17.04.2019, Hamburg: Peter Wohlleben, Förster und Bestseller-Autor, steht nach einem Pressegespräch an einem Baum auf der Michelwiese. Wohlleben hat gemeinsam mit «Geo» ein neues Naturmagazin aufgelegt. «Wohllebens Welt» will viermal im Jahr zu einer Führung durch die Natur einladen. Das Heft wird vom Hamburger Verlag Gruner + Jahr herausgebracht.
„Du erzählst doch Geschichten!": Peter Wohlleben / picture alliance

Peter Wohlleben - Seit wann können Bäume stillen, Herr Wohlleben?

Im deutschen Wald passieren unglaubliche Dinge. Bäume stillen, sie haben ein Herz und spenden für Ausgestoßene. Mit solchen Geschichten erreicht Peter Wohlleben Millionen Leser – als Sachbuchautor. Kritiker sagen, er benutze Fake News, um für den Umweltschutz zu werben. Heiligt der Zweck die Mittel?

Antje Hildebrandt

Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Peter Wohlleben ist Deutschlands bekanntester Förster – und nebenbei Bestseller-Autor. In seinen Büchern setzt er sich für eine ökologisch nachhaltige Waldwirtschaft ein. Gerade ist ein Dokumentarfilm über ihn im Kino angelaufen: „Das geheime Leben der Bäume“. 

Herr Wohlleben, wenn Sie ein Baum wären, was für einer wäre das?
Es kommt darauf an, in welchem Land wir sind. In Deutschland wäre ich gerne eine Buche, weil deren Sozialleben gut erforscht ist. Sie ist nicht auf Wettbewerb aus, sondern solidarisch, was im übrigen auch evolutionär Sinn macht, weil Bäume allein nicht allein überleben können, sondern nur in der Gemeinschaft. 

Seit 2007 schreiben Sie Bücher über den Wald und Tiere. Stört es Sie eigentlich, wenn man Sie einen „Baumversteher“ nennt?
Also, ich verstehe Bäume nicht – aber vielleicht immer noch besser als mancher andere. Der Begriff stört mich aber nicht. Ich würde mich aber eher als „Baumerklärer“ oder noch besser als „Baumhüter“ sehen. Mir geht’s auf die lange Sicht darum, dass der Wald stärker geschützt wird.

Aber der Begriff ist ironisch gemeint. Sie schreiben über Bäume, als wären es Menschen. Empfinden Sie das wirklich so, oder geht beim Schreiben die Phantasie mit Ihnen durch?
Nein, ich empfinde Bäume nicht als Menschen. Auf gar keinen Fall. Nur: Wie wollen Sie erklären, wie ein Baum funktioniert? Das ist ein allgemeines Problem in der Naturwissenschaft. Man zerlegt Dinge wie ein Hirn in seine kleinsten Einzelteile, in Nervenzellen. Sie können erklären, wie Signale übertragen werden. Aber bis heute ist nicht geklärt: Wie kann man einen Gedanken fassen?

Was heißt das übertragen auf Ihre Baumstudien?
Ich versuche das ganzheitlich zu sehen. Und dann kommen ganz andere Sachen heraus. Und die sind so irre, dass man wirklich denkt: Du erzählst doch Geschichten! Das sind doch Metaphern!

Mal ein Beispiel.
Wenn Mutterbäume ihre Sämlinge mit einer Zuckerlösung ernähren, können sie das über radioaktiven Zucker verfolgen. Sie können mit einem Geigerzähler messen: Wo landet der? Sie sehen, wie der Mutterbaum Zuckerlösung rüberpumpt. In meinem Buch schreibe ich von „Stillen“.

Stillen?
Mir geht es um dieses Bild. Damit kann ich den Zusammenhang erklären.

In Ihrem Buch „Das geheime Leben der Bäume“ schreiben Sie auch: Wer weiß, dass Bäume Schmerz empfinden und ein Gedächtnis haben und dass Baumeltern mit ihren Kindern zusammenleben, der kann sie nicht mehr so einfach fällen und mit Großmaschinen zwischen ihnen herumwüten." Wissen Sie, was ich gedacht habe, als ich das gelesen habe?
Nein.

Sie wollen mich auf den Arm nehmen. Man kann doch Bäumen kein Geschlecht zuordnen und sie mit einer Familie vergleichen. 
Im Gegenteil, es ist unwissenschaftlich zu sagen, so etwas gäbe es nur beim Menschen. Evolution wurde lange mit „Survival oft he Fittest“ übersetzt. Der Stärkere überlebt. Dabei stimmt das gar nicht. Es überlebt derjenige, der am besten in dieses Sozialsystem hineinpasst.

Ich habe dann gegoogelt  und herausgefunden, dass mein Eindruck ausgerechnet von vielen Ihrer Kollegen geteilt wird. Die Forstprofessoren Christian Ammer und Jürgen Bauhus schreiben zum Beispiel, dass Sie mit „Verzerrungen, Auslassungen und Halb- und Unwahrheiten nur deshalb so großen Erfolg haben, weil Sie Emotionen treffen und keiner hinterfragt, ob das alles wirklich sein kann.“
Diese beiden Herren vertreten das Märchen der Holzindustrie, dass Holz ein CO2-neutraler Ökorohstoff ist, den man verkaufen kann.

Warum Märchen? 
Im vergangenen Jahr haben 800 Wissenschaftler einen Brief an die EU geschrieben, in dem steht: „Holz ist kein CO2-neutraler Brennstoff, Holz ist schlechter als Kohle.“ Meine Kritiker arbeiten der Forstindustrie zu. Sie fürchten, dass Holz diesen Ökorohstoff-Touch verliert …

… und damit nicht mehr so attraktiv ist für den Bau- und Möbelbau?
Das auch, aber Holz wird hierzulande in erster Linie verbrannt – so viel, wie es der jährlichen Ernte entspricht. Deutschland verbraucht zusammen mit anderen Nutzungen mittlerweile beinahe doppelt so viel Holz, wie es selber produzieren kann. Diese ganzen Monokulturen sterben jetzt. Es gibt dadurch eine riesige Nadelholzschwemme auf dem Markt.

Was kann die Forstwirtschaft dafür?
Aktuell nichts, die Förster steigen jetzt leider alle auf Laubholz um. Das sind aber die, die den Klimawandel noch am ehesten überstehen werden. Die alten Bäume aber werden gefällt und zu Brenn- und Möbelholz verarbeitet, und das ist Raubbau an der Natur.

Und deswegen vermenschlichen Sie die Bäume, um den Forstwirten ein schlechtes Gewissen einzureden?
Nein, meine Bücher sind vor dieser Diskussion entstanden. Mein bekanntestes Buch „Das geheime Leben der Bäume“ ist eine verschriftlichte Waldführung. Ich führe seit 30 Jahren Leute durch mein Revier. Ich hab versucht, ihnen den neuesten Stand der Forschung zu erklären. Dass Bäume miteinander kommunzieren, ist seit den 70er-Jahren bekannt. Den Begriff „Wood Wide Web“ hat die Zeitschrift „Nature“ in den 90er-Jahren erfunden.

Aber dass Bäume ein Gedächtnis haben, ist gar nicht erwiesen. Wäre es dann nicht ehrlicher, Sie verkauften Ihre Bücher als Belletristik und nicht als Fachliteratur?
Natürlich haben Bäume ein Gedächtnis. Forstwissenschaftler formulieren das nur anders. Nehmen Sie zum Beispiel einen Baum, der eine Dürreperiode überstanden hat. Der stellt seinen Wasserhaushalt um. Er teilt sich das Wasser aktiv ein. Forstwissenschaftler würden sagen: „Der Zuwachs wird für den Rest des Lebens weniger.“ Das ist exakt dasselbe, weil beides an den Wasserverbrauch gekoppelt ist.

Aber „Gedächtnis“ weckt die Assoziation, der Baum könne fühlen, lernen und Erinnerungen speichern.
Das ist einfach eine Übersetzung. Ja, man kann den Sprachstil angreifen. Ich kann es verstehen, wenn es Leute gibt, denen der nicht gefällt.

Indem Sie die Bäume vermenschlichen, erklären Sie das Abholzen der Wälder zur Todsünde. Sollte man Fakten und Moral in der Wissenschaft nicht feinsäuberlich trennen?
Das können Sie heutzutage gar nicht mehr.

Warum nicht? Man kann doch gegen die Abholzung argumentieren, ohne den moralischen Zeigefinger zu erheben?
Das mache ich nur dann, wenn wider besseren Wissens Dinge gemacht werden, die doof sind. Angenommen, jemand steckt einen 100-Euro-Schein in den Ofen – das ist keine besonders intelligente Form des Heizens. Grundsätzlich ist Holz ein schöner Rohstoff, den man selbstverständlich verwenden kann, aber nur unter der Voraussetzung, dass man sparsam damit umgehen sollte, weil es ökologisch nicht ratsam ist. Man sollte lieber an Holz sparen, statt den Verkauf noch steuerlich zu subventionieren.

Der Konflikt, den Sie mit der Forstindustrie austragen, ist derselbe, den Klimaschützer und ihre Kritiker austragen: Es geht um Gut gegen Böse.
Das ist der Grundkonflikt. Die Forstbehörden sind alle Holzverkäufer. Sie bestimmen den Markt – und sie sind gleichzeitig die staatliche Kontrolle für diesen Markt. Das System ist nicht okay. Die Kartellbehörden mahnen das seit Jahren an .

Und deshalb bekämpfen Sie es mit der Waffe der Sprache?
Ich stelle mich der Kritik an meinen Büchern. Wir laden unsere Kritiker auch ein. Forstprofessoren kommen regelmäßig zu uns. Ich mache diese Auseinandersetzungen aber nicht öffentlich.  

Ob in Australien oder in Brasilien, auf der ganzen Welt ist der Wald in Gefahr. Wieso erkennen Politiker seine Bedeutung erst jetzt?
Das Problem ist nicht neu. Schon in den siebziger Jahren war das Waldsterben ein großes Thema. Damals gab es große Proteste, und die haben sich auch gelohnt.

Woran machen Sie das fest? 
Der Katalysator für Autos und die Rauchgasentschwefelungsanlagen für die Industrie sind ein Ergebnis dieser Proteste. Das stimmt mich optimistisch, dass es uns diesmal auch wieder gelingen könnte, Lösungen zu finden, obwohl die Herausforderung ungleich größer ist. 

Ausgerechnet eine 16-Jährige hat Klimaschützer auf der ganzen Welt mobilisiert. Was halten Sie von Greta Thunberg?
Ich find es toll, was sie angestoßen hat  – auch wenn sie jetzt wie eine Heilige verehrt wird. Schüler und Schülerinnen gehen für ihre Zukunft auf die Straße. Ich finde das ermutigend. Demokratie bedeutet nicht, dass man nur alle vier Jahre sein Kreuz machen kann. Man kann sich auch zwischendurch zu Wort melden. Ein Klimakabinett hätte es ohne diese Bewegung nicht gegeben.

Aber wo hört Naturschutz auf, wo fängt „Klimahysterie“ an?
Naturschutz hört da auf, wo Menschen beeinträchtigt werden. Für mich ist Naturschutz Menschenschutz.  

Die Anhänger der Bewegung „Fridays for Hubraum“ würden sagen, es fängt schon bei einem Tempolimit an.
Eine rote Ampel beschränkt Sie auch. Aber wenn Sie drüber fahren, überfahren Sie eben jemanden. So ist es mit dem Klimaschutz auch. Natürlich muss es Beschränkungen geben, wenn es der Mehrheit der Menschen schadet.

Aber warum ist es so schwierig, da rote Linien zu ziehen, mit denen alle leben können? 
Klimaveränderungen vollziehen sich relativ langsam. Die Auswirkungen unserer Handlungen treten nicht sofort auf. Ob Sie mit einem Auto fahren, das zehn Liter Benzin pro 100 Kilometer verbraucht oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln, das kann Ihnen egal sein. Es gibt keine direkte Rückkopplung. Sich jetzt für etwas zu beschränken, was vielleicht in zehn, 20 oder 40 Jahren eintritt, das ist schwer zu verkaufen. Ich plädiere deshalb für eine ganz andere Richtung.

Welche?
Motivation statt Verbote. Wir haben gerade ein Passivhaus für unsere Waldakademie gebaut, das extrem Energie spart. Tolles Raumklima. Wir brauchen keine Brennstoffe mehr kaufen. Das kann doch auch Spaß machen – wenn man Klimaschutz als Challenge betrachtet und neue Technologien entwickelt, die das fördern.

Würde es Sie reizen, in die Politik zu gehen?
Nein, in zwei Wochen bin ich bei der EU-Kommission eingeladen, um über Wälder zu sprechen. Sowas finde ich spannend. Ich tausche mich gern aus. Ich streite mich aber nicht gern.

Die Grünen haben noch nicht angeklopft?
Nein, ich würde auch keiner Partei beitreten. Es würde mir schwer fallen, irgendwelche Dinge zu vertreten, von denen ich nicht überzeugt bin, nur um die Parteilinie einzuhalten.

Ist die Zeit noch nicht reif für einen Wood-Wide-Web-Minister? 
Ich würde mir ein eigenes Klimaschutzministerium wünschen. Wohin es führt, wenn die vielen Maßnahmen der Bundesregierung nicht koordiniert werden, sehen wir ja gerade im Augenblick. Das Umweltministerium, das Verkehrsministerium und das Landwirtschaftsminsterium kochen alle ihr eigenes Süppchen. Man muss sich nicht wundern, wenn da nicht der große Wurf herauskommt.   

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Michaela Diederichs | Fr., 24. Januar 2020 - 19:00

Einmal mehr ein gelungenes Interview von Ihnen, liebe Frau Hildebrandt. Ich habe die Bücher von Herrn Wohlleben mit Freude gelesen. Dass er sich der menschlichen Sprache und Vergleiche bedient, um pflanzliches bzw. tierisches zu erklären, ist für mich vollkommen okay. Ich wüsste ehrlich nicht, wie man es sonst erklären sollte. Ein Klimaschutzministerium würde auch aus meiner Sicht Sinn machen. Gebündelte Maßnahmen sind effektiver, denn eins greift ins andere, so wie in einem menschlichen oder tierischen Organismus. Einzelbetrachtungen eines Organs mögen für einen Chirurgen hilfreich sein, für den Gesamtorganismus häufig aber nicht. Auch hier findet Herr Wohleben meine Zustimmung und Ihr Interview ebenfalls!

Bernd Muhlack | Fr., 24. Januar 2020 - 19:59

Ob unserer damals noch jungen Tochter kam ich in den Genuss sämtlicher Harry Potter-Filme im Kino.
Diese sprechenden Bäume und Sträucher.
Einmal wird der Held ja sogar von einem Baum verschlungen, in ein Labyrinth gezogen.

Hier in unserem kleinen aber feinen Kaff in Nordbaden, haben etwa 80 % der Häuser (EFH/ZFH) einen seitlichen, zusätzlichen Edelstahlkamin. Denn ein Kachelofen ist ja schließlich ein must-have, nicht wahr?
Auch ansonsten wird gerne Holz verfeuert, diese "Hybrid-Heizungen".
Und dann die Pellets-Konsumenten.

Natürlich muss man in diesem Breitengrad zu dieser Jahreszeit die Bude irgendwie angenehm bekommen, keine Frage.

Das nervige ist jeweils diese "Das schadet xy - Debatte".
Nach dem Motto, wenn ich was Falsches innen gelben Sack werfe, bin ich für das Abschmelzen der Polkappen mitverantwortlich!

Ich bin früher hier oft durch die Wälder gelaufen, sehr angenehm. Das ist mir leider nicht mehr möglich - alles hat einmal ein Ende.

Songs from the wood - Jethru Tull

Gerd Kistner | Fr., 24. Januar 2020 - 23:32

Ei der Daus, die Bäume brauchen die Mutterbrust. Die armen Samen, die durch Wind und Vögel verbreitet werden, haben Pech gehabt. So kann man nicht überleben, das ist nur in Gesellschaft möglich, die uralten Solitärbäume sind fake news im Interesse der Forstlobby und der Klimaleugner…..
Wenn ein Mann wie Wohlleben die Hirne der meisten Deutschen vernebeln kann, ist nichts mehr zu retten. Mit modernen wissenschaftlichen Methoden wurden in den letzten Jahren kaum vorstellbare neue Erkenntnisse gewonnen, z.B. wie Pflanzen Fressfeinde abwehren. Das sind im Gegensatz zu Wohllebens Mutmaßungen im Interesse der großen gemeinsamen Sache solide, überprüfbare Ergebnisse. Seine Fans sollten sich lieber ein modernes Lehrbuch der Pflanzenphysiologie kaufen.

herbert binder | Sa., 25. Januar 2020 - 12:40

Antwort auf von Gerd Kistner

Sing mir das Lied vom Forst und auf der Heide. Und, merke,
die Buche allein ist von feiner Gesinnung...solidarisch und
nicht auf Wettbewerb aus. Auf's Banner, auf's Banner. Und,
notabene, es grünet so grün, und Rotwild im Walde gibt's auch.

Alexander Mazurek | Sa., 25. Januar 2020 - 09:39

… schöne Märchen als Märchen zu erzählen, oder Märchen für Fakten auszugeben. 2x2=9 der Pippi Langstrumpf macht Freude, solange es kindlich bleibt wird aber zu Bedrohung, wenn man es ernst nimmt. Dieser Unterschied verschwimmt zunehmend.

Romuald Veselic | Sa., 25. Januar 2020 - 11:14

"Von Zuviel Güte, wird man verrückt."

In Deutschland wird's nicht mehr lange dauern, und die "Normalos" werden zur Minderheit, die in keine indigene/eigene Reservation abgeschoben werden, sondern in den regenerativen Irrenhäuser, mit veganer Therapie. Und bevor Fleischkonsum zur Straftat wird; bekenne mich solidarisch zu meinem Hund, der sich mit mir, seine Hundefleischdosen teilt.