Ebenfalls unglaublich : Die Chuzpe und Sturheit mit welcher der HR in seiner 'Stellungnahme' versucht, den Skandal kleinzureden.
Man hat dort nicht den Mumm und den Charakter, ganz einfach zu sagen: 'Ja, wir haben es auch gemerkt. Dieser Kommentar war taktlos, peinlich und ungehörig. Es tut uns leid, und wir bitten um Verzeihung!
Und bei ARD-Aktuell werden wir demnächst ein paar Leute austauschen.'
Und DIESE Figuren behaupten, sie 'hätten aus der Vergangenheit gelernt!' Welcher Israeli, welcher Russe, welcher Pole soll das angesichts solcher Statements glauben?
Man kann sich als Deutscher für diesen ÖRR wirklich nur schämen.

Bernhard K. Kopp | Di., 28. Januar 2020 - 16:06

Antwort auf von Helmut Bachmann

Man muss nicht immer gleich den zugewanderten Antisemitismus / Anti-Israelismus in die Debatte bringen. Diese Migranten, die mehr oder weniger nachhaltig den Antisemitismus " mit der Muttermilch" aufgenommen haben, und ihn mehrheitlich auch nie ablegen, stellen für uns ein viel breiteres Problem dar, von dem der spezielle Antisemitismus nur ein kleiner Teil ist. Wir sollten uns sehr wohl damit beschäftigen, wie wir unseren historischen Antisemitismus, der auch in der ganzen christlichen Kultur steckt, besser verstehen und zurückdrängen. Von allen Minderheiten die ich seit 40-50 Jahren in mehreren Ländern kenne, sind Juden immer die kulturell und wirtschaftlich produktivste, und insgesamt die interessanteste und unproblematischste.

Der Artikel behandelt den Umgang mit Juden heute. Und wenn ich da linksradikalen und islamischen Antisemitismus ausblenden, weil's mir nicht in die Ideologie passt, dann nennt man das Heuchelei. Besser wäre, wir nehmen die heutigen Probleme ernst und sehen genau hin.

Wilfried Düring | Di., 28. Januar 2020 - 16:52

Antwort auf von Helmut Bachmann

Eine lesenswerte Zusammenstellung über die Widersprüche der bundesdeutschen Nahostpolitik und die Differenzen zwischen postuliertem Anspruch und Taten dokumentiert der Autor Stefan Frank auf der Achse des Guten:

https://www.achgut.com/artikel/nein_die_bundesrepublik_deutschland_schu…

Frank argumentiert aus pro-israelischer / pro-jüdischer Sicht und ist auch Autor auf der Webseite 'MENA Watch'.

Ayala Shapira, Opfer eines Anschlags palästinensischer Terroristen, wird mit den (an die Politiker EU-Europas gerichteten) Worten zitiert:
'Ich möchte, dass Sie sich erinnern; dass Sie manchmal, wenn Sie glauben, Sie würden einen Beitrag zu einer Sache des Friedens leisten, Sie in Wirklichkeit zu Mord, Schmerz und Krieg beitragen.'

Ernst-Günther Konrad | Di., 28. Januar 2020 - 19:09

Antwort auf von Helmut Bachmann

Kurz, knapp und für mich richtig. Guter Artikel, ohne Schaum vor dem Mund und ohne die übliche Schuldzuweisung. Und ja, wir haben keine persönliche Verantwortung für diese unseelige Zeit. Wir haben heute aber gegenüber den jetzt lebenden Menschen aller Konfessionen die Pflicht, gegen jede Form von religiösem Fanatismus entgegen zu treten. Ja, es gibt Neo-Nazis mit antisemitischem Gedankengut, die gibt es auch bei Linken und eben bei fanatischen Muslimen. Das muss genauso differenziert benannt werden können. Keine dieser Menschenhasser ist besser oder schlechter. Vergleiche mit der Vergangenheit ersetzt nicht die Auseinandersetzung mit der Gegenwart.

Brigitte Simon | Do., 30. Januar 2020 - 09:08

Antwort auf von Ernst-Günther Konrad

...macht mich betroffen. Wie unglaubwürdig und phrasenhaft zeigt sich BP Stein-meier dieser Tage. Wie läßt sich sein Auftreten, wie lassen sich seine "Worte" glaub-haft vermitteln? Seine Doppelmoral entschuldigen? Nicht vergessen werden darf sein unseeliges Glückwunschtelegramm zum 40. Jahrestag der iranischen Revolutuion. Er gratuliert einem Staat, dessen Zielsetzung die Zerstörung Israel ist.
in der israelische Zeitung "israelnetz" wirft der Präsident des Zentralrats BP Steinmeier mangelnde Sensibilität vor. Er fordert Steinmeier auf, unmißverständlich die kritische Haltung der Deutschen zu verdeutlichen, in deren Namen er spricht".

Eine Ohrfeige für den bigottischen Bundespräsident Steinmeier. Er muß endlich vermitteln zwischen der israelischen und der deutschen Bevölkerung,
um zusammenzuführen, was augenblicklich schwer vorstellbar ist. Hier ist glaubwürdige Diplomatie erforderlich. Nicht die anbiederische Diplomatie Steinmeiers für den Iran.

Jacqueline Gafner | Mi., 29. Januar 2020 - 09:46

Antwort auf von Helmut Bachmann

Mit dem Ablenkungsmanöver, das Sie hier nach meinem Eindruck zu fahren versuchen, Herr Bachmann, tun Sie dem mehr als nur berechtigten und auch überzeugend begründeten Anliegen des Autors keinen Dienst. Dass sich der Antisemitismus oder, um es direkter auszudrücken, die Judenfeindlichkeit, nicht nur in Deutschland, doch gerade auch in Deutschland, wieder vermehrt und ganz offen ans Licht des Tages getraut, mag auch der verstärkten Einwanderung von Muslimen nach Europa geschuldet sein, doch eben nicht nur und nicht einmal hauptsächlich, wie die Prozentzahlen belegen, die Sie oben anführen. Und dem Autor - mindestens implizit - vorzuwerfen, dass er seiner (!) Verantwortung nicht gerecht werde, zu der das Aussprechen der ganzen Wahrheit gehöre, ist mehr als nur ungehörig und lässt auch tief blicken, was die "Werthaltigkeit" der Feststellung betrifft, mit der Sie Ihren Kommentar einleiten.

Juliana Keppelen | Di., 28. Januar 2020 - 13:56

denn ich weiß aus Erfahrung vieler auch jüdischer Bürger dass ihnen diese "theatralische Begroffenheit" ziemlich auf den Geist geht. Ähnlich gehts den Meisten bei den täglich von Politikern mantraartig wiederholten Pflichtübungen zum "Kampf gegen Antisemitismus". Während aber Herr Lagodinsky bei den anderen die "Betroffenheitstheatralik" anprangert und kritisiert (zurecht) reiht er sich nahtlos in die andere Kategorie der täglichen Pflichtübung "Kampf dem Anitsemitismus" ein (nach dem Motto es ist schon alles gesagt, nur noch nicht von mir) und gibt auch schon den Ratschlag überzogene Kritik an Israel zu vermeiden. Ich ahne jetzt schon voraus, so wird das nichts. Niemand kann das unermeßliche unvorstellbare Leid an jüdischen Bürger sowie Sinti und Roma und Oppositionellen während der Naziherrschaft wieder gut machen aber wir haben danach ein Grundgesetz bekommen das schon im ersten Satz betont "die Würde des Menschen ist unantastbar usw., und als nächstes niemand darf wegen seines usw.

Juliana Keppelen | Di., 28. Januar 2020 - 13:58

Also gibt uns das Grundgesetz die Richtung vor und nach dem gilt es zu handeln.

Urban Will | Di., 28. Januar 2020 - 15:12

… im vorletzten Satz dieses Artikel, der sehr gut begann, stehen vier Worte, die ich schon lange nicht mehr in einen Zusammenhang bringen kann.

Zumal die Wucht all dessen, an welches hier zu erinnern ist, die Dimensionen dessen sprengt, was „ehrlich“ und „glaubwürdig“ von den Protagonisten unserer Politik und Kultur noch geleistet werden kann.
Und dann wird es – wie im Artikel sehr gut dargestellt – schnell „verkrampft“.
Und dann ist es nicht mehr weit bis zum „Negativeffekt“, dem genauen Gegenteil dessen, was man bewirken will.

Vermutlich ist die Dimensionen von Auschwitz eine so große, dass sie vom Volk der „Täter“ gar nicht bewältigt werden kann. Und das sind wir und werden wir bleiben.
Und werden damit umzugehen haben.

Ein jüdisches Sprichwort sagt: „Wer Reue zeigt, den soll man nicht an seine früheren Sünden erinnern.“

Ob das eine Lösung ist, weiß ich nicht. Wenn, dann niemals eine, die von uns angestoßen werden sollte.

"Wer Reue zeigt, den soll man nicht an seine früheren Sünden erinnern". Wie wahr, wie wahr, Herr Will. Dieses Sprichwort zu verwirklichen, hilft beiden Seiten. Wie bereits in einem meiner Kommentare erwähnt, lebte direkt nach Kriegsende ein
Jude für längere Zeit. Wir sprachen und sprachen über Vieles. Im Dritten Reich nicht rein arisch gewesen zu sein, konnte er nachvollziehen.
Jedoch weigere ich mich, unsere nachfolgenden Generationen dieser Gesamtschuld zu unterziehen. Wir haben enge Freunde in Israel mit einem großen Freundeskreis
(unsere Söhne studierten zusammen in München) und treffen uns jährlich. By the way. Sie verstehen unsere Sichtweise und geben uns recht. Was für eine tolle Freund-schaft. Wir lassen uns nicht teilen. Wir bleiben uns treu.

Josef Olbrich | Di., 28. Januar 2020 - 16:19

Artikel 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Wer kann sich noch an diese Diskussion in der Vorbereitungszeit des Grundgesetzes erinnern, die nur den Opfern des Nationalsozialismus gewidmet war und nicht den Tätern. Nachdem das Ausmaß der industriellen Vernichtung von Menschen sich langsam in das Bewusstsein der Menschen etablierte, war ein Reflex der Abwehr, ob solcher Grausamkeit, spürbar. Doch die Mütter und Väter des Grundgesetzes ließen sich, trotz des sie umgebenen Trümmerfeldes, nicht verwirren. Sie ordneten diesen Frevel, der im Namen des Deutschen Volkes begangen worden war, so ein, dass in Zukunft nie mehr ein Mensch seiner Würde beraubt werden kann. Wir sollten alle daran arbeiten, dass dieses Wissen immer präsent bleibt. Und, da es deutsche Staatsräson ist, den jüdischen Staat Israel und seine Bewohner zu schützen, gilt das auch für unsere Mitbürger jüdischen Glaubens in der Bundesrepublik.

Josef Olbrich | Di., 28. Januar 2020 - 16:20

Allerdings gibt es bei uns in Deutschland Mitbürger, die mit Deutschland nichts anfangen können, oder Einwohner, die unfähig sind aus der deutschen Vergangenheit zu lernen. Ja, es ist mühsam in einer Demokratie diesen Menschen das Rüstzeug zu geben, um in der Gegenwart friedlich mit einander leben zu können.

Gisela Fimiani | Di., 28. Januar 2020 - 16:47

Gern würde ich vom Autor erfahren, wie er zum deutschen Abstimmungsverhalten bei den UN steht, wenn es um Israel geht. Hier sehe ich „politische Kälte“. Wie „gegenwartsrelevant“ und „glaubwürdig“ sind in die Worte und Bekenntnisse, wenn gegenwärtiges politisches Handeln diese konterkariert?

Herr Lagodinsky, das „kulturelle Gedächtnis“, im Gegensatz zum „sozialen Gedächtnis“, erfüllt eine gesellschaftliche Funktion. Durch den Rückbezug auf eine Vergangenheit werden Wertordnungen und Handlungsmuster festgelegt, werden gesellschaftliche Selbstdeutungen formuliert.

Kultur im weitesten Sinne, als nicht vererbbares Gedächtnis eines Kollektivs (wird in der Regel durch Medien hergestellt). Und so erscheint die Kultur als ein System des kollektiven Gedächtnisses und des kollektiven Bewusstseins. Es ist notwendig als eine für das Kollektiv einheitliche Wertestruktur. Kultur kann so auch zum Immunsystem werden, wie im Grundgesetz beschrieben:

Art 1. (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

Wer die Erinnerungskultur „um 180 Grad wenden will“, will auch das kulturelle Gedächtnis auslöschen, denn das Gedächtnis funktioniert gewissermaßen für den „Sozialkörper“ (Gesellschaft) wie das Immunsystem für den biologischen Körper als ein Abwehrmechanismus.

Der Revisionismus jedoch versucht immer die Vergangenheit zu relativieren oder zu leugnen. Er feilscht mit den Fakten, will die Vergangenheit reinigen. Erinnerung bedeutet jedoch auch an die Unmenschlichkeit und die politische Lüge zu erinnern, die in die totale Vernichtung führte.

P.S.: Hannah Arendt schrieb im New Yorker Exil: „ Hinzu kommt das Eichmann gerade nur für Juden zuständig war, und zwar ganz gleich welcher Nationalität. Man sollte also niemals vergessen, die Juden standen im Zentrum der Nazi-Ideologie. Sie wurden willkürlich ausgewählt."

"...denn das Gedächtnis funktioniert gewissermaßen für den „Sozialkörper“ (Gesellschaft) wie das Immunsystem für den biologischen Körper als ein Abwehrmechanismus." Behaupten kann man alles Mögliche, doch gibt es hierfür auch einen Beweis? Vermutlich will der Verfasser mit einer derartig steilen These beim Leser Eindruck schinden.
"Hannah Arendt schrieb im New Yorker Exil: „ Hinzu kommt das Eichmann gerade nur für Juden zuständig war, und zwar ganz gleich welcher Nationalität." Zwei kapitale Grammatikfehler; (richtig wäre `Hinzu kommt, dass...´)d.h. offensichtlich ein Zitat falsch abgeschrieben. Wer so schlampig abschreibt, der muß sich den Vorwurf gefallen lassen, schlampig zu denken.

Bernhard Jasper | Do., 30. Januar 2020 - 13:13

Antwort auf von Wolfgang Beck

Und diese Nazi-Bestien ermordeten die in Auschwitz ankommenden Kinder sofort in den Gaskammern. Bis auf die Kinder, die für bestialische medizinische Experimente missbraucht wurden.

Die Bestände des kommunikativen Gedächtnisses vergehen leise und unmerklich. In aller Stille wird ein Gedächtniskapitel nach dem anderen geschlossen. Historisch bedeutsam wird das unmerkliche Absterben eines Gedächtnisabschnittes erst, wenn Erfahrungen betroffen sind, die dauerhaft sicherzustellen sind. Das ist auch der Fall bei den Verbrechen des Nationalsozialismus. Es wird die Generation aussterben, für die auch Hitlers Judenverfolgung und Judenvernichtung Gegenstand persönlicher traumatischer Erfahrung ist. Was heute zum Teil noch lebendige Erinnerung ist, wird morgen nur noch über Medien vermittelbar sein.

Achim de Jong | Di., 28. Januar 2020 - 19:29

Der Massenmord an den Juden lehrt nichts. Er hat an den Folgen der kommunistischen Machtübernahme in China nichts geändert. Er hat die Kulurrevolution nicht verhindert, so wenig wie die Massenmorde in Kambotscha. Er hat die diversen Massaker in Afrika nicht verhindert. Er hat die Greuel im Rahmen der Teilung Indiens nicht verhindert.
Er wird auch künftige Gräuel nicht verhindern.
Er zeigt nur, dass der zivilisatorische Firnis recht dünn ist. Es gibt eben weder den edlen Wilden noch den edlen Zivilisierten.
Die Koloniallherrschaft der Belgier im Kongo hat deutlich mehr Opfer gefordert, als der Holocaust, wie auch die Eroberung Amerikas durch die Europäer.
Oder denken wir an den Mongolensturm oder die Feldzüge von Tamerlan.
Nicht zu vergessen die Toten der Grosskriege Europas.
Am Ende bleibt den Überlebenden nur, die Toten zu betrauern und weiter zu leben. Oft ist Amnesie die bessere Lösung, denn der Mensch ist unbelehrbar.

Jacqueline Gafner | Mi., 29. Januar 2020 - 10:38

Antwort auf von Achim de Jong

der zu Ihrem weiter oben stehenden Kürzest-Kommentar passt und endgültig klar macht, dass Sie zu der Gruppe der "Relativierer" gehören, die aus der Zeit der NS-Diktatur mit ihrer industriellen "Mordmaschinerie" zur "Endlösung der Judenfrage" effektiv nichts gelernt haben. Meiner Verachtung dürfen Sie sich immerhin sicher sein, die liefere ich Ihresgleichen gerne gratis und franko frei Haus.

Mao wird der Spruch nachgesagt, der Tod eines Menschen sei eine Tragödie, der Tod von Millionen aber nur Statistik. Der Kulturbruch war nicht Auschwitz! Der Kulturbruch waren der amerikanische Bürgerkrieg und der erste Weltkrieg, bei denen es um die "Verarbeitung" menschlichen Lebens im industriellen Maßstab und mit industriellen Mitteln ging. Keiner der Sieger ging ins Kloster, wie der Frankenkönig nach der Canstatter Vesper. Damit war die Illusion der Vergötzung des menschlichen Lebens, wie im 19. Jahrhundert die Mode, abgeschafft.
Natürlich ist jeder Massenmord einzig, sei es die Ausrottung der Juden und anderen als wertlos bezeichneten Lebens durch die Nazis, sei es der Terror der Kommunisten in Russland, in China, in Vietnam, in Kambodscha, seien es die Atombomben auf Japan oder der Bombenkrieg gegen Deutschland.
Dem Opfer können Methode und Begründung egal sein. Auch rechtlich ist die Beurteilung klar: Mord!
Die Schuldfrage ist auch klar: Schuldig sind die verurteilten Täter!

Gottfried Meier | Mi., 29. Januar 2020 - 12:03

Antwort auf von Achim de Jong

Ich weiß nicht, ob ich Ihrem letzten Satz zustimmen kann. In Europa wissen die meisten nicht, was Krieg ist. Sie kennen nur ein Leben in Frieden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass außer ein paar wenigen, sich etwas anderes wünschen. Insofern haben wir als Gesellschaft schon gelernt, dass ein Leben in Frieden etwas Gutes ist. Sich an
Jahrestagen die schrecklichen Ereignisse in Erinnerung zu rufen, hilft uns für die Gegenwart dem Wert unseres friedlichen Zusammenlebens bewusst zu bleiben.

Gerhard Schwedes | Fr., 31. Januar 2020 - 12:08

Antwort auf von Achim de Jong

Lieber Herr de Jong! Mich hat Ihr Kommentar sehr betroffen gemacht. Und ich stimme Ihnen zu, auch wenn man sagen muss, dass der perverse und pathologische Sozialdarwinismus der Nazis mit seiner besonderen Art des industriellen Massenmords eine Spitze in der Verbrechensexekution darstellt. Die ganze Perversion bündelt ja in der Rede Himmlers, der dem Mord an den Juden auch noch die Moral der Pflichterfüllung und Opferhaltung der Täter im Dienste der Menschheit zusprechen will. Aber der Massenmord hatte schon immer das gute Gewissen auf seiner Seite.

Liebe Frau Gafner! Sie verteufeln hier eine Sichtweise, die man durchaus einnehmen kann. Damit verweigern Sie den Diskurs und erheben sich moralisch über die legitime Sichtweise eines anderen Menschen. Die Deutschen haben kein Verbrechensmonopol mit Patentanspruch. Wer dies tut, pflegt eine Art umgekehrten Größenwahn: Ich vermute schon lange, dass die Schuldritualisierungen nur die Reaktion auf verletzten Größenwahn darstellen.

Bernd Muhlack | Di., 28. Januar 2020 - 20:42

Zitat:
"Wenn Juden das Volk des Buches sind, ist Deutschland dieser Tage das Volk der Worte. Bekenntnisse über Bekenntnisse, Rituale über Rituale. Die Kollektivübung scheint darin zu bestehen, das Unfassbare zu vermessen, das Unmögliche auszudrücken - weniger das Verbrechen, mehr die eigene Betroffenheit."
Ende

Es gibt bekanntlich drei Religionen des Buches.
Das Judentum mit der Thora, das Christentum mit der Bibel sowie den Islam mit dem Koran.
Im Prinzip haben diese Religionen die selbe Basis, den Urvater Abraham.

Nein Herr Ladoginsky, Deutschland ist nicht das Land der Worte!
Es sind Zeitgenossen wie BP Steinmeier, welche die üblichen Worthülsen erbrechen, sich einmal mehr entsetzt geben!
("Wie ist der Termin zeitlich angesetzt?")
Letztlich der betroffene, quasi versteinmeierte Blick ins Nichts!

Nur Willy Brandt habe ich die Betroffenheit, Ehrlichkeit abgenommen, damals in 1972!
Der Kniefall vor dem Mahnmal des Warschauer Ghettos, das war ECHT!

NIE WIEDER! - welch hohle Phrase!

Ulrich Jarzina | Di., 28. Januar 2020 - 21:49

...mich auch.
Besonders dann, wenn sie von Politikern kommt, die es sonst an Empathie und Einfühlungsvermögen gegenüber den einfachen Menschen eher vermissen lassen.

Zudem kann Betroffenheit - auch und ganz besonders geheuchelte - gefährlich sein. Es gab gestern nicht wenige Reden, die den Bogen schlugen vom Holocaust, über Antisemitismus bis hin zu Hass und Hetze, ganz besonders "im Netz", um sich dann schließlich mit Verve dem Kampf gegen Rechts allgemein zu widmen.

Um die Opfer des Holocaust, insbesondere die Juden, ging es an dieser Stelle dann nicht mehr, im Gegenteil. Sie, deren Menschen- und Bürgerrechte während der NS-Zeit mit Füßen getreten wurden; sie, die in Auschwitz starben, mussten als Begründung herhalten für eine Politik, die ihrerseits massiv Menschen- und Bürgerrechte aushöhlt (NetzDG, Impfpflicht, etc.) und es durch ihr fatales Migrationsmanagment seit 2015 zuließ, dass der Judenhass in Deutschland wieder Fuß fassen konnte.
Das ist einfach nur perfide.

Herr Lagodinsky mahnt über zuviel Israel-Kritik . Was versteht er unter zuviel Kritik?
Welcher Art?

Zu einer "echten Freundschaft" gehört auch eine fundierte ruhige Kritik. Das Hinter-fragen beweist mein Interesse an unserem geführten Gespräch.
Kritik an dem eineitig geschlossenen Jahrhundert-Deal zwischen Netanjahu und Trump muß erfolgen und diskutiert werden. Dieser sollte Frieden der beiden Staaten bringen. Doch dieser ist kontraproduktiv. Akzeptiert Herr Lagodinsky diese Kritik?

die Kritik Ihrer Kritik? Israel -das einzige Land mit dem Anhängsel" Kritik". Zum Beispiel(Wegen dem" I "geht aber auch mit jedem anderen Buchsstaben des Alphabets)Indonesienkritik , Indienkritik ,Irankritik? Alles lupenreine, über Kritik erhabene Länder!

Gerhard Schwedes | Fr., 31. Januar 2020 - 12:28

Was den Rechtsextremismus angeht, so kann man diesen eigentlich guten Gewissens ad acta legen, zumindest was den Diskurs darüber betrifft. Hier besteht ziemliche Einigkeit. Wer würde denn leugnen, dass es sich bei ihm um die unterste Stufe der Dummheit handelt. Leider wird der Rechtsextremismus dahin gehend instrumentalisiert, dass man die Rechte damit gleichzusetzen versucht. Was dagegen den Islam betrifft, so wird gelogen und verbogen und mit gespaltener Zunge gesprochen. Dabei ist es doch so einfach: Der Koran ist voll von antisemitischen Suren. Niemand vermag dies zu leugnen. Und auch der Prophet selber zeigt in seinem Lebenswandel allergrößten Antisemitismus. Aber darum drückt man sich herum. Die Parteien wollen keine muslimischen Wähler verlieren, der Durchschnittsbürger nicht gegen den Mainstream schwimmen. Und überhaupt hat man Angst vor den terroristischen Bedrohungen, die einen selber treffen könnten. Man ist also feige und scheut sich vor der notwendigen Auseinandersetzung.